"Sehr geehrter Herr Süleyman Demirel,
Staatspräsident der Türkischen Republik
Wir übermitteln Ihnen diese Botschaft in der dringenden
Hoffnung und in der Verantwortung, daß kurz vor dem
Jahr 2000 die Wiege der Zivilisation Anatolien und Mesopotamien
ein Niveau erreicht, das sie in die Lage versetzt, aufs Neue
Licht für die Menschheit auszustrahlen. Die türkischen
und kurdischen Menschen und alle Bürger der Türkei
haben ein Anrecht darauf. Wir wissen, daß eine solche
Zukunft nahe ist und möchten den daraus resultierenden
Stolz mit dem türkischen Volk erleben.
Wir sehen, daß die kulturellen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen
und politischen Güter, die der 150-jährige Kampf
des türkischen Volkes für Demokratie geschaffen
hat, auf dem Weg zum Jahre 2000 mit der Demokratie gekrönt
werden wird und möchten uns ebenfalls an diesem ersehnten
großen Ziel in gemeinsamer Verantwortung beteiligen.
Denn die PKK ist Teil dieses 150-jährigen Kampfes für
Modernisierung und es ist deshalb unvorstellbar, daß
sie sich von diesem geschichtlichen Prozess loslöst.
Die PKK hat sich mitsamt ihrer Fehler und Errungenschaften
immer in der Absicht bewegt, einen Beitrag für das Ziel
des türkischen Volkes, die Schaffung einer modernen Zivilisation,
zu leisten. Der in seiner Verteidigung bekräftigte Wunsch
unseres Vorsitzenden Abdullah Öcalan, sich im Rahmen
einer demokratischen Lösung mit der Türkei zu vereinen,
entspricht dieser Zielsetzung und ist ihr natürliches
Ergebnis.
Unsere Welt und die gesamte Menschheit begehen das neue Jahrhundert
mit dem Vorzug und dem Sieg der Demokratie basierend auf den
aus Kämpfen und Leid gezogenen Lehren wie auch auf den
im weltweiten Kampf für ein besseres Leben erzielten
Fortschritten. Bereits jetzt ist zu erkennen, daß keine
Kraft, welcher Ideologie auch immer sie folgen mag, im neuen
Jahrhundert Bestand haben wird, wenn sie die demokratischen
Maßstäbe nicht anerkennt. Auch die Türkei
bereitet sich darauf vor, gemeinsam mit der internationalen
Staatengemeinschaft als ein Land, das seine Demokratie entwickelt,
in das 21 Jahrhundert einzutreten, indem sie Lehren aus der
Geschichte zieht und durch das von ihr geschaffene große
Wissen und Potential, auch wenn Kämpfe und Leid existent
sind.
Eine nationale, politische, gesellschaftliche und kulturelle
Realität abseits dieser Entwicklungen kann es nicht geben.
Auch unsere Partei hat sich in der Erkenntnis, sich nicht
von diesen Entwicklung in der Welt und in der Türkei
loslösen zu können, entschieden, ihre unter dem
Einfluß des Kalten Krieges und einer von Auseinandersetzungen
geprägten Welt geformte politische Strategie zu verändern.
Sie wird dies auf ihrem außerordentlichen Kongreß,
der in naher Zukunft stattfinden wird, auch beschließen.
Unser Vorsitzende hat seit 1993 erkannt, daß das Andauern
des Krieges nicht mehr sinnvoll ist und bei vielen Gelegenheiten
betont, daß er eine Einigung mit der Türkei auf
demokratischer Grundlage für den realistische Weg hält.
Wenn er auch aufgrund verschiedener Hindernisse diese Zielsetzung
nicht verwirklichen konnte, so hat er doch dafür gearbeitet,
unsere Partei auf eine derartige Entwicklung vorzubereiten.
Dass unsere Partei der neuen Strategie unseres Vorsitzenden
im Ganzen zustimmt und sie als Direktive auffasst, ist das
Ergebnis eines Prozesses, den sie seit 1993 voranzutreiben
versucht.
Unser Parteivorsitzender hatte deshalb die Absicht, der Türkischen
Republik und dem türkischen Volk sein Vorhaben und Ziel
zu erläutern, doch ließen die negative Atmosphäre
und die während des Krieges entstandenen Bedingungen
bis zur seiner Verschleppung in die Türkei keinen Raum
für einen derartigen Dialog. In der aktuellen Situation,
in der sich unser Parteivorsitzender dem türkischen Staat
und dem türkischen Volk nahe ist, haben wir den Glauben,
dass auch das populäre türkische Sprichwort: "Jede
Arbeit birgt eine Gunst in sich" einen wahren Kern beinhaltet.
Im Bewusstsein unserer Verantwortung versuchen wir, diese
Chance zu nutzen und uns in diesem Rahmen zu bewegen.
Unser Parteivorsitzender hat mehrfach die Beendigung des Krieges
gefordert und darauf hingewiesen, dass dies bereits früher
hätte geschehen sollen. Als Reaktion auf diese realistische,
sensible und verantwortungsvolle Haltung unseres Vorsitzenden
hat unsere Partei die Auseinandersetzungen beendet und unsere
Einheiten aus den Kampfregionen zurückgezogen. Sie hat
gegenüber der türkischen und der Weltöffentlichkeit
erklärt, dass es sich hierbei um einen Beschluss zu einer
strategischen Änderung handele, und dass sie nicht die
Absicht habe, den Krieg erneut zu beginnen. Bei der Gelegenheit
unterstreichen wir noch einmal, daß die erhobenen Vorwürfe
einiger Kräfte und Institutionen, dies sei nur ein taktischer
Schritt, der Wahrheit nicht entspricht.
