Anwaltsbesuch
bei Öcalan möglich
Am 15.12. fand zum ersten Mal seit zwei Wochen wieder ein Gespräch
Öcalans mit seinen Anwälten Kaya, Yildiz und Erbas statt. Aus
den ersten Pressemeldungen ist noch nicht ersichtlich, ob und wie sich
Öcalan zu einem möglichen Aufruf an die HPG zu einer Feuerpause
nach dem 17.12. geäußert hat. Am 1.12. hatte er die EU aufgefordert,
sich deutlich für einen beidseitigen Waffenstillstand auszusprechen,
um einen derartigen Schritt zu ermöglichen.
Öcalan betonte erneut die Bedeutung der neuen Bewegung für die
Demokratisierung der Türkei: "Ich betrachte die Geschichte der
Republik in drei Abschnitten. Der erste reicht bis in die 1950er Jahre.
Das ist die autoritäre Phase. Von den 50ern bis heute ist die Phase
des Verfalls und der Ausbreitung der Oligarchie, jetzt aber beginnt die
Zeit der Demokratisierung. Bis jetzt hat sich noch keine politische Partei
oder Bewegung ausreichend auf diese Phase eingestellt, auch nicht die
AKP-Regierung. Ich halte ihre Beteuerungen gegen ethnische, religiöse
und regionale Diskriminierung nicht für aufrichtig. In ihrer Partei
gibt es Kräfte, die derartige Diskriminierungen vorantreiben. Auch
daher fand ich eine Neugründung einer politischen Kraft notwendig.
Darin kann es Differenzen und Unterschiedlichkeiten geben, aber für
die Demokratisierung sollten alle an einem Strang ziehen."
Während in der Türkei Stimmen laut werden, die in kurdischen
Forderungen eine Revision des Vertrages von Lausanne sehen, erinnerte
Öcalan an die niemals verwirklichten Rechte, die sich aus diesem
Vertrag für alle Völker der Türkei ergeben: "Ich bin
kein Gegner des Vertrages von Lausanne, aber er ist bisher chauvinistisch
interpretiert worden. Man muss über Artikel 39 diskutierten. Es ist
auch bekannt, was Ismet Inönü, der Unterzeichner des Vertrages,
erklärte. Inönü erklärte damals, im Namen von Türken
und Kurden unterschrieben zu haben. Ich halte mich an den Geist der ersten
Zeit der TBMM (Nationalversammlung)."
In Artikel 39 des Vertrags von Lausanne, der 1923 geschlossen wurde, ist
u.a. für alle Völker das Recht verankert, ihre Sprache überall
und ohne Einschränkung zu verwenden.
Öcalan äußerte sich auch zum Mordanschlag auf fünf
führende Vertreter des Kongra-Gel und der Partei der demokratischen
Einheit (PYD, Syrien) in Mossul. "Der Anschlag muss sorgfältig
aufgeklärt und die Verantwortlichen gefunden werden. Ich kann mir
nicht sicher sein, aber es ist möglich, dass das jüngste Abkommen
zwischen den USA und der Türkei sowie die beschlossene Zusammenarbeit
zwischen Syrien, der Türkei und dem Iran bei dem Anschlag eine Rolle
gespielt haben. Es kann sich auch um eine Provokation eines Geheimdienstes
eines der Staaten in der Region handeln. Gegen solche Provokationen muss
man sich gut in Acht nehmen."
Quelle: DIHA, Dicle
Nachrichtenagentur, 16.12.2004 |