Die kurdische Frage ist keine Frage der Loslösung, sondern eine Frage der demokratischen Einheit mit der RepublikDie Geschichte des kurdischen Problems, die wir nachgezeichnet haben, und die soziale Realität, auf der es beruht, zeigen, dass die Kurden die gemeinsame Heimat und den daraus resultierenden Staat geschwisterlich respektiert haben. Das war so, obwohl die Türken einen höheren Entwicklungsstand hatten und die Führung bei ihnen lag. Diejenigen, die dagegen rebellierten, hatten weniger das Ziel im Auge, einen eigenständigen Staat zu errichten, als vielmehr enge lokale Interessen. Sie waren unfähig, über den Rahmen familiärer und Stammesstrukturen hinauszugehen, die von den herrschenden Eliten geprägt waren. Ein bestimmter Teil war von Anfang an kompromissbereit. Tatsächlich fehlten dem kurdischen Nationalismus in der Praxis die Zielbestimmung, die Kraft und die notwendige Vorbereitung, auch wenn in Reden die Unabhängigkeit propagiert wurde. In diesem Sinne war der kurdische Nationalismus von Anfang an historisch zum Scheitern verurteilt. Man gab sich verbal separatistisch, aber letztlich musste das Volk die Angriffe des Staates aushalten. Diese Situation produzierte eine verwundete, kranke gesellschaftliche Struktur. Das wiederum brachte Zweifel mit sich, Unsicherheit, Angst, Sorge, Unwissenheit und zunehmende ökonomisch-gesellschaftliche Rückständigkeit. Weil der Staat sich daran gewöhnt hatte, die Kurden immer als revoltierende Masse zu betrachten, entwickelte sich die kurdische Gesellschaft vom Charakter her zu einer Exilgesellschaft. Es war so, als versuchte jeder sich von dort zu retten. Die Psychologie des permanenten Aufstandes ist Ausdruck dieser gesellschaftlichen Realität. Aus dieser gesellschaftlichen Struktur heraus kann sich kein Staat entwickeln. Dafür sind weder die gedankliche, geografische noch die ökonomische Ebene vorhanden. Analysiert man wissenschaftlich die Frage nach dem Verhältnis zwischen Kurden und Staat, dann stellt sich heraus, dass die demokratische Lösung von allen Bedingungen die beste und günstigste ist. Betrachten wir in diesem Zusammenhang die verschiedenen Möglichkeiten, so können wir Folgendes feststellen: A) Die Gründung eines eigenständigen Staates, sowohl im materiellen Sinne als auch im Sinne der Nützlichkeit, kann kein Weg zur Lösung sein. Obwohl er beansprucht wurde, hatte er von allen Alternativen den geringsten praktischen Wert. Selbst wenn er errichtet worden wäre, würde er weder von den Nachbarländern noch international anerkannt werden. Abgesehen davon würde ein solcher Staat eine Wirtschaft benötigen, eine Sprache, gesellschaftliche Einheit, eine Verteidigung, um unabhängig bestehen zu können. Es würde von selbst herauskommen, dass ein solcher Staat keine Voraussetzungen hätte, auch nur einen Tag lang zu bestehen. Dass trotz der Unterstützung von außen im Nord-Irak keine kurdische Autonomie errichtet werden kann, hat auch etwas mit der inneren Struktur der kurdischen Gesellschaft zu tun. Aus kurdischer Sicht kann in diesem Zusammenhang ein eigenständiger Staat nichts weiter als eine ideologische Aussage bedeuten. Auch im Programm der PKK wird dies ideologisch erwähnt. Dennoch: Die Praxis und die Geschichte haben uns die Realität der Einheit bewiesen. Das Wesen der Sache allerdings besteht darin, wie diese Einheit aussehen soll. B)
Die zweite Alternative, wie z.B. eine Föderation, Autonomie u.ä.
könnten von ihrem Charakter her teilweise realisierbar sein. Auch
historisch gesehen können der Feudalismus und die existierende Stammesordnung
in den kurdischen Gebieten dafür eine Basis bilden. Was besonders
in den staatlichen Strukturen existiert, in denen die Demokratie fehlt
und die früher stark feudal geprägt waren, ist vielmehr die
ethnisch-stammesmäßige Autonomie. Diese weist weder nationalen
Charakter auf, noch hat sie im engen Kreis des Stammes Geltung. Die an
den Unterschied zwischen der Region Behdinan und der Region Soran angelehnten
Autonomiestrukturen der Kurden im Süden können sich selbst heutzutage
nicht vollständig entwickeln. Der Hauptgrund dafür ist wiederum
die Stärke des Feudalismus. Auch in der Zeit des Osmanischen Reiches
lebten die Kurden verstärkt in Strukturen feudaler Autonomie. Die
Aufstände entstanden genau in der Zeit, als die feudalistischen Autonomien
gefährdet waren. In diesem Sinne ist es schwer zu behaupten, bei
den Aufständen habe es sich um Volksbewegungen gehandelt, die sich
auf den freien Willen des Volkes stützten. Die gesellschaftliche
Struktur und Anschauungsweise ließen eine solche Entwicklung nicht
zu, denn die Ideologien der Dynastien und die Interessen der Stämme
standen über allem. In diesem Sinne können auch heute Autonomie
und ein föderatives System, die theoretisch diskutiert werden, keine
Entwicklung demokratischer Werte ermöglichen, da sie von dieser rückständigen
gesellschaftlichen Struktur abhängig wären. Im Gegenteil: Solche
Strukturen könnten lediglich die feudalistisch-tribalistischen Überreste
verstärken. Die Praxis der Südkurden beweist das. Außerdem
neigen diese Formen zu Kollaboration und dazu, sich von denjenigen Kräften
instrumentalisieren zu lassen, deren Ziel Ausbeutung ist und die dazu
auch in der Lage sind. Da diese Alternativen nicht demokratisch entstehen,
bilden sie den Nährboden sowohl für klassische Aufstände
als auch für Zerstörungen. Aus diesem Grunde ist es sehr nützlich,
sich diesen viel diskutierten und auch erprobten Lösungsformen kritisch
zu nähern. C)
Die dritte Alternative ist die demokratische Lösung. Diese Herangehensweise
wurde bis heute kaum offen zur Sprache gebracht und auch nicht mitsamt
ihrer theoretischen wie praktischen Seite diskutiert, obwohl sie für
sehr wichtige Probleme in der Welt einen Weg zur Lösung bot. Dass
sie in der Türkei nicht auf der Tagesordnung steht, ist nicht nur
ein großes Unglück, sondern auch das Ergebnis davon, dass die
Demokratie in der Türkei nicht konsequent und ernsthaft entwickelt
werden konnte. In Wirklichkeit aber wäre es möglich gewesen,
eine ideale Herangehensweise zur Lösung der kurdischen Frage zu finden,
und zwar sowohl bezüglich der demokratischen Theorie als auch in
ihrer reichen Praxis. Damit hätte man der idealen Lösung nahekommen
können. Die Gründung der Republik, welche dafür eine historische
Grundlage bot, und auch die Rede von Atatürk, die er auf der Pressekonferenz
in Izmit hielt, machten klar, dass es notwendig war, eine Lösung
in dieser Richtung zu suchen. |