Die 
        Wandlung der PKK ist keine Ausweglosigkeit, sondern eine Notwendigkeit 
        
      Der 
        Zusammenbruch des Sowjetsystems in den 90er-Jahren trägt mindestens 
        so viel Wirkungspotenzial für die demokratische Wandlung wie die 
        französische Revolution vor 200 Jahren. Dieser hat tatsächlich 
        in mehreren Ländern der Welt, vor allem in Osteuropa, den Entwicklungen 
        in Richtung Demokratie den Weg eröffnet. So, wie die sowjetische 
        Oktoberrevolution einen äußeren Beitrag zur nationalen Befreiung 
        in der Türkei geleistet hat, so hat dieser Zusammenbruch Auswirkungen 
        auf die benachbarten Staaten wie die Türkei und die Turk-Republiken 
        bezüglich der Beendigung des Status quo gehabt, der als Folge des 
        Kalten Krieges entstanden war und die Demokratisierung erschwerte, und 
        positive Entwicklungen herbeigeführt. Zweifelsohne sind die Errungenschaften 
        der Republik maßgebend gewesen. Dennoch, in diesen Jahren zeichnete 
        sich eine demokratische Entwicklung ab, die sich zwar nicht in den Gesetzen, 
        aber in der sozialen und politischen Struktur rasch wiederfand. In der 
        kurdischen Gesellschaft vollzog sich dies auf eine revolutionäre 
        Art durch die Serhildans* . Die kurdische 
        Realität wurde de facto von den höchsten Ebenen des Staates 
        anerkannt, auch wenn sich das nicht in den Gesetzen niedergeschlagen hat. 
        Außerdem kam es in dieser Zeit zur Aufhebung des Sprachverbots. 
        Dies ist ein wichtiger demokratischer Schritt. Auch wenn es an gesetzlicher 
        Garantie fehlt. Dieser Prozess war durch viele Auseinandersetzungen gekennzeichnet. 
         
        Und wenn wir von der Wandlung der PKK sprechen, dann berufen wir uns objektiv 
        vor allem auf die Entwicklungen im Lande und in der Welt. Die Entstehungsjahre 
        der PKK sind die Jahre, in denen streng ideologische Lager in Folge des 
        Kalten Krieges vorherrschten und der Status quo durch die Verleugnung 
        und Handlungsunfähigkeit über die kurdische Realität gekennzeichnet 
        war. Außerdem sind diese Entstehungsjahre von einer Jugend geprägt, 
        in der eine anarchistische Haltung dominierend war, die Demokratisierung 
        nicht kannte und die in rechte und linke Lager gespalten war. Sowohl in 
        dem Programm als auch in den Aktivitäten sind die tiefgreifenden 
        Einflüsse dieser dogmatischen, ideologischen Herangehensweise und 
        des radikalen Jugendwiderstands vorhanden. In den Strukturen der Parteien 
        und Organisationen in der Türkei kam es entsprechend der weltweiten 
        Entwicklung in den 90er-Jahren unvermeidlich zu Veränderungen, die 
        noch andauern. Auch innerhalb der PKK wäre es aufgrund der schweren 
        Kampfbedingungen, unter denen sie sich befand, zu solchen Entwicklungen 
        gekommen. Dass ich in diesen Jahren von dem Programm der PKK und ihren 
        alten Propagandaslogans Abschied nahm und nach neuen Wegen suchte, zeigt 
        nicht die Ausweglosigkeit, sondern die Notwendigkeit. Zu kritisieren ist, 
        dass dies zu spät vollzogen und nicht klar formuliert wurde und sich 
        auf dem Kongress und im Programm der PKK nicht ausreichend niedergeschlagen 
        hat. Die Notwendigkeit der Wandlung ist unumstritten. Deshalb ist das 
        Programm überholt. Es hat sich also gezeigt, dass programmatische 
        Formulierungen wie ein eigener Staat oder Ähnliches, 
        nicht realistisch und notwendig erscheinen. Das ist damit gemeint, wenn 
        die Rede davon ist, dass diese Jahre nicht genutzt wurden und es zu Wiederholungen 
        der vorherigen Ansätze kam. Um das zu überwinden, habe ich, 
        wie es in mehreren Unterlagen zu finden ist, gesagt, dass sowohl die Unabhängigkeit 
        als auch die Freiheit sinnvollerweise in der Einheit der Türkei als 
        der fortschrittlichste und praktischste Weg zu verwirklichen sind. Das 
        ist keine enge taktische Haltung. Es handelt sich hier um eine Einsicht, 
        die sich durch die wichtigen Lehren aus dem Leben und den Erfahrungen 
        gebildet hat. Auch wenn die Staatsbildung angestrebt wird, dann ist dies 
        auch innerhalb einer demokratischen Struktur der Republik der Türkei 
        am sinnvollsten realisierbar. Das ist die Schlussfolgerung, die in meinen 
        Reden vor meiner Festnahme dokumentiert ist. 
        Es darf nicht als widersprüchlich gewertet werden, dass ich die gleiche 
        Haltung einnahm, als ich meine Reise nach Europa einen Schritt zur Staatsbildung 
        genannt habe. Wenn die Tendenz zur Trennung überwiegen würde, 
        könnte man dies als einen großen Widerspruch oder als ein Zeichen 
        der Reue auslegen. Aber wenn man meine Ansichten über den politischen 
        Willen der Kurden im Allgemeinen zugrunde legt, wird man feststellen, 
        dass keine Widersprüchlichkeit vorhanden ist. Zum Beispiel sagt jeder, 
        dass sich unter der Beobachtung und sogar der Unterstützung der Türkei 
        eine kurdische politische Formation, sogar ein föderaler Staat im 
        Nord-Irak bildet. Also, es bildet sich in dieser Hinsicht hier ein Staat. 
        Die Rolle, welche die Türkei und die PKK dabei spielten, ist wichtig 
        und unbestritten. In dieser Hinsicht hat die HADEP durch die letzten Wahlen 
        eine regionale Macht, eine Autorität erlangt. Sie hat die regionale 
        Verwaltung in über vierzig Städten und Kreisstädten übernommen 
        und damit eine demokratische Staatsbildung vorangetrieben. Genauso ist 
        es eine unbestrittene Tatsache, dass eine Demokratische Republik durch 
        die Einheit der politischen Autorität gekennzeichnet ist und zum 
        ersten Mal in diesem Umfang eine demokratische Autorität in der kurdischen 
        Gesellschaft entstanden ist. Das bedeutet eine staatliche Macht innerhalb 
        des einheitlichen Staates. Insofern ist es kein Zeichen von Widersprüchlichkeit 
        und fehlender Ernsthaftigkeit, wenn ich in diesen Jahren von der Staatsbildung 
        gesprochen habe. Ich habe eine objektive Realität beim Namen genannt. 
