Pinar Selek: Frieden? Jede Schriftstellerin möchte, dass ihr Buch gekauft und gelesen wird. Aber meiner Meinung nach ist es der größte Erfolg, wenn das geschriebene Wort einen Ansprechpartner findet. Als dies bei meinem vor zwei Jahren veröffentlichten Buch „Wir haben keinen Frieden geschlossen“ geschah, war ich sehr aufgeregt – mehr noch, als ich es hätte sein können, wenn das Buch zu Hunderttausenden verkauft worden wäre. Was kann eine Friedensaktivistin mehr wünschen, als dass ihr Buch, das im Krieg erscheint und von Frieden handelt, von einer der beiden Kriegsparteien gelesen und anerkannt wird? Dann wird das Schreiben zu einer Aktion, die ihren eigenen Weg geht. In „Wir haben keinen Frieden geschlossen“ wird aus einer Perspektive gegen Krieg und Militarismus die Geschichte der Kriege in der Türkei und die unfruchtbaren Kämpfe für Frieden erzählt und nach Lösungswegen gesucht. Diese Suche wurde von einer der Kriegsparteien erkannt und für richtig befunden, was mich in helle Aufregung versetzte. Ich erinnere mich daran, dass ich nach einem schweren Autounfall nahezu bewegungsunfähig war. In dieser Zeit wurde mein neu gedrucktes Buch Öcalan zugestellt, der sich daraufhin bei seiner eigenen Suche nach Möglichkeiten des Friedens auf das Buch bezog. Offen gesagt, hatte ich nicht erwartet, dass dieses Buch, das sich gegen die Behandlung von Frieden als einer bloßen Taktik ausspricht, die auf dieser Ebene stattfindenden Kämpfe verurteilt und für eine Politik eintritt, die den Krieg aus ethischen Gründen ablehnt, so aufgenommen werden würde. Damals dachte ich, dass wir Frieden schließen und eine Rolle in der Lösung des Konfliktes spielen könnten, wenn wir das Bild aus einer bestimmten Entfernung betrachten und uns von der psychologischen Komponente der Kriegsparteien loslösen könnten. In „Wir haben keinen Frieden geschlossen“ habe ich die alleinige Verantwortung für den kontinuierlichen Kriegszustand in der Türkei nicht der Kriegsorganisierung zugeschoben, sondern den gesellschaftlichen Anteil an der begangenen Schuld untersucht und eine Antwort auf die Frage gesucht, wie der Kampf für Frieden aussehen könnte. Für jeden Krieg gibt es eine Lösung. Diese Lösung kann nicht alleine von denen erarbeitet werden, die Waffen in den Händen halten, denn der Kriegszustand löst eine extreme psychologisch begründete Positionierung aus. Die Bedingungen des Krieges verhindern jegliches Innehalten und Nachdenken. Natürlich gibt es auch Menschen, denen das gelingt, aber meistens enden einseitige Friedensbemühungen, die von nur einer Kriegspartei ausgehen, mit schweren Niederlagen, weil die Psyche des Friedens im Krieg Bedeutungen wie Passivität, Schläfrigkeit, Weiblichkeit aufweist und die Konkurrenten die härtesten Schläge vorbereiten, wenn sie bei ihrem Gegenüber einen solchen Zustand wittern. Aus diesem Grund bleiben den Kriegern nur die Alternativen der Kapitulation oder des Sieges. Wer den Widerstand wählt, kämpft bis zum Sieg. Und genau hier besteht Bedarf nach einer soziologischen Analyse des Konfliktes mit einem Blickwinkel, der außerhalb der Kategorien Kapitulation und Sieg steht und die Fakten unabhängig von Heiligtümern und Tabus betrachtet. Aber auch das reicht nicht aus. Aus der Diagnose muss eine Behandlung erfolgen, die Blutungen müssen gestoppt werden, die Wunden müssen sich schließen, das Zittern ein Ende finden. Der Einsatz für Frieden erfordert ebenso wie Soziologen auch Ärzte. Eine Eigenbehandlung der Krieger kann nicht erwartet werden. Dafür braucht es Ärzte, die sich kümmern. Und aus diesem Grund ist der Einsatz für den Frieden heilig. Friedenskämpfer müssen sowohl Soziologen, als auch Rechtsanwälte, Ärzte und Krankenschwestern sein. Der Ruf „So nicht!“ aus der Ferne nützt nichts. So wie Quincy Wright gesagt hat: „Um den Krieg abzuschaffen, muss er verstanden werden. Wenn er verstanden werden soll, muss er untersucht werden.“ Ohne das Bemühen, zu verstehen, ohne einen Dialog können Aufrufe aus der Entfernung keinen Ansprechpartner finden. Denn die Kriegsparteien hören andere Stimmen. Man muss zuerst diese Stimme begreifen und dann in passender Form das sagen, was man zu sagen hat. Die Kurden kämpfen seit langer Zeit für Frieden. Das haben sie soweit gebracht, dass sie mit der Analyse der Anfangszeit des bewaffneten Kampfes im Namen einer ganzen Region Selbstkritik geübt haben. Danach haben sie ihre bisherige Ideologie, das Paradigma, auf das sie sich berufen haben, hinterfragt und ein Programm aufgeworfen, das keinen Krieg mehr erlaubt. Aber eine Antwort darauf blieb aus. In der lang anhaltenden Phase des Waffenstillstandes wurde zum Frieden aufgerufen. Die Antwort war die Ermordung von Ugur Kaymaz, die Fahnenprovokation, Aufrufe zum totalen Krieg und Semdinli. Das Geschehene ist bekannt. Als letztes hat Öcalan einen Aufruf gemacht. „Wenn die kulturellen Rechte garantiert, eine Generalamnestie erlassen und die Möglichkeit politischer Betätigung gewährleistet wird, werden alle Guerillakämpfer aus den Bergen kommen“, hat er gesagt. Aber auch dieser Aufruf blieb unbeantwortet. Zunächst hieß es, dass es sich bei diesen Forderungen um Mindestforderungen handelt. Dann herrschte große Stille. Alle schwiegen. Der Staat setzte seine bekannte militaristische Politik fort. Aber die eigentlich schmerzhafte Seite in dieser Angelegenheit betrifft die Opposition, die diese militaristische Politik nährt, sie nicht stoppen kann und es nicht vermag, eine Lösung wahrscheinlicher zu machen. Die Friedensaktivisten aus der Türkei haben sich mit den Worten begnügt, zunächst sollten die Waffen niedergelegt und dann geredet werden, anstatt diese Forderungen ernst zu nehmen. Die kurdische politische Bewegung dagegen hat diese Forderungen nicht auf ihre Tagesordnung gesetzt. Ich bin pessimistisch geworden. Wir alle wissen, dass der Staat nicht gegen den „Terror“ kämpft, sondern dagegen, dass sich eine Idee politisiert und dass er deshalb eine demokratische Atmosphäre verhindert. Aber wen gibt es angesichts dessen? Ist es das Ziel, die Trauben zu essen oder den Winzer zu schlagen? Ich weiß es nicht. pinarselek@gmail.com Quelle: Gündem, 18.02.2006,
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Übersetzung
aus dem Türkischen |
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