Newroz
Ein kurdischer Nationalfeiertag
und Tage des Widerstandes
"Der neue Tag", kurdisch Newroz, basiert auf einer Legende aus dem Jahre
612 v. Chr.. Damals tötete der sagenhafte Schmied Kawa den Tyrannen
Dehak. Nach der Befreiung von der jahrelangen Tyrannei wurden auf den Bergen
Feuer als Signal des Sieges gezündet. Im Gedenken an die Erlangung
der Freiheit entzünden seitdem Kurdinnen und Kurden am 21. März
die traditionellen Newrozfeuer. Durch die jahrhundertelange Unterdrückung
entwickelte sich das Newrozfest zu einem bedeutenden kurdischen Nationalfeiertag.
Seit 1990 wurde das Newrozfest durch die Widerstandsaktionen des kurdischen
Volkes mit neuem Leben erfüllt. Seitdem ist Newroz für die kurdische
Bevölkerung nicht nur ein Tag geschichtlicher Erinnerung, sondern
vor allem Ausdruck des wachsenden Widerstands gegen den türkischen
Staat. Zu diesen Widerstandsformen gehören Streiks der Händler
und Taxifahrer, Demonstrationen und Kundgebungen. Dieses neu erwachte kurdische
Selbstbewußtsein versucht der türkische Staat, besonders am
Newroztag, mit massiven Armee- und Polizeieinsätzen zu unterdrücken.
So wurden am 21. März 1992 die Newrozfeiern mit Waffeneinsatz aufgelöst
und mehrtägige Ausgangssperren verhängt. 100 Tote und schätzungsweise
300 Verletzte waren zu zählen.
Newrozfeste wurden bis 1996 durch die türkische Regierung mit Gewalt
verhindert. Dabei kamen viele Menschen ums Leben, viele wurden verletzt
und Tausende verhaftet. Um diesem kurdischen Feiertag seine Bedeutung zu
nehmen und die andauernden Menschenrechtsverletzungen gegenüber den
europäischen Staaten zu vertuschen, erklärte die türkische
Regierung den von ihr "Nevruz-Fest" genannten Tag zu einem Frühlingsfest
der Türken. Sie ließ "Nevruz" in den Metropolen der Türkei
offiziell feiern. In den kurdischen Regionen jedoch war der Newroztag weiterhin
von der Gewalt der türkischen Gewehrläufe geprägt. Trotz
der offiziell initiierten Nevruzfeiern und Verbote nichtstaatlicher Newrozveranstaltunngen
feierte das kurdische Volk im Jahre 1997 in verschiedenen kurdisschen Städten
gemäß der geschichtlichen, gesellschaftlichen und mythologischen
Tradition zu Tausenden auf den Straßen sein Neujahrsfest Newroz.
Newroz 1998
Die Entschlossenheit des kurdischen Volkes führte dazu,daß am
21. März -Newroz-Tag Millionen von Menschen die auf den Straßen
mit Freude gefeiert haben. In Diyarbakir, Van und in den Großstädten
Kurdistans, Kurden überall auf der Welt haben das Newroz-Fest gefeiert.
In den türkischen Metropolen fand zum ersten Mal das Newroz-Fest mit
der Teilnahme einer so großen Menschenmenge statt.
Die Feierlichkeiten fanden von Europa bis Japan statt. Ursprünglich
planten der Ministerpräsident, Mesut Yilmaz im Siirt und sein Stellvertretender,
Bülent Ecevit im Diyarbakir an den Feierlichkeiten teilzunehmen. Doch
die Entschlossenheit des kurdischen Volkes und die großartigen Feierlichkeiten
brachte die Minister dazu auf, daß sie ihre Reise abbrechen mußten.
Die türkische Armee führte an diesem Tag Angriffe durch, wobei
hunderte von Patrioten Verletzungen erlitten haben. Sogar die Delegationen
aus Europa sind nicht verschont geblieben. Der italienische Journalist
Dino Fisullo sitzt immer noch in Diyarbakir im Gefängnis. Um gegen
die Angriffe und Unterdrückungen zu protestieren verbrannten sich
die ARGK-Gefangenen, Sema Yücel und Fikri Baygeldi im Canakkale-Gefängnis.
Fikri Baygeldi ist am 20. März 1998 gefallen und Sema Yücel ist
immer noch in Lebensgefahr. Newroz-Feierlichkeiten 1998 ist gleichzeitig
Andenken an Massaker in Halapcha.
21. März 1998 in Kurdistan und in der Türkei
Diyarbakir: Die Einwohner von Diyarbakir sind in den frühen
Morgenstunden, trotz eines massiven Polizeiaufgebots im Stadtteil Batikent
zusammengeströmt. An der Kundgebung nahmen annähernd 80.000 Menschen
teil. Feuer wurden entzündet und zudem ließ man Tauben und Luftballons
fliegen. In traditionellen Kleidern haben die Menschen in Batikent tanzend
das Newrozfest gefeiert. Der Vorsitzende des IHD, Akin Birdal, hat in seiner
Rede erklärt: "Tausende Menschen sind heute hier für den Frieden
zusammengekommen. Sie feiern friedlich ihr Fest. Der türkische Staat
muß hierfür ein Ohr haben." Zu dem Fest in Diyarbakir waren
140 Besucher aus verschiedenen europäischen Staaten angereist.
Gegen 11.30 Uhr Ortszeit begannen die Sicherheitskräfte an drei
verschieden Punkten die eintreffenden Menschen daran zu hindern, sich der
versammelten Menge anzuschließen. Trotz massiver Behinderungsversuche
seitens der Polizei und Sicherheitskräfte haben die Menschen bis 14.00
Uhr Newroz gefeiert.
Im folgenden geben wir ein Telefongespräch mit dem deutschen Arzt
Knut Rauchfuss über die Ereignisse in Diyarbakir wieder:
"Gegen Ende des Festes haben sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer
zu einer Demonstration formiert. Sie sind zunächst von der Polizei
gestoppt worden und haben den Platz dann in der anderen Richtung verlassen.
Die Demonstration wurden nun von Polizeieinheiten aufgeteilt, die Leute
eingekesselt und schließlich in kleinen Gruppen verhaftet. Gleichzeitig
wurde der Demonstrationszug von hinten durch ein großes Polizeiaufgebot
angegriffen. Motorradkommandos fuhren in die Menge hinein, wobei auch Menschen
überfahren wurden. Eine Frau habe ich persönlich untersucht,
sie war nicht bei Bewußtsein. Sie mußte ins Krankenhaus transportiert
werden. Mir kamen zahlreiche Verletzte entgegen. Im Demonstrationszug waren
noch Ulla Jelpke (MdB) und ihre Mitarbeiterin Gülten Sahin. Auch sie
wurden massiv verprügelt und mußten durch ein Spalier laufen,
wobei Sicherheitskräfte ständig auf sie einschlugen. Sehr viele
Demonstranten sind verhaftet wurden. Die Demonstranten wurden busseweise
abtransportiert. Das haben wir noch gesehen."
