PRESSEMITTEILUNG NR.9
(20.03.99)
AKTUELL:
· Istanbul:
- Alle HADEP-Büros und mindestens 4 andere Vereine
geschlossen
- Über 500 Festnahmen
- Dolmetscherinnen aus Deutschland noch immer in Haft
· Nusaybin:
- Delegation von Sicherheitskräften unter Druck
gesetzt
- 75 Festnahmen in den letzten Tagen
- Newroz-Feuer in den Straßen
Istanbul
Die Türkei hat heute in Istanbul zu umfassenden Maßnahmen
gegen alle demokratischen Organisationen und Vereine gegriffen. Es wurden
mehrfach Vereine und Büros durchsucht und geschlossen. Darunnter befinden
sich alle Istanbuler HADEP-Büros, das MKM (Mesopotamisches Kultur
Zentrum), TOHAV (Rechtshilfestiftung), EKB (Arbeiterinnen Vereinigung)
und DMP (Demokratische Kampfplattform). Bei diesen Überfällen
wurden im Laufe des Tages über 500 Personen allein in Istanbul verhaftet.
Rüdiger Midasch, Sozialarbeiter aus Menden, berichtete: “Ich war schon
oft in der Türkei und mußte schon viele Polizeiangriffe beobachten.
Aber was ich heute gesehen habe, war von einer neuen Qualität. Die
türkische Regierung will vor dem morgigen Newroz-Fest die Bevölkerung
einschüchtern und somit alle Feierlichkeiten verhindern. Daß
gerade die HADEP im Mittelpunkt der Angriffe steht, ist auch im Zusammenhang
mit den bevorstehenden Wahlen zu sehen. Der HADEP werden in den überwiegend
kurdisch bewohnten Gebieten große Wahlerfolge vorhergesagt, was der
türkische Staat offensichtlich verhindern will.”
Delegationen aus Sachsen-Anhalt und Nordrhein-Westfalen waren bei der
Stürmung des Mesopotamischen Kulturvereins (MKM) und der Bombendrohung
vor dem Menschenrechtsverein IHD vor Ort (siehe Pressemitteilung Nr.8).
Die im MKM festgenommenen Dolmetscherinnen Gülten Sahin aus Ettweiler
und Handan Pervasiz aus Solingen-Wald, beide deutsche Staatsangehörige,
befinden sich seit 16.00 Uhr Ortszeit auf der berüchtigten Antiterror-Abteilung
des Istanbuler Polizeipräsidiums und werden verhört. Weder
den deutschen Behörden noch den Delegationsteilnehmerinnen gelang
es bis jetzt, eine Nachricht von den Inhaftierten zu erhalten.
Das Einreiseverbot in die kurdischen Gebiete für Ausländer
wird nach wie vor rigoros umgesetzt. Eine Abgeordnetendelegation aus den
Niederlanden wurde am Samstag morgen am Istanbuler Flughafen daran gehindert,
per Flugzeug nach Diyarbakir zu reisen. Das gleiche Schicksal ereilte die
Schweizer Delegation.
Nusaybin
Eine Menschenrechtsdelegation mit Teilnehmern aus Erfurt (u.a. Steffen
Dittes MdL Thüringen), Braunschweig, Berlin und Regensburg ist nach
Kurdistan gereist, um die wirtschaftliche und soziale Situation vor den
Wahlen zu untersuchen Ihnen gelang es, in die kurdische Stadt Nusaybin
an der syrischen Grenze einzureisen. Keine Delegation gelangte bis jetzt
so weit ins Kriegsgebiet hinein. Nusaybin gehört u.a zum Aufmarschgebiet
des türkischen Militärs Richtung Nordirak. In der Stadt gab es
in den letzten Tagen zahlreiche Verhaftungen. Nach Aussagen eines HADEP-Mitgliedes
wurden 75 Personen festgenommen, von denen sich 25 noch immer in Haft befinden.
Die Situation in der Kreisstadt ist wie überall in den Ausnahmezustandsgebieten
verschärft. “Wir haben während der Fahrt mehr Kasernen als Dörfer
gesehen. Zahlreiche Straßen in der Stadt sind vom Militär gesperrt,
wir kamen nur über Umwege herein. In der ganzen Stadt sind Panzer
postiert”, teilte der Sprecher der Delegation, Philipp Vergin, unserem
Büro mit. Die Gruppe steht seit ihrer Ankunft unter polizeilicher
Überwachung und ist ständigen Verhören und Schikanen ausgesetzt.
Bereits vier Mal seien sie von Spezialeinheiten im Hotel aufgesucht und
dort befragt und bedroht worden. Am Sonntag wird die Delegation die Newroz-Feiern
auf den Straßen beobachten.
Für Hintergrundgespräche und die Vermittlung von Telefoninterviews
mit den Delegationen stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.
Newroz-Delegationsbüro, 20.03.1999 |