Öcalan: Das ist die letzte Chance Öcalan, warnte im Gespräch mit seinen Anwälten eindrücklich vor den Folgen die es hätte weiterhin die Lösung der Kurden-Problematik herauszuzögern. Er erklärte: „Ich sage nicht wir sind dem Frieden ganz nah. Sage aber auch nicht es sähe schlecht aus. Es steht 50 zu 50. Wir stehen genau zwischen beiden (Möglichkeiten).“ Im Hinblick auf die vor uns liegenden sechs Monate sage ich: „Es ist die letzte Chance für den Weg der demokratischen Lösung.“ Sollte der (Weg zu einer Lösung) nicht beschritten werden, so sagt Öcalan, wäre die Folge der Krieg. „Ein Krieg“ so warnte er „dessen Ausmaß so furchtbar sein wird, dass sich das jetzt noch keiner vorzustellen vermag.“ Abdullah Öcalan erklärte: „Meine Bedingungen hier sind ziemlich schwer. Aber die Geschichte hat mir eine Mission auferlegt. Unter ihrer Last kann ich weder schlafen noch leben, selbst das Atmen fällt mir schwer. (Man wird sich fragen) wie kann man in einem so winzig kleinen Raum (wie hier) Leben oder überhaupt atmen? Wir durchleben einen historischen Moment. Hier ist jeder Moment von Bedeutung. Die kommenden sechs Monate hingegen werden alles (da gewesene) übertreffen. Wie werden wir diese sechs Monate zu nutzen wissen? Wir müssen sehr umsichtig vorgehen. Ich habe eine große Last auf mich genommen. Aber ich werde sie tragen. Zurzeit befasse ich mich vor allem mit der Ära um 1925. Diese hat ganz schreckliche Folgen hervor gebracht. Ich erinnere mich noch gut an das was ich erlebte, als ich die Grundschule besuchte, und was ich dort ertragen musste. Sie diffamierten uns dort als ‚die Kurden mit dem Schwanz‘. Ich habe deshalb viel kämpfen müssen und konnte mir, als ich mit der Arbeit (an der Emanzipation der Kurden) begann vorstellen, was mir (auf dem Weg) alles zustoßen könnte. Es war zwar nicht leicht, aber trotz allem haben wir es bis hier her gebracht. Das Bemühen um den kurdischen Frieden ist keine einfache Sache. Um es mit einem geflügelten Wort zu bezeichnen; es ähnelt dem, einem Löwen ein Lämmchen aus den Fängen zu nehmen. Es sollte jedem bewusst sein, dass er seiner Aufgabe mit eben diesem Verantwortungsbewusstsein begegnen sollte. Mein neuestes Plädoyer, das 5. Buch, ist so etwas wie die Kurzfassung all meiner bisher verfassten Verteidigungsschriften. Es beinhaltet sehr praktische Vorschläge. Im Hinblick auf eine Lösung der Probleme beinhaltet es Vorschläge, die so ziemlich jede Sparte abdecken. Aber auch die theoretische Seite kommt nicht zu kurz. Die Frauenfrage konnte ich nicht in dem von mir gewünschtem Ausmaß behandeln, da ich alle Themen gleichermaßen zu behandeln gezwungen bin. Aber in der Vergangenheit bin ich sowohl im theoretischen wie im praktischen viel auf sie eingegangen. Wir haben dazu aufgerufen,
das Problem mit friedfertigen und demokratischen Mitteln zu lösen. Ein
Bündnis oder ähnliches ist nicht unsere Zielsetzung. Die Diskussion Die vor uns liegenden
6 Monate sind entscheidend. Jeder sollte da sehr aufmerksam sein. Wenn
diese sechs Monate gut genutzt werden, kann sich der Weg zu einer Lösung
öffnen. Wenn nicht, dann kann sich ein Krieg von einem so schrecklichen
Ausmaß entwickeln, wie sich das heute noch keiner vorstellen kann. Unseren
eigentlichen Entschluss fällen wir im Juni, das ist schon richtig. Aber
den Entwicklungen entsprechend kann ich auch im März schon meine Haltung
