Der Journalist Fehim Taştekin hat sich für die Zeitung Radikal, die in der Türkei erscheint, nach Südkurdistan und Rojava begeben, um sich ein Bild über die Situation der Kurdinnen und Kurden im Kampf gegen den Islamischen Staat (IS)zu machen. Was dabei herausgekommen ist, ist eine mehrteilige Reportage, die eindrucksvolle Einblicke liefert. Wir möchten die Reportagen Taştekins in gekürzter Form veröffentlichen, um seine Eindrücke auch mit euch zu teilen. Hier jetzt Teil I und II: Teil I: Erste Station MaxmurFehim Taştekin Meine erste Station ist ein Camp das auf den Hängen eines Berges errichtet worden ist, auf dem es zuvor nichts außer Schlangen und Skorpionen gab. Wir befinden uns im Maxmur Camp. Die Bewohner des Flüchtlingscamp kommen aus der Türkei, genauer aus Nordkurdistan. Sie gehören zu den Opfern des schmutzigen Krieges der 90er Jahre. Wie begegnen Kontrollpunkten, die von Peshmerga-Kräften und den PKK Guerilleros kontrolliert werden; rechts ein Kontrollpunkt, an dessen Wand ein Portrait von Öcalan hängt und links ein kleines Büro der Vereinten Nationen, das leer steht. Unter den aktuellen Bedingungen im Mittleren Osten ist es der PKK gelungen, sowohl politisch als auch militärisch an Einfluss zu gewinnen. Von einer Entwaffnung der PKK, wie sie im Zuge des Friedensprozesses auch thematisiert wurde, kann derzeit vor dem Hintergrund der Lage in der Region nicht die Rede sein. In Rojava wird derzeit das von Abdullah Öcalan vorgeschlagene Gesellschaftssystem der Demokratischen Autonomie umgesetzt. Und in Südkurdistan (Nordirak) hat die PKK durch ihre Rolle beim Kampf gegen den Islamischen Staat an wichtigem Einfluss dazugewonnen. Der bewaffnete Arm der PKK, die Volksverteidigungskräfte (HPG), haben von Şengal bis Kirkuk, von Maxmur bis hin in das Gebiet von Taze Hurmatu, Beşir und Tuz Hurmatu, wo vor allem Turkmenen leben, gemeinsame Verteidigungspunkte mit den Peshmerga-Kräften errichtet. Ich bin zunächst nach Hewlêr (Erbil) gereist, um dort vor Ort die Situation besser zu begreifen. Die Menschen erzählten mir auf den Straßen, welche Hoffnungen sie geschöpft hatten, als nach dem Fall von Şengal und dem Heranrücken des IS auf Hewlêr auf einmal nach einem Aufruf der politischen Parteien Südkurdistans Guerillakräfte der PKK in die Stadt kamen. Nach einem kurzen Besuch in Hewlêr fuhr ich weiter in Richtung Süden nach Maxmur. In dieser von Arabern und Kurden gemeinsam bewohnten Stadt befand sich an einem Berghang auch das Flüchtlingscamp Maxmur. Maxmur: Ein
nicht enden wollendes Drama Im Jahr 1993
stehengeblieben … „Ich musste mit meiner Familie im Alter von sechs Jahren unser Dorf verlassen“, berichtet Fatma İzer und fährt wie folgt fort: „Die ersten Tage waren besonders schlimm. Ich erinnere mich, dass wir beim Fluss Neh waren, es schneite und es war sehr kalt. Ich zitterte. Diese Nacht werde ich nie vergessen. Ganz vier Monate lebten wir draußen. Aus den Nachbardörfern hatten wir Plastikplanen bekommen und uns daraus Zelte gebastelt.“ Auf die Frage, ob es nicht Zeit für eine Rückkehr sei, antwortet sie: „Wie sollen wir das tun? Im Jahr 2011 haben wir das versucht. Ich bin als Teil einer Friedensgruppe nach Nordkurdistan (Osttürkei) gefahren. Die Leute aus unserer Gruppe wurden bestraft und verurteilt .Ich habe eine Strafe von 7,5 Jahren bekommen. Weil die ersten fünf Leute beim ersten Verhandlungstag verhaftet wurden, bin ich geflohen und wieder hierhergekommen.