1.
Die Lösung wird die Einheit des Landes, die Realität eines gemeinsamen
Heimatlandes verstärken.
Die
Generalstaatsanwaltschaft behauptet in ihrer Anklageschrift, ich beabsichtige,
einen Staat Kurdistan gründen zu wollen. Dafür zitiert sie aus
unserem Programm und aus meinen Reden. Es ist richtig, dass jedes Prinzip
und Programm durch das Leben und den Kampf geprüft wird und dadurch
seine Lebensfähigkeit beweist. Schon viele andere Bewegungen in der
Welt, die zunächst ähnliche Thesen vertraten, haben sich geändert,
nachdem sie erkannt haben, dass der praktische Weg anders verläuft.
Während durch Zwang entstandene Zusammenschlüsse sich auflösten,
vereinigten sich künstlich getrennte Einheiten. Während sich
das riesige Sowjetsystem nach siebzig Jahren auflöste, entstanden
oder erweiterten sich weltweit viele neue Zusammenschlüsse, allen
voran die Europäische Union. Ich möchte Folgendes betonen: Mit
der Forderung nach Loslösung, ja auch mit deren Verwirklichung erreicht
man nicht unbedingt das gewünschte Ziel. Wenn die Einheit nützlich
ist, wird sie in letzter Instanz Bestand haben.
Die Türken und Kurden kämpften unter dem Nationalpakt Misak-i
Milli für das gemeinsame Heimatland und akzeptieren ihn als
gemeinsamen Eid. Auch wenn er noch nicht vollständig realisiert ist,
bleibt er ein gemeinsamer Eid. Das ist dokumentiert und kann nicht geleugnet
werden. Das ist der Grund, warum die geografische Region, in der die Kurden
konzentriert leben, seit der Zeit des Großseldschuken-Sultans Sancar
über viele osmanische Sultane und zuletzt von Mustafa Kemal Atatürk
persönlich anerkannt wurde. Deshalb kann das Wort Kurdistan
keine Straftat darstellen. Der Wunsch, in der Region frei und unabhängig
leben zu wollen, bedeutet nicht die Spaltung. Der letzte Teil der Anklage
endet mit einem solchen Zitat. Das ist auch für mich der wesentliche
Punkt.
Wenn man meine Praxis genau analysiert, wird man Folgendes ganz deutlich
erkennen, was auch mit Bänden voller Dokumente bewiesen ist. Die
bedeutungsvollste Freiheit und Unabhängigkeit für eine Region,
auch wenn sie Kurdistan heißt, ist nur innerhalb der Grenzen des
Misak-i Milli der Türkei möglich. Dies wissenschaftlich
nachzuweisen, ist nicht schwer. Ein abgetrenntes Kurdistan wird nicht
lebensfähig sein. Es wird entweder zur Marionette einer anderen Macht
werden oder zum Werkzeug von Kollaborateuren. Ein losgelöstes Kurdistan
kann nicht ein Kurdistan des Volkes sein, sondern nur Fremden und Kollaborateuren
gehören. Es wäre vor allem eine Illusion und erneut Spielball
eigensüchtiger Machtinteressen. Die Geschichte macht deutlich, wie
solche Interessen die Aufstände manipulieren. Für solche Katastrophen
musste das Volk bezahlen. Auch in unserem Aufstand haben wir das erlebt.
Damit möchte ich Folgendes sagen: Mein Kampf hat mich gelehrt, dass
wir nur gemeinsam mit der Türkei unser Ziel erreichen. Ich habe mein
Bestes gegeben, um diesen Geist in der PKK und der ganzen Organisation
zu verankern. Es ist nicht schwer, dies zu sehen. Die freie Entscheidung
zur Einheit - das ist ein Begriff, den jeder Freund von uns verinnerlicht
hat. Andererseits zeigt das am besten die historische, gesellschaftliche,
geografische, sprachliche und kulturelle Verbundenheit. Da ich dies in
getrennten Punkten behandeln werde, werde ich hier nicht weiter darauf
eingehen.
Wenn auch der größte Teil des kurdischen Volkes, nämlich
bis zu siebzig Prozent, in der Türkei lebt, werden die Kurden in
den anderen Teilen und Gebieten, und damit auch die mit ihnen zusammenlebenden
Turkmenen, gemäß dem Nationalpakt Misak-i Milli
zur Türkei gezählt. Wer die jüngste Geschichte kennt, weiß,
dass eine Trennung wie in den 20er-Jahren nur den Verlust der Heimat bedeutet.
Die Trennung der Kurden und Türken wie in der damaligen Zeit würde
heute bedeuten, dass sie entweder geschluckt oder in kleinen Minderheiten
existieren würden. Das gemeinsame Handeln und die Rolle Atatürks
als Gründer haben für die Verwirklichung des gegenwärtigen
Heimatlandes die Grundlage geschaffen. Dafür sind wir immer dankbar.
Darüber zu diskutieren, ist respektlos gegenüber der Geschichte.
Gleichzeitig hieße es, sich selbst nicht zu kennen. Abgesehen davon
ist die gemeinsame Geografie in unserer Gegenwart die treibende Kraft.
Der wissenschaftlich-technische Fortschritt unserer Zeit erfordert es,
über die engen ethnischen Unterschiede hinauszugehen und sinnvolle
Einheiten zu formen, die über den Nationen stehen. In diesem Licht
können wir, die wir in unserem Heimatland geboren sind, wirkliche
Freiheit erkennen. Denn die freiwillige Vereinigung bedeutet Reichtum,
Vielfarbigkeit und Stärke. Selbst wenn man uns die Loslösung
aufzwingen würde, könnten wir sie nicht akzeptieren. Nachdem
unser Programm gegen die Zwangseinheit protestierte, durchlief es in den
90er-Jahren Veränderungen, denn die Lösung verlangte die Einheit
aus freiem Willen, was eine natürliche Lehre des Lebens war und eine
Schlussfolgerung aus den weltweiten Ereignissen.
Sich das bewusst zu machen, sich zu der Entscheidung durchzuringen, dass
eine freie, demokratische Einheit die richtige Art ist, um in der Gesamtheit
des Heimatlandes leben zu können, ist der gesündeste Patriotismus.
Der größte Wert dieses letzten Aufstands für die Kurden,
sogar für die Türken und alle anderen Einwohner der Türkei
besteht in der Einsicht, dass nur der ein bewusster Patriot sein kann,
der frei ist. Die Kurden sind stärker als je zuvor für ein freies,
einheitliches Vaterland. Freiheit ist das stärkste Merkmal eines
einheitlichen Heimatlandes. Das hat uns dieser Aufstand gelehrt. Wenn
er auch mit Schmerzen und großen Verlusten verbunden war, so war
er doch ein historischer Gewinn. In einem bewusst verteidigten freien
Heimatland werden Aufstände keinen Platz mehr haben. Nur so ist eine
unzerstörbare Einheit und ein einflussreiches Heimatland möglich.
Nur, wenn das Individuum sich frei fühlt, kann der Begriff Staatsbürgerschaft
in der Verfassung an Wert gewinnen. Das Individuum im Osten der Türkei
kann mehr denn je zuvor die Bedeutung der verfassungsmäßigen
Staatsbürgerschaft spüren. So verstehen wir den freien Staat,
die Einheit des Landes und den Patriotismus. So kann die Einheit des Landes
wachsen und sich verstärken. Unser Kampf, der mit dem Ziel der Abspaltung
begann, hat uns gelehrt, was die starke Einheit des Landes bedeutet. Ein
freies vereintes Vaterland ist heilig und darf nicht in Frage gestellt
werden.
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