Berlin, 4. Januar
2000
An die Redaktionen:
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/ Kurdistan
Die PKK erklärt:
· Die Zeit ist reif für eine politische Lösung
der kurdischen Frage
· Mit der Bestätigung des Todesurteils gegen
unseren Vorsitzenden durch den Staatsanwaltschaft hat die
politische Phase begonnen
· Wir werden auch weiterhin den Prozess der konstanten
Veränderung und des Wandels vorantreiben
· Die Aufnahme der Türkei als Beitrittskandidat
in die EU ist auf die Situation der kurdischen Frage zurückzuführen
Der oberste türkische Staatsanwaltschaft Vural Savas
bestätigte am 29. Dezember 1999 das Todesurteil gegen
den Vorsitzenden der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), Abdullah
Öcalan. Damit sind alle juristischen Möglichkeiten
in der Türkei ausgeschöpft. Als nächste Etappe
wird die türkische Regierung und das Parlament in Ankara
nach der juristischen Entscheidung die politische Entscheidung
fällen. Schon im Vorfeld hatten hochrangige türkische
Politiker erklärt, dass diese Entscheidung nicht leicht
sein wird. Parallel zu der Entscheidung des türkischen
Parlaments und des Staatspräsidenten Süleyman Demirel
ist der Fall Öcalan im Europäischen Gerichtshof
für Menschenrechte anhängig.
Der Präsidalrat der Arbeiterpartei Kurdistan (PKK) hat
am 2. Januar 2000 schriftlich zu der o.g. Entwicklung Stellung
genommen, die wir im folgenden in deutscher Übersetzung
dokumentieren:
"Mit der Entscheidung der Generalstaatsanwaltschaft (der
Türkei, Anm.d.Ü.) vom 29. Dezember 1999, ist die
juristische Phase im Prozess gegen unseren Vorsitzenden, Abdullah
Öcalan zum Abschluss gekommen. Eine neue Phase hat begonnen.
Nun liegt die Entscheidung bei der Politik. Bekanntlich war
die Verhandlung auf Imrali die erste Stufe der juristischen
Phase. Mit dem verantwortlichen und bedachten Verhalten unseres
Vorsitzenden, mit seinen umfassenden und lösungsorientierten
Ausführungen über die historischen, nationalen und
politischen Ursachen, welche dem Prozess zu Grunde lagen,
sowie das in politischer Hinsicht pragmatische Verhalten unserer
Partei, haben in der Öffentlichkeit eine breite Diskussion
über die kurdische Frage ausgelöst. So wurde eine
äusserst gewalttätige Konfrontation verhindert und
der Beginn eines Prozesses der Deeskalation eingeleitet.
Im zweiten Abschnitt der juristischen Phase, der Verhandlung
vor dem Kassationsgerichtshof, hatte unsere Partei dem Aufruf
unseres Vorsitzenden folgend, den bewaffneten Kampf eingestellt
und erklärt, ihre bewaffneten Kräfte vom Gebiet
der Türkischen Republik zurückziehen. Weiter erklärte
sie, dass sie von nun an ihrem Kampf eine Strategie des demokratisch-politischen
Kampfes zugrundelegen werde. Seit dem 1. September 1999 wurde
mit der praktischen Umsetzung begonnen. Dadurch konnte die
mit dem 15. August 1984 entstandene Atmosphäre des Krieges
von niedriger Intensität überwunden und die Gewalt
auf ein Minimum reduziert werden. Mit der aus dieser Umorientierung
hervorgehenden positiven Entwicklung und Stabilität,
konnte die Anerkennung der Türkei als Beitrittskandidat
zur Europäischen Union realisiert werden. Somit hat die
von uns eingeleitete Phase, den Boden für tiefgreifende
Entscheidungen bereitet. In Anbetracht der obengenannten Entwicklung,
wird deutlich, dass die Entscheidung über das weitere
Vorgehen im Fall unseres Vorsitzenden; auf der Grundlage der
Kandidatur der Türkei um Aufnahme in die Europäische
Union gemeinsam getroffen wird. Das die politische Entscheidungsgewalt
diese Ebene erreicht hat, ist auf die Situation der kurdischen
Frage zurückzuführen. Insofern ist dies eine ganz
normale Entwicklung. Für die aktuelle Situation der kurdischen
Frage und das Versäumnis ihrer Lösung, sind der
türkische Staat, die Länder der EU und Nato gemeinsam
verantwortlich. Deshalb müssen auch die für die
Situation verantwortlichen Staaten zusammenkommen und gemeinsam
eine Lösung entwickeln.
