Milliyet, Fikret
Bila:
Das Szenario,
auf das der Ministerpräsident in Semdinli getroffen ist
Ministerpräsident Recep Tayyip
Erdogan hat Semdinli, Yüksekova und Hakkari einen Blitzbesuch abgestattet.
Begleitet wurde er dabei von Justizminister Cicek und Innenminister Aksu.
Obwohl bereits über zehn Tage seit den in Semdinli begonnenen und nach
Yüksekova und Hakkari übergreifenden Vorfällen vergangen sind, sind der
Ministerpräsident und seine Minister erst gestern in die Region gefahren.
Das war ein verspäteter Besuch. Dieser spontane Kurzbesuch mag von den
Anschuldigungen der Opposition, allen voran des DYP-Vorsitzenden Mehmet
Agar und des CHP-Vorsitzenden Baykal, der Ministerpräsident zeige kein
Interesse an den Vorfällen und verwende seine Zeit lieber für Auslandsbesuche,
beeinflusst gewesen sein.
Natürlich reichen drei Besuche
innerhalb eines Tages nicht aus, um die Probleme vor Ort zu untersuchen.
Außerdem hätte auch der Innenminister ohne auf den Ministerpräsidenten
zu warten, in die Region fahren oder länger bleiben können.
Das Szenario, auf das Erdogan
in Semdinli getroffen ist, zeigt, woraus das Problem eigentlich besteht
und welche Dimensionen es hat. Der Ministerpräsident fühlte sich von der
Haltung der PKK-Anhänger, die in mit Transparenten in den Händen empfingen,
sichtbar gestört. Er forderte die Jugendlichen auf, die Transparente beiseite
zu legen. (...) Wenn auch nicht so offensichtlich wie auf zuvor stattgefundenen
Veranstaltungen und Demonstrationen, zeigten die Transparente und Parolen
derjenigen, die gekommen waren, um den Ministerpräsidenten anzuhören,
eine Disharmonie mit der Zentralregierung in Ankara. Am auffälligsten
dabei war ein Transparent mit der Aufschrift „Roj TV soll nicht verboten
werden“. Ein Transparent, dass die Haltung Erdogans in Dänemark zu der
Anwesenheit von Roj-TV-Korrespondenten ablehnte...
Die Vorfälle in Semdinli, Yüksekova
und Hakkari und die Proteste gegen diese Vorfälle in Istanbul, Adana und
Mersin zeigen auf, dass in der [kurdischen] Region ein ernstes „Regierungsproblem“
besteht. Das Szenario, auf das der Ministerpräsident bei seiner eintägigen
Reise traf, war nicht anders.
Das muss auch dem Ministerpräsidenten aufgefallen sein...
Ein weiteres Mal wurde deutlich, dass die Zentralautorität in der Führung
der Region sehr mager ausfällt und dagegen die Kommunalverwaltungen und
die DTP die eigentliche Autorität darstellen.
Ebenfalls wurde deutlich, dass Erdogans in Diyarbakir gemachten Aussagen
zur kurdischen Frage im leeren Raum stehen geblieben sind. Seine Ankündigung,
„die kurdische Frage existiert und wird demokratisch gelöst werden“, deckt
sich in bezug auf die dadurch in der Region entstandenen Erwartungen nicht
mit seinen Aussagen der letzten Zeit. Und so lautete auch eine der Parolen,
die sich der Ministerpräsident auf seinem Kurzbesuch anhören musste, „Vergiss
Diyarbakir nicht“.
Die im Zusammenhang mit der „kurdischen Frage“ bereits früher hervorgebrachte
These, die Begriffe türkisch, kurdisch, tscherkessisch oder lasisch bezeichneten
eine „Unteridentität“ und die Zugehörigkeit zur Türkei eine „Überidentität“,
reichte nicht aus, um Unterstützung zu erfahren.
Zur Dimension des Problems
Die jüngsten Vorfälle und die Reise des Ministerpräsidenten zeigen folgende
Realität:
Die PKK hat den bewaffneten Kampf verloren, aber auf politischem Gebiet
hat sie eine wichtige Strecke zurück gelegt. Politische Parteien und andere
Organisationen, die eine ähnliche Linie verfolgen, verfügen über weit
mehr Einfluss in der Führung der Region als die Zentralverwaltung. Die
auf dieser Linie liegende Partei und kommunale Politiker orientieren sich
nicht an Ankara, sondern an Abdullah Öcalan auf Imrali, an Brüssel oder
sogar an den kurdischen Führern im Nordirak.
Diese Dimension hat der politische Verlust angenommen.
Quelle: Milliyet, 22.11.2005,
ISKU
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