Wahlen
in der Türkei: 2. Zwischenbilanz der Repressionen (Stand: etwa 16.00
Uhr)
Nach Informationen viele europäische Wahlbeobachter und Berichten
aus der Region zufolge, wurden in sehr vielen kurdischen Dörfern
die Wähler zu offenen Abgabe ihrer Stimmen gezwungen (s. u.). Ein
weiterer gängiger Praxis war die Hinderung der Wahlbeaufsichtigten
und Wahlhelfer der DEHAP. Entweder wurde ihnen der Zutritt in die Wahllokale
verweigert oder sie waren körperliche Angriffe und festnahmen ausgesetzt.
Im folgenden der zweite Teil der unvollständigen Bilanz der Repressionen
während den Wahlen.
Repressionen
in Beytüssebap
Die Hamburger Delegation, die heute in Beytüssebap die Wahlen beobachtet
hat, berichtet von starkem Druck vor allem in den Dörfern. In fast
allen Dörfern seien die Wähler zur offenen Stimmabgabe gezwungen
worden. Während in den Dörfern Militär und Dorfschützer
Druck auf die Bevölkerung ausüben, sind es in den Städten
und Gemeinden Polizeieinheiten. Die Delegation selbst steht unter ständiger
Beaufsichtigung durch Sicherheitskräfte.
Urnenbeobachter
in Konya an ihrer Arbeit gehindert
In den Grundschulen Aksemsettin und Istiklal bei Konya wurde den DEHAP-Urnenbeobachtern
der Zutritt zu den Wahllokalen verweigert.
Verletzung
der Wahlfreiheit in Diyarbakir
Nach Informationen des Menschenrechtsverein IHD, der Anwaltskammer und
politischer Parteien wurden in mindestens sieben Dörfern die Wähler
zur offenen Stimmabgabe gezwungen. Im weiteren wurden in Kreisstädten
und Gemeinden DEHAP-Urnenbeobachter an ihrer Tätigkeit gehindert.
In der Kreisstadt Ergani wurden die Urnenbeobachter Hasan Akkaya und Abbas
Kaya festgenommen.
Desweiteren wurden die Urnenbeobachter der DEHAP Hasan Akin, Mahmut Ekmen,
Ramazan Baydemir sowie die Wähler Sevgi Kaya, Metin Yakistir und
Sabri Kortak festgenommen.
Verletzte
durch Angriff von Dorfschützern
Auf die Information hin, in den Dörfern Hasanhan, Karahacili, Yenidogan,
Gödekli, Aratan und Haciaga werde eine offene Stimmenabgabe erzwungen,
machte sich der DEHAP-Kandidat Mehmet Nuri Günes und Mitglieder einer
französischen Wahlbeobachtungsdelegation auf den Weg in die besagten
Dörfer. In Haciaga wurde die neunköpfige Gruppe von ca. 40 Dorfschützern
angegriffen. Dabei wurde der Kandidat Nuri Günes, der Franzose Joel
Dutto und das Vorstandsmitglied der DEHAP Igdir, Mehmet Yücebas,
verletzt.
Wie Günes, der eine Kopfverletzung erlitt, erklärte, habe das
Militär zu spät eingegriffen. In sechs Dörfern werden die
Menschen weiterhin zu offener Stimmabgabe gezwungen.
Brandstiftung
im Wahlbüro der DEHAP in Manavgat bei Antalya
In den frühen Morgenstunden wurde das DEHAP-Wahlbüro in Manavgat
bei Antalya von unbekannten Tätern angezündet. Wie Untersuchungen
ergeben haben, wurde die Tür des Büros gewaltsam geöffnet
und mit Gas oder Benzin in Brand gesetzt. Durch das Feuer wurden Wahldokumente
und weitere Gegenstände vernichtet.
Repression
in Siirt gegen Wähler durch das Militär
In Siirt haben etwa 500 Wähler erklärt, dass sie aufgrund von
Repressionen der Jandarma nicht zur Wahl gehen werden. Nach Informationen
von Wahlbeobachtungsdelegationen, die vor Ort mit den Einwohnern gesprochen
haben, übt der Jandarmakommandant in den Dörfern Cefan, Usi,
Xalibi und Hüseyni Druck auf die Bewohner aus und fordert von ihnen,
ihre Stimmen der MHP zu geben. Die Dorfbewohner haben erklärt, dass
sie sich aus Protest gegen diesen Druck nicht an den Wahlen beteiligen
werden.
Im weiteren beklagte die Delegation, die aus Abgeordneten des Europaparlaments
besteht, die hohe Militärpräsenz in Kurtalan, Sirvan und Eruh
bei Siirt. Bereits seit mehreren Tagen habe das Militär die Dörfer
einzeln aufgesucht und die Dorfbewohner für den Fall, dass sie die
DEHAP wählen, bedroht. Daraufhin haben die Bewohner von Zokey bei
der Staatsanwaltschaft Anzeige gegen die Soldaten gestellt.
Anzeige
wegen Verletzung des Wahlrechts in Mardin
Der Anwalt Hüseyin Cangir des Rechtsbüros der DEHAP hat bei
der Staatsanwaltschaft des Landkreises eine Anzeige wegen Verletzung des
Wahlrechtes gestellt. Im Zentrum von Mardin sowie in den Bezirken Kizilpepe,
Marzidagi und Svur sei eine offene Stimmabgabe erzwungen worden.
