Berlin,
26. April 2002
Sehr geehrte Damen und Herren,
Liebe Freundinnen und Freunde,
Seit
den Anschlägen vom 11. September haben die Bemühungen
der Türkei, eine Aufnahme der PKK auf die EU-Liste "terroristischer
Organisationen" zu erreichen, erheblich zugenommen. Die
durch die Anschläge in den USA entstandene Sensibilität
soll nun benutzt werden, um die politische Vertretung des kurdischen
Volkes anzugreifen. Damit werden auch die Chancen für eine
politische Lösung der kurdischen Frage reduziert.
Um
die Beweggründe der Türkei und anderer politischer
Kräfte zu verstehen, ist es sinnvoll, einen Blick zurück
zu werfen. Die kurdische Befreiungsbewegung entstand aufgrund
einer totalen Verleugnungs- und Vernichtungspolitik der Türkei
gegenüber den Kurden als Volk. Niemand kann bestreiten,
dass die Kurden einer systematischen Assimilationspolitik und
einer daraus resultierenden Unterdrückung ausgesetzt waren
und sind. Der kurdischen Befreiungsbewegung gelang es trotz
schwieriger Bedingungen, sich in kurzer Zeit zu einer Massenbewegung
zu entwickeln. Nachdem das nationale Bewusstsein des kurdischen
Volkes erneut geweckt worden war und seit den 90er Jahren die
kurdische Frage auf die Agenda der internationalen Politik getragen
werden konnte, nahmen die Bemühungen der kurdischen Seite
zu, diese Frage mit politischen Mitteln zu lösen. Einen
sehr konkreten Schritt unternahm die PKK im März 1993 mit
ihrem ersten einseitigen Waffenstillstand. Obwohl dieser bei
der Türkei kein positives Echo fand, unternahm die PKK
zwei weitere Versuche in dieser Richtung. In ihren Erklärungen
und Stellungnahmen rief die kurdische Freiheitsbewegung die
betroffenen Staaten dazu auf, die kurdische Frage auf dem Wege
des Dialogs zu lösen. Man forderte hierfür die Unterstützung
der europäischen Staaten und der EU. 1998 verließ
Herr Öcalan den Mittleren Osten Richtung Europa, um sein
Friedensprojekt mit Hilfe Europas einzuleiten. Sowohl die vorherigen
Bemühungen als auch die Friedensreise Öcalans wurden
abgelehnt und den Kurden der bewaffnete Kampf aufgezwungen.
Unzählige grenzüberschreitende Militäroperationen
der Türkei in den Nordirak (Südkurdistan), der Einsatz
von chemischen Waffen, Folter, extralegale Hinrichtungen, das
Verschwindenlassen von Menschen, Zwangsvertreibungen, die Zerstörung
kurdischer Siedlungen und Dörfer: Dies waren die Antworten
der Verantwortlichen in der Türkei. Trotz der rechtswidrigen
Verschleppung des Vorsitzenden Öcalan in die Türkei
und der Verhängung der Todesstrafe hielten Abdullah Öcalan
und die PKK an ihrer Friedenslinie fest. Vor etwa drei Jahren
also hat die PKK einen strategischen Wechsel vollzogen und eine
historische "Friedensphase" eingeleitet. Damit hat
sie der unkontrollierbaren Gewalt, der Feindschaft und der Ausweglosigkeit
die Grundlage entzogen und einen großen Beitrag zur Lösung
der kurdischen Frage sowie für die Demokratisierung der
Türkei geleistet. Noch im selben Jahr zog die PKK ihre
bewaffneten Kämpfer zurück auf Gebiete außerhalb
der Türkei. Als Ausdruck des Friedenswillens der Kurden
wurden zwei Friedensgruppen in die Türkei entsandt. Deren
Mitglieder erhielten inzwischen bis zu 15 Jahren Gefängnis.
Am 10. April diesen Jahres kam diese Veränderung der kurdischen
Bewegung zu einem sichtbaren Abschluss, als auf dem 8. Parteikongress
der PKK die Auflösung der Arbeiterpartei Kurdistans beschlossen
wurde. An ihrer Stelle wurde der Kurdische Kongress für
Freiheit und Demokratie (KADEK) gegründet (siehe http://www.nadir/org/kiz/).
Die
Türkei hat bisher allen Forderungen aus der Gesellschaft
nach Demokratisierung und Respektierung von Minderheitenrechten
eine Abfuhr erteilt mit dem Argument, die "separatistischen
Kurden" wollten ja nur das Land teilen. Nachdem die PKK
nun den bewaffneten Kampf einseitig eingestellt hat, gerät
die Türkei zunehmend unter Druck, jetzt endlich klare Schritte
in Richtung Demokratisierung zu unternehmen. Die PKK hat glaubhaft
verdeutlicht, dass eine Lösung für sie nicht heißt,
sich von der Türkei zu lösen. Sie hat den bewaffneten
Kampf eingestellt und arbeitet nun mit demokratischen Mitteln
für eine Lösung innerhalb der bestehenden Grenzen
der Türkei.
