Köln, den 27. Mai 1998
IHD: Die Kontraguerilla ist wieder am Werk
Der stellvertretende Vorsitzende des Menschenrechtsvereins in der Türkei
(IHD), Osman Baydemir, veröffentlichte am 26. Mai 1998 in einer Pressekonferenz
den Bericht über die Menschenrechtsverletzungen im Monat April. Im
Gegensatz zum Vormonat sei die Zahl der Menschenrechtsverletzungen im April
enorm gestiegen. „Die Verantwortlichen sollten von systematischen
Menschenrechtsverletzungen absehen. Für jede einzelne Verletzung müßten
konkrete Untersuchungen mit klaren Ergebnissen durchgeführt werden.
Ein nicht aufgeklärter Fall führt zum nächsten,“ so Baydemir.
Für den Monat April gab Osman Baydemir die folgende Bilanz der
Menschenrechts-verletzungen bekannt:
Morde durch „unbekannte“ Täter: 12 Tote; Liquidationen und in
der Polizeihaft durch Folter getötete Personen: 9;
Tote bei militärischen Gefechten: 225; Angriffe gegen Zivilisten:
2 Tote, 28 Verletzte; in der Polizeihaft „verschwundene“ Personen:
4; registrierte Folterfälle: 70; Festnahmen (ohne Haftbefehle): 5579;
Verhaftungen: 117; angegriffen und bedroht:
47 Personen; Angriffe auf die Gefangenen: 8 Verletzte; Repressionen
im Arbeitsleben: 1396 Entlassungen; Bombenanschläge: 12;
Verbote von Vereinen, Parteien, Gewerkschaften, Publikationen:
8; Angriffe und Durchsuchungen der genannten Institutionen: 34; beschlagnahmte
Publikationen: 22; geforderte Gefängnisstrafen:
230 Jahre, 4 Monate; verhängte Gefängnis- und Geldstrafen:
9 Jahre, 7 Monate, 14.892 Millionen TL; wegen „Meinungsschuld“ inhaftierte
Personen: 133.
Der versuchte Mordanschlag auf Akin Birdal sei eine typische Praxis
der Banden, die in der Staatsstruktur organisiert sind, und was mit dem
Susurluk-Unfall offiziell bewiesen wurde. Weiterhin erklärte Baydemir:
„Die ‘unbekannten’ Mordfälle wurden nicht aufgeklärt, weil sie
als Staatsgeheimnis behandelt wurden. Nichtaufklärung dieser
Fälle und der Schutz durch den türkischen Staat sind einige Gründe,
die zu diesem Angriff auf Akin Birdal geführt haben. Unabhängig
davon, welche Funktion oder Position die Verantwortlichen im Staatsapparat
haben, solange deren Namen der Öffentlichkeit nicht bekanntgegeben
werden, gehen die Angriffe weiter.“ Der Angriff auf den IHD-Vorsitzenden
sei ein Anzeichen dafür, daß die Kontraguerilla damit nach einer
kurzen Pause ihre Aufgaben wieder übernommen hat.
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