Desweiteren wurden Erkan Özdemir und Servet Özdemir im Dorf
Sure bei Mardin nach ihrer Stimmabgabe unter Gewaltanwendung festgenommen
und die DEHAP-Urnenbeobachter ihrer Plätze verwiesen. Wähler
wurden bedroht, damit sie ihre Stimmen nicht der DEHAP geben.
Ein
Verletzter in Mus sowie 22 gestohlene Stimmzettel
Im Dorf Elciler bei Mus hat der Landvorsteher Sadrettin Eken die Wähler
dazu gedrängt, ihre Stimmen einem unabhängigen Kandidaten namens
Zeki Eker zu geben. Als die Wähler dieser Forderung nicht nachkamen,
wurden sie beschimpft und anschließend mit Steinen und Stöcken
angegriffen. Dabei wurde eine Person verletzt. Aufgrund einer Anzeige
von Eken bei der Jandarma wurden in Folge Abdurrahman Akalin (70 Jahre)
sowie seine Söhne Faruk und Mazhar und sein Neffe Cevdet Akalin festgenommen.
Fast zeitgleich haben auch in Kagitbasi die Anhänger des Kandidaten
Zeki Eker die Urnenbeobachter angegriffen. Es kam zu einer Schlägerei,
in die auch die Jandarma eingriff. Hinterher wurde festgestellt, dass
22 Stimmzettel aus den Urnen fehlten. Der Urnenbeauftragte protokollierte
den Diebstahl und benachrichtigte die Wahlkommission des Regierungsbezirkes.
Wahlhinderung
mit der Begründung einer doppelten Wahlregistrierung
Wie bekannt wurde, sind in Mersin 1000 Personen von der Polizei an der
Wahl gehindert worden. Als Begründung wurde angeführt, sie seien
doppelt registriert und hätten bereits gewählt.
Vier
Urnenbeobachter der DEHAP festgenommen
In Savur bei Mardin sind die Urnenbeobachter der DEHAP, Isa Can, Hasan
Uyuk, Hikmet Poyraz und M. Salih Budak, von der Jandarma festgenommen
worden.
Wahlrechtsverletzungen
in Diyarbakir
Nach Informationen eines Krisenstabes, der sich aus Vertretern des IHD,
der Anwaltskammer und politischen Parteien zusammensetzt, sind eine Vielzahl
von Bürgern auf dem Weg zur Stimmabgabe festgenommen worden.
Dabei handele es sich u.a. um Gülisatan Isik, Haci Akengin und Arif
Akkaya (Gewerkschaftler), Hakki Engünli, Zelal Akçer, Zevi
Ipek, Ercan Celik, Kudret Yakut und Gezal Perihan. Auch Wahlhelfer der
DEHAP seien von Festnahmen betroffen.
MHP
übt Druck aus, um eine offene Stimmabgabe zu erzwingen
In den Dörfern Yunuslar, Tosunbag und Avcilar der Kreisstadt Kurtalan
bei Siirt mussten die Wähler aufgrund von Repressionen durch Anhänger
der MHP ihre Stimmen offen abgeben. Insbesondere im Dorf Yunuslar, aus
dem der MHP-Kandidat aus Siirt, Kasim Ceylan, stammt, wurden die Wahlberechtigten
zur offenen Stimmabgabe gezwungen. Einige Dorfbewohner haben aus Protest
ihre Stimmzettel verbrannt.
Festnahme
von 17 Urnenbeobachtern der DEHAP in Agri
In Dogubeyazit bei Agri sind 17 Wahlbeobachter der DEHAP willkürlich
und ohne Erklärung festgenommen worden. Dabei handelt es sich um
Sabiha Savas, Fatma Tunç, Fatma Karakus, Ahmet Kahraman, Perihan
Savas, Sefika Gürhan, Fatma Karadag, Naife Demir, Feridun Üstimen,
Derya Çakal, Nasir Baris, Serdar Kutay und fünf weitere Personen,
deren Namen bislang unbekannt sind.
Wahlhinderungen
in Mersin
Wie bekannt wurde, sind Hunderte Wahlberechtigte in Mersin durch Sicherheitskräfte
an der Wahl gehindert worden. Die Vorfälle ereigneten sich vor allem
in Stadtteilen mit einem hohen DEHAP-Wählerstimmenpotential.
Urnenbeobachtern
in Maden Zugang verwehrt
Im Dorf Akboga bei Maden-Elazig ist DEHAP-Urnenbeobachtern von Dorfschützern
der Zugang zum Dorf verwehrt worden. Bereits im Vorfeld waren Drohungen
des Landrates sowie der Jandarma bekannt geworden, um jegliche Stimmabgabe
zugunsten der DEHAP zu verhindern.
Angriff
auf IHD-Sekretär und Norweger in Mardin
In Dikmen bei Kiziltepe / Mardin sind der Sekretär der IHD-Filiale
Mardin und die norwegische Wahlbeobachtungsdelegation von dem ANAP-Kandidaten
Ömer Ertas angegriffen worden, als sie eine offene Stimmabgabe verhindern
wollten. Auf Anweisung der Staatsanwaltschaft wurde daraufhin die Stimmabgabe
unterbrochen.
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