        Es ist richtig, dass eine auf engstirnigem Separatismus basierende Politik 
        und Machtstellung eine große Ausweglosigkeit darstellt. Aber genauso 
        ist es eine große historische Entwicklung, innerhalb der staatlichen 
        Integrität und Struktur der Türkei durch eine demokratische 
        Beteiligung einen Platz einzunehmen und eine Macht zu sein. Es ist unumstritten, 
        dass sich diese Entwicklung trotz vieler Hindernisse schrittweise durchsetzt. 
        Was ich mit meinen Thesen über eine demokratische Lösung zum 
        Ausdruck bringen will, auch wenn diese zu spät eingesehen und nicht 
        ausreichend formuliert worden sind, ist, diese historische Entwicklung 
        vorauszusehen und der Wille, sich an dieser Entwicklung zu beteiligen. 
        Es ist weder eine gegenwärtige taktische Haltung noch eine prinzipienlose 
        Wandlung. Wir sind aufgefordert, aus den Ereignissen in einer Welt, die 
        große Entwicklungen erlebt, Lehren zu ziehen und unseren dringenden 
        und sehr wichtigen Problemen die erste Priorität zu geben und die 
        erforderliche Rolle zu übernehmen. Ich habe in meiner Verteidigung 
        die Thesen über ein neues Programm der PKK und eine neue politisch-legale 
        Linie entworfen. Obwohl diese Thesen nicht ausreichend sind, sind sie 
        ernst gemeint und meines Erachtens richtig. Sie sind das Ergebnis meiner 
        langjährigen politischen und ideellen Erfahrungen. Ich habe keinen 
        Zweifel daran, dass diese einen konstruktiven und wichtigen Beitrag zur 
        Demokratisierung im Allgemeinen und bei der Lösung der Kurdenfrage 
        leisten und eine Schlüsselrolle dabei spielen werden, wenn meine 
        Ansichten richtig verstanden werden.  
        Es ist eine Tatsache, dass ich einen inneren Krieg in Bezug auf das Organisations- 
        und Aktionsverständnis der PKK durchgemacht habe  
        Es ist möglich und richtig, dass die PKK unter meiner Verantwortung 
        von dem Zeitraum und von der Intensität her den wichtigsten und den 
        größten Kurden-Aufstand geführt hat und dies 
        viele schmerzhafte und rücksichtslose Seiten hatte. Aber wenn von 
        der inneren Struktur, von der Verantwortung und den Zuständigkeiten 
        der Organisation und der Mitglieder die Rede ist, dann stellt sich die 
        Realität anders dar.  
        Es ist schwer zu sagen, dass der von der PKK geführte Aktionismus 
        auf einem Guerilla- oder ähnlichen Krieg beruhte, der geordnet und 
        an Grundstrategien und -taktiken angelehnt war. Es ist auch ein großer 
        Irrtum zu glauben, dass sich die Form der Konfliktaustragung, insbesondere 
        auf höchster Führungsebene, so gestalten ließ, wie ich 
        es haben wollte. Eine eher richtige soziologische Bewertung ist es, zu 
        sagen, dass sich die Reste von Zerstrittenheit und Widersprüchen 
        der Stammes- und Familienstrukturen, die sich über Jahrhunderte gehalten 
        haben, sowie religiöser Unterentwicklung in der tiefgreifenden feudalen 
        Struktur der kurdischen gesellschaftlichen Realität, nun in der PKK 
        wiedergefunden und ausgedrückt haben. Jeder, der sich daran beteiligte, 
        handelte nach dem Motto Ich bin das Gesetz und missachtete 
        nicht nur die Grundsätze der offiziellen Verordnungen der PKK, sondern 
        verstieß gegen die traditionellen feudalen Regeln. Besonders 1987 
        richteten sich die Aktionen unter dem Vorwand der Bekämpfung der 
        Dorfschützer gegen die Zivilisten, darunter Frauen und Kinder, die 
        mit den Auseinandersetzungen nichts zu tun hatten. Genau an diesem Punkt 
        haben einige teilweise die ideologischen und politischen Ansätze 
        der PKK über Bord geworfen und versucht, unter dem Motto Die 
        Intellektuellen haben verloren, die Bauern sind an der Macht das 
        Wesen der Partei aufzulösen. Interne Auseinandersetzungen wurden 
        erzwungen, um durch die Möglichkeiten, die sie erhalten haben, die 
        tatsächliche Macht der Partei und das Volk unter ihren persönlichen 
        Einfluss zu bringen. Aufgrund der Federführung bestimmter Personen 
        habe ich diese Gruppe Vierer-Bande genannt. Dass ich im Zeitraum 
        1987-1997 in dieser Hinsicht einen enormen Kampf geführt habe, ist 
        meines Erachtens wichtig zu wissen. Das befreit mich ohne Zweifel nicht 
        von meiner Verantwortung; es ist jedoch von großer Bedeutung, um 
        mein Verständnis von Moral, Politik, Organisation und Aktionismus 
        zu begreifen. Es ist nicht schwierig nachzuweisen, dass die Aktionen, 
        welche die PKK in eine prekäre Situation gebracht haben, in dieser 
        Zeit durchgeführt wurden, und die Verantwortlichen, welche die Kontrolle 
        innehatten, diese Personengruppe waren. Diese Personen nutzten die Vorteile, 
        welche die ländlichen Gebiete ihnen gewährten, aus, um das zu 
        praktizieren, was sie wollten. Diese Praktiken haben sie mit Lügen 
        vertuscht. Diese Aspekte werden in den staatlichen Gutachten ausführlich 
        dargelegt und bewertet. Diese Personen schrecken nicht davor zurück, 
        ihren nächsten Genossen oder ihre Helfer im Volk zu bestrafen, um 
        ihren Einfluss zu vergrößern. Die Primitivität und Erbarmungslosigkeit 
        der Machtstrukturen in der kurdischen Gesellschaft und die Brutalität 
        der Stammes- und Dorf-Aghas begegnen uns hier in einer gefährlicheren 
        Weise. Übrigens geschah so etwas auch während des Befreiungskampfs 
        in vielen anderen unterentwickelten Gesellschaften wie z. B. in Afrika 
        und in jeder Volksgemeinschaft in der Vergangenheit. Die diesbezüglichen 
        internen Auseinandersetzungen der kurdischen Gruppen im Nord-Irak sind 
        allgemein bekannt. Die osmanische Dynastie hat sogar den Brudermord 
        zugunsten des Machterhalts in einem Erlass manifestiert. In der Zeit der 
        nationalen Befreiung hatte der Leibwächter von Mustafa Kemal Atatürk, 
        Topal Osman, willkürlich Abgeordnete im Parlament umgebracht, Menschen 
        lebend begraben und konnte erst auf den persönlichen Befehl von Atatürk 
        ermordet und die Gesellschaft somit von ihm befreit werden. Auch ähnliche 
        Aktivitäten von Cerkes Ethem** sind in dieser Hinsicht 
        untersuchenswert. Diese Beispiele habe ich deshalb aufgeführt, um 
        klarzumachen, dass solche Grausamkeiten bei Aufständen und in Guerilla-Kriegen 
        weit verbreitet sind. Außerdem ist dokumentiert, dass ein systematischer 
        Kampf gegen diese Banden-Mentalität in der PKK geführt worden 
        ist. Es ist bekannt, dass umfangreiche erzieherische und organisatorische 
        Maßnahmen dagegen ergriffen wurden und Personen, die sich davon 
        nicht abbringen lassen wollten, erst durch interne Kämpfe neutralisiert 
        wurden.  