Unsere Partei hat diese Schritte in Verbundenheit mit dem
unterbreiteten Projekt unseres Parteivorsitzenden aus Imrali,
der ein Zusammenleben mit dem türkischen Volk im Rahmen
einer demokratischen Republik vorsieht und in Verbundenheit
zu den daraufhin entwickelten Aufrufen, unternommen und glaubt,
dass dies der richtige Weg ist.
Wir haben keinen Zweifel daran, daß diese Haltung eine
wichtige Rolle bei der Überwindung der Schwierigkeiten
der Türkei spielen wird. Neuere Entwicklungen sind entstanden,
die schon jetzt den Weg für die Lösungen aller Probleme
eröffnen. Auf der anderen Seite wurde erkannt, daß
nach dem Erdbeben unsere diese Haltung unumgänglich ist,
eine andere Haltung nicht denkbar wäre und für die
Überwindung des Leides und der Schwierigkeiten des türkischen
Volkes diese Haltung unseren größten Beitrag leisten
wird. Hiermit möchten wir im Zuge unserer Strategie zu
den bisher eingeleiteten Schritten einen neuen hinzufügen.
Um unsere Entschlossenheit einer Beteiligung an einer Türkei,
die ihre Probleme auf der Grundlage der Demokratie lösen
wird zu zeigen, senden wir mit dem Beschluß unseres
Zentralkomitees, eine Gruppe für Frieden und eine demokratische
Lösung in die Türkei. Wir unternehmen diesen Schritt,
weil wir ein Teil der Türkei und des türkischen
Volkes sind und diesen Konflikt direkt mit dem türkischen
Volk und nicht unter Zuhilfenahme ausländischer Kräfte
und Vermittler lösen wollen. Die Entsendung dieser Gruppe
beweist unseren guten Willen zu dem eingeschlagenen Weg des
Friedens und ist ein praktischer Schritt dazu. Unser Wunsch
ist es, dies demnächst auch weiter praktizieren zu können.
Der persönliche Empfang der HADEP- Bürgermeister
durch Sie und Ihre Bereitschaft, die bestehenden Probleme
mit dem kurdischen Volk im Rahmen einer demokratischen und
toleranten Haltung zu lösen, sowie einige andere Äußerungen
von Vertretern der türkischen Republik haben uns bestärkt,
diesen Schritt zu tun.
Es ist offensichtlich: sollte die Türkei die beabsichtigten
demokratischen Reformen im Rahmen ihrer Bedürfnisse verwirklichen,
im Zusammenhang damit ein grundlegendes Amnestiegesetz verabschieden
und die Freiheit zur sprachlichen und kulturellen Freiheit
gewähren, so wird dies den Prozeß beschleunigen.
Sollte Ihre Aussage vom Jahre 1992 in Diyarbakir "wir
erkennen die kurdische Realität an" in der Verfassung
verankert werden, so werden die bestehenden Probleme der Vergangenheit
angehören. Sollte sich mit diesem Schritt ein Türspalt
für die Lösung der Frage in positivem Sinne öffnen
und dafür die erforderliche Basis geschaffen werden,
so erklären wir schon jetzt unsere Bereitschaft, uns
nach unserem außerordentlichen Kongreß mit voller
Kraft in das gesetzliche Rahmen der demokratische Republik
zu beteiligen.
Wir haben keine Zweifel daran, dass die türkische Republik
und ihre Einwohner bereit sind, die existierenden Probleme
in einem demokratischen Rahmen zu lösen und sich mit
uns, einem Teil von ihnen, zu vereinigen. Uns ist bewusst,
dass bewaffnete Auseinandersetzungen und die mit ihnen verbundenen
Leiden ein Vertrauensproblem darstellen. Wir nehmen das mit
Toleranz zur Kenntnis und sind der Auffassung, daß die
bis jetzt gezeigte Haltung und die bereits umgesetzten Schritte
einige positive Entwicklungen bewirkt haben, die zu bewerten
sind. Die Beispiele in der Welt zeigen, daß Völker,
die seit langem miteinander leben, auch wenn es zwischen ihnen
zu Auseinandersetzungen gekommen ist, diese nach Beendigung
der Auseinandersetzungen in sehr guten Beziehungen zusammenleben
können. Wenn es auch wenig Ähnlichkeiten mit der
Türkei gibt, so sind die Beziehungen der Völker
in Großbritannien, Frankreich, Spanien, Portugal, Italien
und viele andere Beispiele dafür. Es ist offensichtlich,
daß wir im Endeffekt in eine noch grundlegendere Beziehung
und Einheit mit dem türkischen Staat und dem türkischen
Volk gelangen werden. Wenn es aber um das türkische und
kurdische Volke geht, die mit Haut und Haaren verbunden sind,
so ist dies noch zutreffender und sogar zwingender.
In der Erwartung, daß die Übergabe dieses Briefes,
der unseren guten Willen bezeugt, durch die Gruppe für
eine demokratische Lösung an Ihre Institution, einige
positive Entwicklungen herbeiführt und einen Beginn ermöglicht,
verbleiben wir mit dem Lebenswunsch in der demokratischen
Republik und mit unseren aufrechten Gefühlen.
Hochachtungsvoll
Zentralkomitee der PKK"