Köln, 24. April 1999
An die Redaktionen:
Inland/Ausland/Kurdistan/Türkei
Im Schatten des Krieges gegen Jugoslawien und im Kosovo
verschärft sich die Situation für das kurdische Volk
Seit der Verschleppung des Vorsitzenden der Arbeiterpartei Kurdistans,
PKK, Abdullah Öcalan, in die Türkei hat sich die Situation für
das kurdische Volk sowohl in seiner Heimat, als auch in Europa, Schritt
für Schritt zugespitzt.
Haftsituation von Abdullah Öcalan widerspricht internationalem
Recht
Der PKK-Vorsitzende befindet sich seit seiner Verschleppung auf der
Gefängnis-Insel Imrali unter Aufsicht des Generalstabs der türkischen
Armee in vollständiger Isolation. Weder erhält er Zugang zu Tageszeitungen,
Radio oder Fernsehen, noch werden ihm Bücher gestattet oder die notwendigen
Materialien, um selber zu schreiben. Briefe, die an ihn gerichtet werden,
werden nicht weitergeleitet. Unabhängige ärztliche Untersuchung
wird nicht zugelassen. Angesichts der in der Türkei seit Mitte Februar
veröffentlichten Meinung, er verdiene die Todesstrafe und müsse
gehenkt werden, ist das Leben von Abdullah Öcalan in akuter Gefahr.
Rechte des VerteidigerInnen-Teams werden massiv eingeschränkt
Auch die Anwälte des Rechtsbüro des Jahrhunderts (Asrin Hukuk
Bürosu) aus Istanbul sind in großer Sorge um das Leben ihres
Mandanten. In einer Erklärung (vom 22. April 1999) weisen sie darauf
hin, daß ihnen angedroht wurde, ihnen werde ab dem 26.4.1999 kein
(Militär-)Boot mehr zur Überfahrt auf die Gefängnis-Insel
Imrali zur Verfügung gestellt. Die Gewässer um die Insel gelten
seit der Inhaftierung von Abdullah Öcalan als militärisches Sperrgebiet,
so daß anderen Booten untersagt ist, dorthin zu fahren. Sowohl nach
türkischem Recht, als auch nach europäischen und internationalen
Abkommen, gelte für Gefangene solange die Unschuldsvermutung, bis
das Gegenteil bewiesen sei. Doch werde sowohl von Politikern und Militärs,
als auch in den öffentlichen türkischen Medien seit der Verschleppung
Öcalans Mitte Februar täglich seine Hinrichtung gefordert.
Auch aufgrund des Wahlausgangs zugunsten rechtsextremer Kräfte
in der Türkei, sei das Leben ihres Mandanten in akuter Gefahr, erklären
die Anwälte. Es müsse damit gerechnet werden, daß Abdullah
Öcalan extralegal hingerichtet werde. Der Generalsekretär der
zweitstärksten Partei nach den Wahlen, Koray Aydin von der rechtsextremen
MHP – die möglicherweise mit der DSP von Bülent Ecevit die zukünftige
türkische Regierung stellen wird - habe in einer Presseerklärung
öffentlich die Todesstrafe für Abdullah Öcalan und seine
Hinrichtung gefordert. Derartige öffentliche Stellungnahmen werden
sowohl die Staatsanwaltschaft als auch die Richter im bevorstehenden Verfahren,
nicht unbeeindruckt lassen.
"AP-Informationen" über angebliche "Kurden-Aktionen" sollen
die kurdische Öffentlichkeit provozieren
Offensichtlich gefälscht sind Meldungen, wonach Kurden vorgehabt
hätten, verschiedene bundesdeutsche Bahnhöfe zu besetzen. Meldungen
der Nachrichtenagentur AP, daß die Polizei nach eigenen Angaben "anonyme
Hinweise" auf bevorstehende Aktionen erhalten habe, werden von interessierten
Medien zum Anlaß genommen, in der deutschen Öffentlichkeit Panikstimmung
zu produzieren. Das ist eine fahrlässige Provokation kurdischer Vereine
und Institutionen in Deutschland. Erst am 17. April hatten in Bonn weit
mehr als 100 000 Kurden und Kurdinnen aus ganz Europa friedlich für
die Freiheit des PKK-Vorsitzenden, für Frieden in ihrer Heimat und
gegen die Schließung des kurdischen Fernsehsenders MED-TV demonstriert.
Die demokratische Öffentlichkeit in Deutschland ist aufgerufen, weiteren
Provokationen dieser Art entschieden entgegenzutreten.
Schließung des kurdischen Satelliten-Fernsehens MED-TV soll
die Kurden zum Schweigen bringen
Die Entscheidung des britischen Satellitenbetreibers ITC vom 22. April,
dem internationalen kurdischen Fernsehsender MED-TV die Lizenz zu entziehen,
ist das Ergebnis eines international gesteuerten Angriffs auf die Presse-
und Informationsfreiheit. Dieser Angriff betrifft nicht nur die Kurdinnen
und Kurden, sondern alle Personen, die sich über die Geschehnisse
in der Türkei, Kurdistan und dem Mittleren Osten aus anderer Perspektive
informieren wollen, als es die staatlich gesteuerten Massenmedien tun.
Während in Jugoslawien die NATO die Zentrale des dortigen Fernsehens
zerbombt, kann auch bei der Schließung von MED-TV davon ausgegangen
werden, daß es sich um einen Angriff des Nordatlantischen Bündnisses
handelt. Angeblich habe der Sender zur Gewalt aufgerufen, heißt es
in der Begründung von ITC. Doch hieß es auch, die Türkei
habe entsprechend interveniert. Was aber geschieht mit türkischen
Medien und Parteivertretern, wenn sie öffentlich zur Hinrichtung von
Abdullah Öcalan aufrufen? Die Türkei ist an die EU assoziiert
und ordentliches Mitglied der NATO, der OSZE sowie der Vereinten Nationen.
Das verpflichtet sie zur Einhaltung internationaler Menschenrechtsabkommen.
Offensichtlich gilt, wie so oft, zweierlei Maß.
Mit diesen Maßnahmen dreht die westliche "Wertegemeinschaft" zum
Ende des 20. Jahrhunderts die Zeit zurück. Im Jahre 1930 verkündete
der türkische Justizminister Mahmut Esat Bozkurt, die Kurden hätten
lediglich "das Recht, Knecht und Sklave zu sein." Die Botschaft, die der
Westen an das kurdische Volk richtet, scheint unmißverständlich:
Es gibt kein Recht auf Information und freie politische Organisierung,
es gibt kein Recht auf selbstbestimme Existenz, kein Recht auf die eigene
Sprache, Geschichte, kein Recht auf Zukunft. |