YEK-KOM, Föderation Kurdischer Vereine in Deutschland e.V.

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Düsseldorf, 11. August 2000

Faschistische Gewalt und rassistische Angriffe - wo liegen die Ursachen?

"Rechtes Wochenende", "Aus dem rechtsradikalen Abendprogramm", "Extremisten wieder aktiv" - das sind nur einige Überschriften aus Zeitungen der vergangenen Tage. Täglich neue Schreckensmeldungen über rassistische Gewalt faschistischer Gruppen, Forderungen nach tatkräftigem politischen und juristischen Handeln - und doch gibt es anscheinend eine gewisse Ratlosigkeit, die die Tatkraft behindertund mögliche Auswege zu sperren scheint. - Da unsere Mitglieder, Kurdinnen und Kurden, unmittelbar betroffen und von faschistischen und rassistsichen Angriffen immer wieder bedroht sind, möchten wir als kurdische Organisation mit diesem Diskussionsbeitrag versuchen, aus unserer Sicht Ursachen aufzuzeigen und auf Lösungsansätze hinzuweisen.

Eine Eskalation rechter Gewalt, wie sie zur Zeit in der Bundesrepublik erlebt wird, entsteht nicht über Nacht und kommt nicht aus dem Nichts. Werfen wir einen Blick auf die Vorgeschichte der heutigen Situation. Die aus faschistischem Gedankengut erwachsenden Gefahren sind über viele Jahre von Politikern und Medien heruntergespielt oder kaum beachtet worden. Die deutlichen Hinweise auf solche Tendenzen, die immer wieder von kurdischen und anderen Migrantenorganisationen sowie aus deutschen antifaschistischen Kreisen kamen, wurden ignoriert, die warnenden und mahnenden Gruppen kriminalisiert und sowohl in der bürgerlichen Presse als auch vom Verfassungsschutz und von der Justiz als weitaus gefährlicher dargestellt, als die angeblich nicht ernst zu nehmenden "Rechten". Diese Tendenz änderte sich erst im laufenden Jahr, als in den Verfassungsschutzberichten des Bundes und der Länder die zunehmende Schwere der Angriffe aus dem faschistischen Spektrum besorgt registriert wurde. Die Faschisten haben die vergangenen Jahre, in denen sie weitgehend ungestört blieben, genutzt, um sich zu organisieren, ihr zersetzendes Gedankengut zu verbreiten und die Taktik von Terroranschlägen durch "Einzeltäter" vorzubereiten. Jetzt schlagen sie zu, sei es in Düsseldorf (wo die Täter noch nicht gefasst sind, aber auf Grund der Zielgruppe des Anschlags ein "politischer Hintergrund nicht auszuschließen ist"), in Eisenach, in Essen, Kaldenkirchen, Herne und Rostock, in Zügen der Bundesbahn oder wo auch immer sonst.

Die Bevölkerung ist - vor allem seit dem Terroranschlag in Düsseldorf - aufgeschreckt, und die Medien bringen täglich neue Meldungen und groß aufgemachte Berichte (im Gegensatz zur bisherigen Praxis, kleine Meldungen über Anschläge auf Mitbürger mit dunkler Haut oder auf Asylbewerberheime auf den hinteren Seiten verschwinden zu lassen). Die Politiker äußern sich "besorgt", zeigen "Betroffenheit" und haben (beliebtes Mittel in Krisensituationen!) einen Ausschuss eingesetzt, der vor allem die Möglichkeit eines Verbots der NPD prüfen soll.

Selbstverständlich ist ein Verbot der NPD notwendig, denn diese Partei bietet den Nazi-Verbrechern den "legalen" Hintergrund, ferner die nötige Logistik sowie Möglichkeiten, u.a. Demonstrationen anzumelden. Diese Partei muss verboten werden - auch, wenn es einige Argumente dagegen gibt - zum Beispiel eine noch stärkere Tendenz nach "Rechts" in denjenigen bürgerlichen Parteien, die die Wähler einer verbotenen NPD "erben" würden.

Ebenso selbstverständlich müssen alle polizeilichen und juristischen Maßnahmen getroffen werden, die Täter zu finden und zu bestrafen - schnell und wirkungsvoll. Dass auch durch sozialpädagogische Maßnahmen auf die Täter und ihr Umfeld, insbesondere auf die gefährdeten Jugendlichen, eingewirkt werden muss, ist ebenfalls selbstverständlich.

