Die 
        Republik muss auf die bedeutendste historische Frage mit Demokratie antworten
      Dass 
        die Existenz der Kurden mit keinem Wort erwähnt wird, ist der fragwürdigste 
        Aspekt in der Anklage der Staatsanwaltschaft. Dies hat sich in der Geschichte 
        der Republik als das größte Problem erwiesen. Alle führenden 
        politischen und militärischen Kreise schätzen heute die Rolle 
        der Kurden so ein, dass sie als eigentliches Gründungselement der 
        Republik angesehen werden. Diese Leugnung entspringt einer äußerst 
        rückständigen Haltung, der gefährliche Folgen innewohnen. 
        Es ist von riesiger Bedeutung, Atatürk hier mit langen Zitaten zu 
        erwähnen, und zwar, wie er bei der Gründung der Republik die 
        Kurden betrachtet hat. Zumindest auf der Grundlage dieser Worte Atatürks 
        einen Kompromiss zu schließen, wird allen Beteiligten eine akzeptable 
        Chance für eine Lösung bieten. Dass die Kurden eine der Säulen 
        jener Republik waren, die aus dem nationalen Befreiungskampf und dem Sieg 
        entstand, wird in folgendem Zitat deutlich: 
      Anweisung 
        von Mustafa Kemal Atatürk an den Kommandanten von El Cezire, Nihat 
        Pasa, zur Kurden- und Kurdistanpolitik (Juni 1920): 
      1- 
        Es ist für unsere Innenpolitik notwendig, Schritt für Schritt 
        im ganzen Land lokale Verwaltungen aufzubauen, in denen die Massen vertreten 
        sind und auf die sie Einfluss nehmen können. Aus der Sicht unserer 
        Innen- und Außenpolitik halten wir es für erforderlich, in 
        dem von Kurden bewohnten Gebiet eine regionale Verwaltung aufzubauen. 
         
        2- Das Selbstbestimmungsrecht der Völker ist ein weltweit anerkanntes 
        Prinzip. Auch wir haben dieses Prinzip anerkannt. Man kann davon ausgehen, 
        dass die Kurden sich auf die Schaffung von lokalen Verwaltungen vorbereitet 
        haben. Wir haben ihre Führer und Prominenz für uns gewonnen; 
        und wenn für sie die Zeit kommt, ihren Wunsch zu äußern, 
        dann werden sie offen erklären, dass sie über ihr Schicksal 
        selbst bestimmen können und dass sie wünschen, unter dem Willen 
        des Türkischen Parlaments zu leben. Alle zum Zweck dieser Politik 
        auszuführenden Tätigkeiten in Kurdistan liegen im Zuständigkeitsbereich 
        der El Cezire-Front. 
        3- Folgende allgemeine Aspekte wurden anerkannt: Die Feindschaft zwischen 
        Kurden und Franzosen, insbesondere zwischen Kurden und Engländern 
        an der irakischen Grenze muss geschürt werden bis zu einem solchen 
        Grad, wo auch ein bewaffneter Konflikt keine Lösung bringt; nämlich, 
        indem wir die Gründe für den Aufbau einer lokalen Verwaltung 
        überall im Land erklären und auf diese Weise sichern, dass wir 
        sie auf unsere Seite ziehen, und die kurdischen Führer mit öffentlichen 
        und militärischen Aufgaben betrauen. 
        In dieser Anweisung hat Mustafa Kemal Atatürk die Existenz der Kurden 
        und auch Kurdistans anerkannt; er sagte, dass die Kurden innerhalb der 
        TBMM ihr Selbstbestimmungsrecht ausüben sollten, da damals die Republik 
        noch nicht gegründet war. Das ist genau die Art von lokaler Verwaltung, 
        die immer noch gefordert wird. Es ist eine Art von demokratischer Autonomie. 
         
        Dass in der Anklageschrift die Existenz der Kurden nicht anerkannt wird, 
        erschwert die Probleme. Die Lösung wird nur durch die Anerkennung 
        möglich. Aber lasst uns die Haltung Atatürks nach der Gründung 
        der Republik betrachten. Sie ähnelt sehr der ersten Position und 
        ist sogar analytischer. Auf die Anfrage von Mehmet Emin Yalman auf der 
        Pressekonferenz in Izmit gab Mustafa Kemal Atatürk folgende Antwort, 
        die er auch in Eskisehir wiederholt hat: 
        Die kurdische Frage kann auch nicht Gegenstand der Interessen unserer 
        hier ansässigen Türken sein. Sie wissen ja, dass die Kurden 
        innerhalb unserer nationalen Grenzen auf eine Art und Weise siedeln, dass 
        sie nur in einigen wenigen Gebieten die Bevölkerungsmehrheit bilden. 
        Ansonsten leben sie unter der türkischen Bevölkerung verstreut. 
        Das hat zu einer Entwicklung geführt, dass man die ganze Türkei 
        zerstückeln müsste, wenn man eine Grenze zur Abtrennung der 
        Kurden ziehen wollte. So müsste man zum Beispiel die Grenze bis nach 
        Erzurum, Erzincan, Sivas und Harput ziehen. Ja, man dürfte sogar 
        hierbei die kurdischen Stämme in der Wüste von Konya nicht außer 
        Acht lassen. Statt sich eine separate kurdische Nation vorzustellen, ist 
        es besser, entsprechend unserer Verfassung eine Art regionale Föderation 
        zu bilden. Also wird jede Provinz, in welcher die Bevölkerung kurdisch 
        ist, sich autonom verwalten. Darüber hinaus müssen die Türken, 
        soweit sie dort betroffen sind, auch ihrer Existenz Ausdruck verleihen 
        können. Falls sie sich nicht artikulieren dürfen, muss jederzeit 
        damit gerechnet werden, dass sie ihrerseits Schwierigkeiten bereiten werden. 
        Nun setzt sich die Große Türkische Nationalversammlung sowohl 
        aus kurdischen als auch aus türkischen Vertretern zusammen. Diese 
        beiden Gruppen haben ihr Schicksal und alle ihre Interessen vereinigt. 
        Eine andere Grenze festzulegen, wäre nicht richtig. 
        Es ist möglich, weitere ähnliche Zitate zu finden. All dies 
        ist nicht in Abrede zu stellen. Wegen der späteren Aufstände 
        hat das Problem eine gefährliche Entwicklung angenommen, und man 
        ist von dieser Haltung abgerückt. Was wir aber immer im Hinterkopf 
        behalten müssen, ist die Lebens- und Schicksalsgemeinschaft von Kurden 
        und Türken; und deshalb wird eine Grenzziehung zwischen ihnen eine 
        Katastrophe heraufbeschwören. Aber eine Lösung wurde nicht entwickelt. 
        Hier gab es zwar keine Verleugnung, doch die Komplexität des Problems, 
        die internen Beziehungen zwischen Sultanat und Kalifat und die externen 
        Beziehungen zu Großbritannien führten zu Verdächtigungen. 
        So wurde die Chance für eine konstruktive Lösung des Problems 
        vertan. Vor allem aus ideologischen Gründen und wegen ihrer Führer 
        versäumten es die Kurden, die Einheit mit der Republik zu bilden. 
        Und so wurde der Separatismus mit Repression beantwortet. Dadurch wurde 
        der Geist der Einheit, der anfangs existierte, vernichtet. So entstand 
        zwischen zwei Elementen, nämlich Kurden und Türken, die ohne 
        einander nicht leben können, Entfremdung und Misstrauen. Die Gefahr, 
        dass fremde Mächte das Problem für sich ausnutzten, machte das 
        Problem noch unlösbarer. Auf diese Weise endete der Zeitabschnitt, 
        aber das Problem hat sich immer weiter verschärft. 
        Es ist bekannt, dass die Kurden an der nationalen Befreiung der Türkei 
        und der Gründung der Republik beteiligt waren; und wenn sie nicht 
        mit den Türken vereint sind, wird es so sein, als habe die türkische 
        Nation einen Fuß verloren und müsse fortan hinken. Dies hat 
        sich bei allen wichtigen Wendepunkten der türkischen Geschichte, 
        wie bei den Schlachten von Malazgirt und Caldiran, immer wieder als richtig 
        erwiesen. Die Schicksalsgemeinschaft und die Völkergemeinschaft sind 
        das Resultat der Geschichte. Auch die Geschichte der Aufstände darf 
        diesen Zusammenhang nicht in Vergessenheit geraten lassen. Zudem handelt 
        es sich bei den Aufständen eher um einen Autoritätskampf zwischen 
        der Zentralmacht und dem kurdischen Feudalismus. Es ist weithin bekannt, 
        dass die kurdischen Feudalen bei ihren Handlungen nicht primär um 
        ihre nationalen Interessen besorgt waren; sie verfolgten vielmehr die 
        Interessen ihres Stammes, ihrer regionalen Autorität und ihrer Macht. 
        Dass sie jedem gefolgt sind, der diese Interessen unterstützt hat, 
        ist eine historische Tatsache. Das kurdische Problem jener Zeit wird hauptsächlich 
        als ein tribales, als ein von Stammesverhältnissen geprägtes 
        angesehen; d.h. als ein Problem, das aus kultureller und sozioökonomischer 
        Rückständigkeit entstand. 
        Beide Seiten haben, was die Geschichte der Republik angeht, eine Haltung 
        eingenommen, die von nationalistischer Engstirnigkeit und separatistischer 
        Unwissenschaftlichkeit geprägt war, was das Problem auf ein gefährliches 
        Niveau anhob und die Lösung erschwerte. 
