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Berlin, 16.8.1999


Wir veröffentlichen einen Artikel aus der Özgür Politika vom 6. August, in dem der Aufruf von Abdullah Öcalan vom 2. August 1999 erläutert wird.

Die Voraussetzungen sind erreicht

"Ich trete, auf der jetzigen Entwicklungsstufe der kurdischen Frage, für eine Lösung ein, die auf Demokratie und Frieden basiert. Dies ist sowohl für das türkische als auch für das kurdische Volk unumgehbar. Wir sehen den Schmerz und das Leid, welches wir bis heute ertragen mußten vor unseren Augen, und möchten dieser Zeit ein Ende setzen. Die notwendigen Voraussetzungen, um zu einer Lösung dieses komplizierten Problems für die Zukunft der Türkei, der Völker der Region und die Zukunft des kurdischen Volkes zu kommen, sind meiner Meinung nach erreicht.

Der Krieg war eine Zwangsläufigkeit

Es herrschten bestimmte Umstände, die den bewaffneten Kampf hervorgerufen haben. Diese Entwicklung verlief zwangsläufig so, der bewaffnete Kampf war nicht unser eigentliches Ziel. Wir haben uns niemals nur auf diesen Punkt festgelegt. Ich habe, vermehrt seit 1993, mehrere Male zum Waffenstillstand aufgerufen. Die aktuelle Situation wird nun wie eine Neuigkeit dargestellt, doch meine Partei und ich versuchen schon seit 1993 dieses Ziel zu erreichen. Aber aufgrund der Bedingungen die damals herrschten und insbesondere vom Staat verursacht worden waren, haben unsere Aufrufe kein Echo gefunden. Tausende von Dörfern wurden entvölkert, Tausende von Menschen wurden getötet und grundlegende Menschenrechte sind verletzt worden. Dies sind Fakten, die auch von den offiziellen Behörden zugegeben worden sind. Demgemäß ist offensichtlich, wie schwer dieses Problem in Wirklichkeit ist. Ich habe meine Verurteilung als einen Schlüssel für die Lösung dieses Problems betrachtet. Auf dieser Basis habe ich mit aller Aufrichtigkeit Erklärungen gemacht. Diese sind falsch interpretiert worden. Nicht nur der Staat, sondern alle diejenigen, die mit diesem Problem konfrontiert waren, haben keine seiner Wichtigkeit angemessene Haltung eingenommen. Auch seitens der Organisationen der Zivilgesellschaft, der Menschenrechtsorganisationen, der linken Bewegungen in der Türkei und der demokratischen Opposition wurde ich nicht ausreichend verstanden.

Man muß eine Lösung erzwingen

Diese Gewohnheit müssen wir durchbrechen, es ist falsch, etwas vom Staat zu erwarten. Man muß den Staat dazu zwingen, etwas zu tun. Im besonderen Maße können die türkischen und kurdischen Intellektuellen ihre Ziele nicht auf den Punkt bringen. Aussagen wie "der Staat wird uns sowieso nicht entgegenkommen, er wird keinen Schritt auf uns zu machen" führen- wenn sie auch nicht grundlegend falsch sind- im Endeffekt zu Trägheit und Unproduktivität und hemmen die politische Aktivität. Diese Tatsache baut eine sehr große Barriere auf, die einem demokratischem Kampf im Wege steht. Meine Einstellung zu diesem Punkt sollte genau unter die Lupe genommen und interpretiert werden.
Im Gegenteil, dies würde sowohl gegen die materiellen, als auch politischen und sozialen Entwicklungsgesetze verstoßen. Kein Staat der Welt wird einem Menschen jemals etwas freiwillig, aus eigenem Antrieb, geben. Man muß nehmen und lernen zu nehmen. Man muß trotz aller Schwierigkeiten einen Weg dafür finden- und das ist das, was ich mache. Vor allem weil wir die Struktur des türkischen Staates kennen, wäre es Träumerei, konkrete Schritte von ihm zu erwarten. Dies ist eine starre Gardelogik. Trockene Proteste und plumpe Parolen sind alles Produkte dieser Logik- und sie sind nicht demokratisch. Wenn ihr etwas wollt, dann müßt ihr auch etwas dafür tun. Ihr müßt konkrete Projekte entwickeln. Das Projekt, das ich nun entwickelt habe, ist ein konkretes demokratisches Projekt für eine Republik. Es ist nicht durch die Umstände meiner Gefangenschaft entstanden. Untersucht man meine Rede, ein Appell zum Waffenstillstand, der am 1.Sept.1998 auf MED-TV ausgestrahlt wurde, so wird man feststellen, daß ich damals genau das gleiche gesagt habe: Es ist eine Frage der Menschheit.

Das kurdische Volk wird mich verstehen

Dieser Appell ist ein Schritt, der große Risiken in sich birgt. Ich bin mir dessen bewußt, doch die Sehnsucht nach Frieden drängt mich zu diesem Schritt. Der Kampf um Demokratie ist ein bedeutungsvoller und wichtiger Kampf; deshalb liegt es auf der Hand, daß er auch Risiken mit sich trägt. Betrachtet man mein ganzes politisches Leben, dann wird man dies verstehen. Ich weiß, wann und wo notwendige Schritte unternommen werden müssen. Obwohl dies Risiken mit sich trägt und ich mich in einer schwierigen Situation befinde, gehe ich das Problem mit großem Mut an. Das muß auch von allen so verstanden werden. Ich weiß, daß das kurdische Volk meine Sehnsucht nach einem Kampf für den Frieden verstehen wird. Genauso denke ich, daß mich die Partei bei diesem historischen Schritt unterstützen wird.

Es muß richtig verstanden werden.