        Es stellt sich die Frage, warum im Schlussplädoyer der Staatsanwaltschaft 
        die Verluste und Schäden umfangreich aufgelistet werden, obwohl solche 
        internen Auseinandersetzungen in den 90er-Jahren stattfanden. Die Antwort 
        wird sich finden, wenn man bedenkt, dass interne und externe Auseinandersetzungen 
        in diesen Jahren an Intensität zugenommen haben. Auch im offiziellen 
        Susurluk-Bericht der parlamentarischen Untersuchungskommission 
        wurde offen zum Ausdruck gebracht, dass besonders in den Jahren 1993-1996 
        häufiger erlebt wurde, dass auch Strukturen des Staates außer 
        Kontrolle gerieten, was zum großen Teil die Ursache für die 
        Fälle von Morden unbekannter Täter und von Verschwundenen 
        war, und dass die Staatsmacht rechtswidrig ausgeübt wurde. Und die 
        Rede ist immer noch von einer Bande, die nicht aufgedeckt worden ist. 
        Nach einer offiziellen Statistik sind ca. 18.000 Morde und Vorfälle 
        geschehen, die bisher ungeklärt sind. Das sind Zahlen, die nicht 
        in Zusammenhang mit der PKK gebracht werden. Kurzum, das Chaos dieser 
        Jahre stieg ins Unermessliche. Das hängt mit dem Konflikt mit der 
        PKK zusammen. In einer von intensiven Auseinandersetzungen gekennzeichneten 
        Situation treten solche Entwicklungen häufig auf, wie die aktuellen 
        Beispiele in Bosnien, Kosovo und in der Vergangenheit in Palästina 
        und Irland zeigen. Dort waren die Ereignisse noch schmerzlicher. Es ist 
        leicht verständlich, wenn man daran denkt, dass die PKK zum ersten 
        Mal in diesem Umfang eine Machtposition erlangt hat, diese nicht verlieren 
        wollte, und die persönlichen Eigenschaften bzw. Entwicklungen der 
        sie verkörpernden Personen eine große Rolle dabei gespielt 
        haben. Die PKK hat den Zustand nicht erreicht, wonach sie eine reguläre 
        Armeemacht ausgebaut hätte und jede Aktion nach Befehlen durchgeführt 
        worden wäre. Trotz aller Anstrengungen waren die erzielten Fortschritte 
        sehr beschränkt. Ich erwähne diese Tatsachen, um die Wahrheit 
        zu vermitteln, nicht um von meiner Verantwortung abzulenken. Ich habe 
        vielseitige Anweisungen gegeben, Perspektiven gezeigt und versucht, intensiv 
        umzuerziehen. Aber das alles hat nicht gereicht, um meine Vorstellung 
        und die offizielle taktische Linie der Organisation durchzusetzen. Es 
        blieb begrenzt. Die individuellen und regionalen Initiativen haben eher 
        überwogen.  
        Das ist die wahre Seite der Entwicklungen, die nicht akzeptiert werden 
        können. Verkommene Entwicklungen, die großes Leid nach innen 
        und nach außen mit sich brachten. Da in den letzten Jahren solche 
        Personen und Strukturen entmachtet wurden, kamen solche Ereignisse viel 
        seltener vor. Dies konnte durch einen internen Kampf erreicht werden. 
        Wenn ich es noch einmal betone: Diese Ereignisse kamen bei uns im Gegensatz 
        zur weit verbreiteten Propaganda weniger vor, als es in anderen von Gewalt 
        geprägten Situationen der Fall war. Ein objektiver Beobachter würde 
        hierbei unseren persönlichen Beitrag leicht feststellen.  
        Eine noch deutlichere, ähnliche Situation ergab sich für die 
        Zeit nach 1996, als der Staat anfing, für Gesetzesordnung zu sorgen, 
        und die Fälle von unter ungeklärten Umständen verschwundenen 
        Menschen zurückgingen. Ich halte es für sehr wichtig, die Verantwortung 
        meiner Person und der Organisation für die von der Anzahl und von 
        der Qualität her schmerzhaften und verlustreichen Ereignisse dieser 
        Jahre klarzustellen. Der Vorwurf, Mörder von 30.000 Menschen 
        oder Baby-Mörder zu sein, ist unmenschlich, ungerecht 
        und außerhalb jeglicher Realität. ICH LEHNE DAS AB. Wahr ist, 
        dass hier ein Kampf geführt wurde, der legitim und mit großen 
        Opfern für ein menschenwürdiges Leben verbunden war und eine 
        demokratische Gesellschaft und eine Demokratische Republik anstrebte. 
         
        Wenn dieser Kampf nicht so geführt wurde, wie es erwünscht war, 
        und die Ereignisse und Morde, die ich nie akzeptieren kann, die aber auch 
        weder ethisch noch politisch akzeptabel sind, stattfanden, kann nur dann 
        gerecht gehandelt worden sein, wenn die objektive und subjektive Verantwortung 
        beider Seiten richtig dargestellt worden ist. Ich bin einer der Hauptverantwortlichen. 
