Pressekonferenz
zahlreicher Intelektueller in Istanbul
Zahlreiche
Intellektuellen haben am 1. November in Istanbul eine Pressekonferenz
über den Hungestreik in den Gefängnissen abgehalten, unter ihnen Yaşar
Kemal, Zülfü Livaneli, Murathan Mungan, Prof. Dr. Özdemir Aktan, Prof.
Dr. Mehmet Bekaroğlu und Gençay Gürsoy.
SIE WERDEN EINE GANZE
GENERATION ZERSTÖREN
Der international bekannte Schriftsteller und Intellektuelle Yasar Kemal,
der in Begleitung seiner Frau Ayse Semiha Baba an dem Treffen teilnahm,
erinnerte in seiner Ansprache an die vorherigen Hungerstreiks: „Die Regierung
und alle Offiziellen sind für die früheren Hungerstreiks verantwortlich.
Und sie sind es auch dieses Mal. Heute sind auch die Väter und Söhne dieser
Hungerstreikenden an diesem Kampf beteiligt. Sie [gemeint die türkische
Regierung] werden eine ganze Generation zerstören.“
(Yasar Kemal beendete
seine Ansprache vorzeitig und teilte den Journalisten den Rest seiner
Rede über seine Frau mit.)
Die folgenden Äußerungen sind seinem Redetext entnommen.
„Dem Hungertod eines Menschen zuzuschauen, ist das größte Leid von allen.
Dies ist der Menschheit nicht würdig. Die Forderungen derjenigen, die
heute dabei ihr Leben aufs Spiel setzen, sind grundlegende Menschenrechte
in Demokratien. Solange eine Lösung möglich ist, also solange Todesfälle
verhindert werden, werden die Regierung, die Opposition, die Medien und
wir alle verantwortlich sein für die Konsequenzen und den Verlust von
Menschenleben. Frieden ist in diesem Land das Recht und die Sehnsucht
aller. Um Frieden zu ermöglichen, sollten wir uns alle den neuen Hindernissen
entgegenstellen, die den Frieden verhindern. Ich wäre allen, die sich
für diese Ideale einzusetzen, von Herzen dankbar.”
WIR HABEN STERBENDE
MENSCHEN GESEHEN
Zülfü Livaneli sagte, dass sogar zum Zeitpunkt dieses Treffens Menschen
am Rand des Todes stehen:
Es ist sehr schwer, sich solch ein Geschehen bildlich vorzustellen, aber
wir haben es zusammen mit meinen Freunden erlebt. Wir haben 1996 Leute
gesehen, die im Gefängnis am Bett eines sterbenden jungen Mannes wachten,
wir sahen Leute, die am Rande des Todes standen. Noch heute verfolgt mich
das in meinen Träumen, es ist ein Albtraum, der nie zu Ende geht.
Ungeachtet von Meinungsunterschieden messen wir einem Menschenleben hohen
Wert bei. Meiner Meinung nach sind diejenigen, die sich im Todesfasten
befinden, nicht die Verantwortlichen. Ich denke nicht, dass man zu einer
Lösung kommt, wenn man mit ihnen spricht. Man kann es aber auch nicht
dabei belassen. Weil, so sagen wir, ein Menschenleben den höchsten Stellenwert
hat. Er [der Hungerstreikende] sagt, mein Anliegen ist wichtiger als mein
Leben. Dies ist ein fundamentaler Unterschied. Die hier verantwortliche
Seite ist die Regierung, genauer gesagt, der Ministerpräsident, also die
türkische Regierung. Diskurse sind in der Türkei sehr wichtig. An die
Würde, Integrität und Ehre der Menschen zu appellieren ist das eine, diese
Werte zu verdrehen ist etwas anderes.
LASSEN SIE SICH NICHT
VON DER KEBAP-DEBATTE EINHOLEN
Livaneli stellte fest, dass es zwei konkrete Forderungen gibt, die bereits
auf der Tagesordnung der Regierung standen, „Sie sagen ‚Ja‘ zu diesen
zwei wesentlichen Fragen, der Justizminister sagt, ‚Eure Stimme ist gehört
worden, wir werden die entsprechenden Schritte einleiten‘, aber dann verfängt
sich der Ministerpräsident in einer Lamm-Kebap-Geschichte, anstatt zu
sagen, ‚OK, diese Fragen können gelöst werden, wir hoffen, dass sie den
Hungersteik beenden‘.“
DER MINISTERPRÄSIDENT
IST FÜR TODESOPFER VERANTWORTLICH
In einem Appell an Ministerpräsident Erdoğan sagte der Musiker Livaneli:
„Bitte ändern Sie ihre Haltung. Sie haben bereits die Bedingungen anerkannt,
begreifen Sie es nicht als Niederlage, in einer demokratischen Gesellschaft
gibt es Forderungen, ein Mensch mit Machtbefugnissen ist kein absoluter
Herrscher. Bitte hören Sie sich die Forderungen an und ändern Sie Ihre
Haltung. Weil niemand außer dem Ministerpräsidenten diese Angelegenheit
lösen kann. Das bedeutet, dass der Ministerpräsident auch für Todesopfer
verantwortlich wäre.“
Quelle: ANF, 01.11.2012,
Übersetzungskollektiv
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