        Eigentlich gab es in den Jahren der nationalen Befreiung und der Gründung 
        der Republik eine Annäherung an die Lösung des Problems. Dies 
        belegt die damalige Haltung Atatürks, wie sie in den oben aufgeführten 
        Zitaten dargestellt wird; und dies belegt auch der gemeinsame Kampf, die 
        gemeinsame Heimat, die Rettung sowie die Gründung der Republik, das 
        Auftreten von Kurden in ihrer nationalen Tracht und der Gebrauch ihrer 
        Muttersprache innerhalb der TBMM. Selbst der Aufstand von Kocgiri ist 
        in dieser Phase mit einer Amnestie und einer Übereinkunft ausgegangen. 
        Ein hartes Vorgehen fand damals innerhalb der TBMM keine Zustimmung. Im 
        Falle von Nurettin Pasa ist dies ganz eindeutig zu erkennen. Wäre 
        diese Haltung weiter aufrechterhalten worden, so hätte sich das Problem 
        nicht vertieft und die Republik hätte nicht so viel Blut und einen 
        solch hohen Preis gekostet.  
        Das Hauptproblem bestand damals darin, dass Beziehungen mit Sultanat und 
        Kalifat hergestellt wurden und vom Erhalt der lokalen Autorität nicht 
        abgesehen wurde, noch bevor sich die Republik wirklich gen Osten, bis 
        zu den Kurden und sogar in die gesamte Türkei hinein ausgeweitet 
        hatte. Dies führte zu den Aufständen dieser Jahre, welche wiederum 
        in heftige Kämpfe mündeten und mit Zerschlagung endeten. 
        Die Schlussfolgerung ist, dass vorhandene Fragen nicht verleugnet werden 
        dürfen, sondern dass man einen konstruktiven Lösungsweg finden 
        muss.  
        Auch wenn dies zwischen den beiden Weltkriegen nicht erkannt wurde, besteht 
        die Lösung in der Demokratisierung, die nach dem Zweiten Weltkrieg 
        einen großen Schritt nach vorn getan hat. In diesem Sinne besteht 
        das größte Problem der Türkei darin, dass sie unfähig 
        ist, einen erfolgreichen Kampf für die Demokratie zu führen 
        und demokratische Maßstäbe zu entwickeln. Der Grund, warum 
        autoritäre kapitalistische und sozialistische Regime - trotz mancher 
        Entwicklungen - zusammenbrachen, liegt eben darin, dass sie im Gegensatz 
        zu dieser demokratischen Entwicklung standen. Alle rigiden Systeme unserer 
        Zeit erleiden größere Zusammenbrüche und Umwandlungen 
        in ihrem Überbau und entwickeln sich in Richtung einer demokratischen 
        Evolution. Alle nationalen, kulturellen, ethnischen, religiösen, 
        sprachlichen und sogar regionalen Probleme können gelöst werden 
        durch die Garantie und Anwendung breitester demokratischer Maßstäbe. 
        Täglich sehen wir überall in der Welt Beispiele dafür. 
        Von Indonesien bis zum Mittleren Osten, dem Kaukasus, dem Balkan, Afrika 
        bis Lateinamerika - überall wird die demokratische Methode als Lösung 
        für soziale Probleme unterschiedlichster Charakteristika betrachtet. 
         
        Es ist nützlich, einige Punkte gründlicher zu erörtern: 
        Der erste ist das Selbstbestimmungsrecht der Völker. Dieser Grundsatz 
        wurde insbesondere im größten Teil des 19. und 20. Jahrhunderts 
        angewandt. Sein Ziel war, einen nationalen Staat zu gründen, dessen 
        Ideologie durch Nationalismus geprägt war. Im Allgemeinen war seine 
        Methode der bewaffnete Kampf und der nationale Befreiungskrieg. Es stellte 
        sich heraus, dass seine Anwendung begrenzt, aber mit viel Blutvergießen 
        verbunden war, und durch seinen extremen Nationalismus entstanden langwierige 
        Feindschaften. Dieser Kurs, der die Welt angespannt in Atem hielt, hat 
        heute noch Einfluss, und seine schädlichen Folgen treten auch heute 
        noch zu Tage. Der gegenwärtige Balkankrieg zeigt, wie verheerend 
        diese Methode ist. Die Gründe dafür sind die Unfähigkeit, 
        die gesellschaftliche Realität zu verstehen, die enge nationalistische 
        Haltung und die darauf beruhenden Versuche, eine Lösung dadurch zu 
        finden, dass Zwang ausgeübt wird auf eine Gesellschaft und ein Land, 
        in dem verschiedene Völker miteinander vermischt leben. Die Folge 
        ist Barbarei. Auch dafür gibt es viele Beispiele in der Geschichte. 
         
        Manche Gruppe oder Nation, die diesem Weg folgte, konnte ihre Rückständigkeit 
        nicht überwinden und leidet heute noch unter dem belastenden Erbe, 
        selbst wenn sie zur Nation geworden ist. Jeder Versuch, die nationale 
        Frage zu lösen, rief neue, noch schwierigere Probleme hervor. Ein 
        geschichtliches Beispiel dafür sind die Religions- und Ketzerkriege 
        des Mittelalters, deren Spuren wir sporadisch begegnen. Auch wenn der 
        nationalistische Weg beanspruchte, für die Probleme religiösen 
        Ursprungs eine Lösung zu finden, so verfiel er dennoch in die gleichen 
        Fehler und machte die Dinge noch komplizierter. Auch wenn es Unterschiede 
        gibt zwischen den alten religiösen Ideologien und dem extremen Nationalismus 
        und seinen zahlreichen rechten und linken Variationen, die später 
        folgten, so sind sie in der Praxis doch Bewegungen, die sich ähneln 
        und einander beeinflussen. Auch das 20. Jahrhundert hat mit seinen Kriegsbilanzen 
        und der dabei zu Tage getretenen Barbarei dem Mittelalter in nichts nachgestanden. 
        Die allgemeine demokratische Theorie und Praxis hat sich als äußerst 
        erfolgreich bei der Lösung von Problemen erwiesen, die durch extreme 
        religiöse und extreme nationalistische Methoden produziert wurden; 
        Länder und Gesellschaften, die den demokratischen Weg praktizierten, 
        triumphierten. Heute, am Ende des 20. Jahrhunderts, siegt im Allgemeinen 
        die sich immer weiterentwickelnde Demokratie. In der Tat sind diejenigen 
        Länder, die dieses System überzeugend und kontrollierbar anzuwenden 
        wissen, die entwickeltsten Gesellschaften unserer Zeit. Ihre Staaten machen 
        ihren Einfluss weltweit geltend. Das leuchtet ein, wenn man in Betracht 
        zieht, wie die USA und England die Welt lenken und gestalten. 
        Die Kraft des demokratischen Systems beruht zweifelsohne vor allem auf 
        seiner wissenschaftlichen Erkenntnis der sozialen Realität, auf seiner 
        Fähigkeit, korrekte Definitionen der moralischen und philosophischen 
        Ebenen und der Strukturen unterhalb dieser sowie der politischen und gesetzlichen 
        Ebenen zu finden. Es kann eine Lösung anbieten, ohne Etiketten wie 
        progressiv oder reaktionär zu benutzen, und 
        antwortet auf diese Weise auf die Bedürfnisse der gesellschaftlichen 
        Kräfte und ihre Forderungen nach Gleichheit und Freiheit. 
        Hier gibt es weder die Verleugnung noch den Versuch, eine Utopie mit Gewalt 
        durchzusetzen. Weder Glaube, Ziele und Utopien des letzten Jahrhunderts 
        noch des nächsten Jahrhunderts werden als Programm oder Grundsätze 
        aufgezwungen. Da das demokratische System Lösungen vorstellt, die 
        sowohl prinzipiell als auch praktikabel und für die Problemlösung 
        geeignet sind, erweist sich die Demokratie als die Stufe der Gesellschaft, 
        auf der Problemlösungen möglich sind. Indem es seinen Staat 
        und seine moralischen Werte zur Demokratisierung zwingt, demonstriert 
        es, dass ihm eine reiche Auswahl an Lösungsmöglichkeiten zur 
        Verfügung steht. Das Wichtigste hierbei ist die Kraft, eine praktische 
        Lösung für alle Probleme anbieten zu können. Noch wichtiger 
        ist es, sich der Gewalt möglichst wenig zu bedienen und seine Kraft 
        zu demonstrieren, selbst aus einer Phase der Gewalt heraus die friedliche 
        Methode wieder in Gang zu setzen. 
        Natürlich gibt es hierfür historische Gründe. Allgemein 
        gesagt, gab es in den Religionskriegen, den nationalen und sozialen Kriegen, 
        in Revolutionen und Konterrevolutionen, sehr viel Blutvergießen. 
        Heute sind keine so großen Probleme übriggeblieben, die durch 
        Blutvergießen gelöst werden können; oder, wenn es sie 
        gibt, so sind sie doch selten* . Wenn wir sagen, dass 
        im Allgemeinen der Weg der Demokratie über Evolution und Frieden 
        läuft, dann stützen wir uns auf diese historische Tatsache. 