Infolge dieses Angriffes wurden zwanzig Menschen verletzt und über
200 Personen festgenommen.
Die Menschen haben außerhalb von Batikent ebenfalls auf den Straßen
Newroz gefeiert. So kamen mehrere hundert Menschen in den Stadtteilen Seyrantepe,
Bes Nisan, Hancepek, Alipasa, Alipar, Kosuyolu, Benüsen, Mardin Kapi,
Kantar und Iskanevleri zusammen. Sie zündeten Newrozfeuer an und tanzten
auf den Straßen. Annähernd 400 Menschen kamen vor dem Parteigebäude
der Demokratischen Friedenspartei zusammen. Die Teilnehmer waren aufgrund
des Eingreifens der Sicherheitskräfte gezwungen, in den Räumlichkeiten
der Partei weiterzufeiern.
Lice: Am Vorabend des 21. März 1998 wurden in nahezu allen
Stadtteilen Neworzfeuer angezündet. Hunderte von Menschen tanzten
um die Feuer. Am Newroztag wurden erneut Feuer entzündet. Die Menschen
nahmen in traditioneller Kleidung an den jeweiligen Festen teil.
Die Sicherheitskräfte nahmen in Bismil während eines Überfalles
auf die Parteiräumlichkeiten des HADEP-Kreisverbandes mehrere Parteimitglieder
fest. Die Festgenommenen wurden gegen Morgen wieder freigelassen. Trotz
der Polizeiüberfälle kamen über 1000 Menschen in Akpinar
zusammen, um das Newrozfest zu feiern.
Batman: Die Newrozfeierlichkeiten, die schon zwei Tage vor dem
21. März begonnen hatten, erreichten ihren Höhepunkt am Vorabend
des Newroztages. Zu später Stunde kamen in Karsiyaka, Petrolkent,
19. Mayis, Safak, Yavuzselim Mahellesi, Yesiltepe, Kismet, Meydan, 206
Evler, Kültür Mahallesi, Pazaryeri, Bahcelievler, Iluh, GAP,
Ziya Gökalp, Ipragaz, Gri Savari Tepesi und Koriki und anderen Stadtteilen
zahlreiche Menschen zusammen. Sie zündeten Newrozfeuer an. Die versammelten
Menschen sangen kurdische Lieder und tanzten kurdische Tänze. Am Newroztag
versammelten sich die Menschen erneut zu Newrozfeierlichkeiten auf den
Straßen. Über 30.000 Menschen kamen im Stadtteil Karsikaya zusammen
und feierten bis in die späten Abendstunden in ihrer traditionellen
Kleidung Newroz. Bei der Auflösung der Feierlichkeiten wurden mehrere
Menschen festgenommen. Im Stadtteil Baglar kamen 6.000 Menschen zusammen,
im Stadtteil Isparta waren es 10.000 Menschen.
Van: Ab 8.00 Uhr morgens strömten die Menschen vor dem Parteigebäude
in Van zusammen. Trotz Behinderungen entfachte die Menge neben dem Hotel
Asur das Newrozfeuer. In kurzer Zeit wuchs die Zahl der Teilnehmer auf
rund 30.000 Menschen an. Als die Masse in Richtung Rathaus aufbrach, wurden
sie von Sicherheitskräften angegriffen. Infolge dieser Angriffe wurden
Isa Aslan, A. Rahman Kaya, Salih Acar und weitere acht Personen verletzt.
Die Verletzten wurden ins Krankenhaus eingeliefert. Nachdem die Großdemonstration
gegen 13.00 aufgelöst worden war, wurden in verschiedenen anderen
Stadtteilen Newrozfeuer angezündet. In Van wurden am Newroztag über
100 Menschen festgenommen.
Urfa: Das Newrozfest wurde von der Jugendkommission der HADEP
organisiert und fand auf dem Halepli-Bahce-Platz statt. Am Morgen des 21.
März 1998 wurden sieben Kommissionsmitglieder festgenommen, als sie
sich zum Platz begeben wollten. Trotz Behinderungsversuchen versammelten
sich ab 11.00 Uhr über 10.000 Menschen auf dem Platz. Der Vorsitzende
des Kreisverbandes der HADEP, Celalettin Erkmen, hielt eine Rede: "Wir
feiern Newroz gemäß seiner Bedeutung. Somit geben wir denjenigen,
die versuchen, Newroz seines Sinnes zu entleeren, die angemessene Antwort."
Nachdem Grußbotschaften des verhafteten HADEP-Vorsitzenden Murat
Bozlak und der inhaftierten DEP-Abgeordneten verlesen worden sind, löste
sich das Fest friedlich auf.
In der nahegelegenen Kreisstadt Halfeti kamen annähernd 4.000 Menschen
zusammen. In Aligör bei Suruc versammelten sich über 2.000 Menschen
zum Newrozfest. In Birecik waren es ca. 500 Menschen, die sich vor dem
Parteigebäude der HADEP versammelt hatten.
Mardin: In Mardin wurde Newroz in den Stadtteilen Yalim Beldesi,
Istasyon Caddesi und Saracoglu Mahellesi gefeiert. In Istasyon Caddesi
und Yalim Beldesi kamen jeweils 500 Menschen zusammen, in Saracoglu waren
es 3.000 Personen. Der Vorsitzende der örtlichen IHD-Sektion von Mardin
hielt eine Rede auf der Kundgebung in Saracoglu.
In Kiziltepe fand trotz zahlreicher Verhaftungen am Vorabend des 21.
März ein sehr fröhliches Newrozfest statt. An der Kundgebung
in Ipek nahmen 3.000 Menschen teil und weitere 4.000 Menschen haben in
verschiedenen Stadtteilen das Newrozfest gefeiert. In beiden Fällen
gingen die Sicherheitskräfte mit Panzern gegen die Feiern vor. Viele
Teilnehmer, darunter auch das Vorstandsmitglied des Kreisverbandes der
HADEP, Cemal Veske, wurden bei den Angriffe verletzt. Annähernd zehn
Personen wurden festgenommen. Die Menge löste sich aufgrund der polizeilichen
Angriffe auf und kam später jedoch erneut zusammen. Auch hier wurde
das Newrozfeuer entfacht, um das die Menschen tanzten.
