Aktionsstruktur
der PKK
Die
Staatsanwaltschaft weist in ihrer Anklageschrift darauf hin, dass sie
im Bezug auf die Aktionsstruktur der PKK nicht vollkommen die Realität
wiedergibt; sie versucht, den grausamen Vorwurf des Terrorismus zu untermauern,
indem sie einige Aktionen herausgreift, um die PKK verantwortlich zu machen
für die brutale Seite des Aufstands. Indessen haben die höchsten
offiziellen zivilen bzw. militärischen Stellen diesen Konflikt, vom
Beginn bis heute, als einen Aufstand, gar als den 28. Aufstand, einen
verdeckten Guerillakrieg, noch wissenschaftlicher: als einen Krieg mittlerer
oder niederer Intensität bezeichnet; und das trifft zu. Zu diesem
Thema wurden auch viele Bücher geschrieben, in denen man versuchte,
den Konflikt wissenschaftlich zu erläutern. Die übereinstimmende
Bewertung der Experten, die sich mit diesem Thema befassten, ist die,
dass dieser Konflikt, der viele einzigartige Züge aufweist, von allen
Semi-Rebellionen und Guerillakriegen des letzten Vierteljahrhunderts der
Bedeutendste ist. Es ist bekannt, dass dies - unabhängig von der
Propaganda - auch die Einschätzung des Generalstabs ist.
Werten wir die Aktionsstruktur der PKK jenseits des Blinkwinkels der Propaganda
aus, so begegnen wir der bitteren Tatsache, dass dieser Konflikt für
beide Seiten sehr viel Leiden bedeutet und sehr große Verluste verursacht
hat. Offiziell werden die Verluste des Militärs mit 5.000 angegeben,
die Verluste der PKK hingegen belaufen sich auf 20.000; hinzukommen mindestens
15.000 zivile Todesopfer sogenannter unbekannter Täter. Somit haben
40.000 Menschen ihr Leben verloren, über 3.000 Dörfer wurden
entvölkert, 3 Millionen Menschen sind aus ihren Ortschaften geflohen.
Bei diesem Konflikt wurden Kriegsflugzeuge, Artillerie und Panzer aller
Art eingesetzt. Nach offiziellen Angaben wurden manchmal unter Einsatz
von 40-50.000 Soldaten wochenlang militärische Operationen durchgeführt.
Dies alles kann nicht mit der Bekämpfung des Terrorismus erklärt
werden. Die wissenschaftliche Definition dessen ist der Krieg. Seine 15-jährige
Dauer ist der Beleg dafür, dass es sich um einen umfangreichen Krieg
handelt. Natürlich hat ein solcher Konflikt nicht nur extrem wichtige
historisch-gesellschaftliche Grundlagen, sondern auch politische Ziele.
Die Konfliktparteien legen mit ihrer Propaganda jeden Tag diesen Aspekt
dar. In diesem Sinne ist die plumpe Bezeichnung Terrorismus
weit davon entfernt, das Phänomen angemessen zu beschreiben. Dies
als einen Freiheitskrieg oder Aufstand zu definieren, wäre nicht
nur wissenschaftlicher, sondern wäre der Weg, um die beste Lösung
zu erreichen.
In der Geschichte gibt es zahlreiche ähnliche oder verschiedene Kriege.
Sie alle endeten immer mit der Wiederherstellung des Friedens. In Fällen
eines einseitigen Friedens gab es verschiedene Vereinbarungen, bis ein
beiderseitig vereinbarter Frieden hergestellt wurde. Sie haben sehr wichtige
soziale und politische Konsequenzen hervorgebracht, die zu Fortschritt
oder auch Rückschritt führten. Die wichtigste Frage, die hier
beantwortet werden muss, ist: Wie soll die optimale Lösung dieses
Krieges sein, und welcher Typus von Frieden ist der beste?
Die PKK hat mit ihrem Stil des Kampfes in der Tradition der kurdischen
Aufstände eine Änderung hervorgebracht und hat gezeigt, dass
sie auf der Grundlage ihrer eigenen Ressourcen auf eigenen Füßen
stehen kann, ohne sich auf einen einzelnen Stamm oder Stammesführer
oder ausländische Mächte zu stützen, wie es Tradition war.