        Die Demokratie entwickelt sich auf der Grundlage des Erbes, welches das 
        Leiden in der nahen und fernen Vergangenheit hinterlassen hat. Ihr Anspruch 
        ist, dass es genug Revolutionen und Konterrevolutionen gegeben hat, dass 
        sie an einer Methode interessiert ist, die mehr Lösungen und mehr 
        Entwicklungen anbietet und die als zivilisiert bezeichnet werden kann, 
        und dass sie an den damit verbundenen gesellschaftlichen und politisch-philosophischen 
        Maßstäben interessiert ist. Das ist das Ziel der Demokratie 
        und insbesondere der des ausgereiften 20. Jahrhunderts, und das ist auf 
        jeden Fall bewiesen. Dass mit der wissenschaftlich-technischen Entwicklung 
        die Probleme zahlreicher und schwieriger geworden sind, ist natürlich 
        auch ein wichtiger Faktor. Wenn wir jedes Problem als eine Revolution 
        oder als ein Beispiel von Gewalt betrachten, wenn wir im Gedächtnis 
        behalten, dass die Technik in der Lage ist, die Menschheit auszulöschen, 
        wenn wir insbesondere die Entwicklung der Nukleartechnik und all der anderen 
        Waffen bedenken, dann können wir uns vorstellen, dass das Gewaltpotenzial 
        der alten Konzepte von Revolution und Konterrevolution nicht nur das Ende 
        der Menschheit, sondern auch des ganzen Planeten herbeiführen kann. 
        An der Entwicklung der Demokratie hat die wissenschaftlich-technische 
        Entwicklung sicherlich einen großen Anteil, deren positive Seite 
        ist um so entscheidender. Jede Ideologie oder jeder Glaube kann sich - 
        wenn sie wahr sind - durchsetzen, indem sie sich der technischen Möglichkeiten, 
        vor allem der Medien, bedienen, ohne Gewalt anzuwenden. In anderen Worten: 
        Gewalt ist überflüssig geworden. Sie ist eine Methode, auf die 
        das Sprichwort zutrifft: Die Brühe kostet mehr als der Braten. 
        Die reiche Vielfalt der Institutionen und Erfahrungen, die das demokratische 
        System bietet, baut auf dieser sozialen und wissenschaftlich-technischen 
        Entwicklung auf. Es bietet irgendeine Lösung an, welches Problem 
        auch immer in Angriff genommen wird. Es ist selbst die Lösung. Um 
        einige Beispiele zu nennen: Früher war der Säkularismus die 
        Lösung für religiöse Kriege. Dessen Grundsatz und Anwendung 
        beinhaltete, dass es jedem frei stand, religiös oder nicht religiös 
        zu sein; die demokratischen Maßstäbe sind für alle maßgeblich. 
        In der Demokratie gibt es eine absolute Glaubensfreiheit und sie ist das 
        Gegengift für religiöse Kriege. Das Gleiche gilt für die 
        Ebene der Überzeugung und der Ideologie. Es gibt die Freiheit der 
        Gedanken und der Weltanschauungen. Man kann so arbeiten, wie man es wünscht 
        und wie es dem eigenen Glauben entspricht, solange man die diesbezüglichen 
        Rechte der anderen nicht berührt. Und das betrifft auch die politischen 
        Ideen und ihren Ausdruck in politischen Parteien. Solange es dem demokratischen 
        System und seiner staatlichen Struktur entspricht, kann jede Partei eine 
        Lösung anbieten, ohne auf Gewalt zurückzugreifen. Dabei geht 
        es weder darum, die Religion gewaltsam aufzuzwingen, noch die Staatsstrukturen 
        zu zerstören oder in Unordnung zu bringen. Die Religion, die Meinung 
        und die Parteien, die auf beidem beruhen, wissen, wie sie den Maßstäben 
        des demokratischen Systems des Staates gerecht werden, weil sie auf ihnen 
        beruhen. Wenn dies nicht der Fall ist, hat die Demokratie das Recht, sich 
        zu verteidigen. Unabhängig von der sozialen Gruppe, der sie angehören 
        - das kann eine Nation, eine ethnische oder religiöse Gruppe sein-, 
        dürfen Glauben, Ideen und Parteien, durch die sie sich ausdrücken, 
        nicht im Namen dieser Überzeugungen und Ideen Gewalt auf die Grenzen 
        und Spielräume ausüben, auf denen der Staat beruht. Dafür 
        besteht auch keine Notwendigkeit, weil dies das Problem, das sie zu lösen 
        vorgeben, nur noch komplizierter macht. Also gibt es dafür keine 
        Notwendigkeit, und in jedem Fall sind Lösungen innerhalb des Systems 
        möglich. Dies sind die demokratischen Rechte jener Gruppen. Dies 
        ist ihre Freiheit des Glaubens und der Gedanken. Dieses sind die Parteien 
        und alle Arten von Koalitionen.  
        Im Bereich von Sprache und Kultur ist die demokratische Lösung noch 
        überzeugender. Hier können die größten Erfolge erreicht 
        werden. Die Vermischung von Sprachen und Kulturen stellt einen Wert dar, 
        den viele nationale Gruppen in Jahrhunderten schufen, in denen sie sich 
        gegenseitig beeinflusst haben. Diese Gruppen wollen nicht die Trennung, 
        die sie schwach macht und eintönig, sondern sie wollen zusammenbleiben, 
        um reicher zu werden und um Vielfalt, Stärke und Leben zu erlangen. 
        Die Schule und das Versuchslabor für eine überzeugende Umsetzung 
        ist die Demokratie. Die Demokratie ist geradezu ein Garten der Sprachen 
        und Kulturen. Die fortschrittlichsten und wichtigsten Prinzipen unserer 
        Zeit sind eindeutige Beispiele hierfür. Alle europäischen Länder 
        und Nordamerika sind hierfür klare Beweise.  
        Alle wichtigen Kriege sind auf die Unterdrückung der Religionen, 
        Sprachen, Meinungen und der neuen politischen Entwicklungen in den vergangenen 
        Jahrhunderten zurückzuführen. Der Widerstand gegen die Unterdrückung 
        führte zu den Kriegen, die wir als gerechte Kriege bezeichnen. Vor 
        allem die Erfahrungen der europäischen Länder besagen, dass 
        am Ende all dieser Kriege das demokratische System konsequent vorangeschritten 
        ist, was eine Überlegenheit geschaffen hat. In diesem Sinne kann 
        die westliche Zivilisation als demokratische Zivilisation bezeichnet werden. 
        Ihre Stärke besteht darin, dass sie ein derartiges System in entwickelter 
        Art zur Grundlage hat.  
        Ein demokratisches System ist mindestens ebenso wichtig wie eine wissenschaftlich-technische 
        Überlegenheit. Ihre gegenseitige Beeinflussung führt zu einer 
        Stärkung beider Faktoren und so hat ihre Vereinigung den Rang einer 
        Weltzivilisation erlangt.  
        Viele andere Teile der Welt sind rückständig geblieben und ihre 
        politischen Systeme sind dementsprechend weit entfernt von der Demokratie. 
        Der Mittlere Osten ist eines der wichtigsten dieser Gebiete. Vom Beginn 
        des Mittelalters bis in die Gegenwart erlitt er religiöse Kriege. 
        Diese Erfahrung hat der Gesellschaft ihre vorherrschende Gestalt gegeben. 
        Der Mittlere Osten war der Geburtsort von drei großen Weltreligionen, 
        und das führte dazu, dass er diese Widersprüche in großem 
        Maße auszuhalten hatte. Die Religionen verloren die fortschrittlichen 
        Aspekte, die ihnen anfangs innewohnten. Sie wurden zu Hindernissen für 
        die Wissenschaft und schafften es auch nicht, demokratische Maßstäbe 
        und demokratische Traditionen hervorzubringen. Der sich verstärkende 
        Feudalismus führte zu mehr Konservatismus und vernichtete die demokratischen 
        Züge, die in den Stammesstrukturen angelegt sind. So wurden die geeigneten 
        Voraussetzungen für jede Form autokratischer Herrschaft geschaffen. 
        Die Religionskriege und die Kriege gegen Ketzer-Bewegungen 
        führten auch nicht zu den Reformen, die im Westen erreicht wurden. 
        Die Kirchturm-Politik nahm zu. Dadurch wurde der Freiheitskampf des Individuums 
        und der Gesellschaft zunichte gemacht. Insbesondere wurden das freie Denken 
        und die politischen Freiheiten allmählich vergessen. 
        In diesem Zusammenhang ist auf die Geschichte der türkischen Republik 
        hinzuweisen: Die türkische Republik, die auf eine revolutionäre 
        Art und auf der Grundlage einer nationalen Befreiung hervorgegangen ist 
        und das Erbe des mächtigen Osmanischen Reiches antrat, versagte darin, 
        eine machtvolle Strömung in Richtung Demokratie zu entwickeln. Dies 
        geschah wegen der inneren Aufstände und der Bedrohungen von außen 
        während der Gründerjahre. Die Republik erreichte nur Entwicklungen, 
        die sich auf die Bereiche der Ideologie und der neuen Sozialstrukturen 
        beschränkten. Bis in die 50er-Jahre hinein konnte bezüglich 
        der autokratischen Regierungsart unter dem Einfluss der weltweiten demokratischen 
        Entwicklungen lediglich eine Umwandlung hin zu einer begrenzten Oligarchie 
        durchgeführt werden. 