        Aber ich bin nicht der alleinige Verantwortliche. In einem gesellschaftlichen 
        Aufstand, dessen demokratische und kulturelle Forderungen mehrmals offiziell 
        anerkannt, deren Erfordernisse aber nicht erfüllt worden sind, haben 
        alle die Verantwortung, von demjenigen an der Staatsspitze bis hin zu 
        ungebildeten und gnadenlosen Menschen, wir alle. Es ist eine moralische 
        und politische Pflicht, dies so schnell wie möglich einzusehen, und 
        dass jeder seinen Beitrag dazu leistet. Eine faire Justiz kann nur entwickelt 
        werden, wenn sie sich auf eine solche ethische Philosophie und demokratische 
        Politik stützt.  
        Bei den Tatsachen über die der PKK und hauptsächlich mir zugerechneten 
        Auseinandersetzungen, Verluste und Schmerzen will ich meine Verantwortung 
        in dieser Weise festgestellt haben. Ich habe diesbezüglich keinen 
        Zweifel daran, dass ich am ehesten einen gerechten Frieden verlange und 
        verdiene. Es steht genauso fest, dass ich alle meine verfügbaren 
        Mittel dafür einsetzen und meinen Beitrag dazu leisten werde. 
        Zwei Wege, zwei historische Resultate in der Beziehung der Türkei 
        zu den Kurden und ihrem Aufstand  
        Die Hauptursache dafür, dass die Türkei seit der Gründung 
        der Republik innenpolitisch nicht den Weg zur Demokratisierung gefunden 
        hat, außenpolitisch eine Makulatur darstellte und keine Führungsrolle 
        in Anbetracht ihrer Macht übernehmen konnte, liegt darin, dass sie 
        in der Kurdenfrage nicht die erforderliche wissenschaftliche und demokratische 
        Haltung einnahm. Kennzeichnend für ihren Weg und ihre Haltung bis 
        in die Gegenwart ist, dass bei den Aufständen und deren Zerschlagung 
        keine Schlussfolgerungen gezogen wurden und die Wunde offen gelassen wurde. 
        Weder bei der Analyse noch bei der Behandlung wurden wissenschaftliche 
        Maßstäbe gesetzt. Stattdessen wurde eine Politik betrieben, 
        die durch gegenseitige Ängste gekennzeichnet war und unter den aktuellen 
        wirtschaftlichen und politischen Gesichtspunkten bestimmt wurde. Das hat 
        das Problem noch weiter verschärft. Manchmal glaubte man, das Problem 
        mit strafrechtlichen Maßnahmen zu lösen. Einige Zeit wurde 
        die Situation dadurch unter Kontrolle gehalten, dass den Funktionsträgern 
        von feudalen Stämmen oder religiösen Institutionen Privilegien 
        gewährt wurden. Ebenso wurde geglaubt, dass lediglich durch die wirtschaftliche 
        oder bildungspolitische Entwicklung das Problem gelöst wird. Da diese 
        Haltung sich mehr auf die Grundlage der Leugnung der kurdischen Identität 
        stützte, konnte auch die kleinste Gegenhaltung und Entwicklung in 
        dieser Frage sich davon befreien, radikal zu sein.  
        Wenn alle heute über den Radikalismus der Methoden der PKK reden, 
        übersehen sie jedoch dabei die historische Grundlage und die politische 
        Herrschaftsform, auf die sich dieser stützt. Die Art der Unterdrückung, 
        die bis zu einem Sprachverbot ausgedehnt wurde, führt zu der Entwicklung, 
        dass jeder Vorstoß dagegen, entsprechend der Unterdrückung, 
        gewaltig ist. Es muss eingesehen werden, dass eine einseitige und von 
        ihren historischen Ursachen losgelöste Betrachtung die Probleme enorm 
        verschärft und damit erfolglos bleibt. Alle spüren inzwischen 
        am eigenen Leib, dass die Türkei vor dem Jahr 2000 wegen dieser Frage 
        in eine ausweglose Situation geraten ist. Während manche direkt am 
        Krieg Beteiligte große Verluste und großes Leid tragen, häuft 
        eine kleine Gruppe als Kriegsgewinnler ein Vermögen an, was inzwischen 
        zu ihrer wesentlichen politischen und persönlichen Lebensform geworden 
        ist. Anscheinend ist in der Gesellschaft eine Art Arbeitsteilung entstanden. 
        Dabei hat es eine entscheidende Rolle gespielt, dass eine Schattenwirtschaft 
        von Kriegsgewinnlern entstand, es zu großen sozialen Zusammenbrüchen 
        und Divergenzen kam, die Politik ihre Funktionen nicht mehr ausübte 
        und in sich selbst gefangen ist. Es ist so zur Gewohnheit geworden, als 
        ob die Türkei dazu verurteilt wäre. Statt nach Lösungen 
        zu suchen, hat sich eine gesellschaftliche Haltung durchgesetzt, wonach 
        die einzelnen Personen oder Gruppen kurzfristig und nach Eigeninteresse 
        handeln. Das ist die gefährlichste Haltung in einer Gesellschaft. 
        Die Ursache liegt einerseits darin, dass die aktiven Kreise der Gesellschaft 
        nicht imstande sind, eine konstruktive Politik zu entwickeln und nach 
        ethischen Grundsätzen zu handeln. Auf der anderen Seite sind die 
        staatlichen Organe zum großen Teil handlungsunfähig. Solange 
        dieser Zustand nicht überwunden wird, kann von einem Voranschreiten 
        der Türkei keine Rede sein.  
        Anfang 1990 wurde teilweise sowohl beim Demokratisierungsprozess im Allgemeinen, 
        als auch bei der Kurdenfrage im Speziellen, um es beim Namen zu nennen, 
        eine wissenschaftliche und eine demokratische Haltung eingenommen. Es 
        hat vielleicht historisch der Republik den größten Schaden 
        zugefügt, dass dieser Ansatz nicht weiterentwickelt wurde. Das sinnlose 
        Beharren auf Krieg hat auf beiden Seiten zu großen Verlusten in 
        einem unerträglichen Ausmaß geführt. Die soziale Degeneration 
        und die wirtschaftliche Krise haben die größte Dimension erreicht. 