Es ist kein Zufall das hochrangige politische Verantwortliche
in der Türkei (wie z.B. Ministerpräsident Bülent
Ecevit) erklären, eine kurdische Bewegung, die politisch
agiere, sei gefährlicher als bewaffnete Kämpfer. Auch
die Betätigungsverbote für die PKK in Deutschland
und Großbritannien müssen als Versuch angesehen werden,
die Friedensbestrebungen der kurdischen Bewegung zu sabotieren.
Diese
wichtige Wandlung der kurdischen Bewegung ebenso wie der politische
Kampf für die kulturellen und politischen Rechte des kurdischen
Volkes und für die Demokratisierung der Türkei machen
eine Veränderung der bisherigen Kurdenpolitik der Türkei
und anderer Kräfte unumgänglich. Deshalb versucht
in erster Linie die Türkei, die Wandlung der PKK als taktisches
Manöver darzustellen, um zu erreichen, dass die PKK auf
die EU-Liste terroristischer Organisationen aufgenommen wird.
Auf diese Weise könnte sie die politische Arbeit der Kurden
in Europa stark behindern.
Was
passiert, wenn die PKK in die Liste aufgenommen wird? Die Türkei
wird sich in ihrer Politik der Verleugnung und Vernichtung gegenüber
dem kurdischen Volk bestätigt sehen. Die Forderung der
EU, die Türkei solle sich demokratisieren und die Kopenhagener
Kriterien erfüllen, würde für die Türkei
weiter an Glaubwürdigkeit und Nachdruck verlieren. Die
Repression gegen die legalen demokratischen und kurdischen Einrichtungen
wie HADEP, IHD etc. würden sofort wieder zunehmen. Die
Unterdrückungspolitik gegen das kurdische Volk würde
sich ebenfalls verstärken. Alle Forderungen nach demokratischen
Veränderungen würden, wie bislang, mit der Begründung
unterdrückt, damit würden "terroristische Organisationen"
unterstützt.
Die
negativen Veränderungen würden nicht auf die Türkei
selbst beschränkt bleiben. Es leben über eine Million
Kurdinnen und Kurden im europäischen Ausland. Allein in
Deutschland sind es zwischen 600 000 und 700 000. Die kurdischen
Einrichtungen und Institutionen würden in ihrer Arbeit
behindert werden. Hunderttausende von Kurden würden wegen
ihrer politischen Arbeit kriminalisiert werden.
Vor
diesem Hintergrund gibt die Erklärung des dänischen
Ministerpräsidenten Andres Fogh Rasmussen (man bedenke,
dass Dänemark im nächsten Halbjahr die EU-Präsidentschaft
übernimmt) Anlass zur Sorge. Herr Rasmussen hat erklärt,
seiner Meinung nach gehöre die PKK auf die EU-Terrorliste
und die Abschaffung der Todesstrafe sei für die EU- Mitgliedschaft
der Türkei keine Priorität.
Damit spricht er sich praktisch für ein Ende des Versuches
aus, auf friedlichem, politischem Wege eine Lösung zu suchen
und stimmt einer Hinrichtung von Abdullah Öcalan zu.
Die Vergangenheit hat den Kurdinnen und Kurden gezeigt, dass
wirtschaftliche und politische Interessen oft mehr wiegen als
Demokratie und Humanität. Um so größer ist die
Befürchtung, dass einige EU- Länder dem Verlangen
der Türkei aufgrund bilateraler Beziehungen und kurzfristiger
politischen Überlegungen nachkommen könnten.
In einer Zeit, in der im Mittleren Osten die Hoffnung auf eine
friedliche Lösung der Israel-Palästinafrage erneut
durch Eskalation und verantwortungsloses Handeln in den Hintergrund
gerückt sind, sollten die politisch Verantwortlichen sehr
aufmerksam und verantwortungsbewusst handeln.
Wir
bitten Sie, in öffentlichen oder nichtöffentlichen
Briefen an die deutsche Justizministerin und den Außenminister
sowie an den spanischen EU-Präsidenten deutlich zu machen,
dass eine Aufnahme der PKK auf die EU-Liste möglicherweise
Auswirkungen auf die friedliche Suche nach einer politischen
Lösung haben könnte. Protestieren Sie deshalb bitte
gegen die Erklärung des dänischen Ministerpräsidenten.
Zeigen
Sie, dass die Kurdinnen und Kurden mit ihrer Forderung nach
Frieden und Demokratie nicht alleine sind.
Bundesministerin der Justiz
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Jerusalemer Str. 24-28
D.
10 117 Berlin
Ministerpräsident
von Dänemark
Andres Fogh Rasmussen
Christianborg
Prins Jorgens Gard 11
1218 Kobenhavn K.
E-Mail: stm@stm.dk
Spanischer
Außenminister
JOSEP PIQUE
MINISTERIO REAILDE LAS RELACIONES
PLAZA DE LA PROVINCIA E-28071
MADRID - Spanien
Danke für Ihr Interesse.
Songül
Karabulut
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