2.
Im Rahmen der politischen Einheit, der Freiheit und der Demokratischen
Republik wird es eine Lösung geben.
Wenn
auch in der Anklageschrift von der Spaltung der Republik gesprochen wird
und entsprechende Beweismittel aus dem Programm und Passagen aus meinen
Reden vorgelegt werden, haben doch die Geschichte, die Kämpfe der
Völker der Welt und insbesondere unsere Kämpfe uns gelehrt,
was wir seit längerer Zeit anerkannt haben, nämlich: dass bei
einem demokratischen Charakter der Republik die Einheit der mögliche,
praktische und richtige Weg zur Lösung ist.
Historisch gesehen ist aufgezeigt worden, dass so, wie sich das gesellschaftliche
Bewusstsein mit dem Verständnis eines gemeinsamen Staates intensivierte,
auch die Tatsache, dass die Republik gemeinsam gegründet wurde und
selbst den Aufständen keine grundlegende Trennungsabsicht zugrunde
lag, eng mit den Interessen der herrschenden Klassen zusammenhing.
Die bornierten Interessen der herrschenden Gruppen und Klassen haben das
Problem ständig verschärft. Der von oligarchischem Denken geprägte
Weg hat in die Sackgasse geführt, anstatt die Demokratisierung voranzutreiben.
Die gegenwärtigen Geburtswehen der Demokratisierung sind eng mit
dieser Realität verbunden. Anstatt in der Demokratisierung des Staatscharakters
die Hauptaufgabe zu sehen, indem wirklich demokratisiert und die entsprechend
notwendigen Veränderungen der Verfassung vorangetrieben wurden, scheute
man davor zurück. Alle Unterdrückungsmethoden wurden geduldet.
Man zog es vor, Marktanteile, Interessen und Renditen zu erjagen. So wurde
die gegenwärtige Situation geschaffen. Die Schlussfolgerung kann
nur darin bestehen, dass die Republik demokratisiert werden muss. In der
ganzen Welt werden für ähnlich schwerwiegende Probleme Antworten
gesucht, indem die demokratischen Werte ständig weiterentwickelt
und Wege und Institutionen dafür geschaffen werden.
Obwohl in den Strukturen der Türkei solche Institutionen und Verfassungsprinzipien
für die Demokratisierung angelegt sind, konnte diese nicht entwickelt
werden. Die Herangehensweisen, die möglicherweise für eine bestimmte
Periode sinnvoll waren, wurden ohne Sinn weiter angewandt. Obwohl selbst
das Militär mehrfach erklärte, dass man über die bereits
angewandten militärischen Methoden und Wege nicht hinausgehen könne,
fehlte es an der notwendigen politischen und demokratischen Orientierung.
Es ist deutlich, dass die gegenwärtige Republik Türkei in Richtung
Demokratisierung eine beträchtliche Strecke hinter sich gebracht
hat, wenn auch noch nicht im gewünschten Maße. Die grundlegenden
Menschenrechte und Freiheiten sind weitgehend in der Verfassung verankert.
Es mangelt aber an der Umsetzung. Darüber hinaus gibt es ein großes
Bedürfnis nach umfassender Veränderung, die von allen Gesellschaftsschichten
gefordert wird. Die Republik erlebt sowohl prinzipiell als auch auf gesellschaftlicher
Basis eine große demokratische Aktivierung.
Das Problem, das wir mit dem Krieg erleben, ist ohne Zweifel sowohl die
Ursache dieser Entwicklung als auch ihr Ergebnis. Es ist Ausdruck für
die Suche nach einer Lösung mit Hilfe dieser historischen Aktivierung.
Es ist klar, dass Lösungsformen, die eine andere politische Einheit
anstreben, keinen praktischen Wert haben werden und dass, ebenso wie ein
separater Staat, selbst eine föderative Lösung in Anbetracht
der existenten Realität das Problem ständig verschärfen
würde. Sowohl wissenschaftlich als auch durch die starke Verflechtung
von historischen, geografischen und gesellschaftlichen Besonderheiten
wird im Weltmaßstab die ideale Lösung auf demokratische Art
gesehen und herbeigeführt. Das fängt an bei großen Staaten
wie den USA und Indien und geht bis zu den kleinen Staaten wie der Schweiz.
Innerhalb der Einheit eines Staates ist eine demokratische Art, eine demokratische
Lösung auszumachen, auch wenn dessen Struktur sehr kompliziert ist.
Dass die Türkei so etwas nicht probiert, nicht einmal darüber
nachgedacht hat, ist eine bittere Wahrheit. In der konkreten Situation
der Türkei gibt es Möglichkeiten, die einer idealen Lösung
recht nahekommen. Veränderungen oder auch nur ein konsequentes und
couragiertes politisches Verhalten könnten zu einer Lösung auf
hohem Niveau beitragen. Der kurdische Faktor als konstitutiver Bestandteil
der Republik bietet für die verfassungsmäßige Staatsbürgerschaft
eine stabile politische Grundlage. Infolge der Aufstände existiert
bei der Regierung Verfolgungswahn bezüglich der kurdischen Absichten,
sind rückständiges Verhalten und Einschränkungen der Menschenrechte
anzutreffen, die im Widerspruch zur Verfassung stehen. Die Überwindung
dieser Ängste wird bei der Suche nach Lösungen helfen und zumindest
wird so die Basis für die Rechte des kurdischen Volkes geschaffen.