        Dem Putsch vom 27. Mai 1960 folgten die Kämpfe zwischen den Linken 
        und Rechten in den 70er-Jahren, die Putsche vom 12. März 1971 und 
        vom 12. September 1980. Vor dem Hintergrund, dass die Demokratie weltweite 
        Bedeutung erlangte, wurde es notwendig, dass die Türkei den Charakter 
        einer Demokratischen Republik annahm - und zwar gerade wegen dieser weltweiten 
        Entwicklung, der intensiven inneren Konflikte und der sozioökonomischen 
        Entwicklung. Alle diese Anzeichen sprechen dafür, dass sich die Republik 
        hinsichtlich ihrer sozialen Maßstäbe und ihrer ideologischen 
        Werte einer raschen Wandlung unterzieht. So hat sie ein Stadium erreicht, 
        wo diese Entwicklung nicht länger behindert wird. 
        Mit dieser langen Einführung beabsichtigten wir den Rahmen eines 
        demokratischen Systems abzustecken, innerhalb dessen für all diese 
        Probleme die notwendigen Lösungen gefunden werden können. Wir 
        müssen gründlich darüber nachdenken, wie die Lösungen 
        in diesem Rahmen aussehen können - Lösungen für die schwierigen 
        Probleme der Religion, für die gefürchtete kurdische Frage und 
        auch für die Fragen aller anderen gesellschaftlichen Gruppen. Der 
        wichtigste Grund für die Verschärfung der Probleme besteht darin, 
        dass dieser Rahmen nicht entwickelt wurde und auch die Betroffenen, die 
        nach einer Lösung suchen, einen solchen Rahmen nicht auf die Tagesordnung 
        gesetzt haben. Dieser Rahmen, der schon in den 60er-, 70er-Jahren hätte 
        gebildet und präsentiert werden müssen, hätte in den 90er-Jahren 
        geschaffen werden können. Diese vertane Chance wenigstens in den 
        2000er-Jahren nicht noch einmal zu verpassen, sollte vor dem Hintergrund 
        der großen Erfahrungen für alle demokratischen Kräfte 
        eine Aufgabe sein. In dieser Hinsicht spielen die PKK und mein Prozess 
        eine sehr bedeutende Rolle.  
        Bevor wir zum allgemeinen demokratischen System und den Problemen der 
        Türkei kommen, sollten wir zunächst die überwiegend europäischen 
        Erfahrungen zusammenfassen, um diese Überlegungen und ihre praktischen 
        Werte besser zu begreifen. Ich finde es wichtig, viele Zitate aus dem 
        Werk Demokratische Zivilisation Leslie Lipsons zu übernehmen. 
        Sie untermauern meine Gedankengänge, mit denen ich mich schon vor 
        meiner Verteidigung beschäftigte.  
        Lipsons Werk wurde in den 60er-Jahren veröffentlicht und hat meines 
        Erachtens durch seine Lösungsvorschläge für die Türkei 
        seine Aktualität bis heute bewahrt. Der Wert dieser Untersuchung 
        ist deshalb um so größer, weil sie einerseits wissenschaftlich 
        ist, andererseits heute ihre Richtigkeit triumphierend bewiesen hat.  
        Das von mir gewählte Beispiel ist die Schweiz, die das Wesen Europas 
        repräsentiert als ein multikonfessionelles, multikulturelles und 
        multisprachliches Beispiel. Aus den mehrere Jahrhunderte andauernden Konfessionskonflikten 
        zog sie die folgende Lehre:  
        Am Ende waren beide Seiten erschöpft, keine der Parteien konnte ihren 
        Gegner völlig beseitigen und als sie bemerkten, dass ihre Konföderation 
        sich auflösen würde, wenn sie sich nicht zusammenschlössen, 
        erkannten sie den Wert der Toleranz. Statt sich gegenseitig zu töten, 
        einigten sie sich mehr oder weniger auf Leben und Lebenlassen. Somit wurde 
        die Toleranz gegenüber der Verschiedenheit zur Grundlage für 
        ihre Einheit. Und die Demokratie hat sich als Bejahung der Koexistenz 
        verschiedener Einheiten entwickelt. 
        Noch interessanter ist der Entwicklungsprozess, wie die sprachlichen Unterschiede 
        in der Schweiz zu einer Kraft für die Vereinigung wurden.  
        Die von der konfessionellen Aufspaltung geteilte Gesellschaft wurde auch 
        von sprachlichen Unterschieden belastet. Man kann sagen, dass die deutschsprachige 
        Mehrheit - sie bildet zahlenmäßig die große Mehrheit 
        - in Bezug auf die Sprache viele Zugeständnisse erhielt; der Sensibilität 
        der Bürger wurde Respekt erwiesen. Nach der Verfassung von 1848 wurden 
        Französisch, Italienisch und Deutsch als nationale Sprachen und im 
        offiziellen Gebrauch als gleichberechtigt anerkannt. Aber die Schweizer 
        gingen noch darüber hinaus. In dem Kanton Grison, in der südöstlichen 
        Ecke des Landes gelegen, lebt eine 50.000 Personen zählende Minderheit, 
        die Rätoromanisch spricht, welches man als eine Form des Italienischen 
        bezeichnen kann. Diese Gruppe wollte, dass ihre eigene Sprache nicht als 
        Dialekt, sondern als eine unabhängige Sprache anerkannt wird. Das 
        heißt, sie wollte die Anerkennung als vierte nationale Sprache des 
        Landes. Dem wurde bei dem Referendum 1938 mit großer Mehrheit - 
        zehn zu eins - zugestimmt. Das ist in der Tat ein beachtenswerter Beweis 
        dafür, wie die Sensibilität einer kleinen Minderheit von der 
        Mehrheit mit respektvoller Aufmerksamkeit beachtet wird.  
        Weiter heißt es dort: 
        Man kann akzeptieren, dass der moderne Mensch in der Schweiz die hinsichtlich 
        der Sprache gespaltene Gesellschaft vereint und dieses Problem durch eine 
        demokratische Verwaltung gelöst hat. Das heißt aber nicht, 
        dass die Mehrsprachigkeit keine Schwierigkeiten und Probleme beinhaltet. 
        Im Gegenteil, ich möchte sagen, dass die Vorteile der Verschiedenartigkeit 
        der Schweizer die daraus erwachsenden Nachteile ausgeglichen haben und 
        sogar ein Gleichgewicht erreicht haben, in dem die Vorteile überwiegen. 
        Die Schweiz hat demokratische Methoden angewandt und jeder gesellschaftlichen 
        Gruppe das Recht gegeben, ihre eigene Zukunft zu bestimmen, und damit 
        für die Ideale der Demokratie ihren Beitrag geleistet. Es ist notwendig, 
        über die Grundsätze und deren Umsetzung, welche die oben bezeichneten 
        Ergebnisse ermöglichten, etwas nachzudenken. Vor allen Dingen bemühen 
        sich die Schweizer, mindestens eine zweite Sprache zu lernen. Es ist Pflicht, 
        in den Gebieten, in denen Französisch, Italienisch, Rätoromanisch 
        gesprochen wird, Deutsch zu lernen, und in den Gebieten, in denen Deutsch 
        gesprochen wird, eine der romanischen Sprachen zu lernen. Ein gebildeter 
        Schweizer beherrscht mindestens drei Sprachen. 
        Diese Mehrsprachigkeit ermöglicht den Schweizern sowohl mit den Nachbarländern 
        als auch untereinander eine besondere Kommunikation. Durch die Sprache 
        können sie aus der französischen, deutschen und italienischen 
        Kultur, den wichtigsten Kulturen Europas, Nutzen ziehen. Es ist durchaus 
        natürlich, dass sich die Italienisch sprechende Bevölkerung 
        in der Schweiz mit Italien verbunden fühlt, der Französisch 
        sprechende Schweizer Paris beobachtet und der Deutsch sprechende Schweizer 
        sich Deutschland und Österreich näher fühlt. Aus diesem 
        Grund verbindet die Auswirkung der zentrifugalen Kraft der Sprachen die 
        Schweizer mit ihren Nachbarn und verhindert ihre Isolation. Unter den 
        europäischen Nationen sind die Schweizer die am meisten europäischen. 
        Dennoch sind sie zugleich Schweizer. Ja, sogar in patriotischster Weise. 
        Sie sind stolz darauf, von ihren Nachbarn politisch unabhängig zu 
        sein, sind dankbar dafür, in Frieden und Wohlstand zu leben. Schweizer 
        aus allen Gebieten sehen sich auf die Existenz der anderen angewiesen, 
        um ihre eigene Identität zu bewahren. Ihnen ist es gelungen, ihre 
        Unterschiede in gegenseitige Stärkung zu verwandeln. 
        Die Wechselwirkungen dieser Gegensätze stellen sich in verblüffender 
        Weise heraus. Es ist unmöglich, in der Schweiz umherzureisen, ohne 
        diesen Reichtum der Mehrsprachigkeit zu bemerken. Im Vergleich zu anderen 
        Staaten ist die Schweiz ein sehr kleines Land im Hinblick auf die Fläche 
        und die Bevölkerungszahlen. Allerdings ist es kein Land, welches 
        eintönige Standards und eingeengte Charakterzüge trägt. 
