Berlin,
21. März 2001
Newroz 2001 - Türkei/Nordkurdistan:
2
Millionen Kurdinnen und Kurden feierten Neujahrstag "Newroz"
und forderten Frieden, Freiheit und Demokratie trotz Verbote
und Repressionen.
-
Newroz 2001 ist der Beweis dafür, daß das kurdische
Volk bereits jetzt eine Friedensbrücke nach Ankara
erbaut hat.
- Über
400 Festnahmen, 21 Verletzte, davon vier schwer, Durchsuchungen
der Parteibüros von HADEP, Straßensperre und
-kontrollen, Hinderung der Einreise der TeilnehmerInnen
von umliegenden Dörfern.
- Auch
europäische DelegationsteilnehmerInnen Repressionen
ausgesetzt.
Aufgrund
den letzten besorgniserregenden politischen Entwicklungen,
war schwer abzuschätzen, wie die diesjährigen Newrozfeierlichkeiten
verlaufen würden. Klar war, daß das kurdische Volk
den Neujahrstag in Feststimmung begegnen und ihn in ein Friedensfestival
umwandeln würde. Allein in den türkischen und kurdischen
Städten nahmen annähernd 2 Millionen Menschen in
der erwarteten Form an den Newroz-Feierlichkeiten teil. Dies
bestätigten uns auch die europäischen DelegationsteilnehmerInnen
in Telefongesprächen (s. Anlage: Delegationsbericht).
Zum
ersten Mal fanden in diesem Umfang offiziell zugelassene Veranstaltungen
statt, jedoch waren diese durch Verbote überschattet.
Während 43 Anträge der HADEP für Feierlichkeiten
in verschiedenen Städten, Bezirken und Landkreisen positiv
beantwortet wurden, wurden 18 Veranstaltungen verboten (s.
Anlage: Bilanz der Newrozfeierlichkeiten). Obwohl eine positive
Annäherung des Staates gegenüber den Newrozveranstaltungen
der KurdInnen in diesem Jahr zu erkennen ist, blieben wir
auch in diesem Jahr nicht verschont von Bildern der Repression.
Die Bilanz der diesjährigen erfaßten staatlichen
Repressionen lautet: Über 400 Festnahmen, 21 Verletzte,
davon vier schwer, Durchsuchungen von zwei Parteibüros
der HADEP, Straßenkontrollen und -sperren, Hinderung
der Einreise der TeilnehmerInnen von umliegenden Dörfern.
Staatlichen
Hinderungs- und Einschüchterungsversuchen, um die Teilnahme
an Newrozfeierlichkeiten zu verhindern, waren auch einige
der diesjährigen europäischen NewrozdelegationsteilnehmerInnen
ausgesetzt. Eine Delegationsgruppe wurde ein Tag auf einer
Polizeistation festgehalten, während andere kurzzeitig
aufgehalten wurden. Weiterhin berichteten DelegationsteilnehmerInnen
von unverhältnismäßig vielen Strassenkontrollen.
Es
ist nicht von der Hand zu weisen, daß die Teilnahme
der Delegationen an den Newrozveranstaltungen auch in diesem
Jahr einen punktuellen Schutz der Zivilbevölkerung darstellten
und daher ihre Reise notwendig war und ist. Für die Presse
gibt es weiterhin Möglichkeiten Verbindungen zu den DelegationsteilnehmerInnen
über unser Büro aufzunehmen.
Der
Wille von 2 Millionen Menschen nach Frieden, Freiheit und
Demokratie kann und darf nicht länger übersehen
und ignoriert werden. In diesem Zusammenhang wird deutlich,
daß das am Montag veröffentlichte Nationale Programm
zum EU-Beitritt der Türkei der Realität fern ist
und keinerlei Erfolgschancen hat. Denn der türkische
Staat setzt weiterhin auf die Verleugnungs- und Vernichtungspolitik
der Kurden, die jedoch schon zu Millionen mit dem Willen nach
Freiheit, Frieden und Demokratie eine Friedensbrücke
nach Ankara bilden.
Aufgrund
der Tatsache, daß am heutigen Tag auch in der Diaspora
KurdInnen zu Hunderttausenden auf die Straßen gegangen
sind, sollten die europäischen Staaten sich der kurdischen
Frage annehmen und eine Lösung anstreben, die den Willen
des kurdischen Volkes beinhaltet.
