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Berlin, 16. Juli 1999
 

An die Redaktionen:
Aktuelles/Ausland/Inland/Mittlerer Osten/Türkei/Kurdistan
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Tote und Verschwundene
nach Abschiebung aus Deutschland in die Türkei
 

Seitdem es im Februar Proteste von Kurden gegen die Entführung des Vorsitzenden der Arbeiterpartei Kurdistans PKK, Abdullah Öcalan, gab, sind vermehrt Abschiebungen von Kurden aus Deutschland in die Türkei vollzogen worden. Begleitet wurde diese Praxis mit dem ausdrücklich erklärten Willen bundesrepublikanischer Stellen, keine Austragung von Konflikten zu dulden, deren Ursachen angeblich in politischen Konstellationen der Herkunftsländer von Migranten und Flüchtlingen liegen. Deutsche Politiker aller führenden Parteien sprachen davon, daß protestierende Kurden in der Bundesrepublik das ihnen gewährte sogenannte Gastrecht mißbrauchten und somit ihr Anrecht auf einen Aufenthalt hier verwirkt hätten. 

Gleichzeitig wurde in der europäischen Diskussion erklärt, daß die Lösung des Konfliktes um Kurdistan nur durch eine Lösung in der Region verwirklicht werden könne; mit Blick auf den Prozeß gegen A. Öcalan wurde an die Türkei appelliert, internationale Standards der Behandlung von Gefangenen und der juristischen Prozeßführung zu beachten. Daß zur Beendigung des Krieges Verhandlungen mit der kurdischen Seite zu führen sind, wurde anerkannt in dem Vorhaben europäischer Staatschefs, eine internationale Kurdistan-Konferenz einzuberufen. Der NATO-Partner Türkei wurde von mehreren europäischen Institutionen aufgefordert, seine eskalierende Strategie im Konflikt um die kurdische Frage aufzugeben und eine Verhandlungsebene zu wählen für eine politische Lösung. 

Dem europäischen Reden steht die bundesrepublikanische Praxis entgegen: mit dem Vollzug von Abschiebungen von Kurden in die Türkei liefert Deutschland Menschen in Folter und Tod aus. Zuletzt dokumentiert wurde der Tod des Kriegsdienstverweigeres Süleyman Aksoy. Sein Asylgesuch wurde weder in der Bundesrepublik Deutschland noch in den Niederlanden anerkannt. Deutschland vollzog seine Abschiebung. Nach seiner Ankunft in der Türkei wurde Süleyman Aksoy zwangsweise zur Armee eingezogen und kam innerhalb kürzester Zeit unter ungeklärten Umständen ums Leben. 
Am 5. Juli 1999 wurde der kurdische Flüchtling Murat Polat vom Flughafen Frankfurt in die Türkei abgeschoben. Seitdem fehlt jede Spur und jedes Lebenszeichen von ihm. Trotz intensiver Bemühungen seiner Familienangehörigen konnte sein Verbleib nicht geklärt werden. 

Dies sind nur zwei von vielen Fällen, die jedoch typisch sind für die Abschiebepraxis der Bundesrepublik Deutschland.

Seit mehr als 15 Jahren führt der türkische Staat einen brutalen Krieg gegen das kurdische Volk. Der Einsatz deutscher Waffen gegen die kurdische Zivilbevölkerung dabei wurde von verschiedenen Menschenrechtsdelegationen aus Europa dokumentiert. Die Verhängung der Todesstrafe gegen den Vorsitzenden der Arbeiterpartei Kurdistans PKK, Abdullah Öcalan, ist ein klares Zeichen des türkischen Staates, daß er an seiner bisherigen Vernichtungspolitik gegen die Kurden festhalten will. 

Die Türkei ist wegen Menschenrechtsverletzungen in den letzten Jahren oft internationaler Kritik ausgesetzt. Am europäischen Gerichtshof für Menschenrechte sind derzeit annähernd 2.000 Anklagen gegen den türkischen Staat anhängig. Zuletzt wurde die Türkei in mehreren Fällen für schuldig befunden und zur Zahlung von Entschädigungs- und Strafgeldern verurteilt. 

Die Realität zeigt, daß Sonderabkommen mit der Türkei das Leben abgeschobener kurdischer Flüchtlinge nicht sichern können, ebensowenig wie der Westen der Türkei als sogenannte sichere inländische Fluchtalternative für Kurden aus den kurdischen Gebieten gelten kann. Das Auswärtige Amt hat - soweit bekannt – in seinem aktuellen Lagebericht zur Türkei die Einschätzung getroffen, daß selbst wer sich als Kurde „weder terroristisch noch separatistisch“ betätige, „Folter und Willkür“ ausgesetzt sein könne. Dieser Bericht ist bis heute wahrscheinlich deshalb nicht öffentlich gemacht worden, da die Abschiebepraxis der Bundesregierung auf diese Einschätzungen keinerlei Rücksicht nimmt und den realen Gefährdungen abgeschobener kurdischer Flüchtlinge durch den türkischen Staat in keiner Weise Rechnung trägt. 

Die rot-grüne Bundesregierung muß sich fragen lassen, wo sie positive Entwicklungen in der Türkei in Bezug auf die kurdische Frage vollzogen sieht? Sie muß sich fragen lassen, inwieweit sich die Menschenrechtssituation in der Türkei verbessert haben soll, seitdem mit der Entführung Abdullah Öcalans und dem Schauprozeß gegen ihn eine beispiellose chauvinistische anti-kurdische Kampagne in allen türkischen Medien gestartet wurde? Wo sieht die rot-grüne Bundesregierung Schritte zur Demokratisierung der Türkei durch den türkischen Staat eingeleitet? 

Wir fordern die Bundesregierung auf, einen sofortigen Abschiebestopp für alle kurdischen Flüchtlinge aus der Türkei zu erlassen. 

Jede militärische, wirtschaftliche und politische Unterstützung der Türkei muß eingestellt werden, bis die Türkei ernsthafte Schritte unternimmt zu einer friedlichen Lösung der kurdischen Frage.