        Die Wurzeln der schweizerischen Regierung, die erfolgreiche Schaffung 
        einer durchaus harmonischen Demokratie - trotz Unabhängigkeit und 
        scharfen Differenzen - stellen einen politischen Sieg dar. Betrachtet 
        man die Situation der Schweizer - große innere Unterschiede und 
        Angriffe von außen - dann erscheint es wie ein Wunder, dass sie 
        die Schweiz schaffen, vereint bleiben und die Demokratie entwickeln konnten. 
        Darüber hinaus stellt ihr Land ein außerordentliches Thema 
        für die Untersuchungen der Politikwissenschaftler dar, weil es die 
        Ausnahme von so vielen Verallgemeinerungen ist. Die Schweiz beweist nicht 
        nur die Regel, sondern korrigiert auch die Dinge, die von allen als richtig 
        angenommen wurden. 
        Als Resümee kann dieses Sprach- und Kulturexperiment der Schweizer 
        mit einer paradoxen Feststellung zusammengefasst werden. Ihre sprachliche 
        Vielfalt hat ihre Einheit mehr gestärkt als geschwächt; und 
        dass sie diese Unterschiede tolerieren, ist sowohl der Grund als auch 
        das Ergebnis ihrer Unabhängigkeit und Demokratie. (Demokratische 
        Zivilisation, S. 125-128) 
        Diese aufschlussreichen Beispiele zeigen, wie sich die sprachlichen und 
        kulturellen Unterschiede in der Demokratie bzw. in der Unabhängigkeit 
        weiterentwickeln konnten, sie sind darin sowohl Ursache als auch Ergebnis. 
        Im Hinblick auf das sprachliche und kulturelle Mosaik ist dies sicherlich 
        auch für die Türkei sehr lehrreich. Wenn man sich vor Augen 
        führt, dass die kurdische Frage letztlich auf die Frage der Freiheit 
        der Sprache und Kultur reduziert werden könnte, sind die Lehren daraus 
        wirklich aufschlussreich.  
        Lasst uns nun auch ein langes Zitat zur Bedeutung der demokratischen Verfassung 
        vornehmen. Denn dieses Thema ist für die Türkei ebenso aktuell. 
        Erste politische Voraussetzung für eine demokratische Verfassung 
        ist, dass jeder, der einem Staat untertan ist, als Bürger gleichberechtigt 
        ist, und dass er in diesem Rahmen bei den Wahlen und der Kontrolle ihrer 
        Vertreter gleichberechtigten Anteil hat. Dies bedeutet, dass die demokratische 
        Verfassung unter den Bürgern und Einwanderern keinen Unterschied 
        wie Bürger 1. und 2. Klasse macht. Sie betreibt im Rahmen der Grundrechte 
        und Grundpflichten keine Diskriminierung wegen Rasse, Glaube, Sprache, 
        Geschlecht, Familie und Besitzstand. Eine Demokratie bezieht hinsichtlich 
        dieser Grundrechte einen jeden in gleicher Weise mit ein. Aus alldem resultiert, 
        dass jeder, der absichtlich aus der Verfassung ausgegrenzt oder auf die 
        Ebene der Zweitrangigkeit abgeschoben wird, durch die Verfassung nicht 
        vertreten ist. Existiert eine solche Gruppe, kann die Verfassung nicht 
        demokratisch sein. Wenn diese Gruppen sich gegen die Verfassung stellen, 
        sich nicht daran gebunden fühlen und sie ablehnen, sind sie in moralischer 
        wie politischer Hinsicht im Recht. Deshalb kann die Demokratie unter den 
        Gruppen, die gegenseitig ihre natürliche menschliche Existenz nicht 
        anerkennen oder sich gegen die gemeinsame Identität stellen, weder 
        durch die Verfassung noch durch einen anderen Weg realisiert werden. Die 
        Verfassung der Demokratie sollte vor allen Dingen eine von jedem akzeptierte 
        Einheit beinhalten. (Demokratische Zivilisation, S. 348) 
        Ein anderes Beispiel ist England; es trägt den Titel des Landes, 
        welches das Verfassungssystem weltweit am besten praktiziert. Es ist das 
        auserwählte Land, welches seine Probleme ohne Gewaltanwendung, durch 
        zivilisierte Diskussionen innerhalb der Demokratie löst. Es ist auch 
        sehr aufschlussreich, wie es dazu gekommen ist. 
        Die Engländer des 20. Jahrhunderts können ihre kleinen Kämpfe 
        in aller Sicherheit führen, denn Engländer und Schotten, Waliser 
        und Iren, Protestanten und Katholiken, Aristokraten und das Volk, Großgrundbesitzer 
        und Industrielle haben ihre Unterdrückung, Ausbeutung und Morde in 
        den vergangenen Epochen praktiziert und beendet. Das heutige Bürgertum 
        ist die Frucht der Krise von gestern. 
        Hier wird gezeigt, wie die Engländer aus den zahlreichen Kämpfen 
        des Jahrhunderts eine hervorragende demokratische Verfassung ausgearbeitet 
        und ihre größte Tugend, ein demokratisches System, geschaffen 
        haben. Die Sprache der Demokratie ist die Evolution und deren Meister 
        ist England. 
        Ein anderes wichtiges Zitat betrifft die Überprüfung der Grundsätze 
        und Programme, nachdem diese eine bestimmte Zeit lang umgesetzt wurden: 
        Wenn Prinzipien, was natürlich ist, vor der Erarbeitung eines Programmes 
        aufgestellt werden, dann müssen sie erneut kontrolliert werden, nachdem 
        die Programme entwickelt worden sind. Wenn die Erfahrungen zunehmen, dann 
        kann es notwendig sein, die Ideale neu zu formulieren im Licht des Möglichen. 
        Aus diesem Grund muss es zwischen der politischen Praxis und ihrer Philosophie 
        einen gegenseitigen Austausch geben. Da die ständig umgesetzten Programme 
        zu Veränderungen im Volk führen, beeinflussen sie die Gesellschaft 
        und Politik. Die Ziele, die die Großväter begeistern, können 
        sich für die Enkelkinder zu unbedeutenden Wiederholungen wandeln. 
        Die abstrakten Ideale müssen an veränderte spezifische Situationen 
        angepasst werden können. 
        Es wird hier sehr deutlich, wie in Demokratien, entweder unter spezifischen 
        Bedingungen oder wenn die Prinzipien mit der Praxis nicht in Übereinstimmung 
        stehen, politische Organisationen ihre Prinzipien und Programme anpassen 
        müssen; der Staat muss seine Verfassung anpassen. Es liegt auf der 
        Hand, dass die in der Praxis über lange Zeit widersprüchlich 
        gewordenen Grundsätze und Programme wertlos werden können.  
        Was aus diesen langen Zitaten auch herausgelesen werden soll, ist das 
        in der Türkei bekannte Sprichwort: In der Demokratie gehen 
        die Lösungsmöglichkeiten nie aus. Offensichtlich entspricht 
        die Praxis noch nicht dieser Redewendung. Wenn wir die Frage mit Überzeugung 
        und Entschlossenheit stellen, gleichgültig, auf welcher Stufe der 
        Demokratisierung wir stehen und welches Problem auf der Tagesordnung steht, 
        dann werden wir sehen, dass wir die Möglichkeit zu einer umfassenden 
        Lösung haben. 
        Es ist offenkundig, dass die europäischen Länder Anfang des 
        20. Jahrhunderts ihre wichtigsten Fragen wie die Nation, Sprache, Religion 
        usw. gelöst und ihre heutigen starken Demokratien gegründet 
        haben; diese Regierungsform ist für die umfassende Entwicklung und 
        ihre Überlegenheit verantwortlich. Die Europäisierung in diesem 
        Sinne war das Ziel in den ersten Jahren der Republik. Atatürks Wunsch, 
        das Niveau der zeitgenössischen Zivilisation zu erreichen und 
        sogar zu übertreffen, und sein Ausspruch Die Republik 
        haben wir gegründet, ihr werdet sie weiterentwickeln können 
        nur durch die Demokratisierung der Republik zur Realität werden. 
        Selbst die Republik, das in den Jahren seiner Gründung eher liberal 
        orientierte Kabinett von Fethi Okyar und die Versuche der Serbest 
        Firka sowie deren erste Initiative waren Ausdruck der Sehnsucht 
        Atatürks nach Demokratie.  
        Dass er zu seinen Lebzeiten zwei große Machtformen, nämlich 
        den Nazi-Totalitarismus von Hitlerdeutschland und die Sowjet-Diktatur 
        von Stalin sah und vorausgesehen hat, dass diese Systeme sich auflösen 
        werden, deutet darauf hin, dass er schon damals die Überlegenheit 
        der Demokratie festgestellt hat. Dennoch ist es offensichtlich, dass sie 
        nicht verwirklicht werden konnte. Die Fahne der Demokratie, welche die 
        DP** nach dem Zweiten Weltkrieg zum Schein gehisst hat, 
        konnte vom Wesen her nicht mehr leisten als der Oligarchie den Weg zu 
        ebnen. Die Türkei hat seit den 50er-Jahren ständig von der Demokratie 
        westlichen Typs gesprochen, hat sie allerdings nicht praktiziert. Das 
        hat vehemente Konflikte zwischen der Rechten und der Linken hervorgebracht 
        und drei gravierende Militärputsche. Dass das politische Klima durch 
        diese Gewaltanwendung ständig angespannt und von ihr geprägt 
        war, ist der offene Beweis dafür, dass sich die Demokratie nicht 
        entwickelt hat. Dieser bohrende Schmerz macht sich bis heute immer wieder 
        bemerkbar, er ist das wichtigste der aktuellen Themen.  