In Nusaybin wurden bereits am 20. März in allen Stadtteilen Newrozfeuer
entzündet. Tausende Menschen gingen auf die Straße und riefen
Friedensparolen.
Newrozfeuer in den Gemeinden von Derik und Dargecit wurden von den Sicherheitskräften
gelöscht. Die Polizei erklärte gegenüber der Bevölkerung:
"Weder wir werden Newroz feiern, noch werden wir zulassen, daß ihr
es feiert."
Igdir: Ca. 9.000 Menschen kamen vor dem Parteigebäude der
HADEP zusammen. Acht Menschen wurden nach Beendigung der Kundgebung festgenommen.
Außer Melahat Cakmaz wurden alle wieder freigelassen.
Bitlis: An den Feierlichkeiten vor dem Büro des HADEP-Kreisverbandes
nahmen Hunderte Menschen teil. Unmittelbar nach Beginn der Feierlichkeiten
stürmten türkische Sicherheitskräfte das Parteigebäude.
Diese führten Ausweiskontrollen durch und beschlagnahmten die Newrozplakate
sowie einen Kalender des Mesopotamischen Kulturvereins. Die Newrozfeierlichkeiten
wurden dennoch fortgeführt.
Sirnak: Auf den Straßen von Idil feierten Hunderte Menschen
Newroz, indem sie Feuer anzündeten und Halay tanzten. Die Sicherheitskräfte
löschten das Feuer und lösten die Feierlichkeiten auf. Auch in
Cizre wurde das Feiern des Newrozfestes verhindert. Die türkischen
Stellen hatten alle Feierlichkeiten verboten. Nur ein vom türkischen
Staat im Stadion von Cizre inszeniertes Fest durfte stattfinden. Die Menschen
protestierten jedoch gegen diese Veranstaltung.
Mus: Trotz eines Verbotes kamen in Malazgirt Hunderte von Menschen
zusammen. Unter dem Einsatz von Panzern trieben türkische Sicherheitskräfte
die Bevölkerung auseinander.
Elazig: In Elazig nahmen über 2.500 Menschen an den Newrozfeierlichkeiten
teil. Es kam zu keinen Auseinandersetzungen.
Malatya: In Malatya war von dem HADEP- Kreisverband ein Newrozveranstaltung
im Seker-Stadion organisiert worden. An dieser Veranstaltung nahmen über
3.000 Menschen teil.
Bingöl: An einer Feier, die in einer großen Passage
stattfand, nahmen 1.000 Menschen teil. Die Polizei ließ die Menschen
nicht auf die Straße gehen. Auch hier wurden Newrozfeuer entzündet.
Adiyaman: Trotz regnerischen Wetters nahmen annähernd 3.000
Menschen an den Newroz-Feierlichkeiten teil. Die Kundgebung war von der
HADEP organisiert worden. Zwanzig Fahrzeuge, die aus Kahta zu dem Fest
angereist waren, wurden von der Polizei gestoppt und zurückgeschickt.
Dersim: Newroz wurde in den Räumlichkeiten der HADEP gefeiert.
An dieser Feier nahmen ca. 400 Menschen teil. Obwohl das Parteigebäude
von der Polizei eingekesselt war, wurde das Fest mit Tänzen, Musikbeiträgen
usw. fortgeführt.
Kars: Ca. 1.000 Menschen kamen vor dem Parteigebäude der
HADEP zusammen. Als die Menschen ein Feuer machen wollten, griff die Polizei
ein und nahm fünfzehn Personen fest.
Maras: An den Feierlichkeiten, die von der HADEP organisiert
wurden, nahmen etwa 2000 Menschen teil.
Sivas: 500 Menschen kamen in Alibaba zusammen. Zu kurdischen
Liedern tanzten die Menschen traditionelle Tänze. Während der
Feierlichkeiten riegelte die Polizei den Platz ab.
Newrozfeiern in den türkischen Metropolen
Der türkische Staat versuchte in den türkischen Metropolen,
ebenso wie in Kurdistan, Newroz durch staatliche "Nevruzfeiern" zu vereinnahmen
und das Fest seines Sinnes zu entleeren. Dagegen wurde seitens der Bevölkerung
protestiert. Alternative Feste wurden auf den Straßen gefeiert.
Istanbul: Newroz wurde in Istanbul mit einem gemeinsamen Programm
der Parteien HADEP, ÖDP, SIP und EMEP im Stadtteil Zeytinburunu Kazlicesme
gefeiert. Spezialeinheiten hatten den Platz weitgehend abgeriegelt und
an zehn unterschiedlichen Punkten Polizeikontrollen durchgeführt.
Außer der Polizei wurde auch die Bereitstellung von Militär
beobachtet. Mitglieder und Sympathisanten der HADEP sowie der anderen in
Istanbul organisierten Gruppierungen begaben sich durch die zehn Kontrollpunkte
der Polizei auf den Versammlungsplatz, wo sie ein Newroz Feuer entzündeten.
In kurdischer und türkischer Sprache wurden Lieder gesungen. Dazu
wurde getanzt und Parolen gerufen. Die Zahl der Teilnehmer erreichte in
später Stunde die Zahl von ca. 25.000 Menschen; es kam zu keinerlei
Angriffen seitens der Polizei. Auch in vier weiteren von militärischen
Panzern umstellten Gegenden wurden Feuer angezündet. Die Menschen
tanzten um diese herum und Frauen, Kinder, ältere Menschen und Jugendliche
sprangen über das Feuer und riefen Parolen wie: "Es lebe Newroz!",
"Es lebe die PKK!", "Es lebe Apo!", "Es lebe die Brüderlichkeit der
Völker!" und "Guerilla schlage zu! Befreie Kurdistan!" Der Platz füllte
sich mit den Farben Rot, Grün und Gelb. Plakate mit der Aufschrift:
"Ich bin auch PKK", "Es lebe die PKK, die ARGK" und "Es lebe die Brüderlichkeit
der Völker", waren zu sehen ebenso wie die Fahne der ERNK.
Auf der Veranstaltung traten als Redner der Kreisverbandsvorsitzende
der HADEP in Istanbul, Mahmut Sakar, der Kreisverbandsvorsitzende der ÖDP,
Mehmet Atay, sowie das Vorstandsmitglied der sozialistischen Arbeiterpartei,
Fatih Akkaya, auf. Sakar machte in seiner Rede darauf aufmerksam, daß
die türkische Regierung auch heute die Identität des kurdischen
Volkes, seine Sprache und seine Feste verleugne. Sie versuche zudem das
Newrozfest als "Nevruz" zu vereinnahmen. Dabei stehe Newroz doch für
Feuer und Freiheit.