“ Fatma erklärt mir, dass die Volksversammlung von Maxmur Bedingungen aufgestellt habe, wann eine Rückkehr für sie in Frage käme. Diese Bedingungen sind die Anerkennung der politischen und kulturellen Identität der Kurden, das Recht auf Unterricht in der Muttersprache, die Anerkennung der Autonomieforderung der kommunalen Selbstverwaltungsstrukturen, die Freiheit Öcalans, die Auflösung des Dorfschützersystems und Wiedergutmachung für die Schäden, die die Bevölkerung erlitten hat. „Auch wollen wir eine Garantie dafür, dass wir nicht wegen Parteimitgliedschaft oder wegen illegaler Grenzüberschreitung bestraft werden. Und zu guter Letzt wollen wir auch in Nordkurdistan zusammenleben.“ Selbstverteidigung
gegen den IS Radikal, 30.09.2014, ISKU Teil II: Zu Besuch in KandilFehim Taştekin Während der bewaffnete Arm der PKK sich an einer breiten Front, die von Südkurdistan bis nach Rojava reicht, im Kampf mit dem Islamischen Staat IS befindet, war es für mich wichtig zu verstehen, wie die PKK-Führung in Kandil über die aktuellen Entwicklungen in der Region denkt. Ich bekam die Gelegenheit dies mit Cemil Bayık persönlich zu besprechen. Das ganze entwickelte sich etwas überraschend. Eigentlich war ich damit beschäftigt, die Möglichkeiten auszuloten, wie ich von Südkurdistan nach Rojava gelangen konnte. Doch dann bekam ich die Nachricht, dass solch eine Möglichkeit für mich bestehen würde. Ich nahm natürlich sofort an. Am 19. September reiste ich
nach Kandil. Ich hoffe eigentlich noch an dem Tag das Gespräch zu führen.
Doch das klappte nicht. Ich verbrachte die Nacht also in den Bergen. Mit
mir war ein älterer Mann aus Maxmur gekommen. Er wollte seinen Sohn in
den Bergen besuchen. Am Abend kamen wir in einer geselligen Runde zusammen.
Das einzige Gesprächsthema war natürlich Kobanê. „Die AKP hat
keine Ausreden mehr“ Ich fragte nochmal nach der
Pufferzone. „Auch wenn es unwahrscheinlich aussieht, dass die Türkei das
hinkriegt, wie würdet ihr auf eine Pufferzone reagieren?“ Auf meine Frage, wie die kurdische
Bewegung im Falle eines Endes des Prozesses agieren würde, antwortete
Bayık wie folgt: „Wir wollten die Frage auf dem Wege der demokratischen
Politik lösen. Aber die entsprechende Reaktion der Gegenseite blieb aus.
Das Ziel der AKP war es, die Kommunalwahlen und die Präsidentschaftswahlen
zu gewinnen. Und jetzt sind die Parlamentswahlen das nächste Ziel. Wir
hatten ihnen eine Frist bis Ende September aufgelegt. Früher sagten sie
uns, dass sie nicht immer so agieren können, wie sie es eigentlich wollen.
Jetzt zählen diese Ausreden aber nicht mehr viel. Sie stellen die Regierung
und den Präsidenten. Sie kontrollieren das Parlament, den Geheimdienst
und das Militär. Das ist also nicht mehr eine AKP-Regierung sondern der
AKP-Staat. Wie gesagt, wir dulden keine Ausreden mehr. Deswegen haben
wir gesagt, dass sie nach den Präsidentschaftswahlen noch einen Monat
erhalten. Wenn dann die Verhandlungen nicht beginnen, werden wir diesen
Prozess nicht mehr weiterführen. Und dann kann es von verstärkten Akten
des zivilen Ungehorsams bis hin zu Aktionen der Guerilla kommen.“ Radikal, 01.10.2014, ISKU |
ISKU | Informationsstelle Kurdistan |