Bilanz
der Newrozfeierlichkeiten 2001 Türkei/Nordkurdistan:
Die
diesjährigen Newrozfeierlichkeiten waren in den folgenden
Städten, Kreisen und Provinzen offiziell genehmigt:
Adana, Ceyhan, Seyhan/Misis, Agri, Dogubeyazit, Patnos, Ankara,
Aydin, Batman, Bingöl, Bursa, Denizli, Diyarbakir, Elazig,
Karakocan, Eskisehir, Hakkari, Hatay/Iskenderun, Erzin, Dörtyol,
Icel, Izmir, Kayseri, Kocaeli, Gebze, Konya, Malatya, Manisa,
Marin, Musaybin, Kiziltepe, Mazidagi, Derik, Malazgirt, Elbistan,
Osmaniye, Tunceli, Urfa und Van
Verbote
für Newrozveranstaltungen erfolgten in folgenden Städten,
Kreisen und Provinzen:
Adiyaman, Balikesir, Bitlis, Tatvan, Canakkale, Igdir, Istanbul,
Kars, Kirsehir, Mugla, Bodrum, Mus, Maras, Sakarya, Siirt,
Sirnak, Tekindag und Yalova.
Einzelne Angaben:
Adana: etwa 70.000 TeilnehmerInnenInnen
Adiyaman (trotz Verbot): ca. 5.000
Agri: ca. 5.000
Dogubeyazit: ca. 20.000 (die Einreise der TeilnehmerInnen
von umliegenden Dörfern wurde teilweise verhindert)
Patnos: ca.10.000
Ankara: annähernd 8.000
Batman: 100.000 TeilnehmerInnen
Bingöl: etwa 5.000 TeilnehmerInnenInnen; die HADEP-Zentrale
in Bingöl wurde in den frühen Morgenstunden von
Sicherheitskräften gestürmt und durchsucht.
Bitlis: Ab den Morgenstunden begaben sich TeilnehmerInnen
zum Kundgebungsplatz. Jedoch hatten die Sicherheitskräfte
den Platz bereits abgeriegelt und die Menschen wurden nicht
hineingelassen. Daraufhin marschierten etwa 2.000 Menschen
zum Parteigebäude der HADEP Bitlis und feierten dort
ihr Newrozfest.
Bursa: ca. 10.000 TeilnehmerInnen
Denizli: über 2.000
Diyarbakir: etwa 500.000 TeilnehmerInnen, bis zur Stunde keine
Zwischenfälle
Elazig: über 4.500
Karakocan: über 2.000
Gaziantep: über 30.000
Hakkari:Gestern wurde die HADEP-Kassenwärtin Filiz Uguz
in Untersuchungshaft genommen. Ein Kleinbus mit Journalisten
und ausländischen Delegationsgruppen wurde gestern von
der Polizeistation Zap festgehalten und erst heute freigelassen.
Obwohl die Newrozfeier genehmigt war, wurden die Menschen
daran gehindert, auf den Platz zu gelangen; Drohungen, Einschüchterungsversuche
u. ä. führten zur Hinderung der Teilnahme der Menschen
an den Feierlichkeiten. Trotz all dem kamen über 10.000
Menschen, überwiegend Frauen zusammen.
Hatay/Iskenderum: annähernd 10.000 TeilnehmerInnen
Erzin: etwa 2.500
Dörtyol: annähernd 5.000
Igdir: In den frühen Morgenstunden wurde die Landeszentrale
der HADEP von Sicherheitskräften gestürmt und das
Archiv beschlagnahmt. Dies wurde damit begründet, daß
ein Beschlagnahmungsbefehl in Bezug auf die von HADEP herausgebrachten
Postkarten, die das Verschwindenlassen von zwei HADEPlern
thematisiert, bestünde. Die Einfahrten in Straßen
und Dörfer mit überwiegend kurdischen Einwohnern
wurden poizeilich gesperrt. Den ganzen Tag lang herrschte
eine angespannte Atmosphäre.
Icel: Es kam zu Angriffen auf die Feierlichkeiten am Vorabend
vor Newroz. Hierbei wurden fünf Menschen verletzt und
etwa 60 wurden festgenommen. Im Weiteren war zu beobachten,
daß die Sicherheitskräfte in die Luft schossen.