         
        Ich will diese Aspekte nicht weiter ausführen, da diese sowohl in 
        der Anklageschrift und im Schlussplädoyer als auch in meiner ersten 
        Verteidigung ausführlich behandelt wurden. Der Prozess von Imrali 
        erlebt selbst die gegenwärtige Ausweglosigkeit der Türkei und 
        geht in diesem Sinne auf eine solche historische, gesellschaftliche und 
        politische Realität zurück. Wird der Prozess im Einklang mit 
        der bisherigen Haltung hinsichtlich der Vergangenheitsbewältigung 
        das Problem weiter verschärfen? Oder wird er zumindest durch die 
        Vorgehensweise einen auf die Zukunft gerichteten Ausweg einschlagen oder 
        Zeichen in dieser Richtung setzen? Das sind die Hauptfragen, nach deren 
        Anworten gesucht werden muss. Es hängt von der Antwort auf die Fragen 
        ab, ob der Prozess im klassischen Sinne stattfindet. Von jetzt an, so 
        glaube ich, werden Diskussionen über diese beiden Fragen und ihre 
        Antworten sowohl in der Gesellschaft als auch auf der Ebene des Staates, 
        sowohl im Inland als auch im Ausland geführt werden und Früchte 
        tragen.  
        Ich halte es für mich persönlich für eine historische Aufgabe, 
        Antworten auf diese Fragen zu geben. Meine Antworten bilden den Kern meiner 
        Verteidigung. Es ist meines Erachtens der wichtigste Aspekt meiner Verantwortung 
        für den Umfang und die Entstehung des Problems und damit des Aufstands 
        und seiner Entwicklung, auf die folgenden Fragen Antworten zu geben: Welche 
        Zukunft erwartet uns aus diesem Konflikt, aus dem Aufstand, und wie soll 
        eine neue Ordnung gestaltet werden? Ich glaube, es ist von lebenswichtiger 
        Bedeutung zu wissen, dass die Antwort auf die Zukunft genauso richtig 
        sein muss wie die auf die Vergangenheit.  
        Es gibt keine größere Fehleinschätzung als die, die Realität 
        der PKK ausschließlich unter engen strafrechtlichen Gesichtspunkten 
        zu beurteilen. In diesem Prozess möchte ich diese Gefahr ausschließen. 
        Es ist wahr, dass die PKK die Geschichte der Türkei im letzten Vierteljahrhundert 
        wesentlich beeinflusst hat. Noch richtiger ist es, dass sie diesen Einfluss 
        vom Umfang und von der Dauer her ausüben wird. Wenn wir das falsch 
        einschätzen, dann wird die Türkei als Verliererin ins 21. Jahrhundert 
        eingehen. Im Falle einer richtigen Beurteilung wird sie nicht nur das 
        schwerste Schlüsselproblem loswerden, sondern es bedeutet für 
        sie die Chance, im nächsten Jahrhundert eine Vormachtstellung in 
        der Region zu erlangen. In diesem Sinne steht die Türkei vor einer 
        Wende, vor einem Scheideweg. Noch wichtiger und notwendiger scheint es, 
        dass wir uns keine Fehler und Irrtümer leisten können und zu 
        einer richtigen Lösung gezwungen sind. Die eigentliche Unehrlichkeit, 
        der eigentliche Verrat an diesem Punkt ist, die Realität nicht einzusehen 
        und sich nicht darum zu bemühen.  
        Kinderkrankheiten sind sowohl im Leben der Personen als auch in der Geschichte 
        der Organisationen zu erleben. Damit muss man bis zu einem gewissen Grad 
        mit Verständnis und Vergebung umgehen. Aber wenn die Zeit reif ist, 
        machen sich die Leute in der Tat der Verantwortungslosigkeit und des Verrates 
        schuldig, wenn sie auf ihren Fehlern beharren und ihre Rolle nicht entsprechend 
        der historischen Notwendigkeit übernehmen. In diesem Sinne sehe ich 
        es als meine vorrangige Aufgabe an, neben der Vergangenheit der PKK auch 
        ihre Zukunft zu hinterfragen und ihre mögliche Rolle bei den Entwicklungen 
        zu bestimmen. Diese Haltung wird meines Erachtens dazu beitragen, neben 
        der juristischen Beurteilung der Vergangenheit einer sich selbst fesselnden 
        Politik, sogar der Wirtschaft und der Innen- und Außenpolitik den 
        Weg zu ebnen. Ich glaube, dass eine Demokratische Republik, die auf grundlegenden 
        Menschenrechten und Demokratie basiert, über die jetzt schon diskutiert 
        wird, der Türkei helfen wird, sich in der Region hervorzutun und 
        ihre Führungsrolle zu übernehmen.  
        Das Beharren auf bewaffnetem Kampf und Ausweglosigkeit bedeutet, das nächste 
        Jahrhundert zu verlieren  
        Aus dem Prozess von Imrali ist folgende Schlussfolgerung zu ziehen: Wenn 
        die Kurdenfrage im herkömmlichen Sinne und von demokratischen und 
        kulturellen Aspekten losgelöst betrachtet wird, bedeutet das eine 
        Verschärfung des auf einer festen Infrastruktur etablierten Konfliktes 
        und eine Ausweglosigkeit. Ich halte es für sehr gefährlich, 
        nicht für meine Person, sondern für die Zukunft des Landes, 
        dass während des Prozesses eine die Emotionen ausnutzende Haltung 
        eingenommen wurde. Man muss, unabhängig vom Schutz meiner physischen 
        Existenz, die mit großen Gefahren verbundenen Entwicklungen voraussehen. 
        Es handelt sich keinesfalls um eine Drohgebärde. Jedoch sind Entwicklungen 
        möglich, die für jeden, der politisch-strategisch denkt, vorauszusehen 
        sind. Ich möchte sie im Folgenden auflisten:  
        1 - Der bewaffnete und militärische Konflikt wird immer mehr institutionalisiert 
        und fortgesetzt. Die PKK wird diese Angelegenheit jahrelang weiterführen 
        können, weil sie neben den geografisch günstigen Gegebenheiten 
        im Inland und in allen wichtigen Ländern der Welt und an beiden Seiten 
        der Grenzen ihre Stellungen hat, über Erfahrungen verfügt, ihren 
        logistischen Bedarf decken kann, leicht Waffen beschaffen kann, über 
        finanzielle Mittel verfügt, Mitglieder anwerben und zusätzliche 
        Reserven bilden kann. Ein Krieg niedrigen oder mittleren Grades kann leicht 
        fortgeführt werden. Auch das Militär kann aufgrund seiner Erfahrungen 
        und der überlegenen technischen Ausstattung den Krieg länger 
        aushalten und fortsetzen. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich diese militärische 
        Tendenz durchsetzt, ist in der Tat sehr groß. Der Krieg könnte 
        sich über die vergangenen 15 Jahre hinaus auf das kommende Jahrhundert 
        ausdehnen. Natürlich besteht die Gefahr, dass dieser Konflikt noch 
        größere Ausmaße annimmt. Denn die Region ist instabil 
        und für jegliche Allianzen geeignet. Hinzu kommen mögliche weltweite 
        politisch-militärische Konstellationen, die den Konflikt eskalieren 
        lassen könnten. Es ist vielleicht das für Konflikte gefährlichste 
        Gebiet der Welt. Denn hier stoßen viele gegensätzliche Interessen 
        aufeinander. Der Nord-Irak ist ein kleines Beispiel hierfür. Es ist 
        jetzt schon schwer einzuschätzen, wohin das führen wird.  