Die historische Grundlage der Republik und ihr verfassungsmäßiger
Ausdruck sind für eine demokratische Lösung besser geeignet,
als man denkt. Es sind die psychologische Dimension und die Rückständigkeit,
es sind das primitive nationalistische Verständnis und die Leugnung
der kurdischen Identität durch den chauvinistischen Nationalismus
der herrschenden Nation, die eine Lösung bisher verhindert haben.
Sobald diese Einstellungen und Methoden überwunden sind, welche die
Entwicklung der Demokratie bisher blockiert haben, wird man erkennen,
dass in Wirklichkeit das Wesen der Lösung nicht politischer Natur
ist, sondern die sprachliche und kulturelle Freiheit umfasst.
Denn die vorhandenen ideellen und institutionellen Ausdrucksmöglichkeiten
für jede Art von Politik gelten für jede Person, für jede
gesellschaftliche Schicht und sind trotz aller Mängel demokratisch.
Es ist eine Frage der Erziehung, dass man lernt, den Nutzen aus den demokratischen
Prinzipien zu ziehen. Durch die aktive Beteiligung an den lokalen Verwaltungen
und die Einbeziehung des Volkes in die allgemeine Politik kann die Lösung
der Probleme gefunden werden. So z.B. durch neue Gesetze, wie ein Gesetz
über lokale Verwaltung, das auf die Tagesordnung gesetzt wird. Unter
diesem Aspekt wird deutlich, was unsere Aussage bedeutet, dass das Problem
nicht politischer, sondern demokratischer Natur ist. Während sich
aus der Sicht des Staates die Lage so darstellt, sind wir bei der Erörterung
der demokratischen Dimension des Problems zusätzlich mit den schwierigen
feudalen Bedingungen konfrontiert, unter denen die Bevölkerung in
der Region lebt.
Die ethnisch bedingte Feudalstruktur, die religiös-politische Organisierung
und Reste des Feudalsystems behindern die Demokratisierung am meisten.
Die nicht demokratische Oberschicht, die von Anfang an diese Strukturen
verstärkte, indem sie sich mit dem Staat verband, behindert die Entwicklung
des Volkes zu einer Gesellschaft von freien Individuen besonders stark.
Ohne die Überwindung dieser Strukturen kann weder ein freies Individuum
noch eine freie Gesellschaft entstehen. Darum konnten die verfassungsmäßige
Staatsbürgerschaft und die aktive Teilnahme am Staat nicht verwirklicht
werden. Diese Schichten, die den Namen der Demokratie nur im Munde führen,
bilden das größte Hindernis für die Demokratie. Da der
letzte Aufstand den Einfluss dieser Strukturen weitgehend zerstört
hat, hatte er schon aus diesem Grund den Wert einer demokratischen Revolution.
Entwicklungen in Richtung eines freien Individuums und der Gesellschaft
sind sichtbar. Die Beteiligung des Volkes an Kommunalverwaltungen in Gestalt
der HADEP-Partei muss als wichtige demokratische Entwicklung gewertet
werden. Selbst diese kurze Beschreibung beweist, dass die Praxis die meisten
Chancen für die demokratische Lösung des Problems bietet. Wenn
wir sagen, dass die Lösung des Problems, das nicht ein politisches
ist, nicht in separaten politischen Einheiten, sondern in der demokratischen
Einheit des Staates mit der Bevölkerung der Region liegt, ist das
realistisch und lösungsorientiert.
Der Staat hat bewiesen, dass er in der Lage ist, Schritte nach vorne zu
machen.
Seit den 90er-Jahren vermied er Verbote bezüglich der kulturellen
Identität der Bevölkerung in der Region. Er sah ein, dass die
fürsorgliche Annäherung mehr bewirkt als Einschüchterung.
Angefangen mit dem GAP-Projekt zeigte er sich entschlossen, die ökonomische
und soziale Rückständigkeit zu bekämpfen. Eine ähnliche
Herangehensweise lässt sich beim Volk erkennen und zeigt, dass die
demokratische Lösung an Geschwindigkeit gewinnt und dass sie der
einzig gangbare Weg ist.
Die Schlussfolgerung der These ist: Das Wesen des Problems besteht in
der anhaltenden Spannung zwischen dem Staat, der unbeweglich wie ein Fels
ist, und dem politischen Aufstand, der wie die Meeresbrandung versucht,
den Felsen auszuhöhlen. Die ideale Staatsform, welche die Lösung
hierfür sein wird, ist die Demokratie. In der Türkei wurden
bezüglich des Problems bisher nicht die demokratischen Regeln erprobt.
Wenn sie angewendet werden würden, würde der Staat sensibler
werden. Die Aufstandswelle könnte gleichzeitig in eine Richtung gelenkt
werden, die nicht zerstörerisch ist, sondern vielmehr eine produktive
Kraft wird, die innerhalb der staatlichen Institutionen der Öffentlichkeit
dient. Hierin liegen das unvergleichlich Schöpferische der Demokratie
sowie ihre Führungskraft. Es ist historisch erwiesen, dass große
Starrköpfigkeit und anhaltende Zerstörung keinen Gewinn, sondern
nur Schaden bringen. Die Verbindung der sich entwickelnden Sensibilität
der Republik mit dem sich befreienden Willen des Volkes steht bereits
auf der Tagesordnung. Die Demokratisierung wird ungeachtet aller Hindernisse
eine Lösung herbeiführen, die dieser historischen Etappe angemessen
ist.
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