Heute ist die 150. Woche des Samstagstreffens gegen das Verschwindenlassen
von Menschen aus der Untersuchungshaft. Seit 150 Wochen haben wir vieles
über das Verschwindenlassen berichtet. Wir haben viele Fragen gestellt
und viele Zeugen, Plätze und Daten des Verschwindenlassens benannt.
Obwohl wir viele Aufrufe veröffentlicht haben, verschwanden weiterhin
Menschen. Wir haben konkrete Forderungen aufgestellt, damit dieser Praxis
ein Ende bereitet wird. Vor ungefähr 3 Jahren, beim 10. Treffen der
Samstagsmütter, veröffentlichten wir eine Presseerklärung,
in der wir unsere Forderungen erstmals benannten. Wir bezogen uns auf einen
Bericht von amnesty international (ai) über das Verschwindenlassen
von Menschen in der Untersuchungshaft in der Türkei. Nach diesem ai-Bericht
waren allein im Jahr 1994 296 Personen in der Untersuchungshaft verschwunden.
Auch der Bericht stellte eine Reihe von Forderungen auf, um diese Praxis
zu beenden.
Erneut wollen wir die Forderungen von ai gegen das Verschwindenlassen
von Menschen der Öffentlichkeit bekannt geben.
l Laut §107 des türkischen Strafgesetzes sind Angehörige
von Untersuchungsgefangenen innerhalb kürzester Zeit zu benachrichtigen.
l Der Mindeststandard der Vereinten Nationen (UN) sieht vor, daß
der Grund und der Zeitpunkt von Festnahmen in den Gesetzen entsprechende
Register eingetragen werden müssen.
l Ebenso müssen die Dauer eines Verhörs und die Namen von
Untersuchungshäftlingen registriert werden. Diese Unterlagen müssen
Richtern, den Gefangenen und Anwälten zur Verfügung gestellt
werden.
l Jeder Untersuchungsgefangene hat das Recht auf einen Anwalt. Das
im Dezember 1992 geänderte Strafgesetz soll auch Personen betreffen,
die aufgrund des „Anti-Terror-Gesetzes“ festgenommen wurden.
l Es muß verboten sein, den Gefangenen in der Haft die Augen
zu verbinden. Derartige Methoden müssen untersucht und Beamte, die
diese Methoden anwenden, müssen strafrechtlich verfolgt werden.
l Aufgrund der hohen Foltergefahr für Untersuchungsgefangene und
der Gefahr zu verschwinden, müssen in der Türkei die Untersuchungsgefangenen
innerhalb von 24 Stunden vor einen Richter gebracht werden. Die dafür
erforderlichen Gesetzesänderungen müssen vorgenommen werden.
Das Gericht muß die Verbringung der Gefangenen in die Gefängnisse
kontrollieren.
l Um polizeiliche Erklärungen über die angebliche Freilassung
von Gefangenen überprüfen zu können, muß die Freilassung
von Untersuchungsgefangenen protokolliert werden. Die Gefangenen müssen
in Beisein eines Anwalts freigelassen werden.
Diese Forderungen stellte ai an den türkischen Staat. Wir rufen
die Öffentlichkeit auf, diese Forderungen zu unterstützen.
Die Samstagsmütter wissen genau, was sie wollen. Sie bringen ihre
Forderungen offen und klar zur Sprache. Das Verschwindenlassen von Menschen
in Untersuchungshaft muß aufhören. Doch es dauert fort. Aus
den kurdischen Gebieten unter Ausnahmezustand kommen täglich neue
Mitteilungen über verschwundene Menschen. Darunter finden sich 14-,
15-jährige Kinder ebenso, wie 75-jährige alte oder auch kranke
Menschen.
In der 150. Woche unserer Protestaktion fordern wir erneut vom türkischen
Staat und seinen Vertretern:
l Macht Schluß mit dem Verschwindenlassen von Menschen.
l Führt Untersuchungen über den Verbleib derjenigen Menschen
durch, die wir in unseren Presseerklärungen benannt haben.
l Erklärt Euch bereit, die Forderungen von amnesty international
gegen das Verschwindenlassen von Menschen in Untersuchungshaft anzuerkennen.
Sonst seid Ihr mitverantwortlich für dieses Verbrechen.