Presseerklärung der Samstagsmütter aus Istanbul
vom 28. März 1998

Heute ist die 150. Woche des Samstagstreffens gegen das Verschwindenlassen von Menschen aus der Untersuchungshaft. Seit 150 Wochen haben wir vieles über das Verschwindenlassen berichtet. Wir haben viele Fragen gestellt und viele Zeugen, Plätze und Daten des Verschwindenlassens benannt. Obwohl wir viele Aufrufe veröffentlicht haben, verschwanden weiterhin Menschen. Wir haben konkrete Forderungen aufgestellt, damit dieser Praxis ein Ende bereitet wird. Vor ungefähr 3 Jahren, beim 10. Treffen der Samstagsmütter, veröffentlichten wir eine Presseerklärung, in der wir unsere Forderungen erstmals benannten. Wir bezogen uns auf einen Bericht von amnesty international (ai) über das Verschwindenlassen von Menschen in der Untersuchungshaft in der Türkei. Nach diesem ai-Bericht waren allein im Jahr 1994 296 Personen in der Untersuchungshaft verschwunden. Auch der Bericht stellte eine Reihe von Forderungen auf, um diese Praxis zu beenden.
Erneut wollen wir die Forderungen von ai gegen das Verschwindenlassen von Menschen der Öffentlichkeit bekannt geben.
l Laut §107 des türkischen Strafgesetzes sind Angehörige von Untersuchungsgefangenen innerhalb kürzester Zeit zu benachrichtigen.
l Der Mindeststandard der Vereinten Nationen (UN) sieht vor, daß der Grund und der Zeitpunkt von Festnahmen in den Gesetzen entsprechende Register eingetragen werden müssen.
l Ebenso müssen die Dauer eines Verhörs und die Namen von Untersuchungshäftlingen registriert werden. Diese Unterlagen müssen Richtern, den Gefangenen und Anwälten zur Verfügung gestellt werden.
l Jeder Untersuchungsgefangene hat das Recht auf einen Anwalt. Das im Dezember 1992 geänderte Strafgesetz soll auch Personen betreffen, die aufgrund des „Anti-Terror-Gesetzes“ festgenommen wurden.
l Es muß verboten sein, den Gefangenen in der Haft die Augen zu verbinden. Derartige Methoden müssen untersucht und Beamte, die diese Methoden anwenden, müssen strafrechtlich verfolgt werden.
 

l Aufgrund der hohen Foltergefahr für Untersuchungsgefangene und der Gefahr zu verschwinden, müssen in der Türkei die Untersuchungsgefangenen innerhalb von 24 Stunden vor einen Richter gebracht werden. Die dafür erforderlichen Gesetzesänderungen müssen vorgenommen werden. Das Gericht muß die Verbringung der Gefangenen in die Gefängnisse kontrollieren.
l Um polizeiliche Erklärungen über die angebliche Freilassung von Gefangenen überprüfen zu können, muß die Freilassung von Untersuchungsgefangenen protokolliert werden. Die Gefangenen müssen in Beisein eines Anwalts freigelassen werden.

Diese Forderungen stellte ai an den türkischen Staat. Wir rufen die Öffentlichkeit auf, diese Forderungen zu unterstützen.
Die Samstagsmütter wissen genau, was sie wollen. Sie bringen ihre Forderungen offen und klar zur Sprache. Das Verschwindenlassen von Menschen in Untersuchungshaft muß aufhören. Doch es dauert fort. Aus den kurdischen Gebieten unter Ausnahmezustand kommen täglich neue Mitteilungen über verschwundene Menschen. Darunter finden sich 14-, 15-jährige Kinder ebenso, wie 75-jährige alte oder auch kranke Menschen.
In der 150. Woche unserer Protestaktion fordern wir erneut vom türkischen Staat und seinen Vertretern:
l Macht Schluß mit dem Verschwindenlassen von Menschen.
l Führt Untersuchungen über den Verbleib derjenigen Menschen durch, die wir in unseren Presseerklärungen benannt haben.
l Erklärt Euch bereit, die Forderungen von amnesty international gegen das Verschwindenlassen von Menschen in Untersuchungshaft anzuerkennen.
Sonst seid Ihr mitverantwortlich für dieses Verbrechen.