Berlin, 29. Juni 1999
Pressemitteilung
An die Redaktionen:
Aktuelles/Ausland/Inland/Mittlerer Osten/Türkei/Kurdistan
Im folgenden dokumentieren wir die aktuelle Erklärung der Europazentrale
der Nationalen Befreiungsfront Kurdistans ERNK anläßlich der
Urteilsverkündung gegen den Vorsitzenden der Arbeiterpartei Kurdistans
PKK, Abdullah Öcalan.
Heute wurde die Imrali Tragödie, die als „Verfahren des Jahrhunderts“
bezeichnet wird und wohl als das unfairste Verfahren in die Geschichte
eingehen wird, beendet. Wie bereits erwartet, wurde gegenüber unserem
Vorsitzenden die Todesstrafe verhängt.
Die PKK hat dieses Verfahren von Anfang an als nicht rechtmäßig
angesehen. So erkennen wir selbstverständlich auch das Urteil nicht
an und möchten unser tiefstes Bedauern und unseren Protest zum Ausdruck
bringen. Es entbehrt jeder gesetzlichen Grundlage und widerspricht auch
jeder menschlichen Ethik, daß eine Kriegspartei die andere in dieser
Weise völlig einseitig verurteilt. Deshalb sehen wir als das kurdische
Volk dieses Urteil als einen gegen unsere Nation und unsere Würde
gerichteten faschistischen und nationalistischen Angriff und verurteilen
es aufs Schärfste.
Die Kurden sind in dieser Auseinandersetzung nicht die Angeklagten,
sondern die eigentlichen Betroffenen. Aus diesem Grund ist dieses Urteil
völlig ungerechtfertigt. Wir haben keinen Augenblick daran gezweifelt,
daß der Prozeß gegen unseren Vorsitzenden mit einem Freispruch
enden muß, denn der Kampf des kurdischen Volkes und der PKK ist eine
legitime Verteidigung gegen die Vernichtungspolitik gegenüber dem
kurdischen Volk. Eine andere Alternative hat das kurdische Volk nie gehabt.
Mit diesem Urteil hat die türkische Seite die Aufrufe der kurdischen
Seite zu einer friedlichen Beilegung des Krieges und einer Beendigung des
Blutvergießens ignoriert. Sie hat eine historisch wichtige Gelegenheit
für eine demokratische Lösung des Kurdenproblems leichtfertig
verworfen und damit sowohl dem türkischen als auch dem kurdischen
Volk gegenüber verantwortungslos gehandelt.
Dieses Urteil wird in der Türkei und auch im ganzen Mittleren
Osten einen neuen gefährlichen Weg der Konflikte und des Rückschritts
ebnen. Der türkische Staat hat immer noch die letzte Möglichkeit,
dies zu verhindern.
Unser Vorsitzender hat unter den unmöglichsten Umständen
versucht, als eine Notwendigkeit eines verantwortungsvollen Handelns dem
kurdischen und türkischen Volk gegenüber während des Verfahrens
Lösungsvorschläge in einem demokratischen Rahmen darzulegen und
zu einem Dialog aufzurufen. Er hat alles menschenmögliche für
das Zusammenkommen eines endgültigen Friedens getan. Trotz des aggressiven
und aufhetzerischen Verhaltens von türkischer Seite hat unser Vorsitzender
versucht, Ruhe zu bewahren und sich nicht von diesem provokativen Verhalten
beeinflussen zu lassen. Sein Verhalten und seine Reden hat er trotz dessen
in einem friedlichen Rahmen gestaltet.
Wir können dieses Gericht als solches nicht anerkennen und daher
haben wir dieses Verfahren als eine Möglichkeit angesehen, mir der
türkischen Seite in Dialog zu treten, und unser Vorsitzender ist in
diesem Sinne unser Vertreter gewesen. Die Gerichtsverhandlungen waren für
uns nichts anderes als politische Zusammenkünfte beider Seiten. Mit
dem Urteil ist nun offensichtlich, daß diese Zusammenkünfte
negativ ausgegangen sind. Von diesem Zeitpunkt an ist unser Vorsitzender
eine Geisel in den Händen des türkischen Staates.
Diesen Angriff können wir nicht stillschweigend über uns
ergehen lassen. Nach soviel Opferbereitschaft und Zuvorkommen der kurdischen
Seite ist ein solches ungerechtes und gesetzwidriges Urteil nicht ohne
weiteres annehmbar. Wir werden auf diese neue Entwicklung auf jeden Fall
anders reagieren als wir es bis zur Bekanntgabe des Urteils getan haben.
Es ist eine völlig andere und neue Situation. Unsere Partei wird nun
diese neue Entwicklung nach allen Seiten beleuchten und diskutieren und
letztendlich ihre Strategie und Vorgehensweise binnen kürzester Zeit
in die Tat umsetzen. |