Berlin,
09. Mai 2001
Dokumentation:
Im
folgenden geben wir ein Interview mit Duran Kalkan, Mitglied
des Präsidialrates der Arbeitpartei Kurdistans (PKK),
wieder. Das Interview erschien am 08. Mai 2001 in der pro-kurdischen
Tageszeitung Özgür Politika:
Europa
ist der Kern des Problems!
Ö.P.:
Was können sie über die Rolle Europas hinsichtlich
einer demokratischen Lösung der kurdischen Frage sagen?
Wie wirkt sich diese auf die weitere Entwicklung der Türkei
und des Mittleren Ostens aus?
Duran
Kalkan: Um diese Frage beantworten zu können, ist eine
genaue Definition des europäischen Verhältnisses
zur kurdischen Frage, zum Demokratisierungsproblem der Türkei
und zum Mittleren Osten notwendig. Das gegenwärtige System
des Mittleren Ostens hat nicht die Sowjetunion sondern Europa
geschaffen. Die Beziehung Frankreichs, Deutschlands und Großbritanniens
zur Region sind wesentlich enger als die der ehemahligen Sowjetunion.
Das Führungssystem von Hafiz Esad oder Sadam sind ein
europäisches Produkt wie auch das gesamte System im Mittleren
Ostens, dass immer wieder Quelle von neuen Problemen ist.
Die kurdische Frage stellt eines der wichtigsten Probleme
der Region dar. Die Verleugnungs- und Vernichtungspolitik
gegenüber den Kurden entstand mit den in Europa geschlossen
Abkommen. Was mit Laussane geschaffen wurde hält bis
heute an. Deshalb liegt es auf der Hand, dass auch die Lösung
der kurdischen Frage im Zusammenhang mit dem europäischen
System steht. Es besteht die Tendenz, die kurdische Frage
nur als eine Frage der Kurden und der Türkei bzw der
Region zu sehen. Wir sind der Meinung, dass die Sichtweise
dieserTendenz sehr begrenzt ist. Die kurdische Frage ist ein
internationale Frage. Ismail Besikci (türkischer Soziologe,
der mehr als die Hälfte seines Lebens im Gefängnis
verbracht hat, weil er sich mit der kurdischen Frage beschäftigt
hat) definierte dies als "internationales Kolonialsystem".
Das Zentrum dieser Kollonialisierung war Europa.
Auf dieser
Grundlage fasste unser Vorsitzender den Entschluss zu seiner
Reise nach Europa. Er sah in Europa den Ausgangspunkt für
die Suche nach einer demokratischen Lösung der kurdischen
Frage. Das war kein Zufall. So wie für die Führung
des bewaffneten Kampfes der Bezug auf den Mittleren Osten
notwendig war, so musste man sich auf Europa beziehen, wenn
eine demokratische Lösung der kurdischen Frage angestrebt
wird. Es war deshalb notwendig, da Europa die Quelle für
die Probleme darstellt und daher auch das Zentrum einer Lösung
darstellt. Europa hatte verstanden worum es geht. Nach längeren
Beratungen wurde unser Vorsitzende geschlossen abgelehnt.
So wurden die Bemühungen unseres Vorsitzenden als Versuch
gewertet, dass von Europa geschaffene System zu ändern.
Dies bot die Grundlage für das internationale Komplott,
in dessen Verlauf unser Vorsitzende in die Hände der
Türkei geriet.
Ö.P.:
Während ihre Partei ihre Entschlossenheit für eine
legale, friedliche und demokratische Phase zum Ausdruck bringt
und dies in der Praxis zu entwickeln versucht, hat England
die PKK auf der Liste der Terrororganisationen gesetzt. Wie
bewerten sie das?
Duran
Kalkan: Schon als unser Vorsitzende am 1. September 1998 erklärte:
"Ich verändere die Kampfstrategie" erkannten
die europäischen Staaten klar, insbesondere England,
welche Auswirkungen das auf Europa haben wird. Aus diesem
Grund liessen sie in den vergangenen drei Jahren nichts unversucht,
die Liquidierung des Vorsitzenden und der Partei doch noch
zu erreichen. England hat hierbei eine Führungsrolle
übernommen. England entwickelte die Strategie des Komplotts
und definierte die dafür notwendige Politik. Dennoch
musste es einsehen, dass sie unserern Vorsitzenden nicht eliminieren
konnten, sondern er weiterhin unsere Partei anführt.