        Viele offizielle Verantwortliche und Institutionen bringen mit ihren Worten 
        oder Berichten zur Sprache, dass in den Gebieten mit hohem kurdischen 
        Bevölkerungsanteil, wie immer man die Gebiete auch nennen mag, in 
        großem Maße Rebellion, Leid und Gewalt herrschen - Erscheinungen, 
        hinter denen sich schwere ökonomische und gesellschaftliche Probleme 
        verbergen. Aber gleichzeitig gibt es auch einen beachtlichen demokratischen 
        Aufschwung. Mehr als zwanzig Parteien, die alle möglichen Ansichten 
        und sozialen Gruppen vertreten, beteiligten sich an den Wahlen. Jeder 
        konnte seine Stimme abgeben. Auch das ist Realität und im Hinblick 
        auf die Demokratie eine nicht zu unterschätzende Entwicklung. Ebenso 
        eindeutig ist, dass die Demokratie nicht mit Gewalt funktioniert, dass 
        nur die friedliche Lösung aller Probleme, die die Quelle der Gewalt 
        bilden, mit der Demokratie vereinbar ist. Es zeigt sich also, dass wir 
        in der gegenwärtigen Phase mit ihren religiösen und ethno-kulturellen 
        Problemen einem starken Demokratisierungsprozess gegenüberstehen 
        und jeder Fortschritt die Lösung dieser Probleme mit demokratischen 
        Mitteln beinhaltet.  
        Es ist wichtig, Folgendes ganz klar zu erkennen: Seit dem Sturz Selims 
        III. zu Beginn des 19. Jahrhunderts und seit der Vereinbarung des 
        Sened-i Ittifak*** mit führenden Persönlichkeiten 
        hat die Türkei jede Art von Gewaltanwendung, Revolution, Konterrevolution 
        und Staatsstreichen erlebt. Und es ist ganz klar, dass die Gewalt keine 
        Lösung gebracht hat, sondern ein Hindernis darstellt, das die Gewalt 
        ständig reproduziert.  
        Die Gewalt muss endlich von der Tagesordnung der Republik verschwinden. 
        Ich glaube, dass dies ein Grundthema in der Türkei ist, in dem sich 
        alle gesellschaftlichen Kreise einig sind. Niemand glaubt, dass die Probleme 
        durch Gewalt gelöst werden können. Das wird auch in dem historisch 
        bedeutenden Prozess, in dem wir uns jetzt befinden, dadurch bewiesen, 
        dass der MGK**** trotz seines enormen Gewaltpotenzials 
        aus der Geschichte große Lehren gezogen zu haben scheint; mit seinen 
        Konzepten und mit all seiner Kraft setzt er sich offensichtlich seit Mitte 
        der 90er-Jahre für die Steuerung einer schöpferischen, modernen 
        Demokratie ein. Die Armee putscht nicht. Die Armee ist noch sensibler 
        als die demokratisch scheinenden Parteien und erinnert an die Regeln der 
        Demokratie.  
        Wenn wir den Zusammenhang zwischen Demokratie und Armee analysieren, sehen 
        wir, dass - während jeder für sich persönlich unbegrenzte 
        Demokratie fordert - die Armee wirklich die Überwachung der demokratischen 
        Normen übernimmt, zweifellos, um die Sicherheit des Landes zu gewährleisten. 
        Dass die Armee, die für die Sicherheit verantwortlich ist, ein Gespür 
        dafür hat, wie stark die Demokratisierung mit der Sicherheit des 
        Landes verbunden ist, zeugt von einem Verständnis, dem hoher Respekt 
        erwiesen werden muss.  
        Dies stellt auch eine historische Phase der Demokratie dar. Die Lösung, 
        nach der gesucht wird, heißt Demokratie, die unendliche Möglichkeiten 
        für Lösungen bietet. Wenn dies nicht zwangsläufig begriffen 
        worden wäre, hätte es einen Putsch gegeben, den niemand hätte 
        verhindern können. Die Armee stellt heute keine Bedrohung für 
        die Demokratie dar, im Gegenteil, sie ist ein Garant für deren gesunde 
        Entwicklung und ihr Funktionieren. Warum ist das so? Weil für die 
        Lösung von Problemen kein anderer Weg geblieben ist als der einer 
        Theorie und einer Praxis, die eng mit dem Wesen der Demokratie verbunden 
        sind. Es ist deshalb so, weil man begreifen muss, dass die Gewaltanwendung 
        die Frage nicht lösen, sondern im Gegenteil nur verschärfen 
        kann, und dass die Lösung aus der schöpferischen Kraft des demokratischen 
        Systems hervorgeht. Es ist deshalb so, weil die Demokratie für die 
        Türkei nicht nur ein Bedürfnis, sondern eine zwingende Notwendigkeit 
        geworden ist.  
        Ich erachte es als notwendig, an die historische Tatsache zu erinnern, 
        dass ich seit 1996 die Rolle der Armee anerkannt habe und noch in diesen 
        Tagen zur Sprache brachte, dass wir keinen anderen Weg sehen, als sie 
        zu unterstützen. Ich habe zunehmend in der Richtung eine Lösung 
        gesucht, indem ich einseitige, aber nicht erfolgreich verlaufende Versuche 
        eines Waffenstillstands vorschlug. 
        Folgende Fakten können den historischen Charakter dieser Epoche demonstrieren: 
        Fast alle anderen wichtigen politischen, ökonomischen und zivilen 
        Institutionen sind mit der großen Suche nach Demokratie befasst, 
        auch wenn sie es nicht offen zugeben; und es gibt keine Gruppe, die nicht 
        eine sinnvolle Demokratisierung wünscht. Dies kann man an den zahlreichen 
        Berichten, Konferenzen und Podiumsdiskussionen ablesen. In dieser Hinsicht 
        werden viele Medien geradezu bombardiert - auch das ist ein Indikator 
        und Beweis für die historische Periode, deren Wesen die Demokratie 
        ist.  
        Jedoch ist es ebenfalls eine Tatsache, dass jeder weiß, von den 
        höchsten Regierungsstellen bis zum normalen Bürger, dass das, 
        was jetzt praktiziert wird, nicht wirkliche Demokratie ist. Die Präsidenten 
        der wichtigsten staatlichen Institutionen wie Verfassungs- und Oberverwaltungsgerichte 
        sprechen in ihren Reden anlässlich der Jahrestage ihrer Institutionen 
        davon, dass die Hindernisse für die wichtigsten demokratischen Grundsätze 
        - beginnend mit dem Verbot der Sprache, der Gedanken und der politischen 
        Parteien - beseitigt werden müssen. Sogar das Parlament hat Probleme 
        mit der Vereidigung. Die grundlegenden Institutionen des Staates zeigen 
        durch ihre Positionen im Hinblick auf die Demokratie ihr Gefühl für 
        die historische Bedeutung dieser Epoche. 
      Die 
        folgenden Zitate sind wichtig als eine Zusammenfassung der Erfahrungen, 
        die überall in der Welt gemacht wurden, und die aufzeigen, wie die 
        Demokratie Konflikte von großem Umfang lösen kann: 
      Allerdings 
        trägt die Auseinandersetzung einen Charakter, der bestimmte Grenzen 
        setzt. Wenn sie nicht kontrolliert wird, kann sie vernichtende Folgen 
        haben, die eigene Vernichtung eingeschlossen. Wenn wir unseren Hang zur 
        Zerstörung nicht begrenzen, können wir nicht als zivilisierte 
        Menschen leben. Aus diesem Grund müssen wir unsere Auseinandersetzung 
        institutionalisieren, sie methodischen Garantien unterstellen. Nebenbei, 
        während wir darüber diskutieren, welche Ideale wir in der Zukunft 
        erreichen wollen, müssen wir auch unser heutiges Leben in einem ordentlichen 
        Rahmen führen. Wie die Auseinandersetzungen von heute die Ordnung 
        von morgen bestimmen werden, so ist die heutige Ordnung genauso ein Produkt 
        der Auseinandersetzungen von gestern. Die Sicherung der Existenz der Gesellschaft 
        setzt voraus, dass die Führung so organisiert werden muss, dass sie 
        die Bürger, Prinzipien, Instrumente, Kompetenzen und Verantwortlichen 
        umfasst, mit einem Wort, sie setzt einen Staat voraus. Allerdings müssen 
        die politischen Diskussionen innerhalb des Staates es ermöglichen, 
        auf die Veränderungen zu reagieren und damit auch einen Weg zu finden, 
        die Realität den Idealen näher zu bringen, damit die Gesellschaft 
        sich an die Erneuerung hält und sich reformieren kann. Gut funktionierende 
        und ihre Existenz bewahrende Institutionen sind diejenigen, die ein sinnvolles 
        Gleichgewicht zwischen der Offenheit gegenüber Neuerungen und dem 
        Schutz ihrer Existenz schaffen können. Wenn dieses Gleichgewicht 
        nicht hergestellt wird, wird der Verwaltungsapparat in Widerspruch zu 
        den Kräften geraten, die sich im Verlauf des politischen Prozesses 
        herausbilden. 
        Aus diesem Grunde besteht eine Spannung zwischen der Politik und dem Staat. 
