4.
Die militärische Methode hat ihre Bedeutung für eine Lösung
verloren. Man muss sich von ihr verabschieden.
Die
historischen Erfahrungen zeigen, dass bei vielen ähnlich gelagerten
Problemen in der Gegenwart die Anwendung von Gewalt eine Lösung erschwert.
Wenn auch im Allgemeinen die ersten Gewaltausbrüche die Funktion
haben, die Probleme aufzudecken, so bringen sie doch großes Leid
und große Verluste mit sich, wenn sie sich über längere
Zeit erstrecken. Eine Verständigung wird schließlich unumgänglich.
Die jüngsten Beispiele von Bosnien und Kosovo beweisen ebenso wie
frühere Beispiele aus Tschetschenien, Palästina und El Salvador,
dass man so schnell wie möglich die Gewalt beenden muss, um mit Friedensverhandlungen
zu einer Lösung zu kommen. Das ist der klare Beweis, dass dies der
zeitgemäße Weg ist. Wenn auch der letzte Aufstand unter der
Führung der PKK besondere Charakteristika aufweist, so wäre
es für die PKK zu Beginn der 90er-Jahre historisch der richtige Weg
gewesen, auf der Grundlage der Demokratischen Republik durch Friedensgespräche
zu einem Ergebnis zu kommen. Wenn der Versuch des Waffenstillstandes von
1993 mit Verhandlungen geendet hätte, wäre das die historische
Wende gewesen. Die dann folgende Eskalation der Gewalt auf beiden Seiten
war eine Wiederholung und verursachte jene Ereignisse, die auf beiden
Seiten immer wieder zur Verletzung der Kriegsregeln führte.
In seiner Anklageschrift führt der Generalstaatsanwalt an diesem
Punkt den Vorfall bezüglich der 33 unbewaffneten Soldaten und den
Tod von Zivilisten an. Wenn er die Ursachen für die Entvölkerung
der über 3000 Dörfer und für die Tausenden von Morden durch
unbekannte Täter mindestens ebenso benennen würde
wie im offiziellen Susurluk-Bericht, könnte objektiv erklärt
werden, warum die Auseinandersetzungen die Dimension eines Krieges annahmen.
Die Bilanz von fünfzehn Jahren ist Ausdruck eines mittelgroßen
Krieges, der mit Begriffen wie Aktionen nicht wirklich erläutert
werden kann. Die Verletzung der Regeln eines Krieges ist zu verurteilen.
Das haben wir ständig getan. Aber vergleichbare Vorfälle an
ähnlichen Schauplätzen der Welt waren noch erbarmungsloser.
In diesen Jahren sind in vielen Landkreisen Hunderte von Zivilisten gestorben.
Das müssen wir immer verurteilen; beide Seiten müssen sich bemühen,
Aktivitäten zu vermeiden, die mit den Mindestregeln der Kriegführung
unvereinbar sind.
Noch wichtiger ist aber, dass dieser letzte Widerstand wirklich eine historische
Etappe einleiten kann. Alle gesellschaftlichen Schichten bis hin zu internationalen
Kräften und selbst die beteiligten Kampfparteien erachten es als
dringend notwendig, die Kämpfe einzustellen. Die Lösung aller
Probleme in demokratischem Maßstab wird nun innerhalb der Strukturen
einer reifenden Demokratischen Republik möglich sein. Die kriegerischen
Methoden werden nun, da jeder die notwendigen Lehren daraus gezogen hat,
nicht mehr beachtet und sie werden auch nicht weiter für notwendig
gehalten. Auch die Probleme des Ostens sind nicht die Probleme eines klassischen
Aufstandes. Sie wurden zur Ursache und zum Resultat der Demokratisierung.
Der Aufstand der PKK hat das in gewissem Sinne bewiesen. Die Ergebnisse
der letzten Wahlen haben gezeigt, dass die Bevölkerung der Region
erfolgreich die demokratische Prüfung absolviert hat. So wie mit
Gewalt das Ziel nicht mehr zu erreichen ist, ist von einer wichtigen neuen
Etappe auszugehen, die sich auf eine demokratische Grundlage bezieht.
Also sagen wir, dass die Gewalt nunmehr überflüssig ist. Sie
vertieft nur die Ausweglosigkeit, vermehrt die Zerstörungen und vergrößert
das Leid. Sie soll so schnell wie möglich beendet werden, da man
immer zu der gleichen Schlussfolgerung gelangen wird.
Der praktische Weg in dieser Sache ist der Waffenstillstand, an dem die
PKK einseitig weiter festhält und den sie noch verantwortungsvoller
und sicherer weiterentwickeln wird. Doch es ist lebensnotwendig, dass
der Staat seinerseits wichtige Schritte unternimmt, um eine Etappe zu
erreichen, die es ermöglicht, dass die Waffen für immer schweigen.
Wenn sich der Staat und die Gesellschaft den demokratischen Maßstäben
weiter annähern und sie, wie in den ersten Thesen dargelegt, Methoden
mit dem Schwerpunkt der kulturellen und der Sprachfreiheit anwenden, dann
wird man tatsächlich zu einer neuen historischen Etappe gelangen.
Nachdem das Volk der Region den Staat durch demokratischen Willensentscheid
anerkannt und sich mit ihm vereinigt hat, werden Angst und Sorge verschwinden.
Die Phase der Entfremdung vom Staat wird beendet. Die Identifizierung
mit dem Staat wird entwickelt; sie entzieht den Aufständen und Kämpfen
den Boden. Wenn die konstitutive Mitgliedschaft in der Republik und die
verfassungsmäßige Staatsbürgerschaft sich mit der Meinungsfreiheit
verbinden, geht das Problem den entscheidenden Schritt voran zu seiner
Lösung. Der Rest ist dann planmäßige ökonomische
und soziale Arbeit, welche z.B. mit dem GAP-Projekt schon in Angriff genommen
wurde.
Der historische Konsens einer Demokratischen Republik, Frieden und Völkerverständigung
verwirklichen sich mit Sicherheit auf diese Art und Weise in der sinnvollsten
Form. Mit dieser Lösung wird den Aufständen der materielle Boden
entzogen. Es wird die Phase der starken, Demokratischen Republik beginnen,
in der es nicht mehr um Trennung geht, sondern um die Einigung und die
gemeinsame Stärke. Keine ausländische Kraft wird es schaffen,
das Land zu spalten. Die demokratische Einheit mit der Republik bedeutet
das vollständige Ende der Aufstandsphasen sowie die Entwicklung und
Stärkung in andauerndem Frieden.
|