Die Grußbotschaft des HADEP-Vorsitzenden Murat Bozlak wurde mit
viel Beifall verlesen. Dabei wurden Parolen gerufen wie: "Die Mitglieder
der Banden sind frei, und die HADEP-Mitglieder sind eingesperrt."
Der Istanbuler Polizeipräsident Hasan Özdemir kam am frühen
Morgen in seinem Büro in Zeytinburnu mit seinen Stellvertretern zu
einer Sitzung zusammen. Er veranlaßte, daß an den Kontrollpunkten
keine Frauen mit kleinen Kindern durchgelassen wurden. Zudem wurden viele
Personen verhaftet.
Die Newrozfeier in den Räumlichkeiten der Gewerkschaft Egitim-Sen,
Istanbul Abteilung, Vierte Sektion-Kultur-Kommission, wurde mit großer
Freude gefeiert.
25.000 Menschen riefen: "Biji Newroz"
Izmir: 25.000 Menschen beteiligten sich an der friedlichen Newrozfeier,
die von politischen Parteien und demokratischen Massenorganisationen organisiert
war. Auch hier wurden verschiedene Parolen gerufen: "Es lebe Newroz", "Es
lebe Apo", "Die PKK ist das Volk und das Volk ist hier." Trotz regnerischen
Wetters wurden Poster von Mazlum Dogan, Murat Bozlak, Vedat Aydin, Muhsin
Melik, Leyla Zana, Mirza Mehmet Cimen, Ronahi und Berivan, Rahsan Demirel
und von Zekiye Alkan getragen. Frauen und Kinder in Nationaltracht befanden
sich in der ersten Reihe. Die versammelte Menge rief: "Es lebe die Brüderlichkeit
der Völker", "Zahn um Zahn und Blut um Blut sind wir mit dir, Öcalan"
und "Es lebe die PKK, ARGK, ERNK". Die Veranstaltung begann mit einer Gedenkminute
für die Gefallenen. Anschließend wurden Fackeln angezündet.
Mit der Begleitung von Musik wurden traditionelle Rundtänze getanzt.
Fahnen der PKK, ERNK und ARGK wurden gezeigt ebenso wie ein Poster von
Abdullah Öcalan. Grußbotschaften der DEP und HADEP wurden verlesen.
Nach dem Auftritt der Folkloregruppe 'Koma Kendal' hielt der Sekretär
des Kreisverbandes von HADEP in Izmir eine Rede. Er sagte, daß Newroz
ein Fest der Wiedergeburt und des Widerstandes der Kurden sei. Trotz großer
Unterdrückung werde Newroz in allen Gebieten gefeiert.
Turgutlu: In Turgutlu wurde das Fest am 20. März am Bahnhof
von über 5.000 Menschen gefeiert. Hier wurde auch ein Feuer entzündet.
Verschiedene Parolen wurden gerufen, Gedichte vorgelesen und Folkloretänze
aufgeführt. Polizisten, die auf die Versammlung warteten, wurden von
Jugendlichen mit Steinen beworfen. Daraufhin kam zu einer harmlosen Auseinandersetzung.
Später hat die Polizei Ausweiskontrollen durchgeführt und Nachzügler
nicht auf den Platz gelassen.
Torbali: In Izmir-Torbali haben am Vorabend des 21. März
2.000 Menschen auf der Atatürk Mahallesi sechs Stunden lang mit Begleitung
der Davul-Trommel und der Zurna-Flöte Newroz gefeiert. Auch hier wurde
ein Feuer entzündet, getanzt und verschiedene Parolen gerufen. Das
Newrozfest war von der HADEP organisiert. Der Bürgermeister von Torbali,
Hasan Karatoklu, beteiligte sich an der Feier.
Mugla: Vor dem HADEP -Gebäude in Mugla wurde das Fest am
frühen Morgen von ca. 400 Menschen gefeiert. Die ÖDP in Mugla
und das Volkshaus nahmen zudem an dem Fest teil. Kurdische Lieder wurden
gesungen und Rundtänze getanzt. Auch hier wurden Grußbotschaften
aus den Gefängnissen und von Murat Bozlak verlesen. Eine große
Zahl Polizisten hielt sich im Hintergrund.
Didim: In der Kreisstadt Didim, Bezirk Aydin, begann das Newrozfest
um 10.00 Uhr mit einer Gedenkminute für die Märtyrer der Revolution.
Trotz starken Regens nahmen auch hier 500 Menschen an der Feier teil und
riefen Parolen. Während des Singens von Liedern und der Rundtänze
wurde das Feuer entfacht. Polizei und Militär kesselte die Teilnehmer
und Teilnehmerinnen ein.
Denizli: Vor dem HADEP-Gebäude in Denizli begann das Fest
um 10.00 Uhr. Rund 400 Personen hatten sich versammelt. Vertreter von ÖDP,
EMEP und anderen demokratischen Massenorganisationen nahmen daran teil.
Mit regionalen Musikgruppen und Rundtänzen wurde Newroz gefeiert.
Lebhafte Newrozfeier in der Cukurova:
Adana: Das Newrozfest in Adana wurde von der HADEP organisiert
und fand vor dem Gebäude dieser Partei in Yüregir statt. In vier
Marschsäulen strömten trotz starken Regens 15.000 Menschen zusammen.
Die Feier wurde mit einer Gedenkminute an die Gefallenen eröffnet.
Danach hielt der Sekretär des Kreisverbandes der HADEP, Arif Atalay,
eine Rede. Später wurden Grußbotschaften aus den Gefängnissen
und von verschiedenen Organisationen und Parteien verlesen. Anschließend
trat der Sänger Xanemir, Mitglied des MKM in Istanbul, auf. Die Menschen
tanzten und riefen Parolen. Wegen sehr starken Regens ging die Feier mit
Parolen und Zilgit-Rufen zu Ende. Auch wurde beobachtet, daß die
Polizei Verstärkung herbeigezogen hatte. In vielen Vierteln Adanas
wurde das Newrozfest mit Parolen, Liedern und Tänzen gefeiert.
Osmaniye: Auch in Osmaniye hatte die HADEP das Newrozfest in
Gebieten organisiert, in denen hauptsächlich Kurden wohnen. So feierten
im Bezirk der Yunus Emre Mahallesi mehr als 2.000 Menschen. Das Fest stand
unter Beobachtung hunderter von Polizisten.