Obwohl die Menschen am Newroztag zeitweise daran gehindert
wurden, zum Veranstaltungsplatz zu gelangen, kamen dennoch
über 100.000 TeilnehmerInnen zusammen. Während der
Feierlichkeiten wurden Provokationsversuchen seitens der Sicherheitskräfte
unternommen.
Istanbul: Obwohl die Newrozveranstaltungen verboten waren,
sammelten sich am Topkapi etwa 25.000 Menschen. Nach Ende
der Veranstaltung griff die Polizei eine Gruppe von TeilnehmerInnen
an und verletzte 7 Menschen. Zwei der Verletzten mußten
ins Krankenhaus eingeliefert werden. Die Selbstverbrennung
einer Person in der Nähe des Veranstaltungortes wurde
durch andere TeilnehmerInnen verhindert. Im Istanbuler Stadtteil
Kartal kamen etwa 3.000 Menschen zusammen. Die Abfahrt der
Busse vor den Bezirksgebäuden der HADEP zur Newrozveranstaltung
am Topkapi wurden größtenteils verhindert und somit
die Menschen daran gehindert, zum Veranstaltungsort zu gelangen.
Etwa 100 Personen wurden festgenommen.
Izmir: 50.000 TeilnehmerInnen
Kayseri: In Kayseri wurde zum ersten Mal Newroz gefeiert.
Zu diesem Newrozfest kamen über 500 Menschen
Kirsehir: Nach dem Verbot der Veranstaltung an einem öffentlichen
Platz gingen etwa 1000 Personen zum Parteigebäude der
HADEP und feierten dort ihr Newroz.
Kocaeli: etwa 3.000 TeilnehmerInnen
Gebze: 2.500 TeilnehmerInnen
Konya: Ungefähr 7.000 TeilnehmerInnen nahmen an den heutigen
Feierlichkeiten teil. Bei Hausdurchsuchungen die Nacht zuvor
wurden 27 Personen festgenommen.
Malatya: Etwa 2000 Menschen kamen zusammen
Manisa: Ein Newrozfest mit annähernd 7.000 TeilnehmerInnen
Mardin: 5.000 TeilnehmerInnen und eine Festnahme
Nusaybin: Hier nahmen etwa 40.000 Menschen teil
Kiziltepe: Auch hier nahmen 40.000 Menschen teil
Mazidagi: 4.000 Personen feierten Newroz
Derik: 4.000 TeilnehmerInnen
Mugla: Hier waren die Feierlichkeiten verboten. Den ganzen
Tag herrschte eine angespannte Atmosphäre. Der vorgesehene
Platz wurde umzingelt und die Menschen daran gehindert, auf
den Platz zu gelangen. PKW´s aus Marmaris und Milas
wurden kontrolliert und 4 Autos beschlagnahmt. Der Landkreisvorsitzende
und der gesamte Vorstand von HADEP-Marmaris wurden mit weiteren
14 Personen festgenommen.
Bodrum: Bei den Newrozveranstaltungen am Vorabend wurden 5
Personen festgenommen.
Mus: Obwohl die Veranstaltung untersagt war, nahmen etwa 6.500
Menschen teil. Am Ende der Veranstaltung griff die Polizei
an. Nach ersten Angaben wurden hierbei 4 Menschen verletzt
und weitere 4 festgenommen.
Malazgirt: 12 Personen wurden festgenommen
Maras: Aufgrund des Verbotes fand im Zentrum von Maras keine
Veranstaltung statt. Die Menschen, die nach Elbistan zum Newrozfest
fahren wollten, wurden bei Afsin angehalten und an der Durchreise
gehindert.
Elbistan: Über 2.000 TeilnehmerInnen
Osmaniye: 4.500 TeilnehmerInnen
Siirt: In Siirt wurde die Veranstaltung verboten. Bei den
Angriffen auf die Newrozfeierlichkeiten am Vortag wurden durch
die Polizei fünf Menschen verletzt, davon zwei schwer
und ca. 30 Personen verhaftet. Trotz des Verbotes kamen in
17 Bezirken Zehntausende zu Feierlichkeiten zusammen, alleine
im Stadtteil Cakmak beteiligten sich ca. 15.000 Menschen daran.
Bei den Feierlichkeiten von Cakmak nahm auch der Gouverneur
von Siirt teil.
Sirnak: In Idil wurden 50 Personen festgenommen und im Zentrum
von Sirnak 2 Personen.
