Am 9. Januar 2015 jährt sich der Mord an Sakine Cansız, Fidan Doğan und Leyla Şaylemez Ankara–Paris–Berlin – behinderte GerechtigkeitMaxime Azadi, Journalist, Januar 2015 Seit dem Mittag des 9. Januar 2013 nahm niemand mehr die Anrufe im Kurdistan-Informationszentrum von Paris entgegen. Drei Frauen hielten sich dort auf und es herrschte tödliche Stille. Anfangs merkte noch niemand, dass etwas nicht stimmte. Am Abend machten sich die Ersten Sorgen. Das Telefon im Zentrum läutete weiter. Doch es gab kein Lebenszeichen von drinnen. In der Nacht klingelte es dann auch an der Tür des Zentrums in der Rue La Fayette 147. Es war ein kalter Wintertag. Erst gegen ein Uhr nachts am 10. Januar gelang es drei Personen, in das Informationszentrum zu gelangen. Und dort erblickten sie die drei Leichname. Sara (Sakine Cansız), Rojbîn (Fidan Doğan) und Ronahî (Leyla Şaylemez) waren mit jeweils drei Kugeln ermordet, eine zehnte Kugel in den Mund von Rojbîn abgefeuert worden. Sara war ein Gründungsmitglied der PKK, Rojbîn die Vertreterin des im Exil gegründeten Nationalkongresses Kurdistan (KNK) in Paris und Ronahî ein Mitglied der kurdischen Jugendbewegung gewesen. Diese Morde lösten einen gesellschaftlichen Schock und große Wut aus. Und der Täter war nicht weit. Er hatte sich seit eineinhalb Jahren in die kurdische Freiheitsbewegung eingeschleust und in der Zeit seine Mordpläne vorbereitet. Er hatte vielfach die Möglichkeit, seine Pläne umzusetzen, doch den dazu nötigen Befehl noch nicht erhalten. Zu einem Zeitpunkt, als die Türkei auf die Totalisolation des inhaftierten PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan setzte und über die sogenannte tamilische Lösung, also die völlige Vernichtung der kurdischen Guerilla, diskutierte, wurde der Täter, der sich damals in Deutschland aufhielt, in Bewegung gesetzt. Das war Mitte 2011. Im November 2011 tauchte dieser Güney dann im Pariser Vorort Villiers-le-Bel auf und meldete sich in dem dortigen kurdischen Verein an. Auf der Todesliste Güneys standen die Namen einer Vielzahl kurdischer AktivistInnen. Zuletzt hatte er der Liste den Namen von Sara hinzugefügt. Im Oktober 2012 reiste Sara wegen einiger bürokratischer Angelegenheiten nach Paris. Das war die erste Gelegenheit für den Täter, direkten Kontakt mit ihr aufzunehmen. Die Information über Saras Ankunft in Paris gelangte zunächst an den türkischen Geheimdienst. Dieser setzte daraufhin seinen Täter in Bewegung. Als es ein Jahr nach der Ermordung der drei Frauen in Paris zum Krach zwischen der Gülen-Bewegung und der AKP kommt, gelangen im Zuge der gegenseitigen Schlammschlacht auch Dokumente an die Öffentlichkeit, die belegen, dass diese Morde in Ankara geplant worden waren. Drei Tage nach dem ersten Jahrestag der Morde von Paris, also am 12. Januar 2014, taucht eine Tonbandaufnahme des Täters Ömer Güney im Internet auf. Darauf diskutiert er mit zwei Angehörigen des türkischen Geheimdienstes MIT über die Mordpläne. Der Täter berichtet, dass auch andere Mitglieder seiner Familie Verbindungen zum MIT gepflegt hätten. Er berichtet von dem verschlüsselten Handy, das er vom MIT erhalten habe, von seiner Arbeit in Paris, von den Personen, die er ins Visier genommen habe und von der Waffe und dem Geld, die er für die Umsetzung seiner Pläne benötige. Dann erzählt er, wie er einer seiner Zielpersonen vor dem kurdischen Verein von seinem Auto aus eine Falle stellen und sie so auslöschen könne. Anschließend diskutiert er mit den beiden MITlern über mögliche Fluchtwege. Sie klären, wie die Tatwaffe aus Belgien zu besorgen sei. Einer der Geheimdienstler macht Güney auf das Krypto-Handy aufmerksam: „Warte auf ein Zeichen von uns. Es kann ja sein, dass sich eine andere Gelegenheit ergibt, dann klären wir das wie geplant verschlüsselt über dein Handy. Aber bis dahin kannst du dir noch mal Gedanken über deinen Plan machen.“ Dass es sich bei der Stimme auf der Aufnahme tatsächlich um die von Ömer Güney handelt, haben Leute, die ihn persönlich kennen, bestätigt. Zwei Tage nach dem Auftauchen der Tonbandaufnahme wird im Internet diesmal das Dokument veröffentlicht, in dem der Befehl an den Täter festgehalten ist, Sakine Cansız zu ermorden. Der dunkle Oktober In der E-Mail von „Lejyoner“ ist auch die Rede von Adem Uzun, Exekutivratsmitglied des KNK. Es heißt, dass Sakine Cansız kurz nach der Festnahme Adem Uzuns nach Paris gereist sei. Adem Uzun war am 6. Oktober 2012 infolge einer skandalösen Zusammenarbeit des türkischen und des französischen Geheimdienstes festgenommen worden. Er wurde erst am 9. August 2013 aus der Haft entlassen, weil sich die scheinbaren Beweise gegen ihn als illegal gesammelt und deshalb nicht verwertbar herausstellten. Interessant an dieser Episode ist vor allem, dass die französischen