Iskenderun: In Iskenderun wurde das Newrozfest von der HADEP
organisiert. 5.000 Menschen feierten in Yildirimtepe. Höhepunkt dieser
lebendigen Feier waren der Auftritt der Musikgruppe 'Nidal' und die Folkloretänze
der Jugendkommission.
Ceyhan: Am Newrozfest in Ceyhan nahmen über 10.000 Menschen
teil. Die Feier fand schon am frühen Morgen nahe beim Sportstadion
statt. Nach einer Gedenkminute für die Gefallenen hielt der Kreisvorsitzende
der HADEP, Abdullah Aydemir, eine Rede: "Gegen das unechte Nevruz, das
von der Regierung hervorgebracht worden ist, und gegen Dehaq macht sich
der Schmied Kawa in allen Orten mit vielen Newroz-Feierlichkeiten bemerkbar."
Nach der Rede wurden Feuer angezündet, um die herum getanzt wurde.
Mehrere Musikgruppen und Sänger umrahmten das Programm. Auch die regionalen
Vorsitzenden der Gewerkschaften und Parteien ÖDP, EMEP und KESK nahmen
an den Feierlichkeiten teil.
Antep: In Antep wurde das Newrozfest in vielen Stadtteilen trotz
Gewaltanwendung der Polizei gefeiert. Auch hier wurden Feuer entzündet,
Lieder gesungen, Halay getanzt und Parolen gerufen. In den Kreisstädten
Sehitkamil und Sahinbey nahmen Zehntausende an den Feierlichkeiten teil.
Auch hier hielt sich ein starkes Polizeiaufgebot im Hintergrund. In der
Kreisstadt Nizip feierten vor dem HADEP-Gebäude ca. 1.000 Menschen.
Mersin: In Mersin wurde das Newrozfest am Vorabend des 21. März
in vielen Vierteln, in denen überwiegend Kurden wohnen, von Tausenden
von Menschen gefeiert. Bis in die tiefe Nacht dauerte das Fest an. Die
Teilnehmerzahl wurde auf insgesamt 20.000 Menschen geschätzt. Auch
hier wurden Feuer entzündet, Parolen gerufen und Halay getanzt. Trotz
starker Polizeipräsenz kam es nicht zu Auseinandersetzungen.
Tarsus: In der Kreisstadt Tarsus organisierte die HADEP das Newroz
Fest. Trotz starker Regenfälle nahmen 10.000 Menschen an der Feier
teil. Die Feier wurde mit einer Gedenkminute eröffnet. Nach einer
Rede des HADEP-Kreisvorsitzenden Haci Ates wurde das Feuer angezündet.
Die Menschen riefen viele verschiedene Parolen. Anschließend traten
Musikgruppen des MKM auf. Wegen vieler polizeilicher Vorsichtsmaßnahmen
unterstützten die Vertreter der demokratischen Massenorganisationen
die Newrozfeier.
Ankara: HADEP, ÖDP, EMEP, SIP, demokratische Massenorganisationen
und Studenten trafen sich um 11.00 Uhr auf der Sihhiye-Brücke in Ankara.
Sie machten sich gemeinsam auf den Weg zum Tandogan-Platz, um dort das
Newroz Fest zu feiern. Unterwegs trafen sie auf eine Straßensperre
der Polizei. Die Polizei wollte sowohl die Kinder als auch die Träger
der Plakatstangen nicht durchlassen. Bei einem Gespräch zwischen der
Polizei und dem Newroz-Vorbereitungskomitee einigte man sich darauf, die
Stangen zu verkürzen. Die Frauen und Kinder waren prachtvolle anzusehen
mit ihren Nationaltrachten. Auf dem Platz wurde ein großes Feuer
angezündet. 7.000 Menschen hatten sich versammelt. Newroz wurde mit
der Parole: "Das Newrozfeuer wird die Banden verbrennen!", begrüßt.
Unter großem Beifall wurden die Grußbotschaften von Murat Bozlak
und der DEP-Abgeordneten verlesen.
Der HADEP-Kreisverbandsvorsitzende Kemal Bülbül hielt in kurdischer
und türkischer Sprache eine Rede. Danach traten viele Sänger
und Dichter auf. Auch hier waren Parolen zu hören: "Murat Bozlak,
wir sind mit dir", "HADEP ist das Volk, das Volk ist hier", "wir werden
den Frieden bringen", "Kurdistan wird das Grab der Faschismus" usw.
Eskisehir: Hier nahmen 1.000 Menschen an der Newrozfeier teil.
Sie waren Aufrufen der HADEP, EMEP, ÖDP, SIP und der demokratischen
Massenorganisationen gefolgt. Das Fest fand hinter dem Gebäude des
Haci-Bektas-Kulturvereins statt. Begleitet von Musikgruppen des MKM wurde
getanzt, das Feuer angezündet und "Es lebe Newroz" gerufen.
Konya: Trotz starken Schneefalls wurde in den frühen Morgenstunden
in der Fatih-Isiklar-Mahallesi das Newroz Feuer angezündet. Nach Ausweiskontrollen
kam die Menge auf dem Platz an. Auch hier haben die Menschen Parolen gerufen,
Lieder gesungen und Halay getanzt. Frauen, die sich an der Feier beteiligen
wollten, mußten ihre Kopftücher bei der Polizei abgeben, weil
diese rot, grün und gelb gefärbt waren. Auch einige Plakate wurden
von der Polizei beschlagnahmt. Ca. 1500 Teilnehmer feierten das Newroz
Fest in fröhlicher Stimmung, indem sie sangen und Halay tanzten.
Manisa: Um 12.00 Uhr begann das Newrozfest in der Nurlupinar-Mahallesi.
Es wurde von HADEP organisiert. 4.000 Menschen haben an der Feier teilgenommen.
Auch hier wurde ein großes Feuer entzündet und Parolen gerufen.
Die Feier endete gegen 15.30 Uhr mit kurdischen Liedern und Rundtänzen.
Newroz-Feuer an den Universitäten:
Newroz, das nationale Widerstandsfest Kurdistans, wurde am 20. März
auch an den Universitäten der Türkei begangen. So haben ca. 1.000
Studentinnen und Studenten der Ege- und Dokuz-Eylül-Universität
in Izmir haben das Newrozfest gefeiert. Auch sie haben ihre Feier mit einer
Gedenkminute eröffnet und viele verschiedene Parolen gerufen. Mit
Musik- und Theatergruppen vom MKM ging die Feier nach drei Stunden zu Ende.
