Türkischer
Geheimdienstler Murat Şahin: Ömer Güney gehört zu uns
Murat Şahin, Agent
des türkischen Geheimdienstes MIT, erklärte im persönlichen Gespräch mit
der Tageszeitung Yeni Özgür Politika, dass der dringend Tatverdächtige
der Morde von Paris, Ömer Güney, ebenfalls Mitglied des türkischen Geheimdienstes
ist. „Die Verantwortliche unserer Einheit in Ankara, wir nannten sie nur
‚Teyze‘ (türk. für Tante), zeigte mir das Bild von Ömer und sagte mir:
‚Das ist unser Mann in Paris. Hast du ihn je gesehen oder kennengelernt?
Er wird zu einem Heval (kurd. für Genosse).' Dieser Pariser Heval ist
Ömer Güney gewesen."
Murat Şahin hat sich
von der Schweiz aus mit Yeni Özgür Politika in Verbindung gesetzt. Er
erklärte uns, dass er wichtige Informationen zu den Morden in Paris hat.
Zunächst wollte Şahin, dass wir seine Identität und seinen Wohnort nicht
preisgeben. Wir sollten ihn stattdessen als ‚M. Z. aus Italien‘ vorstellen.
Nachdem wir uns innerhalb der Zeitungsredaktion darüber beraten hatten,
beschlossen wir, dass aufgrund der aktuellen politischen Phase wir dies
nicht tun können. Dies teilten wir dann Şahin mit. Er erklärte daraufhin,
dass er dennoch mit uns sprechen wolle und von seinen Bedingungen absehe.
Er wollte nun, dass auch seine persönliche Geschichte in die Meldung eingebracht
wird. Zudem sagte Şahin, dass er auch bereit sei der Pariser Staatsanwaltschaft
Auskunft zu geben.
„Ömer wird zum Heval“
Murat Şahin beschrieb die Situation, in der ihm ein Bild von Ömer Güney
gezeigt worden ist, wie folgt: „Ich habe Ömer nirgends persönlich getroffen.
Aber als ich mich in Ankara mit der Verantwortlichen unserer Einheit mit
dem Codenamen ‚Teyze‘ traf, zeigte sie mir das Bild von Ömer und fragte,
ob ich ihn kennen würde oder schon Mal gesehen hätte. Er sei unser Mann
in Paris und würde zum ‚Heval‘. Das war das erste Mal, dass ich sein Bild
gesehen habe. Was anderes hat sie mir auch nicht gesagt. Vielleicht wollte
sie auch nur testen, ob ich ihn aus Europa kenne, ob ich irgendeine Verbindung
zu ihm habe. Vielleicht wollte sie auch Ömer mir gegenüber dechiffrieren
und hat mir deshalb sein Foto gezeigt. Vielleicht hatte es auch einen
ganz anderen Grund. Ich sagte nur, dass ich ihn nicht kenne und damit
war das Gespräch zu diesem Thema auch zu Ende. Ein anderes Mal sagte sie,
dass er in Holland gefasst worden sei, er aber nochmal mit Glück davon
gekommen ist. Sie ermahnte uns, vorsichtig zu sein. Das Bild, das mir
Teyze gezeigt hat, war auf jeden Fall Ömer Güney. Da bin ich mir sicher!"
Şahin erklärte, dass er bereits beim ersten Bild, das von der französischen
Staatsanwaltschaft veröffentlicht worden war, den Verdacht hatte, dass
Ömer Güney der ‚Pariser Heval‘ des MIT sein könnte. Als er dann die übrigen
Bilder Güneys, die im Internet kursierten, sah, war er sich sicher, dass
Ömer Güney diese Person ist.
Im Gespräch mit Şahin,
gab er uns zudem auf folgende Fragen interessante Antworten:
Wer ist diese
‚Teyze‘?
Sie ist der Kopf unserer Einheit. Sie ist zwischen 55 und 60 Jahre alt.
Sie dürfte seit vielen Jahren für unsere Einheit gearbeitet haben, auf
jeden Fall war sie eine Frau mit viel Erfahrung. Die Einheit hat sich
um die linksgerichteten Organisationen gekümmert. Die kurdische Einheit
ist nochmal eine andere. Ihr Arbeitszentrum befindet sich in einer Privatwohnung
auf dem Hügel von Ankara-Çankaya. Wenn wir nach Ankara gegangen sind,
haben wir uns dort mit ‚Teyze‘ getroffen. Und dort hat sie mir auch das
Bild von Ömer gezeigt. Ich habe gehört, dass sie aus der Schwarzmeer-Region
stammt. Ihren Namen kennen wir nicht und wir würden auch nicht danach
fragen. Für uns war sie lediglich ‚Teyze‘.
Wie kam es zu
den Morden von Paris?
In Europa laufen die Arbeiten des MIT gegen linksgerichtete Gruppen und
die Kurden unter den Dächern der Botschaften. Aus der Botschaft erhalten
die MIT-Leute ihre Befehle. In der Schweiz (wo Şahin selbst tätig war)
ist der Verantwortliche in der Botschaft von Bern beispielsweise Ali Doğan
gewesen. Vor ihm war es Mutlu.
Beim Mord in Paris denke ich nicht, dass Ömer es alleine gewesen war.
Er war der Auftragsmörder. Aber ohne zwei oder drei Agenten an seiner
Seite hätte er diese Tat nicht durchführen können. Alleine ist das unmöglich.