Alles das genügt jedoch nicht, um der Flut faschistischer Gewalt einen Damm entgegenzusetzen. Die Wurzeln der heutigen Eskalation liegen in den Versäumnissen der Vergangenheit, und es ist eine schwere und notwendige Aufgabe der Gegenwart, ab sofort politisch und gesellschaftlich eine Atmosphäre zu schaffen, die Rassismus, Ausländerfeindlichkeit und der Ausgrenzung von Randgruppen (z.B. Obdachlosen!) den Boden entzieht.

Was kann in dieser Richtung getan werden?

In der Vergangenheit galt in Deutschland ein Staatsbürgerschaftsrecht, das sich an der persönlichen Herkunft (jus sanguinis - Recht des Blutes) orientierte. Diese Vorstellung herrscht heute noch in weiten Kreisen der Bevölkerung und nicht zuletzt bei gewissen Politikern. Für die Praxis bedeutet das, dass Deutsche, deren Eltern oder Großeltern vor Jahrzehnten eingewandert sind, von vielen ihrer Mitbürger in der Bundesrepublik nach wie vor als "Ausländer" (und damit weitgehend als unerwünscht) wahrgenommen werden. Sehr viele deutsche Mitbürger verdrängen oder leugnen konsequent die Tatsache, dass die deutsche Gesellschaft ohne Zuzug von außen, also Einwanderung, in wenigen Jahrzehnten zusammenbrechen würde. Stattdessen wird Ausländerfeindlichkeit geschürt mit dem Argument, dass "Ausländer" den "Deutschen" die Arbeit "wegnehmen" oder dass ihre Kinder die deutschen Steuerzahler "viel Geld" kosten. Sachlich ist das Blödsinn - aber solche Argumente sind immer wieder zu hören.

Die Menschen mit dunkler Haut oder schwarzen Haaren, die den "guten Deutschen" täglich in der Bahn, im Bus oder auf der Straße begegnen, sind zum größten Teil weder "Gäste" noch "Fremde", sie sind Mitbürger. Wenn es gelingt, diese Vorstellung in der Bevölkerung als einen neuen gesellschaftlichen Wert oder zumindest als Selbstverständlichkeit zu verankern, ist viel gewonnen.

Darüberhinaus müssen alle zu verstehen lernen, dass Flüchtlinge und AsylbewerberInnen nicht freiwillig nach Europa und also auch nach Deutschland kommen, sondern sich in einer bitteren Notlage befinden. Es gibt unzählige abgelehnte AsylbewerberInnen, die sich in der Abschiebehaft lieber selbst getötet haben, als sich in ihre Herkunftsländer ausliefern zu lassen.

In Kindergärten und Schulen ist in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten bereits viel Integrationsarbeit geleistet worden. Es gibt auch lebhafte Bemühungen von zahlreichen aufgeschlossenen Gruppen der Gesellschaft, Begegnungsmöglichkeiten für Erwachsene zu schaffen, um durch gegenseitiges Kennenlernen Vorurteile abzubauen und dabei gleichzeitig Verständnis für die fremden Kulturen und persönlichen Gewinn durch Erweiterung des eigenen Horizonts zu erlangen. Solche Bemühungen müssen verstärkt fortgeführt werden und sollten auch finanziell ausreichende Förderung erfahren.

Ganz und gar kontraproduktiv und zu verabscheuen sind jedoch die immer wieder auftauchenden Tendenzen politischer Parteien, mit billiger Ausländerfeindlichkeit Wählerstimmen von Ewig-Gestrigen gewinnen zu wollen. Solche Kampagnen können tödliche Wirkungen haben, denn von ihnen führt ein direkter Weg zu den faschistischen Sprengsätzen, die gegenwärtig alle Menschen in Deutschland in Angst und Schrecken versetzen und - das sei ausdrücklich betont! - das deutsche Ansehen weltweit schwer beschädigen. Wenn für das ganze europäische "Haus" gilt, dass es darin keinen Platz für Rassismus und Ausgrenzung gibt, und wenn das endlich alle "Wohnungen" in diesem Haus, also die einzelnen europäischen Nationalstaaten, einschließen wird, dann sollten in absehbarer Zeit Nazis und andere Faschisten keine Chance mehr haben und alle Einwohner, unabhängig von ihrer Herkunft, wieder ohne Bedrohung leben können.

YEK-KOM Düsseldorf, 11.08.2000