Köln, den 26. Mai 1999
Im folgenden dokumentieren wir im vollen Wortlaut die Erklärung
des Parteipräsidiums der PKK vom 25.05.1999 anläßlich des
bevorstehenden Prozesses gegen den Vorsitzenden der Arbeiterpartei Kurdistans
PKK Abdullah Öcalan:
„An das kurdische Volk, an die türkische Republik und an die internationale
Öffentlichkeit
Am 31. Mai 1999 beginnt der sogenannte „Jahrhundert Prozeß“ gegen
unseren Parteivorsitzenden und die Führung der kurdischen Nation Abdullah
Öcalan.
Der eigentliche Kern dieses Prozeß besteht darin, daß anhand
der Türkischen Republik die Jahrhunderte andauernden Probleme zwischen
der anhaltenden Kolonialherrschaft in Kurdistan und unserem Volk thematisiert
und nach Lösungen gesucht wird. Die Ergebnisse dieses Prozesses, welche
von den interessierten Kreisen mit großer Aufmerksamkeit verfolgt
werden, werden wichtige Entwicklungen nach sich ziehen. Die Beziehung zwischen
dem Kolonialismus und dem kurdischen Volk wird anhand seiner historischen
Entwicklung behandelt, hinterfragt und dabei gleichzeitig die zukünftige
Richtlinien dieser Beziehung festgelegt werden. Daher stellt dieser Prozeß
für die Beziehung der beteiligten Seiten ohne Frage einen historischen
Wendepunkt dar.
In Anbetracht der historischen und der gegenwärtigen Realität,
wird klar, daß in diesem Prozeß die betreffenden Kräfte
kein Recht zu einer oberflächlichen und einseitigen Annäherung
besitzen. Es ist daher offensichtlich, daß sich diesem Prozeß
beide Seiten mit der gleichen Verantwortung annähern müssen.
Unser Volk, daß gespalten und kolonialisiert wurde, war in der Geschichte,
wie auch in der Gegenwart tragischen Lebensbedingungen ausgesetzt. Massaker,
Vertreibung und Ausbeutung wurde und wird ihm als einzige Lebensform aufgezwungen.
Bei einem Blick auf die Vergangenheit wird nichts menschenwürdiges
erkennbar sein. Denn dabei kommt ein Szenario mit Hunderttausenden von
Toten, Millionen aus ihrer Heimat vertriebenen Menschen, ein Leben voller
Armut, Unterdrückung und Folter zum Vorschein. Die Vernichtung und
Verleugnung der kurdischen Nation ist die Grundlage der Politik, die sich
hinter diesem Szenario verbirgt. Auf der anderen Seite haben auch die herrschenden
Nationen an der Kolonialherrschaft Schaden genommen. In dieser Hinsicht
läßt sich sagen, daß auch sie personellen und materiellen
Verlusten ausgesetzt waren. Doch der Hauptgrund für die Rückständigkeit
der herrschenden Nationen liegt in dem Beharren auf einer Strukturierung
von Beziehungen, die sich auf der Kolonialisierung gründet. Das Ergebnis
zeigt , daß von diesem Kolonialverhältnis weder das kurdische
Volk, noch die herrschenden Nationen profitiert haben. Beide Seiten haben
– wenn sich das Verhältnis auch unterschiedlich darstellt – viele
Werte verloren.
In der gegenwärtigen Situation des andauernden Krieges zwischen
dem türkischen Staat und dem kurdischen Volk, besteht für beide
Seiten die gleiche Realität. Unabhängig davon, welche inneren
und äußeren Gründe bestehen, sind die hohen Verluste auf
beiden
Seiten ein Fakt. Der nun mehr als 15 Jahren andauernder Krieg
hat bewiesen, daß dieser Krieg für beiden Seiten nur Nachteile
mit sich bringt. Daher liegt es auf der Hand, daß die Beendigung
des Krieges und eine demokratische Lösung, welche sich auf Gleichberechtigung
und Freiheit stützt, das bisher Verlorene wieder gewinnen wird.
Unser Parteivorsitzender, Genosse Abdullah Öcalan bereitet sich
auf der Insel Imrali auf seinen Prozeß vor. Dabei setzt er seine
Bemühungen fort, im Namen des kurdischen Volkes den Krieg zu beenden
und eine demokratische Lösung zu entwickeln. Dabei wird unser Vorsitzender,
Genosse Abdullah Öcalan die Bemühungen für eine Lösung,
die mit dem ersten einseitigen Waffenstillstand unserer Partei im März
1993 ihren Anfang nahmen, zu einem neuen Höhepunkt führen. Der
beharrliche Einsatz unseres Vorsitzenden für Frieden und eine demokratische
Lösung ist die Politik unserer Partei. Diese Politik ist die einzige,
die allen Beteiligten Vorteile bringt. Daher ist es notwendig, daß
die Politik des Friedens und der Demokratie von der Türkischen Republik
positiv beantwortet wird. Die Überwindung der nationalen Vernichtungs-
und Verleugnungspolitik ist in erste Linie im Interesse der Türkischen
Republik. Die historische Chance, welche unser Vorsitzender bietet, sollte
unbedingt positiv beantwortet werden.
Das Beharren des türkischen Staates auf die Vernichtungspolitik
anhand der Persönlichkeit unseres Vorsitzenden, und das Handeln nach
engstirnigen rachsüchtigen Haltungen der chauvinistischen Kreise,
wird Entwicklungen mit unkorrigierbare Folgen nach sich ziehen. Ohne Zweifel
wird die kurdische Nation, dessen Kriegspotential an Stärke gewonnen
hat, diese Vernichtungs- und Verleugnungsannäherungen nicht unbeantwortet
lassen. Es würde bedeuten, daß ein jahrelanger Krieg zwischen
den Völkern entsteht, dessen Folgen nicht absehbar sind. Die dabei
entstehenden Verluste würden für beide Seiten nicht tragbar sein.
Aus diesem Grund ist es notwendig, daß die Beteiligten ihre bisherige
Politik neu überdenken und verantwortungsbewußt ihre zukünftige
Politik in Richtung Frieden und einer demokratischen Lösung bestimmen.
Sollte die Türkische Republik das Projekt unseres Vorsitzenden Abdullah
Öcalan für eine friedliche und demokratische Lösung positiv
beantworten, würde die kurdische Frage, die zu Anfang dieses Jahrhunderts
in die Ausweglosigkeit geführt wurde und das ganze 20 Jh. lang zu
großen Schmerzen und Verlusten führte, im letzen Jahr dieses
Jahrhunderts gelöst werden können. Somit könnte sowohl die
Türkei, als auch unser Volk Frieden, Ruhe und Glück erlangen.
Unsere Partei ruft die Türkische Republik und das kurdische Volk,
die internationale Öffentlichkeit und alle interessierten Kreise,
insbesondere aber die nationalen und internationalen Pressevertreter dazu
auf, ihre Bemühungen zu verstärken, um somit bei dem am 31. Mai
1999 beginnenden Jahrhundertprozeß eine Chance zu einer friedlichen
und demokratischen Lösung zu geben.
Wir betonen ausdrücklich, daß alles Notwendige unternommen
werden sollte, um den Prozeß mit einer friedlichen und demokratischen
Lösung abschließen zu können. Von jeglicher Annäherung,
die diesem Vorhaben schaden könnten, sollte Abstand genommen werden.
In diesem Rahmen sollten die Massenaktivitäten unseres Volkes und
ihrer Freunde weiter verstärkt werden.“
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