Ähnliche Feierlichkeiten fanden auch in Mersin mit 500 Studentinnen
und Studenten statt. Rund 600 patriotische Studentinnen und Studenten der
Cukurova-Universität in Adana begingen das Newroz Fest.
In den Metropolen Europas:
Die Kurden haben heute fast in allen europäischen Staaten das Newrozfest
gefeiert. In Berlin, Hamburg, München, Bonn, London, Paris, Kopenhagen,
Wien, Stockholm, Oslo, Bern, Den Haag, Amsterdam nahmen zehntausende Menschen
an den Feierlichkeiten teil.
Die Erläuterungen der Abkürzungen:
HADEP: Die demokratische Partei des Volkes;
DEP: Partei der Demokratie;
ÖDP: Die Partei der Freiheit und Solidarität;
EMEP:Partei der Arbeiter;
PKK: Arbeiter Partei Kurdistan;
ERNK: Nationale Befreiungsfront Kurdistans;
ARGK: Volksbefreiungsarmee Kurdistans;
IHD:Menschenrechtsverein in der Türkei;
SIP: Die sozialistische Arbeiter Partei;
MKM: Mesopotamische Kultur Zentrum;
KESK: Konföderation der Werkstätigen im öffentlichen
Dienst;
EGIT-Sen: Bildungs- und Erziehungsgewerkschaft;
Newroz in Diyarbakir
Kurdistan lebt
Aufstandsähnliche Zustände in Diyarbakir
Am Morgen des 21. März zeigt das Gesicht der Stadt seine häßliche
Fratze. Über Nacht sind an jeder Straßenecke Uniformierte aus
dem Boden gewachsen; Militärkolonnen, Mannschaftstransporter, Wasserwerfer,
Räumfahrzeuge und Schützenpanzer beherrschen das Straßenbild
der wie ausgestorben daliegenden kurdischen Metropole. Der wenige Verkehr
stockt an den Kontrollstellen und ein paar Geschäftsleute versuchen
den Eindruck zu erwecken, als sei der 21. ein ganz normaler Märztag.
Doch nichts ist normal an diesem Datum, an dem die kurdische Bevölkerung
traditionell ihr Newrozfest begeht. Wie in jedem Jahr versucht der türkische
Staat dem Fest durch Repression seinen rebellischen Charakter zu nehmen.
Seit zwei Jahren flankiert die Regierung die Unterdrückung des kurdischen
Festes mit einer gezielten kulturellen Vereinnahmungsstrategie. Seither
wird am selben Tag eine neu entdeckte türkische Tradition, das staatlich
verordnete "Nevruz"-Fest begangen und Regierungspolitiker hüpfen vor
laufenden Kameras über kleine Ölfeuer. Doch die kurdische Bevölkerung
zeigt sich von diesen lächerlichen Kunststückchen ebenso unbeeindruckt,
wie von der omnipräsenten Propagandalüge, die PKK sei militärisch
besiegt und politisch marginalisiert.
So offenbart das Gesicht der Stadt Diyarbakir am Morgen des 21. März
nicht nur die häßliche Fratze des Militärs. Aus allen Teilen
der Stadt und den umliegenden Dörfern machen sich Menschen auf den
Weg zum Batikent-Platz, um unweit der offiziellen, staatlichen Kundgebung
ihr eigenes Newrozfest zu begehen. Die Wenigsten von ihnen erreichen ihr
Ziel. Sie werden in den Sperren aufgehalten und zurückgeschickt, im
schlimmeren Fall festgenommen.
Trotz aller Schwierigkeiten versammeln sich bis zum Mittag rund 80 000
Menschen in Batikent, unter ihnen rund 130 Menschenrechtsdelegierte aus
12 europäischen Ländern. Auf dem Platz werden Feuer entzündet
und die kurdischen Farben rot, gelb und grün dominieren das Bild der
feiernden Menge. Immer wieder lösen sich Einzelne aus den um die Feuer
tanzenden Kreisen und springen durch die hochauflodernden Flammen. In Liedern
und Sprechchören lassen die Feiernden die Guerilla hochleben und beschwören
den Traum von einem freien Kurdistan.
Auf den Schultern der Menschen werden Akin Birdal, der Vorsitzende des
Menschenrechtsvereines IHD, und der italienische Delegierte Dino Frisullo
durch die Menge getragen. "Kurdistan lebt" steht auf einem Plakat, das
Frisullo vor laufenden Polizeikameras den Feiernden entgegenhält.
Wie lebendig dieses Kurdistan ist, zeigt sich an diesem Newroz auf dem
Batikant-Platz aufs Neue. Und genau diese Wahrheit ist es, die die sogenannten
Sicherheitskräfte an diesem Tag ein weiteres Mal zur Raserei treibt.
Unterdessen ist die Feier eingekreist. Eine mehrreihige Phalanx aus
"Robocops", Räumpanzern und Wasserwerfern hat die offene Seite des
Platzes abgeriegelt. Kleinere Einheiten mit Schützenpanzern, verstärkt
von mit Maschinenpistolen bewaffneten Zivilisten versperren die Seitenstraßen.
Unter den Feiernden macht sich eine deutliche Unruhe breit. Immer wieder
brechen Greiftrupps aus dem Polizeiring aus, verhaften und verprügeln
kleinere Menschengruppen am Rand des Geländes und provozieren tumultartige
Szenen. Das Fest ist zuende und die Menschen beginnen, sich zu einer Demonstration
zu formieren. Hubschrauber kreisen, FestteilnehmerInnen rennen durcheinander
und VertreterInnen der kurdischen Partei HADEP rufen zu Ruhe und Besonnenheit
auf.
Als für einen Moment eine der wegführenden Straßen freigegeben
scheint, setzt sich der Demonstrationszug unter lauten Rufen in Bewegung.
Die letzten haben gerade den Platz verlassen, als der Polizeieinsatz wie
ein Gewitter über die Demonstration hereinbricht. Aus den Nebenstraßen
stürzen sich die Einsatzkommandos auf den Zug und zerteilen die Menge.
Der Verkehr wird freigegeben und schneidet den Fliehenden den Rückweg
ab. Während die abgeschnittenen Gruppen eingekesselt, zusammengeprügelt
und verhaftet werden, setzt der Hauptzug seinen Weg in Richtung Innenstadt
in schnellem Lauf fort. Eine Staffel Motorradpolizei verfolgt den Zug und
bricht mit hoher Geschwindigkeit von hinten in die dicht gedrängt
laufende Menge. Zahlreiche DemonstrantInnen werden angefahren, die übrigen
von den Knüppeln der motorisierten Einheit erfaßt. Räumpanzer
und Wasserwerfer folgen. Hunderte von Kindern und Jugendlichen versuchen
verzweifelt, ihnen Einhalt zu gebieten. Ein Hagel aus Pflastersteinen prasselt
auf die gepanzerten Fahrzeuge nieder.