Auch bei den Lehrgängen, die wir erhalten, heißt es, dass wir nicht alleine
handeln sollen. Ich denke, für das Massaker von Paris sind die Hardliner
des MIT verantwortlich. Wir wissen, dass es solch einen Flügel im MIT
gibt. Die gibt es in dem MIT, im JITEM in Ergenekon. Sie sind dafür, dass
der Krieg weitergeht und die Kurden keine Rechte erhalten, andere sind
für eine Lösung. Ich denke, das ist ein Ergebnis der Auseinandersetzung
dieser Flügel. Wäre Ömer nicht festgenommen worden, hätten sie ihn entweder
aus Paris rausgeholt oder ihm wäre etwas widerfahren. Wenn er der Auftragsmörder
ist, kann es auch sein, dass er nicht spricht. Vielleicht wurden ihm Versprechungen
gemacht.
Wie funktioniert
das Einschleusen in die Organisation?
Das Einschleusen, wie es Ömer Güney im kurdischen Verein in Paris gemacht
hat, ist eine bekannte Methode. Bei den Vereinen in Europa ist das ohnehin
einfach. Das Schwierige ist, Beziehungen zu den Menschen aufzubauen, die
man im Visier hat. Ich denke, Ömer hat Vertrauen gewonnen, indem er mehr
Initiative als andere im Verein gezeigt hat, indem er sich für jede Aufgabe
bereit erklärt hat. Ohne dieses Vertrauen hätte er sich diesen Personen
nicht so sehr nähern können.
Würden Sie mit
den französischen Behörden sprechen?
Wenn die französische Polizei und die Justiz meine körperliche Unversehrtheit
und Sicherheit gewährleisten können, kann ich mein Wissen auch mit ihnen
teilen.
Wie kam Murat Şahin zum MIT?
Şahin erklärte, dass er seit 2006 mit dem türkischen Geheimdienst MIT
in Verbindung steht. Damals sei er von einem Verantwortlichen mit dem
Namen Mutlu vom türkischen Konsulat in Zürich gerufen worden. Er beschreibt
seine Anwerbung durch den MIT wie folgt: „Ich dachte, es handelt vielleicht
um dem Militärdienst oder etwas Ähnliches. Aber Mutlu sagte zu mir: ‚Dein
Vater wird als politischer Aktivist gesucht. Deine Familie lebt in der
Türkei. Und wir wissen, dass du mit Politik nichts am Hut hast. Wenn du
nicht bereit bist mit uns zu arbeiten, wird deine Familie in Gefahr geraten.
Wir haben dich nun kennengelernt und es gibt kein Zurück mehr. Wir werden
dich finanziell unterstützen. Am Anfang bekommst du 3000 Franken von uns,
später unterstützen wir dich zusätzlich je nach den Aufgaben, die du erfüllst.
Dich wird ohnehin niemand verdächtigen. Benutze die Stellung deines Vaters,
das reicht.‘ Ich hatte damals finanzielle Sorgen, deshalb habe ich es
akzeptiert. Nachdem Mutlu weg war, liefen meine Beziehungen über Ali Doğan
von der Botschaft aus Bern. Er hat mich angerufen und mir gesagt, ich
solle nach Ankara reisen. In Ankara haben mich einige Herrschaften in
ziviler Kleidung am Busbahnhof abgeholt und mich zu ‚Teyze‘ gebracht.
So haben sich meine Beziehungen zum MIT in der Türkei entwickelt. ‚Teyze‘
hat sich um die linksgerichteten Organisationen gekümmert. Sie sagte mir,
dass ich von nun an, wenn ich in die Türkei komme, ihr das mitteilen soll
und auf ihre Befehle hören soll.“
Şahin erhielt den Auftrag in die Organisation „Devrimci Karargah“ (Revolutionäres
Hauptquartier) einzusickern und wurde bei einer Operation der Polizei
gegen diese Organisation im Dezember 2011 verhaftet. „Ich habe der Polizei
in Istanbul gesagt, dass ich ein Agent des Geheimdienstes bin. Aber Serdar
Bayraktar von der Anti-Terror-Einheit nahm mir das nicht ab. Ich wurde
vor die Staatsanwaltschaft gebracht, aber der MIT hatte immer noch nicht
interveniert. Erst später sagte der MIT, dass ich ihr Agent bin und so
kam ich frei“, so Şahin.
Warum wollte Şahin mit uns
sprechen?
Şahin gibt an, dass er sich hintergangen fühlt und deswegen im Fall von
Güney sein Wissen uns mitgeteilt hat. Aufgrund der späten Intervention
des MIT wurde Şahins Name nach seiner Festnahme durch die Presse öffentlich
gemacht, weshalb er sich dechiffriert fühlt. Nach seiner Entlassung kehrte
er deshalb in die Schweiz zurück. „Ich wurde fallengelassen. Offiziell
bin ich noch MIT-Agent. Bei dem Prozess gegen die Organisation Devrimci
Karargah wurde ich auf Anweisung des Regierungspräsidiums freigelassen.
Allerdings wurde diese Anweisung nicht schriftlich getätigt, weshalb ich
jeder Zeit wieder festgenommen werden kann. Andererseits könnte ich auch
zum Angriffsziel einer Organisation werden“, erklärte Şahin.
Yeni Özgür Politika, 31.01.
Quelle: ANF, 31.01.2013,
ISKU
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