und türkischen Geheimdienste wenige Monate vor der Ermordung der drei Frauen wohl eng und in rechtlicher Hinsicht nicht immer legal zusammengearbeitet haben. Die enge Zusammenarbeit zwischen Frankreich und der Türkei bei der Verfolgung kurdischer AktivistInnen belegt zudem eine E-Mail des französischen Untersuchungsrichters Thierry Fragnoli an den französischen Botschafter in Ankara. Fragnoli informiert darin die Botschaft darüber, dass der französische Staat seit 2006 intensiver als alle anderen europäischen Staaten PKK-Mitglieder verfolge, verhafte und verurteile. Seine E-Mail ist zugleich auch eine Antwort auf den Vorwurf des damaligen türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdoğan, die westlichen Staaten würden zu wenig gegen die PKK-Strukturen in ihren Ländern tun. Fragnoli schickte dieselbe E-Mail auch an einen türkischen Nationalisten, mit dem er wohl seit Längerem in Kontakt stand. Über Umwege gelangte sie dann im Dezember 2012 schließlich in die Hände von Rojbîn. In Anbetracht der aus den bisherigen juristischen Ermittlungen über Ömer Güney an die Öffentlichkeit gelangten Informationen fällt auf, dass er sich zwischen dem 1. und dem 3. Oktober 2012 in Ankara aufhielt, also zur selben Zeit, als Fragnoli seine E-Mail dort an die französische Botschaft schickte. Im Oktober 2012 scheint sich also in der Zusammenarbeit zwischen der französischen und der türkischen Justiz und den beiden Geheimdiensten etwas getan zu haben. Im Jahr 2014 gab es neue Entwicklungen in den juristischen Untersuchungen zum Täter Ömer Güney. Die Untersuchungsrichterin Jeanne Duyé verlangte von französischen Geheimdiensten, ihre Informationen über den Täter preiszugeben. Auch forderte sie, die Geheimhaltung der Akten über Ömer Güney und das Kurdistan-Informationszentrum aufzugeben. Untersuchungen stoppen vor
den Türen des MIT Die französische Staatsanwaltschaft klopft an die Tür sowohl des türkischen als auch des französischen Geheimdienstes, doch das Personal hinter beiden Türen weigert sich, seine Informationen über Ömer Güney weiterzuleiten. In den türkischen Untersuchungen hingegen wird man mit allen Mitteln versucht, einen Bogen um den türkischen MIT zu machen. Wenige Tage vor der Veröffentlichung der Tonbandaufnahme im Internet erhielt Güney in seinem Gefängnis Besuch von einem Bekannten aus Deutschland. Wie französische Medien herausfanden, soll er mit ihm auch über einen Fluchtplan gesprochen haben. Außerdem soll er seinen Besucher gefragt haben: „Hast du die Informationen an meine Mutter weitergeleitet?“ Mit der Mutter Güneys ist wohl der türkische Geheimdienst gemeint. Schlafende Zellen des türkischen
Geheimdienstes in Europa? Güney hatte Ankara den letzten einer Vielzahl von Besuchen zwischen dem 19. und dem 21. Dezember 2012 abgestattet. Darüber und über seine Rolle im türkischen Geheimdienst wurde die französische Polizei durch eine E-Mail vom 20. Januar 2013 informiert. Das Interessante an dieser E-Mail ist, dass sie von einem deutschen Mailprovider verschickt wurde, die dazugehörige IP-Adresse allerdings im Iran lokalisiert wird. Diese E-Mail wirft bei den Untersuchungen der französischen Behörden weiter Fragen auf. Die jüngsten Erkenntnisse zu den Auslandsaktivitäten des türkischen MIT sind noch sehr aktuell. Im Dezember 2014 wurden am Frankfurter Flughafen drei türkische Geheimdienstler festgenommen. Einer der drei, der 33-jährige Taha Gergerlioğlu, soll AKP-Mitglied und ehemaliger Berater Erdoğans sein. Und ein Ziel der drei Festgenommenen sollen erneut kurdische Strukturen gewesen sein. Ihre genauen Pläne sind nicht bekannt. Zum Zeitpunkt der Morde von Paris hatten die Gespräche zwischen dem türkischen Staat und dem PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan erst neu begonnen. Die Morde waren direkt gegen diesen Dialog gerichtet. Schon während des Oslo-Prozesses, also der ersten Dialogphase zwischen PKK und türkischem Staat zwischen 2008 und 2011, sollen mögliche Attentate auf kurdische AktivistInnen geplant gewesen sein. Dafür sollen laut türkischem Zeitungsbericht vom Februar 2013 auch mögliche TäterInnen aus Deutschland nach Frankreich geschickt worden sein. Als dann 2011 der Oslo-Prozess abbrach, erhielten diese Zellen wohl zunächst den Befehl zum Untertauchen. Der vermeintliche Fluchtplan Ömer Güneys vom Januar 2014 sowie die aktuellen Festnahmen der drei türkischen Geheimdienstler am Frankfurter Flughafen deuten stark darauf hin, dass diese Zellen des türkischen Geheimdienstes in Europa weiterhin bestehen. Und somit weiterhin die Gefahr neuer Provokationen. Das alles zeigt, wie wichtig es ist, dass das Massaker von Paris samt allen Hinterleuten und StrippenzieherInnen so schnell wie möglich aufgeklärt wird. |
ISKU | Informationsstelle Kurdistan |