Ich lehne die groben Bewertungen einiger Journalisten ab, die behaupten, ich würde mein Leben retten wollen. Das ist eine dumme Interpretation. Das ist ein Projekt, welches ich aufrichtig und voller Überzeugung eingeleitet habe. Die Ernsthaftigkeit sollte daher richtig verstanden und begriffen werden.

Ich habe Perspektiven geboten, diese können inhaltlich gefüllt werden. In dieser Sache fallen in erster Linie unserer organisierten Struktur, aber auch unserem ganzen Volk, unseren Intellektuellen und den demokratischen Kreisen wichtige Aufgaben zu. Während dieses Projekt diskutiert wird, ist es möglich, die vorhandene politische Krise in der Türkei zu lösen. Ich möchte auch insbesondere auf die Beziehungen der Türkei mit der Europäischen Union eingehen. Wir werden nicht gegen diese Beziehungen sein. Wir sehen diesem Prozeß positiv entgegen. Wir glauben, daß mit der Mitgliedschaft der Türkei in der EU, die Probleme bei der Demokratisierung zu einem großen Teil aufgehoben werden. Die Europäisierung der Türkei wäre im Kern ein wichtiger Schritt für die Verwirklichung des Projektes der Demokratischen Republik. Es wäre alleine zwar nicht ausreichend, aber wichtig.

Es ist nicht leicht

Ich glaube daran, daß die kurdische Frage unter den Bedingungen in denen wir uns befinden, auf der Basis von Demokratie und auf friedlichem Wege, im Rahmen einer freiheitlichen Gemeinschaft der Völker gelöst werden kann. Aus diesem Grund starte ich als Fortsetzung meiner bisherigen Erklärungen einen historisch sehr wichtigen Aufruf. Sich dafür zu entscheiden ist nicht einfach, aber ich sehe den nötigen Mut und die Fähigkeit in mir, das Problem zu lösen. Damit das Problem nicht noch tiefer, die Verluste und Schmerzen nicht noch größer werden, erfülle ich alles was mir zufällt mit einer großen Verantwortung, einer historischen Verantwortung, damit in dieser Geographie eine Demokratie im wirklichen Sinne aufgebaut werden kann.

Eine Frage der Menschlichkeit

Es ist offensichtlich, welch große Dimension das Problem hat und wie stark und vernichtend diese Dimension ist. Deshalb lade ich alle Staaten der Welt, die EU, die Vereinten Nationen und alle betreffenden internationalen Institutionen zur Arbeit ein. Damit das Problem umgehend gelöst wird, ist es erforderlich, daß auch sie das ihnen zufallende erledigen. Dieses Problem ist eine Frage der Menschheit. Es ist nicht ein Problem, daß nur die Kurden angeht. Wir wissen, daß gerade in diesen Tagen versucht wird einige ähnliche Probleme auf der Welt über den Weg des Dialogs zu lösen. Insbesondere der Konflikt zwischen Israel-Palästina, Israel-Syrien wird in diesen Tagen versucht im Rahmen eines Dialogs zu lösen. Wir wissen auch das Probleme wie England-IRA, Spanien-BASKEN in einer ähnlichen Weise angegangen werden. Wir erwarten deshalb auch, daß für das Problem was wir durchleben, auch wenn es andere Schwerpunkte und Besonderheiten hat, solche Rahmenbedingungen geschaffen werden. Ich bin der Überzeugung alle Aufgaben gemacht zu haben, die mir zugefallen sind. Ich glaube, daß ich alle zu tätigenden Schritte, trotz der schwierigen Situation in der ich mich befinde, gemacht habe. Dies war eine sehr schwierige Entscheidung. Ich habe diese Entscheidung getroffen. Ich werde mein Leben auf diesem Boden für einen wirklichen und würdigen Frieden weiterführen. Das was mir in dieser schwierigen Situation die Notwendigkeit für das Leben zeigt, ist die Sehnsucht nach Frieden. Die einzige Kraft, die mich auf den Beinen hält ist die, daß eines Tages auf dieser Erde die Völker in freiheitlicher Gemeinschaft leben werden. Deshalb muß jeder auf die Wichtigkeit meines Schrittes achten.

Anders als die anderen Appelle

Meine Erklärungen haben in der Öffentlichkeit große Diskussionen ausgelöst. Selbst die Diskussionen über eine Hinrichtung sind ein Schritt. Wenn ich mir die Maßnahmen und die Ebene der Diskussionen des Staates anschaue, denke ich, das meine Erklärungen und meine befürwortete Strategie von ihnen ausreichend verstanden worden sind. Dieser Appell ist anders als die anderen. Aus diesem Grund erwarte ich von allen Kreisen ein positives Echo. Ich erwarte nicht, daß sich dadurch Gesprächspartner finden und man in den Dialog tritt oder eine grundlegende konkrete Lösung zu erzwingen ist. Aber ich möchte, daß es ernstgenommen wird.

Sie haben keine Gründe mehr

Es wurde immer behauptet, daß es in der Türkei Bemühungen gäbe sich zu demokratisieren, aber das "Terrorproblem" sie aufhalte. Die Auseinandersetzungen werden seitens der Kräfte die ich vertrete eingestellt. Folglich wollen wir, daß eine Ebene des Dialogs aufgebaut wird, denn die Gründe derer, die in dieser Weise argumentiert haben, sind nicht mehr existent. Besonders an die USA möchte ich appellieren. Verschiedene Vertreter der USA haben in der Öffentlichkeit in verschiedenen Formen bekundet, daß sie von der Türkei eine Reihe von demokratischen Reformen erwarten, aber diese durch die Situation der bewaffneten Auseinandersetzungen verhindert werden. Dies wurde sogar schon früher so an uns herangetragen. Ich denke, daß jetzt auch ihre Gründe weggefallen sind.