klären. Wenn es zu keinen positiven Entwicklungen kommt, werde ich nicht
bis Juni warten sondern schon im März mich aus der Sache heraus ziehen Aktuell befasse ich mich mit den Jahren um 1925. Eins kristallisiert sich deutlich heraus, sie stehen in Verbindung mit der Gegenwart. Dasselbe Spiel (wie damals) setzt sich bis heute fort. Wie bekannt ist, war England der einstige Baumeister. England lies Mustafa Kemal die Wahl, erklärte: ‚Entweder Du verzichtest auf die Republik oder auf Mosul und Kerkük. Du kannst nur eines von beiden haben‘. Im Gegenzug zum Verzicht auf Mosul und Kerkük hat England seine Zustimmung zu einer (wenn auch) verkleinerten Republik und der Vernichtung der Kurden gegeben. Mustafa Kemal hat sich für die verkleinerte Republik entschieden, hat aber später über Kerkük und Mosul als ‚eine Wunde in mir‘ gesprochen. D. h. auf Druck Englands waren sie dazu gezwungen gewesen. England hat sich in jenen Tagen dazu entschieden die Kurden-Frage ungelöst zu belassen. Das hat Auswirkungen, die sich bis heute fortsetzen. Auch heute wird das gleiche Spiel fortgesetzt. Auch heute unterstützt England im Gegenzug zum ungelöst lassen der Kurden-Frage die Herrschaft der AKP, sagt: ‚Lass nur die kurdische Frage ungelöst, und bleib an der Macht‘. Einer der Gründe dessen, dass die kurdische Frage immer noch auf ihre Lösung wartet, ist eben auch genau darin zu suchen. Mahmut Övür hat geschrieben; gleich nachdem die AKP 2002 an die Macht kam, ist der damalige Vorsitzende des Generalstabs Özkök mit einem Dossier unter dem Arm vor dem Nationalen Sicherheitsrat erschienen und sagte: ‚Dieses Problem gilt es zu lösen‘. Die AKP allerdings antwortete: ‚Darauf sind wir noch nicht vorbereitet‘. Das ist ganz offensichtlich. Natürlich hat der Staat eine ganze Reihe von Institutionen, noch wichtiger, eine dieser ist auch die Regierung. Wenn die Regierung nicht das Notwendige macht, dann kommt es zur Stagnation. Die AKP sagt, sie hätte dies und jenes getan, spricht von der ‚Öffnung‘. Sie sagen nicht die Wahrheit, täuschen das Volk. Selbst TRT-6 (staatlicher Fernsehkanal in kurdischer Sprache ), wird von der AKP als gänzlich ihr Werk lanciert. Immer wieder erklärt sie: ‚Die Öffnung haben wir vollbracht, wir haben TRT-6 gegründet‘. Deshalb (sage ich) das größte Hindernis ist (zurzeit) die AKP. Um die Wahrheit zu sagen, die Gefahr ist groß. Ich sage nicht, wir sind dem Frieden nah. Sage nicht mit 80–90%iger Sicherheit kommt jetzt der Friede. Sage auch nicht es sieht schlecht aus. Es steht 50 zu 50. Wir stehen genau zwischen beiden (Möglichkeiten). Im Hinblick auf die vor uns liegenden sechs Monate sage ich: ‚Eine letzte Chance für die demokratische Lösung‘. Ansonsten beginnt der Krieg, es wird sich ein furchtbarer Krieg daraus entwickeln. Ein bekannter Historiker machte zu solchen Phasen einmal eine sehr zutreffende Feststellung. Er sagte: ‚In solchen Zeiten gibt es nur eins; Du tötest oder Du wirst getötet‘. Wenn die Lösung nicht kommt, dann wartet eine solche Zeit auf uns. Es ist auch nicht klar wer getötet werden wird, es kann alle treffen. Selbst der Präsident dieses Landes starb mit Schaum vorm Mund (Gemeint ist T. Özal, der vergiftet wurde). Selbst ein Ministerpräsident wurde nicht beschützt, niemand stand ihm zur Seite. Ja, so war der Tod von Özal. Seltsam, als Özal mir 1993 zum Aufbau eines