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denn morgen kann vielleicht schon zu spät sein!
Hasan Cemal, Kolumnist
„Noch einmal appellieren ich an das Gewissen und an die demokratische
Öffentlichkeit. Um erneute Wunden und einen weiteren großen Bruch zu vermeiden
muss jeder gegenüber dem Hungerstreik sensibel sein und sich noch mehr
für Frieden, Freiheit und Demokratie einsetzen.“
Heute werde ich meine Spalte dem Brief von Ahmet Türk über den Hungerstreik
überlassen.
***
Heute ist der 43 Tag des Hungerstreiks in den türkischen Gefängnissen.
Der Hungerstreik hat einen kritischen Punkt erreicht.
Wenn kein Schritt in Richtung Erfüllung der Forderungen getan werden sollte,
fürchte ich, dass die Geschichte sich wiederholt, sich unserem Schmerz
neue Schmerzen hinzufügen und jeder Tod uns einen weiteren Schritt voneinander
entfernt.
Bedauerlicherweise hält die Blindheit des Gewissens und das Stumm sein
der Stimme gegenüber dem Feuer das aus den Gefängnissen aufsteigt weiterhin
an.
Jeder der ein Gewissen hat sollte sich aber eines fragen. Warum haben
hunderte junge kurdische Menschen seit 43 Tagen ihren Körper dem Tode
geweiht?
Die Forderung der jungen kurdischen Menschen in den Gefängnissen ist nicht
darauf gerichtet die eigenen Lebensbedingungen zu verbessern. Sie haben
ihre Körper dem Tode verschrieben, um die sich zunehmend verschlechternde
Situation im Lande zu verbessern.
Sie sind im Widerstand um dieses Land, das sich zunehmend zu einem halboffenen
Gefängnis wandelt, zu befreien. Das gilt es wahrzunehmen.
Was fordern sie?
Die Aufhebung der Isolation in Imralı, Sicherstellung notwendiger Bedingungen
damit Öcalan im Friedensprozess seine Rolle erfüllen kann, Aufhebung der
Hindernisse gegenüber muttersprachlichem Unterricht und Anerkennung der
Muttersprache in der Verteidigung (vor Gericht).
Bei diesen Forderungen handelt es sich um rechtmäßige, um legitime und
demokratische Forderungen. Wenn sie erfüllt werden sollten wird die Ära
des Kampfes ein Ende finden, sich die Tür für einen ehrenvollen, gerechten
Frieden öffnen. Es handelt sich um Forderungen die geeignet sind ein neues
Blatt für die Zukunft der Gesellschaft beginnen zu lassen.
Deshalb sind es Forderungen die 75 Millionen (Menschen) direkt betreffen.
Deshalb kann keiner, der in diesem Land lebt, keiner der sich in diesem
Land Gedanken über die demokratische Zukunft des Landes macht, keiner
der Ruhe sucht, keiner der Freiheit wünscht, keiner der Frieden fordert,
der Gerechtigkeit gegenüber seiner Arbeit sucht sich unsensibel verhalten
und achtlos vorübergehen.
Bedauerlicher Weise ist die Türkei heute nicht an diesem Punkt angelangt.
Der Hungerstreik in den türkischen Gefängnissen wird nicht ausreichend
aufgegriffen.
Und das erfüllt mich mit zunehmender Sorge.
Sehen Sie!
In der Zeit des 12. September 1980 habe ich diesen Schmerz zur Genüge
kennen gelernt. Bin gefoltert worden, vor meinen Augen sind meine Freunden
aufs unmenschlichste gefoltert worden.
Ich habe (durch sie) Freunde verloren.
Ich wurden Zeuge, wie die leblosen Körper meiner Freunde in Bettdecken
gehüllt fortgetragen wurden; erlebte die Trauer und den Schmerz, der vor
dem Gefängnis wartenden Angehörigen, durchlebte das gleiche wie sie.
Die Tode der 1980er haben einen großen Bruch verursacht. Das kurdische
Problem hat sich verschärft. Heute bin ich erneut Zeuge, wie wieder die
gleiche schmerzhafte Ära vor der Tür steht.
Die Geschichte ist davor sich zu wiederholen.
Eigentlich hat sich an der seit langem gegenüber den Kurden gezeigten
Politik nichts geändert. In der Zeit des 12. September herrschte Verleugnung
und Assimilation.
Auch heute dauert die gleiche autoritäre und antidemokratische Praxis
der Verbote gegenüber den Kurden und den Muttersprachen an.
Auch heute sehen wir uns mit einer Mentalität konfrontiert, die dem muttersprachlichen
Unterricht die Rechtmäßigkeit abspricht, die die Sprache und Identität
eines Volkes diskriminiert und verleugnet.
Auch vor 30 Jahren gab es die Forderung der Kurden (nach Anerkennung)
der Sprache, Kultur und Identität. Dafür waren kurdische junge Leute bereit
zu sterben.
Heute wird mit den gleichen Forderungen erneut ein Hungerstreik bestritten.
Die jungen Kurden Opfern ihre Körper für die Muttersprache, für eine Zukunft
in Freiheit. Auch damals warteten die Angehörigen vor den Gefängnissen,
vor den Krankenhäusern ohnmächtig auf den Tod.
Auch heute sind tausende von Familien vor den Gefängnissen, auf den Straßen,
auf den Plätzen, wollen dem Ruf eine Stimme hinzufügen, erhoffen das der
Schrei der zwischen den Mauern empor steigt vernommen wird.
Wenn heute nichts unternommen wird, so befürchte ich, wird der Bruch der
darauf folgen wird noch tiefer als der der Jahre von 1980. Die emotionale
Trennung wird beschleunigt, und eine Zeit wird anbrechen (deren Wunden)
nur schwerlich heilen und von der es kaum eine Rückkehr gibt.
Deshalb muss, bevor es zu neuen Wunden kommt, jeder der ein Gewissen besitzt
den Schrei der zwischen den Mauern empor steigt vernehmen und unterstützen.
Das Gewissen der Parteien, der Regierung hat Hornhaut gebildet, ist blind
und ohne Empfindung. Wir aber wissen dieses Land hat Stimmen mit Gewissen
und Mut. Ich habe keinen Zweifel daran dass sehr ehrenwerte Intellektuelle,
Schriftsteller und Künstler sich für die Zukunft des Landes einsetzen
werden. Sich mit ganzem Herzen für den Frieden, für die Geschwisterlichkeit
einsetzen.
Noch einmal appelliere ich an das Gewissen und an die demokratische Öffentlichkeit.
Um erneute Wunden und einen weiteren großen Bruch zu vermeiden muss jeder
gegenüber dem Hungerstreik sensibel sein und sich noch mehr für Frieden,
Freiheit und Demokratie einsetzen.
Denn morgen kann vielleicht schon zu spät sein!
Mit Hochachtung
Ahmet Türk
Unabhängiger Abgeordneter für Mardin
Co-Generalvorsitzender der DTK
Quelle: Milliyet.com.tr, 24.10.2012
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