        Es ist möglich, dass es zu neuen Verhaltensweisen der Araber kommt, 
        mit oder ohne Saddam. Sie werden ihre Beziehungen zur PKK erweitern, je 
        nach Interessensgegensätzen mit der Türkei. Dabei werden sowohl 
        das Wasserproblem eine Rolle spielen als auch die historisch und wirtschaftlich 
        bedingten Gegensätze. Dies ist eine wichtige Grundlage für die 
        Verschärfung des militärischen Konfliktes. Die Araber werden 
        ihre Aktivitäten mit Unterstützung der befreundeten Staaten 
        durch die Kurden im Allgemeinen, durch die PKK im Speziellen, erweitern 
        und fortsetzen.  
        Der Iran wird bei seinen historischen und zur Zeit auch noch ideologisch 
        bedingten Gegensätzen mit der Türkei sowohl durch die Hisbullah, 
        aber vielmehr durch die Kurden, die PKK ausspielen und den Konflikt verschärfen. 
        Der Iran wird bei der Fortsetzung des Konfliktes ein wesentlicher Faktor 
        bleiben. Die zur Zeit beschränkten Beziehungen sind mit einem größeren 
        Entwicklungspotenzial verbunden.  
        Syrien wird insbesondere nach einem Frieden mit Israel seine Gegensätze 
        mit dem Norden, also der Türkei, sowohl wegen des Wassers und der 
        Provinz Antiochia als auch wegen seiner Beziehungen zum Irak und sogar 
        zum Iran auf die Tagesordnung setzen. Dieses Land wird die Kurden, die 
        PKK als die nächsten Verbündeten betrachten und bei der Verschärfung 
        des Konfliktes eine wichtige Rolle spielen.  
        Israel wird sich nach einem Frieden mit den Arabern noch unabhängiger 
        und intensiver mit den Kurden befassen und seine Beziehung vielleicht 
        in einem größeren Umfang ausbauen.  
        Hinzu kommt Russland, das seine Gegensätze mit der Türkei in 
        Bezug auf die Turk-Völker, den Kaukasus, den Balkan oder sogar den 
        Nahen Osten immer mehr in den Vordergrund stellt. Es kann seine ablehnende 
        Haltung gegenüber der Türkei wie z. B. zur Zeit in Armenien, 
        Serbien und Zypern ausdehnen. Es wird die Kurden und die PKK ausnutzen 
        wollen und als Supermacht imstande sein, den Krieg zu verschärfen. 
        Der Ausbau der geringen Beziehungen und des Interesses sind unvermeidlich. 
        Dieses Land kann bei der logistischen und technischen Ausstattung beschleunigend 
        mithelfen.  
        Die Rolle Europas und seines Teils Griechenland ist offensichtlich. Als 
        Gebiete, in denen sich die Kurden und die PKK am meisten etabliert und 
        an Stärke gewonnen haben, werden diese eine umfangreiche, vielseitige 
        Rolle spielen.  
        Amerika und England halten zwar eine Allianz mit der Türkei, verfolgen 
        aber auch ihre sonstigen Ziele wie z.B. im Irak. Sie versuchen durch den 
        israelisch-arabischen Frieden ihre Beziehungen zur arabischen Welt auszubauen 
        und schließlich wieder Beziehungen zum Iran aufzunehmen. Wie sich 
        das im Nord-Irak abzeichnet, sind die beiden Staaten dabei, ihre Beziehungen 
        zu anderen Staaten zu vergrößern, was mit einem Risiko für 
        die Türkei verbunden ist.  
        Die zur Zeit eingeschränkten Beziehungen dieser strategischen Machtzentren 
        zu den Kurden und damit zur PKK bergen ein großes Entwicklungspotenzial 
        in sich und sind konfliktverschärfend. Welche Rolle diese auf eigenen 
        Interessen beruhenden Beziehungen in dem Konflikt gespielt haben, ist 
        bekannt, obwohl diese Staaten das offiziell zurückweisen. Die Beziehungen 
        alleine zu den strategischen Außenmächten zeugen von der Dimension 
        dieser Gefahr. Außerdem haben die genannten Mächte, wie wir 
        wissen, in der Vergangenheit oft Bündnisse gegen die Türkei 
        geschlossen und werden dies auch in Zukunft weiter ausbauen und sogar 
        in Kriegsszenarien übertragen.  
        Ein weiterer Grund dafür, dass der militärische Konflikt weiter 
        ausgedehnt wird, ist die Wahrscheinlichkeit der Einigung der kurdischen 
        Bevölkerung im Iran, Irak, Syrien, im Kaukasus und überall in 
        der Welt. Diese Einheit ist zum großen Teil durch die PKK verwirklicht 
        worden. Dieser Aspekt ist neu und dessen Beurteilung ist von besonderer 
        Bedeutung. Von der Fläche und der Bevölkerung her sind genügend 
        logistische, personelle, finanzielle und diplomatische Kapazitäten 
        vorhanden, und diese werden erweitert.  
        Das Gefahrenpotenzial des Konfliktes ist besser zu verstehen, wenn wir 
        uns neben der günstigen geografischen Lage die große Unterstützung 
        der Kurden in der Türkei und die der Anhänger in den Gefängnissen 
        vor Augen halten.  
        Allein dieser Aspekt, den wir ausführlicher darlegen könnten, 
        zeigt uns, welches Gefahren- und Zerstörungspotenzial dieser bewaffnete, 
        militärische Konflikt in sich trägt, gefährlicher und zunehmend 
        schärfer als in der Vergangenheit. Das ist die größte 
        Gefahr für die Zukunft.  