Dialogs Unterhändler sandte, war ich erstaunt. Damals dachte ich über Özal ‚entweder ist er ganz gerissen und will uns hinters Licht führen oder er ist sehr naiv‘. Wie jetzt durch die Erklärungen seiner Frau und seines Sohnes sich herausstellt war Özal wohl sehr naiv. Auf die gleiche Weise ist Pascha Eşref Bitlis aus dem Weg geräumt worden. So weit mir bekannt ist sagt heute jeder es sei Mord gewesen. Eigentlich war es nicht einmal sonderlich bedeutend was er gemacht hat. Ich glaube er hat in jenen Tagen Özal einen Brief gesandt. Zum letzten Mal eine Sondervollmacht erbeten. Sagte: ‚Lass uns das Problem lösen und eine Zeit ohne Waffen und ohne das Blut fließt beginnen‘. Noch bevor das Bekannte – das Niederbrennen von Dörfern, extralegale Hinrichtungen, Morde nach Manier der JITEM – begannen, sah er das bevorstehende kommen und schrieb einen Brief in dem er Sondervollmachten erbat. Sie waren ein Team um Özal. Özal ist einem Mord zum Opfer gefallen. Auch jenes Team, das ihn unterstützte, wurde anschließend liquidiert. Jene mit einem Hang zum Bandenwesen blieben. Sie sind stärker als man annimmt. Die Verhaftungen um Ergenekon sollten niemanden täuschen. Das ist nur die sichtbare Spitze des Eisberges, der Schatten (von Ergenekon), ihr eigentlicher Körper ist draußen (außerhalb der Gefängnismauern). Die Journalisten, (die in Zusammenhang mit Ergenekon verhaftet wurden) schreien lautstark: ‚Wir sind eingefahren, wo sind denn die wirklichen Verantwortlichen?‘ Jetzt komme ich auf etwas wirklich Wichtiges zu sprechen, um an der Macht zu bleiben hat die AKP sich mit dem Bandenwesen, mit den wirklichen Verantwortlichen verständigt, deshalb lässt sich das Problem nicht lösen. Das gilt es zu erkennen. Natürlich bestehen in einer solchen Phase auch andere Risiken, es kann auch zu Provokationen kommen. Der Eintritt der Osmanen in den 1. Weltkrieg ist ein typisches Beispiel für solche Art von Zeiten. Eigentlich wollte sich der Osmanische Staat nicht am 1. Weltkrieg beteiligen, aber dann hat Enver Paşa ein paar Leute auf seine Seite ziehend, ein solches Spiel betrieben und unvermittelt haben sich die Osmanen mitten im Krieg wieder gefunden. Ich erwähne dieses Beispiel nur deshalb, denn wenn eine Lösung weiterhin auf sich warten lässt, dann erwartet auch die Türkei eine ähnliche Gefahr. Phasen mit unklarem Ziel sind voller Risiken und Gefahren, jede Verlängerung öffnet den Weg für jegliches Risiko. Die AKP sagte sich, als sie zur Operation gegen die KCK ansetzte, ‚Diyarbakır haben wir seinen Einfluss genommen‘. ‚Noch ein–zwei solcher Operationen und ich nehme allen den Einfluss den sie haben, festige meine Macht, setze meine Herrschaft fort, behalte mir weitere 9 Jahre vor‘. Für die AKP gibt es nur ein Problem, dass ist ihre Herrschaft fortzusetzen. Aber ich habe den Eindruck dass (die Annahme) Diyarbıkır habe seinen Einfluss eingebüsst so nicht stimmen kann, Diyarbıkır kann seinen Einfluss nicht verloren haben, ich weis wovon ich spreche, ich kenne Diyarbakır. Vor 30–40 Jahren haben wir in Peyas-Kayapınar begonnen. Diyarbakır kann sein Einfluss nicht genommen werden. In Diyarbakır sollten die Arbeiten zum Provinz- und Stadtparlament forciert werden. Ich möchte keine konkreten Zahlen nennen, aber im Provinzparlament könnten 500–600 sein, im Stadtparlament 200–300. Die jeweilige Anzahl richtet sich nach