Zahlreiche Menschen flüchten sich mit blutenden Schädeln und
gebrochenen Knochen in Nebenstraßen und Geschäfte. Wo immer
jemand zu Boden fällt schlagen nachfolgende Einheiten auf ihn ein.
Eine Gruppe weinender Männer schreit nach einem Taxi. Sie tragen eine
schwerverletzte Frau, die durch die Schläge ihr Bewußtsein verloren
hat.
Auch die PDS-Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke und ihre Mitarbeiterin
Gülten Sahin werden in einer Sackgasse von der Polizei eingekesselt.
Mit aller Härte prügeln die Spezialeinheiten die Eingekesselten
nieder. Beide können den Kessel nur durch ein Polizeispalier verlassen.
Während sie durch das Spalier gejagt werden, knüppeln die Polizeikräfte
auf ihre Köpfe und Körper ein und stoßen den Frauen ihre
Schlagstöcke gezielt zwischen die Beine.
Helfende Ladenbesitzer, die Flüchtenden Zuflucht gewährt haben,
werden gewaltsam gezwungen, die Türen wieder zu öffnen. Die Geflüchteten
werden aus den Läden gezerrt und ebenfalls verprügelt.
Bis zum Nachmittag werden 25 Verletzte stationär im Krankenhaus
aufgenommen. Zu den mehr als 200 Verhafteten gehören auch drei Mitglieder
der italienischen Delegation, unter ihnen Dino Frisullo. Während die
beiden anderen nach wenigen Tagen freigelassen und mit den anderen Delegationen
aus Diyarbakir abgeschoben werden, wird er weiter gefangen gehalten. Der
Journalist steht am Monatsende bereits wegen seiner Verhaftung während
des Friedenszuges "Musa Anter" vor Gericht. Nach dem Prozeßtermin
will die Staatsanwaltschaft über seine Weiterinhaftierung neu entscheiden.
Zusätzlich erwartet ihn nun eine weitere Anklage. Frisullo wird vorgeworfen,
während der Demonstration die Bevölkerung zum Widerstand aufgewiegelt
und ein Komplott der italienischen Rifondazione Communista (RC) gegen die
türkische Regierung vorbereitet zu haben.
Unterdessen demonstriert die Fraktion der RC im italienischen Parlament
mit PKK-Fahnen gegen die Verhaftung. Ihr Vorsitzender Bertinotti hat bereits
angekündigt, gegebenenfalls selbst in Diyarbakir Flugblätter
zu verteilen um unter denselben Vorwürfen angeklagt zu werden.
Die Ereignisse rund um das Newrozfest belegen deutlich die brutale Härte,
mit der die türkische Regierung, Polizei und Militär auch weiterhin
die kulturellen und demokratischen Rechte der kurdischen Bevölkerung
zu unterdrücken versucht. Sie zeigen aber auch, daß sich der
Widerstand dieser Bevölkerung weder verbieten, noch vereinnahmen,
noch für besiegt erklären läßt. Sie beweisen, daß
"Kurdistan lebt", wie der italienische Schriftsteller Dario Fo erklärt:
"Es ist lebendig in den Feuern von Newroz, in den Gefängnissen, in
der Erinnerung an die Verschwundenen und in den Narben der Gefolterten.
Eingebrannt und lebendig im Widerstand in den Bergen, der im Westen als
Terrorismus diffamiert wird..."
Knut Rauchfuss
Freiheit für Dino Frisullo
Freiheit für Dino Frisullo und alle anderen politischen Häftlinge
in türkischen Gefängnissen
Am Samstag, dem 21. März 1998 wurde der italienische Journalist
und Fraktionsmitarbeiter im italienischen Parlament, Damiano Frisullo (Rom),
in Diyarbakir festgenommen. Seitdem wird er im Gefängnis von Diyarbakir
gefangengehalten.
Frisullo war mit einer Menschenrechtsdelegation anläßlich
des Newroz-Festes als Beobachter in die Türkei gereist. An Newroz
war die italienische Delegation Teil der 80 000 friedlich feiernden Menschen
auf dem Batikent-Platz. Doch Polizei und Militär verwandelten das
Fest und die nachfolgende Demonstration in eine Menschenjagd, bei der ca.
200 TeilnehmerInnen verhaftet und mehr als 25 schwer verletzt wurden. BeobachterInnen
berichteten, daß Menschen mit aufgeplatzten Wunden und gebrochenen
Knochen versuchten, sich in Seitenstraßen in Sicherheit zu bringen,
während die Polizei auf Frauen und Kinder einschlug, die bereits verletzt
auf dem Boden lagen. Auch zwei deutsche Delegationsmitglieder wurden während
der Demonstration eingekesselt und zusammengeschlagen.
Damiano Frisullo wird vorgeworfen gegen § 312 des Strafrechtes
verstoßen und auf der Demonstration Kinder zum Werfen von Steinen
aufgewiegelt zu haben. Diese Vorwürfe sind frei erfunden. Damiano
Frisullo hat sich nach Aussagen der deutschen Delegation mit ausschließlich
gewaltfreien Mitteln als internationaler Menschenrechtsbeobachter in der
Demonstration aufgehalten. Rechtlich sind die Vorwürfe gegen Frisullo
unhaltbar. Daß sich die Staatsanwaltschaft bis heute weigert, ihn
freizulassen entbehrt jeder juristischen Handhabe und steht in unmittelbarem
Zusammenhang mit der Kriminalisierung des Friedenszuges "Musa Anter" vom
vergangenen Jahr. Als Teilnehmer des Friedenszuges war Damiano Frisullo
auch damals verhaftet worden und steht derzeit deswegen zusätzlich
unter Anklage. Alle in beiden Verfahren mit ihm Angeklagten befinden sich
jedoch auf freiem Fuß.
Wir fordern daher die Türkei mit aller Schärfe auf, Damiano
Frisullo und alle weiteren politischen Gefangenen, die menschenrechtswidrig
in türkischen Gefängnissen gefangengehalten werden unverzüglich
freizulassen.