Es ist ersichtlich, dass unsere Partei alles für einen
positiven Verlauf der jetzigen Phase unternommen hat. Sie
wird auch weiterhin den Prozess der konstanten Veränderung
und des Wandels vorantreiben. Jedoch ist dieser Prozess an
einem kritischen Punkt angelangt, an dem eine Entscheidung
gefällt werden muss. Dies bedeutet, dass konkrete Schritte
für eine Lösung der kurdischen Frage und zur Demokratisierung
der Türkei unternommen werden müssen. Die Demokratie
wird nicht mit Worten erreicht, sondern konkrete Schritte
und eine praktische Umsetzung sind notwendig. Nun ist es an
der Zeit, die dafür nötigen Voraussetzungen zu erfüllen.
Jedoch ist die Türkei nicht einmal in der Lage, kleine
Schritte hin zu einer Demokratisierung und Lösung der
kurdischen Frage zu unternehmen, selbst wenn sie nur den Charakter
einer Geste hätten. Ohne Zweifel bildet diese Situation
ein Hindernis für eine Weiterentwicklung des politischen
Prozesses. Auf diese Weise lassen sich keine positiven Ergebnisse
erzielen. An diesem Punkt sollte die Türkei keine falschen
Schritte unternehmen. Bis jetzt ist der Prozess positiv verlaufen.
Man erwartet weitere positive und lösungsorientierte
Schritte. Wenn dieser Erwartung nicht entsprochen wird und
die Hoffnungen enttäuscht werden, kann unter diesen Bedingungen
nicht voraus gesagt werden, wie die Entwicklung weiterhin
verlaufen wird. Bis jetzt hat die Administration der Türkei
stets auf das Andauern der juristischen Phase berufen. Diese
ist nun beendet und die Phase eines politischen Entscheidungsprozesses
hat begonnen. Dieser Phase muss positiv und lösungsorientiert
begegnet werden, ohne das Problem zu ignorieren. Ist dies
nicht der Fall, bleibt das Problem unbehandelt, werden falsche
Schritte unternommen, dann werden die Voraussetzungen für
einen neuen Aufstand geschaffen. Dabei trägt ausser den
Kriegsgewinnlern jeder Schaden davon.
Das heisst, das Problem ist an einen Punkt angelangt, an
dem die Lösung des Problems nicht länger aufgeschoben
werden kann. Das gilt sowohl für die Türkei und
die EU, als auch für die NATO und die anderen beteiligten
Seiten des Problems. Man kann das Problem nicht ungelöst
lassen, indem sich jeder in eine andere Ausrede flüchtet.
Dass die Türkei immer noch diskutiert, ob das Gerichtsurteil
gegen unseren Vorsitzenden vollstreckt werden soll oder nicht,
und gleichzeitig keine praktischen Schritte hin zu einer Lösung
unternimmt, stellt eine äusserst rückschrittliche
und gefährliche Situation dar. Insbesondere das vom Obersten
Gerichtshof gefällte Urteil ins Parlament zu tragen und
es dort zum Gegenstand einer politischen Diskussion zu machen,
wird den jetzigen Prozess und seine positiven Entwicklungen
ernstlich gefährden. Wir rufen alle EU- und NATO-Länder,
allen voran die Türkei, auf, sich in dieser Situation
ernsthaft und verantwortungsbewusst zu verhalten. Auch in
diesem Fall müssen die Maßstäbe der EU gelten.
Jetzt ist es an der Zeit, für eine demokratische Lösung
der kurdischen Frage praktische Schritte zu unternehmen und
die dafür notwendigen gesetzlichen Korrekturen vorzunehmen.
Der erste Schritt muss die Garantie für eine Nichtvollstreckung
des Todesurteil an unserem Vorsitzenden sein, der bei der
Lösung des Problems eine Schlüsselrolle spielt.
Ausserdem müssen unserem Vorsitzenden eine freie und
angemessene Arbeitsumgebung verschafft und seine Sicherheit
effektiver gewährleistet werden. Nur auf diese Weise
wird es möglich sein, den jetzigen politischen Prozess
in einer positiven Weise fortzuführen.
Unsere Partei wird auch weiterhin in ihren Entscheidungen
und ihren Schritten hin zu einer politischen Lösung eine
grosse Bedeutung beimessen. Sie wird auch weiterhin das ihre
tun, um die Phase des Friedens und der demokratischen Wende
voranzutreiben. Soweit diese positive und lösungsorientierte
Haltung unserer Partei bei den anderen beteiligten Seiten
seine Entsprechung findet, wird dieser Prozess weitergeführt.
Daher rufen wir die EU und alle NATO-Länder, allen voran
die Türkische Republik, auf, von ihren Hoffnungen und
Bemühungen um eine Liquidation unserer Partei endlich
Abstand zu nehmen, den freien und demokratischen Willen des
kurdischen Volkes, der sich in unserer Partei und unserem
Präsidenten Abdullah Öcalan konkretisiert, zu respektieren,
das Tauziehen um das Urteil gegen unseren Vorsitzenden zu
beenden und aufzuheben, sowie den politischen Prozess durch
praktische Schritte hin zu einer Lösung der kurdischen
Frage voranzutreiben!"