Und gleichzeitig ist zu Tage getreten, dass die politische Formation,
welche die PKK als äußerstes Ziel ihres Programmes definiert
hat, weder realistisch noch notwendig ist. Inzwischen hat der Staat erkannt,
dass es sinnlos ist, unter den Bedingungen, unter denen der Krieg entstand,
die kurdische Realität, Sprache und Kultur zu leugnen. Und während
diese Realität de facto und sogar de jure eine Anerkennung erlangt
hat, wurde ein Punkt erreicht, wo man auf dem Weg zu einer demokratischen
Entwicklung mit einer Lösung einverstanden ist.
Die Realität der 90er-Jahre hat gezeigt, dass sich der Krieg, wenn
wir dieser Wahrheit folgen, in Richtung Frieden entwickelte. In diesen
Jahren stand ein sinnvoller Frieden auf der Tagesordnung. Dass er nicht
realisiert wurde, ist ein schmerzhafter Verlust. Wenn noch weitere zehn
Jahre vergehen, wird ein Punkt erreicht, der den Frieden praktisch erzwingt.
Wenn der Frieden unter den Bedingungen der Demokratisierung der Gesellschaft
und der positiven Annäherung des Staates realisiert wird, dann ist
dies Ausdruck eines historischen Augenblickes. Und zum ersten Mal wird
ein Aufstand, nämlich der jetzige Aufstand, durch einen demokratischen
Kompromiss ein Ende finden und der letzte Aufstand sein. Für diesen
historischen Schritt sind die Chancen gegeben.
Es ist das fundamentale Problem unseres Zeitalters, diese Situation in
der Sprache der Justiz zum Ausdruck zu bringen. Ohne Sentimentalität
und ohne die Republik und die PKK als Hindernis zu betrachten, muss der
Konflikt als eine sehr traurige Angelegenheit gesehen werden. Er entstand
aus Ungerechtigkeit und Missachtung zwischen Brüdern. Sie müssen
sich gemeinsam und brüderlich in die Richtung der Hauptrealität
bewegen: zum Frieden unter dem Dach der Republik. Mit schweren Vorwürfen
und Forderungen nach Kapitulation oder der Fortsetzung des Kampfes bis
zum letzten Blutstropfen kann nur das Leiden verlängert werden.
Kurzum: Würde die Aktionsstruktur der PKK auf diese Weise betrachtet,
dann wäre dies nicht nur wissenschaftlicher, sondern würde eine
Haltung ermöglichen, die die Zukunft gewinnt und entwickelt. Wenn
dies aber nicht geschieht, dann wird die Grundlage für neue Aufstände
geschaffen, wie es schon in der Vergangenheit geschehen ist. Die wichtigsten
Schlussfolgerungen, die wir aus den Fakten des Krieges und der kurdischen
Aufstände ziehen müssen, sind diese: Wir müssen eine solche
gesellschaftliche Basis schaffen, die künftige Kriege verhindert
und auch isolierte Aktionen nicht zulässt. Diese gesellschaftliche
Basis und die ihr entsprechenden Lösungen werden zweifellos nur im
Frieden geschaffen, dem einzig gültigen demokratischen Weg. Die Notwendigkeit
zur Rebellion und Aktion wird verschwinden, wenn die Gesellschaft mit
dem demokratischen Recht auf freie Meinungsäußerung ausgestattet
ist, wenn dies überzeugend verwirklicht wird durch demokratische
Kanäle und demokratische Aktionen und der Staat alles dies toleriert.
Da nun eine echte Chance besteht, die kurdische Frage zu lösen, sollte
die Bedeutung dieses Krieges darin bestehen, dass er niemals wieder geführt
wird. Der letzte Aufstand sollte so behandelt werden, als bliebe er der
letzte Aufstand in der Geschichte. Und das sollte die gesetzliche Interpretation
und das gesetzliche Urteil in dieser Angelegenheit sein.
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