Freiheit, gibt es das? Frauen, die nicht frei sind, haben ein Buch geschrieben. Die Frauenkooperative Amargi ist in zwanzig Provinzen von Haus zu Haus gegangen und hat Briefe von Frauen gesammelt. Aus diesen Briefen ist ein Buch entstanden. Der Titel des Buches lautet: „Ich bin nicht frei“. Von UMAY AKTAŞ İSTANBUL - "Ich war zwölf Jahre alt und sollte verheiratet werden. Mein großer Bruder hatte sich in ein Mädchen verliebt. Um das Mädchen zu bekommen, wollte er mich als Gegenleistung geben. Ich steckte eine Nadel in die Steckdose, ich wollte sterben. Ich warf mich vor ein Auto. Ich hatte keine Angst vor dem Heiraten, sondern ich wusste nicht, was ich tun soll. Mein Bruder schlug mich. Bei uns bekommt die Braut einen roten Schleier. Mir zogen sie einen schwarzen Schleier über. In der Hochzeitsnacht fesselten sie meine Hände und Füße und vergewaltigten mich mit gezogener Waffe.“ Diese Worte stammen aus einem Brief aus einem der Bündel der Frauensolidaritätskooperative Amargi. Die Briefe wurde in einem Buch namens „Ich bin nicht frei“ gesammelt. Gestern fand die Buchvorstellung im Mulammer-Karaca-Theater in Istanbul statt. Das Buch ist gerade erst gedruckt, aber seine Entstehungsgeschichte basiert auf älteren Ereignissen. Alles begann mit einem Werbespot, in dem die Reklameheldin sich mit einem Handy auf eine Reise macht und dabei singt: „Ich bin frei“. Pınar Selek und Müjgan Arpat von Amargi starteten daraufhin die Kampagne „Frauen laufen aufeinander zu“. Zunächst waren es nur diese beiden Frauen, die sich auf den Weg machten. Sie hatten nicht viel Geld und ihr Auto war kaputt. Sie fuhren von Istanbul nach Antakya. Dabei besuchten sie ihnen unbekannte Dörfer und klopften an die Türen der Häuser. Und dann fuhren sie von Adana nach Batman, von Gölcük nach Şanlıurfa. Sie bereisten zwanzig Provinzen. Die Frauen, die sie dabei erreichten, wurden zu „Botinnen“, die in dem jeweiligen Gebiet Briefe einsammelten. Die Bündel füllten sich mit Briefen „Amargi“ bedeutet in der sumerischen Sprache „Freiheit“. An der Arbeit beteiligten sich über dreißig Fraueneinrichtungen. Die Frauen machten sich auf den Weg. Und alle hatten sie etwas zu sagen: von den Frauen in den Gefängnissen bis zu den Hausfrauen, von den Feldarbeiterinnen bis zu den lesbischen Frauen. Alle, die zwischen den Dörfern, Kleinstädten und Metropolen unterwegs waren, trafen sich am 12. Juli 2002 in Konya. Aus den gesammelten Briefen entstand eine Abschlusserklärung. Die Jahre vergingen, es wurde Geld gesammelt. Und so entstand das Buch aus den vor vier Jahren gesammelten Briefen. Es handelt von den Ängsten, Träumen, der erlebten Gewalt und fehlender Ausbildung von Hunderten von Frauen. Das Buch wird nicht verkauft, sondern von Hand verteilt. Als erstes wird es dorthin geschickt, wo die Briefe geschrieben wurden. „Wir verteilen das Buch zurück an die Frauen, die uns die Briefe gegeben haben.“, erklärt Pınar Selek. „Damit versuchen wir, die Briefe von Frauen auch den anderen Frauen zukommen zu lassen.