        Um einen Vergleich mit der Libanonisierung, der Jugoslawisierung oder 
        Irakisierung in der Vergangenheit zu ziehen, wird die Verschlechterung 
        des Problems in Bezug auf die Menschenrechte und Demokratie die Türkei 
        in die Isolation treiben und zum Werkzeug gefährlicher Szenarien 
        machen. Es ist offensichtlich, dass diese Frage unter günstigen Bedingungen 
        zum Anlass für ein Eingreifen wie im Falle Kosovo genommen wird, 
        weil die kurdische Bewegung, vor allem im Nord-Irak, weltweit ihren Platz 
        eingenommen und sich ihre Institutionen geschaffen hat. Die derzeitigen 
        Bedingungen werden die Gewaltanwendung noch mehr fördern, extrem 
        nationalistische Strömungen stärken und eine härtere Gangart 
        in der Machtausübung der Regierung zur Folge haben.  
        Eine demokratische Haltung zu den Problemen, allen voran zur Kurdenfrage, 
        ist die einzige Möglichkeit, diese Entwicklung zu unterbinden. An 
        dieser Stelle kommt der Politik des Frieden im Lande, Frieden in 
        der Welt eine große Bedeutung zu.  
        2 - An erster Stelle werden die Kurden in der Region, dann alle Kurden 
        im Nahen Osten und in der restlichen Welt von den genannten strategischen 
        Mächten gegen die Türkei aufgehetzt. Die Vertiefung des Krieges 
        und der Ausweglosigkeit wird die Türkei vielleicht zur einzigen Zielscheibe 
        machen. Die Gefahr wird noch größer, wenn die derzeit herrschende 
        Stimmung nicht nachlässt und in Feindseligkeiten ausartet und die 
        religiösen, innerreligiösen, schweren wirtschaftlichen und sozialen 
        Gegensätze hinzukommen. Die Bevölkerung der Region ist, wie 
        wir in der Geschichte und bei der PKK gesehen haben, jederzeit für 
        einen Aufstand prädestiniert, wenn die Probleme ungelöst bleiben. 
        Mit der PKK wird dieser Zustand somit ständig anhalten. Eine durch 
        Misstrauen, Angst, Hass und schwere wirtschaftlich-soziale Krise gekennzeichnete 
        Tragödie ist nicht auszuschließen. Es liegt auf der Hand, dass 
        ein Ausweg aus diesem Zustand noch schwieriger wird, wenn man die vielseitigen 
        technischen Möglichkeiten der Beziehungen und die Überwindung 
        der Jahrhunderte lang abgebrochenen Kontakte für möglich hält. 
        Wenn das Problem weiter verschärft wird, werden die Staaten, die 
        Probleme mit der Türkei haben, allen voran die Nachbarstaaten, sowohl 
        die eigenen Kurden als auch die zu ihnen geflüchteten gegen die Türkei 
        ausspielen, für deren Politisierung sorgen und für ihre Zwecke 
        benutzen. Diese Möglichkeiten sind zur Zeit begrenzt, und diese Staaten 
        warten - wie sie es formulieren - die Zeit nach APO ab und 
        werden in Zukunft ihre diesbezüglichen Pläne auf die Tagesordnung 
        setzen. In Wirklichkeit werden die strategischen Ziele dieser Mächte 
        durch die Existenz meiner Person gestört, und diese wollten mich 
        deshalb nicht aufnehmen, auch wenn sie dadurch angeblich der Türkei 
        einen Gefallen tun wollten. Die Ausspielung der Kurden gegen die Türkei, 
        vor allem die doppelzüngige griechische Haltung ist nicht nur strategischer 
        Natur, sondern aktuell und gefährlich. Der Prozess erfordert daher 
        eine realistische Beurteilung. Es muss bedacht werden, dass eine engstirnige, 
        emotionale, auf Verleugnung basierende Haltung, ergänzt von rechten 
        und rassistischen nationalen Vorurteilen, die Zukunft der Türkei 
        gefährdet. Es ist notwendig, eine richtige, strategisch-politische 
        Haltung einzunehmen. 
        3 - Die Verschärfung des Konfliktes und der Ausweglosigkeit wird 
        der Wirtschaft schweren Schaden zufügen. Die zur Zeit andauernde 
        Wirtschaftskrise hängt eng mit diesem Problem zusammen. Nicht nur 
        die Militärausgaben, sondern auch die Hindernisse in Bezug auf die 
        Mobilisierung des reichen wirtschaftlichen Potenzials der Region, die 
        lahmgelegten wirtschaftlichen Projekte, die hohe Arbeitslosigkeit und 
        die Kriegswirtschaft wirken sich auf die Volkswirtschaft der Türkei 
        zerstörend aus und verschärfen zunehmend die Krise. Die Volkswirtschaft 
        der Türkei, welche in der Region und im Nahen Osten eine Vorreiterrolle 
        spielen könnte, ist zu einem ausgeplünderten Markt geworden. 
        Es ist offensichtlich, dass die Fortsetzung des Konfliktes und der Ausweglosigkeit 
        diesen Zustand noch weiter verschlechtern und in eine Sackgasse führen 
        wird. Eine Bevölkerung, die unter den Bedingungen des Krieges und 
        des Konfliktes lebt, ist wirtschaftlich gesehen am unproduktivsten und 
        verursacht die höchsten Kosten. Keine Volkswirtschaft kann langfristig 
        diese Bevölkerung tragen, geschweige denn auf den Weg der Entwicklung 
        bringen.  
        4 - Im Bereich der Bildung und Kultur ist eine Rückentwicklung unumstritten. 
        Im Konfliktzustand wird sowieso keine richtige Bildung vorangetrieben; 
        die derzeitige Bildung leidet unter Qualitätsmängeln. Das bekannte 
        Niveau der kurdischen Sprache, neben den geringen Fortschritten im Türkischen, 
        sind Ursache dafür, dass die Bevölkerung ungebildet und unkultiviert 
        bleibt und in religiöse und traditionelle Denkweisen zurückfällt. 
        Und dies führt wiederum zu Unwissenheit und Angst, zu gesundheitlichen 
        Problemen, sozialen Krisen und zu Konflikten zwischen den Personen, Stämmen 
        und schließlich zu den bekannten Aufständen. Die Fortsetzung 
        und Vertiefung der Konfliktsituation wird die soziokulturellen Probleme 
        zum Wegbereiter vieler unangenehmer Entwicklungen machen und diese Bevölkerung 
        zum gefährlichsten Potenzial werden lassen.  