Ich unterstütze den Aufruf "Freiheit für Dino Frisullo und
alle anderen politischen Häftlinge in türkischen Gefängnissen":
Name:
Adresse:
Funktion / Beruf:
Unterschrift:
Bitte zurücksenden an: Knut Rauchfuss, Medizinische Flüchtlingshilfe
Bochum,
c/o Bahnhof Langendreer, Wallbaumweg108,
44894 Bochum
oder
an Fax Nummer: 0234-9270338
Newroz-Rede der internationalen Delegation
Newroz lebt
Rede der "Internationalen Menschenrechtsdelegation 1998" Am 28.3.1998 auf
dem Newrozfest in Gießen gehalten von Nurten Sahin, auf dem Newrozfest
am 4.4.98 in Köln von Knut Rauchfuss
Liebe Freundinnen, liebe Freunde!
Ich begrüße Euch im Namen der "Internationalen Menschenrechtsdelegation
1998" aus Spanien, der Schweiz und Deutschland und bedanke mich ganz herzlich
für die Einladung, hier auf dem Newroz-Fest in Köln zu Euch sprechen
zu dürfen.
Die "Internationale Menschenrechtsdelegation" war in den vergangenen
zwei Wochen in Kurdistan und in der Türkei, um sich vor Ort ein Bild
zu machen, von den Lebensbedingungen der Menschen, von der Unterdrückung
und von ihrem Widerstand gegen den staatlichen Terror.
Die Delegation nahm teil an einer Demonstration der Studentinnen und
Studenten, die vor der Universität in Istanbul gegen den 10. Jahrestag
des Massakers von Halabja protestierten. Wir wurden Zeugen, wie Zivilpolizei
friedliche Demonstrantinnen und Demonstranten umzingelte, packte und verschleppte.
Wir haben versucht, nach Lice, Kulp und Dersim zu gelangen, um als Vertreterinnen
und Vertreter der Internationalen Solidarität Beweise zu sammeln,
daß das türkische Militär seinen schmutzigen Krieg gegen
das kurdische Volk fortsetzt, auch wenn Zeitungen in der Türkei und
in Deutschland die Propagandalüge ihrer Regierungen verbreiten, der
Krieg sei vorbei. Wir haben versucht, in die Kriegsgebiete zu gelangen,
um den Menschen zu zeigen, daß sie in ihrem Kampf nicht alleine stehen.
Trotz diplomatischen Drucks aus Deutschland verweigerte uns das türkische
Außenministerium die Einreise nach Lice, Kulp und Dersim und ließ
uns durch Dorfschützer und Militär nach Diyarbakir zurückschaffen.
An Newroz war die Delegation unter den friedlich Feiernden auf dem Batikent-Platz.
Sie reihte sich ein in die Demonstrantinnen und Demonstranten, flüchtete
mit ihnen vor Schlagstöcken, Räumpanzern und Wasserwerfern. Zwei
Delegationsmitglieder, die PDS-Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke und ihre
Mitarbeiterin Nurten Sahin, wurden während der Demonstration eingekesselt
und zusammengeschlagen. Sie konnten den Kessel nur durch ein Spalier von
Polizisten verlassen, die mit Knüppeln auf ihre Köpfe und Körper
einschlugen.
Wir wurden Zeugen zahlreicher brutaler Übergriffe von Polizei und
Militär. Menschen mit aufgeplatzten Wunden und gebrochenen Knochen
flüchteten in Seitenstraßen, während die Polizei auf Frauen
und Kinder einschlug, die bereits verletzt auf dem Boden lagen. Vor unseren
Augen wurde eine Frau so schwer zusammengeschlagen, daß sie bis heute
ihr Bewußtsein nicht wiedererlangt hat.
Im Vergleich zu den beiden Vorjahren erlebten wir ein Newroz, voller
brutaler Repression, aber auch das kraftvolle Fest eines Volkes, das sich
seinen Widerstand niemals verbieten läßt.
Zu den mehr als 200 Verhafteten gehörten auch drei Mitglieder der
italienischen Delegation, unter ihnen unser Freund und Genosse Dino Frisullo,
der noch immer im Gefängnis von Diyarbakir gefangengehalten wird.
Man wirft ihm vor, das Gastrecht der Türkei verletzt und die Menschen
zum Widerstand aufgewiegelt zu haben.
Ich frage Euch: Wie kann man das Gastrecht von Mördern verletzen,
deren Gäste wir nie sein wollten? Wir waren Gäste des kurdischen
Volkes und als seine Gäste haben wir an den Feiern und Demonstrationen
teilgenommen.
Man wirft Dino Frisullo vor, seine Verhaftung provoziert und ein Komplott
der italienischen Kommunisten gegen die türkische Regierung vorbereitet
zu haben. Ich sage Euch: Dino Frisullo ist ein Freund, der fühlt was
er sieht, ein Freund, der mit Herz und Verstand für die Freiheit des
kurdischen Volkes kämpft.Wenn es ein Komplott gibt,
ein Komplott gegen Unterdrückung und Völkermord,
ein Komplott für Freiheit, Menschenrechte und Frieden,
ein Komplott für eine menschenwürdige Zukunft,
dann ist Dino Frisullo,
dann sind wir alle Verschwörerinnen und Verschwörer dieses
Komplotts.
Wir fordern die Türkei mit aller Schärfe auf, ihn
- ebenso wie alle politischen Gefangenen,
die noch in türkischen Knästen sitzen - unverzüglich
freizulassen.
Sie haben uns im Morgengrauen aus den Hotelbetten geholt, haben uns
in Busse verfrachtet,
uns zum Flughafen geschafft und aus Diyarbakir abgeschoben.
Ich sage Euch:
die Mörder wünschen nicht gestört zu werden, sie wollen
nicht, daß man ihnen auf ihre schmutzigen Finger schaut.
Aber ich sage Euch auch:
Wir werden so lange wiederkommen, bis auch der letzte von ihnen seiner
gerechten Strafe nicht mehr entgeht.
Liebe Freundinnen, liebe Freunde,ich möchte die Gelegenheit nutzen,
um mich zu bedanken, mich zu bedanken beim Volk Kurdistans, dessen Gäste
wir waren, aber auch bei jenen mutigen Kurdinnen,
die sich von Europa aus unseren Delegationen angeschlossen haben und
sich in vorderster Reihe in den Protest ihres Volkes eingereiht haben.
Liebe Freundinnen, liebe Freunde,
ich sage Euch Newroz lebt.
Sie können es weder verbieten, noch können sie es vereinnahmen.
Newroz lebt,
sooft sie auch mit ihren Kugeln den Himmel durchlöchern mögen.
Newroz lebt
und mit ihm der Widerstand des Volkes.
Newroz lebt,
denn die Feuer in den Herzen der Menschen
werden sie niemals zum Erlöschen bringen.
Biji Newroz, biji azadi, biji Kurdistan !
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