Weiterhin steht unser Partei aufrecht und konnte ihren Einfluss
auf die kurdische Bevölkerung ausweiten. Deshalb versucht
England, noch bevor unser Volk in Europa diese Entwicklung
verstanden und eine entsprechende Mobilisierung entwickelt
hat, unsere Partei zu verbieten. Das ist nichts anderes als
ein Teil des internationalen Komplottes. Es hat erkannt, dass
sein in den Anfängen der 20er Jahre entwickelte System
offen gemacht wird. Es würde bedeuten, dass der Charakter
dieses Systems; wie dieses System die Verleugnung entwickelt
und die Vernichtung aufgezwungen hat, wie es im Namen der
Demokratie ein Genozidsystem entstehen ließ, welches
nach dem Genozid an Armeniern den Genozid an Kurden entwickelte;
entlarvt werden würde. All dies würde aufgedeckt
und der Kampf gegen dieses System entwickelt werden, an dessen
Ende England zur Rechenschaft gezogen würde. Um das zu
verhindern erklärt es: "Die PKK ist terroristisch,
ich verbiete sie". Auf diese Weise versucht es sich seiner
Verantwortung zu entziehen. Das ist nichts anderes als die
Fortführung der Politik des Komplotts, des Völkermords,
der Verleugnung und der Vernichtung. Es ist alles andere als
eine demokratische Haltung. Wenn nach Terrorismus, Gewalt
und Unterdrückung gesucht wird, so muß es in dieser
Entscheidung gesucht werden. Die Entscheidung Englands ist
selbst terroristisch. Warum sollte die Forderung der PKK und
des kurdischen Volkes nach nationalen und demokratischen Rechten
terroristisch sein?
Ö.P.:
In Europa lebt eine nicht zu unterschätzende organisierte
kurdische Bevölkerung. Welche Rolle fällt diesem
Potential zu, bei der Entwicklung der Friedensphase und bei
der Abwehr der Angriffe auf ihre Partei bzw. die kurdische
Bevölkerung?
Duran
Kalkan: Der Kampf bedarf einer noch breiteren Massenorganisierung.
Wir bewerten den Volksaufstand in Amed (Diyarbakir, Anm.d.Ü.)
als Beweis, dass das kurdische Volk den Kampf der neuen Phase
aufgenommen hat. Es ist notwendig, dass auch die KurdInnen
in Europa diesen Kampf aufnehmen. So wie Amed und Isanbul
Gebiete dieses Kampfes darstellen, so ist das mit Berlin,
Paris, London, Köln und Bonn nicht anders. Daher bedarf
es eines Verständnisses, welches die Bevölkerung
in den Kampf zieht, sie daran teilhaben lässt und - weg
vom Niveau der reinen Unterstützung - zum eigentlichen
Träger des Kampfes macht. Das alte ist Vergangenheit.
Wir passen die Wertmaßstäbe des Patriotismus an
die neue Phase an (...)
Ö.P.:
Vor allem in Europa und in den türkischen Metropolen
ist eine kurdische Kapitalanhäufung vorhanden. Gibt es
Initiativen, die diese Anhäufung zu organisieren versuchen?
Was kann damit erreicht werden und wie bewerten Sie solche
Bestrebungen?
Duran
Kalkan: Wir sehen die ökonomischen Tätigkeit als
einen wichtigen Bereich des demokratischen Wandels und der
Entwicklung einer demokratischen Lösung. Warum? Weil
wir eine Lösung suchen. Dies nur im politischen Rahmen
zu sehen ist unserer strategischen Auffassung nach unzureichend.
Daher messen wir dieser Arbeit einen großen Wert bei.
So haben wir zu Bemühungen in diese Richtung aufgerufen.
Einige Kreise, die über Kapital und Unternehmen verfügen,
haben in diese Richtung Schritte unternommen. In Europa fand
diesbezüglich eine Konferenz statt. Dies muss jedoch
noch weiter entwickelt, ähnliche Schritte auch in der
Türkei und Nordkurdistan unternommen werden. Möglichkeiten
hierfür sind reichlich vorhanden.
Das sollte
nicht nur als eine rein ökonomische Tätigkeit betrachtet
werden. Es muss auch in kulturelle und Propagandatätigkeiten
investiert werden. Laßt uns z.B. kurdische Kommunikationsmittel
entwickeln und ausweiten. Dies ist gegenwärtig aufgrund
finanzieller Schwierigkeiten nicht möglich. Lasst uns
Bildungsinstitute schaffen. Für all diese Projekte benötigt
man Kapital. In diesem Rahmen ist es angebracht, dass eine
ökonomische Organisierung entwickelt wird. Gemeinsame
Investitionen und Kapitalvermehrung sollten vorgenommen werden.
In allen Teilen Kurdistans sind solche ökonomischen Investistionen
und Entwicklungen notwendig. Dies wird direkt zur Entwicklung
einer Demokratie und nationalen Ökonomie in Kurdistan
beitragen.