        5 - Die Fortsetzung des Konfliktes und der Ausweglosigkeit wird wie in 
        der Vergangenheit insbesondere ein Hindernis für die Demokratisierung 
        in der Türkei bedeuten. Die in der Staatsstruktur erwünschten 
        demokratischen Maßnahmen werden nicht durchgeführt werden können. 
        Folglich wird es zu einer Verdrossenheit und Bedeutungslosigkeit der Politik 
        führen. Egal, unter welchem Namen die Politik, Politiker und politischen 
        Parteien auftreten, werden sie das Schicksal von Gescheiterten teilen. 
        Schließlich betreffen die Grundbedingungen und die Ausweglosigkeit 
        alle gleichermaßen und machen erfolglos.  
        Diese Situation zeigt ihre Auswirkungen auch auf die zivilen Institutionen 
        und die Medien. Diese entwickeln sich zu Organen, die nicht schöpferisch 
        agieren, sich nicht um die tatsächlichen Probleme der Bevölkerung 
        kümmern und sich dem Volk entfremden. Auch die Gewerkschaften befinden 
        sich in einer ähnlichen Lage.  
        Die strukturellen Probleme der Gesellschaft nehmen einen krisenähnlichen 
        Zustand an. Die ethischen Werte verfallen. Die Familien lösen sich 
        rasch auf und haben immer weniger Aussicht auf Fortbestand.  
        Institutionen und Personen, die sich in beschränktem Umfang entwickeln, 
        werden im Zusammenhang mit dem Krieg blockiert. Als Folge dieser Entwicklungen 
        ist auch die Justiz vor große Probleme gestellt. Die Notwendigkeit 
        einer Verfassung und von Gesetzen, die sich auf demokratische Rechte und 
        auf Menschenrechte stützen, wird von Tag zu Tag größer. 
        6 - Ein krasses Beispiel für die Auswirkungen der derzeitigen Ausweglosigkeit 
        ist im außenpolitischen Bereich zu sehen. Insbesondere Europa setzt 
        den eigenen Willen durch und lehnt unter dem auf eigenen Interessen basierenden 
        Vorwand der Demokratie-Defizite eine Mitgliedschaft in der Europäischen 
        Union ab. Da dieses Problem auf einer demokratischen Basis nicht gelöst 
        wird, kommt es nicht nur im Inland sondern auch im Ausland zu großen 
        negativen Folgen. Das hindert das Land daran, in dieser Richtung einen 
        Sprung zu machen. Die zunehmende Abhängigkeit, bedingt vor allem 
        durch die Schuldenzunahme, verbaut sogar die Chance, internationale Initiativen 
        zu ergreifen und zu nutzen. Das führt zur Abhängigkeit von bestimmten 
        Mächten und macht das Land für Konfliktsituationen anfällig. 
        Der verwirkte Frieden im Inland erschwert auch den Frieden im Ausland. 
         
        Aufgrund der Verschärfung des Problems konnten die umfangreiche Öffnung 
        und die Führungsrolle insbesondere im Nahen Osten, im Kaukasus, auf 
        dem Balkan und in Zentralasien nicht wahrgenommen und genutzt werden. 
         
        Die Erklärungen, die im Zusammenhang mit einem schweren Strafprozess 
        zum Ausdruck gebracht werden, scheinen vielen vielleicht sinnlos zu sein. 
        Über den Prozess von Imrali sollen diese Erklärungen jedoch 
        für jede Person und für jede Institution in Bezug auf mögliche 
        Entwicklungen von Bedeutung sein und müssen zur Diskussion stehen. 
        Wenn man die Ergebnisse des Prozesses für eine Lösung tatsächlich 
        nicht nutzt, werden die oben schwerpunktmäßig genannten Aspekte 
        dauerhaft ihre starken Auswirkungen auf die Tagesordnung und die Zukunft 
        der Türkei zeigen. Die Bedeutung des Prozesses ergibt sich aus dem 
        Zusammenhang mit diesen Problemen. Das sind die Wahrheiten, über 
        die viele Menschen schweigen, obwohl sie sie ahnen.  
        Diese zentralen Punkte legen offen dar, warum wir diesen Zustand des Konfliktes 
        und der Ausweglosigkeit nicht weiterführen können. Das führt 
        uns nämlich in einen Sumpf, aus dem man nicht herauskommt, sondern 
        bei jeder Bewegung weiter versinkt. Das ist die Eigenschaft der Ausweglosigkeit. 
        In einer solchen Situation hat es keine Bedeutung, ob man siegt oder verliert. 
        In diesem Sinne ist es wichtig, die legitimen Forderungen des Aufstands 
        zu berücksichtigen und zusehends die mit Gefahren verbundenen Aspekte 
        zu unterbinden. Die gegenseitigen, falschen und übertriebenen, wiederholten 
        Einstellungen dürfen keineswegs mehr fortgesetzt werden. Denn daraus 
        kann man nichts gewinnen. Durch die Feststellung, dass die realistischen 
        demokratischen und kulturellen Forderungen des Aufstands für das 
        gesamte Land gültig sind, können sie leicht erfüllt werden. 
        In dieser Hinsicht ist es ein Problem, dessen praktische Lösung am 
        leichtesten ist. Es ist nicht Palästina, Kosovo oder Irland.  
        Wenn sie aus dieser Perspektive betrachtet wird, bietet die Gerichtsverhandlung 
        auf Imrali eine wahre und historische Gelegenheit. Wir sollten diese Gelegenheit 
        ergreifen, damit wir wenigstens das erfahrene Leid und die erlittenen 
        Verluste nicht noch einmal erleben bzw. hinnehmen. Die Zukunft kann keine 
        größeren Krisen und Dunkelheiten ertragen. Ich muss betonen, 
        dass es möglich und unsere einzige Alternative ist, sich anhand der 
        gezogenen Lehren positiv der Zukunft zuzuwenden und die zu dem Nachteil 
        führenden Hauptgründe in Gründe zu verwandeln, die Gewinn 
        bringen.  
       
       
      
       
      *Volksaufstände 
        **Oberhaupt 
        der Tscherkessen - ließ 1923 den aus der Sowjetunion zurückkehrenden 
        Vorsitzenden der Türkischen Kommunistischen Partei, Mustafa Suphi, 
        und weitere Genossen aus dem Zentralkomitee ermorden.  
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