Wir dokumentieren eine Erklärung der Rechtsanwälte
Abdullah Öcalan:
RECHTSANWALTSKANZLEI ASRIN
22. April. 1999 Inönü cad. Dümen sok. Dümen apt. No:
3
Kat: 4, d:12
Gümüsuyu/Istanbul
Tel.: 292 95 50-51-52
Fax: 249 62 06
ABDULLAH ÖCALAN WIRD OHNE URTEIL HINGERICHTET WERDEN
Die Angelegenheiten um Öcalan verdeutlichen sehr genau, wie das
"Rechtssystem" in der Türkei funktioniert. Unter Mißachtung
der "Unschuldsvermutung", die in der türkischen Strafprozeßordnung
genauso wie in der europäischen Erklärung der Menschenrechte
verankert ist, wird Öcalan seit seiner Verschleppung in die Türkei
sowohl durch den Staat selbst als auch von Angehörigen politischer
Parteien sowie den Medien als Schuldiger behandelt. Über diese Mißachtung
der gesetzlichen Regelung der "Unschuldsvermutung" hinaus erklären
staatliche Institutionen, Verantwortliche der politischen Parteien und
die Medien wie aus einem Munde, ohne daß ein gerichtlicher Prozeß
vorausgegangen ist, daß Öcalan zur Todesstrafe verurteilt werden
wird. Sie scheuen sich nicht davor, zu erklären, daß die Todesstrafe
auch unbedingt zu vollziehen sei.
Auch die in den Medien veröffentlichte Presseerklärung des
Generalsekretärs der MHP, Koray Aydin, vom 22. April 1999 zeigt sehr
deutlich, welche verheerenden Dimensionen diese Rechtsverletzungen hinsichtlich
Abdullah Öcalan annehmen. Die MHP ging als zweitstärkste Partei
aus den Parlamentswahlen im April hervor und wird höchstwahrscheinlich
auch Koalitionspartnerin in der neuzubildenden Regierung sein.
Diese nunmehr zweitstärkste Partei der türkischen Nationalversammlung
(Legislativorgan), die höchstwahrscheinlich über eine Koalition
an der Regierung beteiligt sein wird oder aber die größte Oppositionspartei
bilden wird, erklärt die Verurteilung und die Vollziehung der Todesstrafe
gegen Abdullah Öcalan als zwingend, und setzt sich damit über
die Gewaltenteilung hinweg. Sie vereinnahmt über die gesetzgebende
Gewalt (Legislative) hinaus noch die Gerichtsbarkeit (Judikative). Die
Hoffnung verschiedener Kreise auf demokratische Veränderungen in der
Türkei wird mit dieser Entwicklung vernichtet.
In einer Situation, in der die Staatsmacht und Vorsitzende politischer
Parteien sowie große Teile der Öffentlichkeit unter Mißachtung
jeglicher Gesetze in voraus ein solches Urteil aussprechen, ist es nicht
realistisch zu erwarten, daß die Richter unbefangen ihr Urteil fällen
werden.
Bülent Ecevit rühmt sich seiner Verbundenheit mit Demokratie-und
Rechtsgrundsätzen.
Wie wird Herr Ecevit nach der Erklärung des MHP Generalsekretärs
bezüglich der Verurteilung Öcalans eine Koalitionsregierung mit
der MHP unter der Bedingung der "extralegalen Hinrichtung" gegenüber
der allgemeinen Öffentlichkeit legitimieren?
Jeder Mensch, so auch Abdullah Öcalan, hat das Recht auf einen
fairen Prozeß, dieses Recht kann ihm mit keiner Begründung abgesprochen
werden.
Außerdem ist offensichtlich, daß diese Art von Erklärungen
und eine dem entsprechende Verurteilung und die Hinrichtung Öcalans
die Auseinandersetzungen in der Türkei eskalieren lassen.
Wir rufen in erster Linie die staatlichen Institutionen, die Vertreter
der politischen Parteien und die Medien dazu auf, die Mißachtung
des Rechts zu beenden.
Verteidiger von Abdullah Öcalan
RA. Ahmet Zeki OKCUOGLU RA: Irfan DÜNDAR |