den Notwendigkeiten und Bedürfnissen. Von Kreis zu Kreis, von Dorf zu Dorf, von Stadtteil zu Stadtteil sollte man die Arbeit ausweiten. Das Stadtparlament sollte sich den Frieden auf die Fahne schreiben. Das Bemühen um den Frieden ist von Bedeutung, ist so bedeutend wie Brot und Wasser notwendig sind zum Leben. Jede Stimme für die AKP ist eine Stimme für den Krieg, ist eine Stimme die die Lösung (der Kurden-Frage) negiert. Es gilt das wahre Gesicht der AKP aufzuzeigen. Eine Lösung ist von der AKP nicht zu erwarten, denn sie ist das Problem. Die BDP sollte bei den Parlamentswahlen im Sommer dieses Jahres den Anteil der Stimmen (die sie auf sich vereinen kann) erhöhen. Wenn es der BDP gelänge ihren Anteil an den Stimmen türkeiweit auf das Niveau der MHP oder gar der CHP zu erhöhen, wäre es ein leichtes, den Staat zum Frieden zu nötigen. Die Manöver der AKP die Kurden zu spalten, sollten erkannt werden. Jeder sollte sich ihrer bewusst sein. Ich hatte (die Jahre um) 2002 erwähnt. Und dann gab es noch die Ära 2005–2006. Damals geschah alles ohne mein Wissen. Danach kamen sie dann zu mir. Auch das war nur ein anderes Manöver der AKP. All das haben wir erlebt, und haben es hinter uns gelassen. Jetzt geht das Jahr 2010 zur Neige. Keiner sollte einen Fehler machen. Jeder sollte seine Rolle gut spielen. Ja, das Jahr 2010 geht zur Neige, aber immer noch ist vieles im Unklaren. Erdoğan verhält sich sehr seltsam. Ich werde nicht schlau aus ihm. Manchmal (frage ich mich) wird er wie Çiller oder ähnelt er eher Özal. Ich bin mir noch unschlüssig. Er sucht den Dialog, aber aus dem was er tut ist zu erkennen, dass er immer noch nicht auf unsere Liquidation verzichtet hat. Aber so langsam klärt sich alles. Lange ist das so nicht durchzuhalten, auch lassen wir uns so nicht täuschen. Auf diese Weise werde ich die Guerilla nicht lange zum stillhalten anhalten können. Auch Diyarbakır nicht. Neben den Schwierigkeiten hier plage ich mich auch noch mit diesen Schwierigkeiten herum, versuche den Staat und die Regierung zum Dialog, zum demokratischen und friedlichen Lösungsweg zu nötigen. Ich bin mir der schweren Bedingungen, die die Haft mir auferlegt, bewusst. Bin mir bewusst dass unter diesen Bedingungen das alles nicht optimal zu machen ist. Aber ich habe keine andere Wahl. Den Frauen sage ich; sie haben eigene Zentren, sie sollen sich stärken. Die Göttinnen waren zu ihrer Zeit das Zentrum des Lebens. Jetzt hingegen sind sie das Zentrum des Sumpfes. Aber gerade deshalb ist die Frauenbewegung wichtig. Die Frau sollte das Zentrum des Lebens, das Zentrum der demokratischen Lösung, die Kraft die alles eint sein. Nur mit einem solchen Kampf kann man eine herausragende Frau sein. Ich betreibe nicht erst seit heute reale Politik. Das habe ich schon immer getan. Mein ganzes Leben über war das so. Ich habe die politischen Entwicklungen immer gut verfolgt. Ich erinnere mich als ich noch im Dorf war und dort einiges erklären wollte antworteten mir die Leute im Dorf: ‚Komm uns nicht mit solchen Dingen, dass können wir doch eh nicht verstehen. Ob du uns das nun erklärst oder einem Baum, dass macht keinen Unterschied‘ und sind von dannen gezogen. Führung-Sein bedeutet; voraus zuschauend zu sein. Das Wichtige ist; Entwicklungen vorherzusehen. Die Madrasa Fußnoten: ANF; 17. Dezember 2010
|
ISKU | Informationsstelle Kurdistan |