        Die dynamischen Eigenschaften der Politik üben Druck aus auf den 
        statischen Charakter des Staates. Die Politik hat die Eigenschaft, fließend 
        zu sein. Die schwer zu steuernden und zu kontrollierenden Kräfte 
        sind mit dem wellenschlagenden Meer zu vergleichen. Der Staat besitzt 
        dagegen eine bestimmte Struktur. Er setzt Einheit und Stabilität 
        voraus, seine Kriterien sind das Gesetz, die Ordnung und die Autorität. 
        Wie das Meer die Erde ewig angreift, so können die Wellen der Politik 
        den Staat permanent angreifen. Den Begegnungspunkt bildet die Regierung. 
        Diese Begegnung ist vergleichbar mit dem metaphysischen Rätsel, wie 
        eine unwiderstehliche Kraft einen unbeweglichen Felsen emporheben kann. 
        Und genau das geschieht in den Momenten eines politischen Aufstands wie 
        zum Beispiel einer Revolution. Deshalb muss ein System entwickelt werden, 
        welches derartige Spannungen überwinden kann. Ein solches System 
        ist die Demokratie. Im Hinblick auf das Wesen und die Methode, sich diesem 
        Problem anzunähern, ist die Demokratie einmalig unter den Regierungsformen. 
        Hinsichtlich ihrer Ziele ist sie bis zu einem bestimmten Grad präventiv. 
        Sie verhindert, dass die Auseinandersetzungen zwischen den Interessen, 
        Gruppen und Individuen destruktiv werden. Aber sie ist in höherem 
        Maße Konstruktiv. Sie versucht den Interessen der Öffentlichkeit 
        zu dienen, indem sie die politischen Energien der unterschiedlichen Gruppen 
        zusammenführt. Die Demokratie bemüht sich, eine Beziehung zu 
        schaffen, in der die Politik schöpferisch und auch der Staat sensibel 
        werden kann. Das Ziel der Demokratie ist es, den Felsen beweglich und 
        die Kraft nicht unwiderstehlich zu machen. (Die demokratische Zivilisation, 
        S. 235) 
        Was ich hier unterstreichen will, ist der Gedanke, dass die Demokratie 
        in Zeiten, in denen die politische Atmosphäre durch gesellschaftliche 
        Spannungen, zeitweilige Gewaltanwendungen - Aufstände, Revolten - 
        erschüttert ist, wie ein wirkliches Heilmittel wirkt. Demokratie 
        kann extreme Schritte seitens verschiedener Interessen verhindern, aber 
        auch die berechtigten Anliegen durch staatliche Institutionen realisieren 
        lassen. Demokratie kann durch eine wunderbare Balance Spannungen und Auseinandersetzungen 
        überwinden. Sie besitzt die ideale Regierung, die dank produktiver 
        demokratischer Institutionen des Staates Lösungen anbieten kann, 
        ohne der Politik und den hinter ihr stehenden Kräften zu gestatten, 
        ihre Konflikte mit Gewalt auszutragen. Hier wird jedes Problem durch einen 
        Staat bzw. eine Regierung ausbalanciert, die durch die Demokratie sensibilisiert 
        wurde. Ohne zur Gewalt zu greifen, werden die Probleme so behandelt, dass 
        sie dem Allgemeinwohl auf bestmögliche Weise dienen. Die Auseinandersetzungen 
        und die hinter den Spannungen stehenden Kräfte, die in einem anderen 
        Regierungssystem zur Vernichtung und zu Massakern führen können, 
        werden hier verwandelt in einen Nutzen für die Allgemeinheit.  
        Hierin können wir die unendliche Kreativität der Demokratie 
        erkennen. Dies zeigt zugleich auch, woher die Überlegenheit der westlichen 
        Gesellschaften stammt. Diejenigen, die ihre destruktiven Energien nicht 
        in Produktivität umwandeln können, werden natürlich in 
        großem Maßstab verlieren; diejenigen, denen diese Umwandlung 
        gelingt, und das sind die demokratischen Mechanismen, werden gewinnen. 
         
        Die Verluste der Türkei waren während des letzten halben Jahrhunderts 
        riesig, weil es ihr nicht gelungen ist, die negativen Aspekte der politischen 
        Spannungen und der Gewalt zu transformieren und die Energien, die darin 
        enthalten waren, in etwas Nützliches für die Individuen und 
        Gruppen umzuwandeln. Sie hat nicht nur eine Generation verloren, sondern 
        auch unschätzbare Ressourcen und moralische Werte vergeudet. Es gab 
        unendliches Leid. Es ist unmöglich, dies nicht zu bedauern, wenn 
        man bedenkt, was man alles hätte gewinnen können, wenn man sich 
        auf das demokratische System geeinigt hätte in der Überzeugung, 
        dass man es auch handhaben kann und jeder seinen Teil der Verantwortung 
        trägt. Die Erfahrungen der vergangenen vierzig Jahre zeigen, dass 
        die demokratische Epoche, in der sich die Türkei befindet, auf eine 
        möglichst erfolgreiche Weise durchlaufen werden muss und einen einmaligen 
        und unverzichtbaren Weg zur Lösung darstellt. 
        Ich habe versucht, den Charakter der Türkischen Republik aufzuzeigen, 
        die historischen Bedingungen ihres Entstehens sowie ihre innere nationale 
        und gesellschaftliche Realität. Ich habe eine kurze Geschichte ihrer 
        Entwicklung abgehandelt und sie sogar mit dem internationalen demokratischen 
        System verglichen, weil ich einen Rahmen schaffen will für diesen 
        Gerichtsprozess und die kurdische Frage, oder wie immer man sie bezeichnen 
        will: als Süd-Ost-Frage oder als Terrorismus-Frage. 
        Der gemeinsame Kampf während der Periode der Republikgründung 
        hat sich in ein bitteres Problem verwandelt, als die Aufstände und 
        die ihnen zugrunde liegenden sozialen Fragen das Entstehen einer freiwilligen 
        Einheit verhinderten. Jeder Aufstand erschwert das Problem. Zusammen mit 
        den zurückliegenden geschichtlichen Gründen verwandelt sich 
        das Problem in eine Realität, die diejenigen verbrennt, die sich 
        ihr nähern, ja, in eine Realität der Wunden, der Tragik und 
        äußerster Schmerzen.  
        Während die Völker und Gruppen, die in verschiedenen Teilen 
        der Welt mit ähnlichen Problemen konfrontiert waren und sich Jahrhunderte 
        lang an die Gurgel gingen, die wundervolle Kraft zur Lösung ihrer 
        Probleme erlangten und fruchtbare Vereinigungen im Jahrhundert der Republik 
        hervorbrachten - wir haben schon die Schweiz als ein aufschlussreiches 
        Beispiel erwähnt - und ihre Sprachen und Religionen in die Gründung 
        ihrer Unabhängigkeit und Demokratie einbrachten, obwohl separatistische 
        Kräfte sie umgaben, wurde das hier nicht erreicht.  
        Warum konnten die Aufstände nicht verhindert werden - trotz der gemeinsamen 
        Geschichte und Religion und trotz linguistischer und kultureller Ähnlichkeiten? 
        Warum wurde dieser Aspekt nicht entwickelt, warum waren wir unfähig, 
        die Demokratische Republik, die als Regierung durch das Volk angesehen 
        werden muss, mit der Macht auszustatten, dieses Problem zu lösen? 
        Und was das Wichtigste ist: Wie können wir die Demokratische Republik 
        mit dieser Macht zukünftig ausstatten?  
        Angesichts der Erfahrungen anderer Nationen in der Welt ist eine demokratische 
        Lösung der Probleme nicht nur möglich, sondern wir sehen auch, 
        dass die sie begleitenden Bedingungen nahezu ideal sind. Die Tatsache 
        der Vermischung, des gemeinsamen Landes, der kulturellen Ähnlichkeiten, 
        die in Jahrhunderten der natürlichen Assimilation in Sprache und 
        Religion entstanden, und vor allem die Tatsache, unter dem Dach eines 
        Staates ständig zusammengelebt zu haben, zeigen, wie sich die objektiven 
        Bedingungen für eine demokratische Lösung entwickelt haben. 
         
        Es ist eine wissenschaftliche Tatsache, dass auch unter den bestehenden 
        Widersprüchen im Weltmaßstab diese beiden Seiten von einem 
        Typus sind, der einem Zusammensein am nächsten ist. Hier ist die 
        Vereinigung den objektiven Grundlagen ebenso gut angepasst wie der Separatismus 
        diesen Grundlagen widerspricht. Die Gründe dafür habe ich schon 
        in den betreffenden Abschnitten erwähnt. Auf der einen Seite ist 
        die anti-republikanische Haltung der traditionell herrschenden Schicht, 
        besonders in der überwiegend kurdischen Gesellschaft mit ihren Herrscherfamilien, 
        Großgrundbesitzern, Scheichs und Stammesführern, welche die 
        neue Ordnung für ihre Interessen nicht geeignet fanden und die gewohnt 
        waren, nach eigenem Ermessen zu entscheiden; sie konnten das Volk, das 
        sie selber seit Hunderten von Jahren durch feudale, religiöse und 
        Stammesbande an sich gebunden haben, leicht zum Aufstand mobilisieren; 
        auf der anderen Seite die Republik, die unfähig war, ihre demokratischen 
        Fundamente zu legen, was zweifellos die Konflikte in eine destruktive 
        und separatistische Richtung lenkte. 