Tunceli: In Tunceli wurde seit 1980 zum ersten Mal in diesem
Jahr Newroz offiziell gefeiert. Von den 15.000 Einwohnern
Tunceli`s beteiligten sich an diesem ersten Fest ca. 6.000
Menschen.
Urfa: Hier nahmen 15.000 Personen teil.
Van: Am Fest nahmen über 100.000 Menschen teil. Auch
hier kam es zu Festnahmen.
Yalova: Hier wurde die Veranstaltung nicht genehmigt. Trotzdessen
versuchten die Menschen auf den vorgesehenen Veranstaltungsplatz
zu gelangen. Sie wurden durch die Sicherheitskräfte daran
gehindert. Den ganzen Tag herrschte eine angespannte Atmosphäre.
Straßen wurden abgeriegelt und über 100 Menschen
festgenommen.
(Diese Informationen umfassen die Entwicklungen bis 15.00
Uhr des 21. März. Während der Erstellung dieser
Erklärung erreichen uns aktuelle Informationen über
die Newrozfeierlichkeiten. Diesen Informationen zufolge hat
die Teilnehmerzahl in allen Städten, Kreisen und Provinzen
zugenommen und in einigen davon sogar verdoppelt. Aus diesem
Grunde kann zur Stunde die Teilnehmerzahl der heutigen Newrozveranstaltungen
als annähernd 2 Millionen festgelegt werden.)
Delegationsbericht der Hamburger Newroz-Delegation:
- Mindestens
500.000 Teilnehmer/innen in Diyarbakir
-
Parolen: Frieden, Freiheit und Brüderlichkeit der Völker
Fast
doppelt soviele Menschen wie im Vorjahr beteiligten sich heute
an den Newroz-Feierlichkeiten in Diyarbakir. Obwohl die Veranstaltung
nur 10 km außerhalb von Diyarbakir auf einem Messegelände
durchgeführt werden durfte, strömten die Menschen
auf den offenen Ladeflächen von LKW's und Traktoren sowie
mit Bussen, Kleinbussen und privaten PKW's aus Diyarbakir
zum Veranstaltungsort. Aus allen Autos flatterten HADEP-Fahnen
und / oder grün-gelb-rote Tücher.
Auf
dem riesigen Veranstaltungsplatz versammelte sich eine unabsehbare
Menschenmenge: auffallend viele Frauen aller Altesklassen
in festlichen traditionellen Kleidern, überall HADEP-Wimpel
und -Tücher und die grün-gelb-roten Bänder.
Im Hintergrund traditionelle kurdische Zelte, in denen klassische
Gewerke und Bäckereiwesen und Teppichknüpfen, aber
auch Kunst und Kunstgewerbe praktisch vorgeführt wurden,
daneben wie auf einem gigantischen Basar Hunderte von Kuchen-
und Getränkewagen, Grills usw.
Nach
vorne zu den Bühnen mit ihren Lautsprechertürmen
und HADEP und NEWROZ-Emblemen eine immer dichter werdede Menschenmenge,
die - je nachdem, ob auf der Bühne misikalische oder
Redebeiträge dargeboten wurden - mit zum Siegeszeichen
emporgereckten Fingern Parolen riefen oder tanzten. Tosender
Applaus für den HADEP-Vorsitzenden Murat Bozlak, der
in seiner Rede die tiefe Friedenssehnsucht des kurdischen
Volkes und seinen Freiheitswillen unter dem Banner der Geschwisterlichkeit
der Völker herausstrich. Zwei in diesem Moment über
die Menge hinwegdonnernde Kampfjets der türkischen Armee
zeigten, wie schwer dieser Weg noch sein wird, aber das Volk
beantwortete die Provokation mit Parolen, die Abdullah Öcalan
hochleben ließen, und deutlich zeigten, wie dicht und
eng verbunden die Menschen hinter dem vor zwei Jahren in Imrali
eingeschlagenen Friedensweg stehen.
Angesichts
der gewaltigen Menschenmenge hielten sich die Polizeikräfte
im Hintergrund im Gegensatz zum Vorjahr, wo noch eine angespannte
und aggressive Stimmung geherrscht hatte. Die diesjährige
Newroz-Veranstatlung in Diyarbakir war die größte
Demonstration des Selbstbewußtseins des kurdischen Volkes
in seiner Geschichte.
Diyarbakir
den 21. März 2001