Die politische
Dimension von Semdinli
Von Fikret
Bila
Nach dem Bombenanschlag auf
einen Buchladen in Semdinli haben Kettenreaktionen stattgefunden. Auch
in Yüksekova und Hakkari kam es zu Vorfällen.
Stecken Militärs hinter dem Anschlag?
Diese Aussage wird von der Staatsanwaltschaft untersucht.
Wiederholt ist der Öffentlichkeit mitgeteilt worden, dass sich Staatspräsident,
Ministerpräsident und Generalstab einig darüber sind, dass aufgeklärt
werden wird, ob es sich um eine Organisations- und Aktionsform wie bei
Susurluk handelt. Jetzt wartet die Öffentlichkeit auf Ergebnisse.
Das politische Bild
Eine weitere wichtige Seite,
die Beachtung finden muss in den Vorfällen in Semdinli, Yüksekova
und Hakkari ist die politische Dimension.
Die aus der Region kommenden Bilder zeigen, dass die PKK sowie die Parteien
und Einrichtungen, die auf politischem Feld die gleiche Linie vertreten,
die Bevölkerung anleiten.
Es ist offensichtlich geworden, welchen Einfluss die Partei für eine
demokratische Gesellschaft (DTP) in Hinsicht der politischen Kontrolle
über die Menschen in der Region hat. Die Tatsache, dass Geschäfte,
die als Zeichen des Protestes geschlossen blieben, nach Aufforderung durch
Ahmet Türk, einer der DTP-Vorsitzenden, und Osman Baydemir als Bürgermeister
von Diyarbakir wieder geöffnet wurden, ist nur ein Beispiel dafür.
Die Feststellung, dass sich
die politische Haltung der Menschen der Region zum größten
Teil an der DTP orientiert, ist nicht übertrieben und gilt auch für
die PKK. Mit illegalen Wegen und Methoden verfügt auch die PKK über
Einfluss.
Alle Kundgebungen, Versammlungen und Demonstrationen einschließlich
von Beerdigungen haben gemeinsam, dass sich kein Hinweis oder kein Symbol
in bezug auf die Republik Türkei finden lässt. Im Gegenteil
werden PKK-Fahnen, Öcalan-Bilder und andere Symbole benutzt.
Diese Haltung ist eine klare Haltung. Sie bedeutet, dass die Republik
Türkei nicht angenommen und anerkannt wird. Und das ist nichts Neues...
Das heißt zweifellos auch, dass es um mehr geht als politische Unterschiede
und die Unterstützung einer Partei. Es verweist darauf, wie sehr
sich das Politisierungsniveau der PKK vertieft hat.
Die Bilder sind Ausdruck dafür, dass es nicht um den Vorzug der einen
oder anderen Partei geht, sondern um eine Wahl auf dem Niveau von „Staat
und Nation“ stattfindet.
Und das zeigt, welche politische Dimension diese Frage angenommen hat.
Verantwortung
Hat die Feststellung von Ministerpräsident
Erdogan in Ankara und Diyarbakir, dass eine kurdische Frage existiert,
diese Dimension auch erfasst?
Die Antwort darauf kann nur Erdogan selbst geben.
Wie auch immer die Antwort lautet, die Regierung muss über ein politisches
Ziel verfügen.
Problemlos lässt sich sagen, dass in der Region außer der DTP
keine Partei über einen nennenswerten Einfluss verfügt.
Aber die AKP trägt die Regierungsverantwortung. Die Regierung darf
sich nicht den Anschein einer unabhängigen Beobachterin geben...
Sie darf die Frage nicht als ein Problem der Aufklärung eines Vorfalls
oder einer Provokation ansehen.
Solange die Frage, die laut Erdogan existiert, nicht auf nationaler und
internationaler Ebene angegangen wird, können die wirklichen Dimensionen
nicht erfasst werden.
Es hat den Anschein, als ob es in der Türkei zwei politische Strukturen
und Autoritäten gibt.
Es liegt in der Verantwortung der Regierung, sich auch mit der Lösung
der Frage, deren Existenz sie zugibt, zu beschäftigen.
Fikret
Bila ist einer der wichtigsten politischen Kommentatoren in der Türkei
und schreibt für eine der größten türkischen Tageszeitungen
Quelle: Milliyet,
19.11.2005, ISKU
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