        Ich versuche hier, anstelle von Anschuldigungen der einen Seite gegen 
        die andere den Sachverhalt wissenschaftlich zu analysieren. Es hat die 
        Probleme meines Erachtens vertieft, dass die beiden Parteien es nicht 
        geschafft haben, trotz günstiger Bedingungen die Brücke der 
        Demokratie brüderlich und freundschaftlich zu beschreiten: die eine 
        Seite aufgrund der natürlichen Sorge um die Verteidigung der gerade 
        gegründeten Republik, die andere Seite aufgrund ihrer seit Jahrhunderten 
        bestehenden unverzichtbaren Interessen. Extreme Gewalt, Angst, Bitterkeit 
        und Entfremdung entwickelten sich. Seitdem war es, als begänne die 
        Republik mit aller Kraft zu unterdrücken und zu verleugnen; und die 
        Kurden sagten: Ich existiere, aber ich flüchte und revoltiere. 
        So entstand die Tragödie und der bittere Zwist. Es hätte allerdings 
        nicht so weit kommen dürfen. Weil die natürliche Assimilation 
        seit mehreren Jahrhunderten die Türken und Kurden einander sehr nahe 
        brachte, waren Verleugnung und Zwang nicht notwendig. Es war übrigens 
        ganz natürlich, dass das Türkische sich als offizielle Sprache 
        entwickelte und akzeptiert wurde. Die Türken waren die Wurzel des 
        Prozesses, wie die Türkei zur Nation wurde; niemand konnte das leugnen, 
        und so war es natürlich. Da sie die Hauptkraft für die Gründung 
        des Staates waren, konnte das auch nicht anders sein. Dass jeder am Prozess 
        der Herausbildung der Nation teilnehmen konnte, ist die historische Bedeutung 
        des Ausspruchs Atatürks: Welch ein Glück, Türke zu 
        sein. Es war zuerst Atatürk, der dies über die Türken 
        sagte, die noch von den Osmanen etikettiert wurden als Türken 
        ohne Verstand. Genauso wie man, obwohl aus verschiedenen Nationen 
        stammend, in der gemeinsamen englischen Sprache sagt: Ich bin Amerikaner 
        und sogar in der Schweiz mit vier nationalen Sprachen und Kulturen sagt: 
        Ich bin Schweizer, so ist es auch nicht befremdlich, in der 
        Türkei von einer gemeinsamen Nation zu sprechen.  
        Hier soll die nationale Einheit nicht diskutiert werden, und es gibt auch 
        nichts darüber zu diskutieren. Das gleiche gilt in noch größerem 
        Maße für die Unteilbarkeit des Landes und des Staates. Obwohl 
        diese Tatsachen offensichtlich sind, wird über ihre Bedeutung vom 
        Standpunkt der Soziologie und der Politikwissenschaft nicht gründlich 
        diskutiert. Sie werden im Gegenteil für einen chauvinistischen und 
        extremen Nationalismus benutzt und in ein Problem verwandelt.  
        Obwohl Atatürks Nationalismus kein Nationalismus der Rasse und der 
        Herkunft ist, sondern auf einer nationalen Kultur beruht, die sich in 
        der Geschichte entwickelt hat, bereitet das Abweichen von diesem Nationalismus 
        den Boden für einen Nationalismus, der dem Atatürks entgegengesetzt 
        ist. Als dieser nationalistische Zug, der in den ersten Jahren der Republik 
        nicht sehr offen zu Tage trat, mit dem herrschenden Charakter der kurdischen 
        Gesellschaft zusammentraf, gewann natürlich der Separatismus mehr 
        an Einfluss.  
        Es wurde nicht daran gedacht, sich für eine demokratische Akzeptanz 
        im europäischen Stil zu entscheiden, um zu vermeiden, dass sich die 
        sprachlichen, kulturellen, religiösen und ethnischen Verschiedenheiten 
        zu Konflikten auswachsen, und diese Konflikte in Kräfte zu verwandeln, 
        die dem allgemeinen Wohl in einem demokratischen Schmelztiegel dienen. 
         
        In der Tat wurde die Demokratie gänzlich ad acta gelegt; und die 
        Klassenkonflikte, die nach den 50er-Jahren anwuchsen, führten zu 
        einer oligarchischen Struktur, die ein Hindernis für die Demokratie 
        war.  
        Als das demokratische System keine Chance hatte, die wachsenden klassenmäßigen, 
        sprachlichen, kulturellen und sogar religiösen Widersprüche 
        zu lösen, verwandelten sich die Probleme in den 70er-Jahren in Kämpfe. 
        Obwohl man leicht demokratische Lösungen hätte finden können, 
        und zwar sowohl für das kurdische als auch für andere Probleme, 
        verwandelten diese sich in ein Pulverfass - wegen der historischen Grundlagen 
        und wegen der weltweiten Konflikte der damaligen Zeit. 
        Bevor wir noch mit dem Staat, der Gesellschaft, der Geschichte vertraut 
        waren, fanden wir uns mitten in einem Aufstand im Namen der PKK wieder, 
        und zwar wegen unseres dogmatischen und ideologischen Ansatzes und unserer 
        utopischen Politik. Die seit Jahren schwelende Frage entzündete sich 
        von Neuem und wurde zu einer Rebellion. Keine Art von Gewalt kann sich 
        so weit entwickeln, wenn sie nicht eine soziale Basis hat. Jeder weiß 
        von der Begrenztheit des individuellen Terrorismus. In jedem Fall gibt 
        es keine gewalttätige Aktion ohne gesellschaftlichen Hintergrund. 
        Die ziellose Gewalt ist die gefährlichste Gewalt und sie ist ein 
        Verbrechen. Aber ein Konflikt, der sich über lange Zeit entwickelte, 
        bis er ein Krieg wurde, der zeitweilig Hunderte von Menschenleben an einem 
        Tag kostete und der Millionen von Menschen eine so lange Zeit in Mitleidenschaft 
        gezogen hat - ein solcher Konflikt kann nur aus einem Problem herrühren, 
        das tiefe soziale und historische Wurzeln hat. Die PKK kann dabei höchstens 
        die Rolle der Zündschnur spielen.  
        Ich will hier nicht nur die Art und Weise aufzeigen, wie das Problem entstanden 
        ist, sondern auch, wie es in anderen Teilen der Welt gelöst wurde, 
        und welche Gestalt es in der Türkei unter dem Einfluss der PKK und 
        meiner Führung angenommen hat. Wegen ihrer historischen Bedeutung 
        musste ich mich mit jenen Aspekten befassen, welche die Herren Staatsanwälte 
        in ihren Anklageschriften gar nicht erwähnt haben. Vom Standpunkt 
        der Legalität ist der Status der PKK eindeutig; aber wenn wir die 
        historische und soziale Dimension der Probleme nicht betonen und wenn 
        wir keinen Vergleich ziehen, wie dieses Problem in anderen Teilen der 
        Welt gelöst wurde, wäre dieser Prozess verschwendete Zeit. Ein 
        historischer Prozess sollte zu einer historischen Lösung führen. 
        Das ist, was die Türkei leidenschaftlich von uns fordert. Wird die 
        Republik es diesmal schaffen, ihre Fähigkeit zu einer demokratischen 
        Lösung unter Beweis zu stellen, eine solche Lösung zu schaffen? 
        Jeder stellt diese Frage. Wird dies der letzte Aufstand sein, wirklich 
        der letzte Aufstand, in welchem wir die Probleme durch die Kraft und Kreativität 
        des historischen, demokratischen Kompromisses lösen, an den ich glaube? 
        So wird gefragt. 
        Auch wenn ich mich wiederhole und meine Ausführungen in die Länge 
        ziehe: Es ist wichtig, das Problem mit ähnlichen Problemen in der 
        Welt zu vergleichen und seinen Zusammenhang mit der Geschichte und der 
        Gesellschaft zu beschreiben. Ich habe diesen Zusammenhang im Prozess mutig 
        zur Sprache gebracht, weil diese Republik und ihr sich entwickelnder Charakter 
        das notwendig gemacht haben und weil wir eine richtige Einschätzung 
        brauchen, sodass wir uns versöhnen können. Und weil ich aufzeigen 
        wollte, dass wir - wissenschaftlich betrachtet - keine andere Option haben 
        oder benötigen.  
        Ich gehe von diesem Standpunkt aus, wenn ich die folgenden Fragen beantworte: 
         
        Weil es der Hauptvorwurf der Anklage ist und das Programm der PKK und 
        viele meiner Aussagen dies zum Inhalt haben: Ist ein separater Staat notwendig? 
        Ist er möglich? Wird dies durch Wort und Tat bestätigt? Welchen 
        Beweis hat das Leben erbracht? Ist eine Abspaltung genauso möglich 
        wie eine aufgezwungene Einheit? Können sie zu einer Lösung führen? 
        Und wenn nicht, wird es diesmal eine historische Chance für eine 
        demokratische Lösung geben, die auf einem gemeinsamen Land und einem 
        gemeinsamen Staat beruht? 
       
      
       
      *siehe 
        auch das Kapitel Das Beharren auf bewaffnetem Kampf und Ausweglosigkeit 
        bedeutet, das nächste Jahrhundert zu verlieren in: Antwort 
        auf das Schlussplädoyer des Generalstaatsanwaltes 
        **Demokratische Partei (siehe Glossar)  
        ***eine Art Beistandspakt (siehe Glossar) 
        ****Nationaler Sicherheitsrat der Türkischen Republik 
     |