“ „Ich dachte immer, ich werde am meisten unterdrückt, aber…“ Esmeray ist 33 Jahre alt. Sie gehört zu den Botinnen, die zu der Entstehung des Buches beigetragen haben. Aber ihre Reise gestaltete sich anders als die der anderen Botinnen. Denn sie ist eine transsexuelle Frau. Sie wurde angestarrt und sie wusste nicht, wie sie ihre eigenen Probleme mit denen anderer Frauen vereinen soll: „Ich wusste, dass ich mein Bündel nirgendwo werde öffnen können und dass ich nicht verstanden werde. So war es dann auch. Dieses Treffen hat mich erneut dazu gebracht, das Frausein zu hinterfragen. Ich konnte nirgendwo reden. Ich schämte mich meiner Identität als Transvestit. Manchmal wurde ich sehr schlecht angeschaut. Erst dachte ich, es wird einfach, weil keine Männer dabei sind, aber so war es nicht. Denn das männliche Herrschaftssystem, die Männlichkeit hat sich in unserem Inneren festgesetzt. Schließlich überredeten mich meine Freundinnen. „Du musst reden“, sagten sie. In Haymana sammelte ich meinen Mut und sprach. Nach meiner Rückkehr änderten sich meine Gedanken. Ich dachte immer, als Kurdin, als Transvestit und als Frau werde ich am stärksten unterdrückt. Dann habe ich gemerkt, ich mache Frauen mit Kopftüchern oder reiche Frauen zu „Anderen“. Die Frauenbewegung ist mir sehr wichtig. Ich habe diese Probleme, weil ich das Frausein gewählt habe. Unsere Probleme sind verschieden, aber die Grundlage ist die gleiche.“ Weitere Auszüge aus „Ich bin nicht frei“ „Ich kann meine Miete nicht zahlen. Ich kann nicht einmal Hausschuhe kaufen. Von den Männern bekommen wir gar nichts, außer in den Nächten. Wir haben Hunger. (…) Je höher die Reichen aufsteigen, desto tiefer sinken wir.“ (Zigeunerinnen am Schiffsanleger Kadiköy) „Ich stamme aus Tarsus. Mein Problem ist, dass ich Witwe bin, das ist alles. Ich bin frei, ich arbeite, ich habe Geld, aber weil ich Witwe bin, gibt es ständig Hindernisse. Ich kann nicht alleine ins Kino gehen. Ich kann nicht mit meinen männlichen Freunden reden. Ich möchte, dass es einen Ort gibt, an den Frauen ungestört gehen können.“ (Ohne Namen, Mersin) „In der Hochzeitsnacht bin ich geschlagen worden. Ich war jung und wusste nichts über Sexualität. Während des ersten Geschlechtsverkehrs musste ich lachen. Deshalb hat er mich geschlagen. Er hat Zigaretten auf mir ausgedrückt. Als ich im siebten Monat schwanger war, wollte er Sex. Weil ich nicht wollte, hat er mich geschlagen. Er wollte Sex von hinten, auch das lehnte ich ab. Ich bin nicht mehr wieder zu erkennen.“ (Ohne Namen, Mersin) „Auch die Schwiegermütter unterdrücken Frauen als Schwiegertöchter.“ (Ohne Namen, Avcılar-İstanbul) „Ich wurde mit elf Jahren verheiratet, mein Mann hat mich ständig vergewaltigt. Er hat mich immer mit Gewalt genommen.“ (Ohne Namen, Adana) „Als eine türkische Frau bin ich nicht glücklich. Ich möchte mich über den Staat beschweren. Zwanzig Jahre lang habe ich als Tabakarbeiterin gearbeitet, jetzt bekomme ich 223 Millionen. Wir sind Bürgerinnen dritter Klasse. Der Staat beutet aus, der Ehemann beutet aus. Ich habe nichts mehr zu sagen.“ Nezaket Esen, Soğanlı) vgl. „Geschichte einer
Reise“, http://www.nadir.org/nadir/initiativ/isku/hintergrund/frauen/Friedensoffensive/0020.htm,
Quelle: Radikal, 12.03.2006, ISKU
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Übersetzung
aus dem Türkischen |
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