Berlin, 25.11.1999
An die Redaktionen:
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/ Kurdistan
Jetzt in deutscher Sprache bei uns zu beziehen:
Verteidigungsschrift von Abdullah Öcalan an das Präsidium
des Revisionsinstanz vom 21. Oktober 1999
Anläßlich der Entscheidung des Kassationsgerichtshofes
in Ankara/ Türkei bezüglich des Todesurteils gegen
den Vorsitzenden der PKK, Abdullah Öcalan, veröffentlichen
wir seine Verteidigungsschrift an das Präsidium der Revisionsinstanz
vom 21.10.1999 in deutscher Sprache.
Wie schon in seinen Erklärungen zu Prozeßbeginn,
betont Abdullah Öcalan erneut, wie wichtig es ist, gemeinsam
und ernsthaft an einer grundlegend demokratischen Friedensordnung
auf Basis der gleichberechtigten Existenz der Völker
in der Türkei zu arbeiten. Dabei geht er ausführlich
auf die historischen Ursachen ein, die seit Gründung
der Türkischen Republik 1923 den immer wiederkehrenden
Aufständen und dem Konflikt um die kurdische Frage zugrunde
liegen. Sowohl Abdullah Öcalan, als auch die PKK haben
durch ihre letzten praktischen Schritte die Ernsthaftigkeit
der von ihnen eingeschlagenen politischen Linie bewiesen.
Die Würdigung der Ausführungen der Verteidigungsschrift
und der letzten Entwicklungen bietet allen beteiligten Seiten
die Möglichkeit, verantwortungsvoll an der Gestaltung
des Friedensprozesses mitzuwirken. Das betrifft sowohl die
Richter der Revisionsinstanz, als auch alle politischen Entscheidungsträger
in der Türkei und - angesichts des bevorstehenden EU-Gipfeltreffens
in Helsinki - in Europa.
Die friedenspolitische Linie der PKK und ihres Vorsitzenden,
Abdullah Öcalans, zeigen den Weg zu einer gerechten,
menschenwürdigen Zukunft auf. Die aktuellen schweren
Angriffe der türkischen Armee gegen die sich zurückziehende
Guerilla der PKK im Norden des Irak hingegen stellen eine
erneute Verletzung des Völkerrechts dar und lassen befürchten,
dass der eingeschlagene Weg zum Frieden blockiert werden soll.
In der Anlage geben wir Ihnen das Inhaltsverzeichnis der
Verteidigungsschrift zur Kenntnis. Der vollständige Text
kann in unsere internetseite: http://www.nadir.org/nadir/initiativ/kiz/
bezogen werden oder nach Anfrage können wir Ihnen den
vollständigen Text gern per Fax oder Mail zukommen lassen.
INHALTSVERZEICHNIS DER VERTEIDIGUNGSSCHRIFT:
An das Präsidium des Kassationsgerichtshofs und den
neunten Strafsenat
Der Prozeß muß auf wissenschaftlichen Kriterien
beruhen
Identitätsfrage und verfassungsrechtliche Lösung
A. Die Entstehung moderner Verfassungen
1. Kriege, Politik und Recht
2. Entwicklung zeitgenössischer westlicher Verfassungen
3. Grundmerkmale zeitgenössischer Verfassungen
4. Verfassungsrechtliche Lösung der Hauptprobleme
B. Nationalstaat und dessen Probleme
1. Entstehung von Nationalstaaten
2. Monistische und pluralistische Strukturen von Nationalstaaten
3. Nationalstaat und Demokratie
4. Identitäts- und Freiheitsfrage im Nationalstaat
Die Türkei und die Identitätsfrage
C. Entstehung der modernen Türkei
1. Das Osmanische Reich und Einstellungen zur Identität
2. Nationale, ethnische und religiöse Kriege
3. Legitimation
D. Gründung der Republik und deren Grundmerkmale
1. Nationale und gesellschaftliche Basis bei Gründung
der Republik
2. Grundmerkmale der Republik und die "sechs Pfeile"
3. Extrem nationale Zentralisierung und Identitätskrise
E. Fremdheit der Bourgeoisie und der Arbeiterklasse gegenüber
der Demokratie
1. Problem der Unfähigkeit der Republik zur Demokratisierung
2. Flucht der Bourgeoisie vor Demokratie
3. Oligarchische Republik
4. Degeneration in der Führung
5. Schwere Krise auf der Schwelle zum Jahr 2000
Demokratische Republik und Verfassungsfrage
A. Historische Notwendigkeit einer demokratischen Republik
1. Wurzeln und Tradition der Republik sind genügend gestärkt.
2. Die Krise rührt von der Unfähigkeit zur Demokratisierung
her.
3. Extrem zentralistische politische Struktur und Geopolitik
sind hinderlich.
B. Freies Individuum und Gesellschaft
1. Freies Individuum und Gesellschaft contra extrem gestärkten
Staat
2. Meinungs- und Glaubensfreiheit contra offizielle Ideologie
3. Umverteilung der Autorität von zentraler Führung
auf Selbstverwaltung
C. Probleme des freien Ausdrucks und der Partizipation
kultureller Identitäten
1. Anerkennung kultureller Identität des Individuums
und der Gesellschaft
2. Der Zusammenschluß mit dem Staat muß auf Ebene
dieser Anerkennung und Demokratie erfolgen.
3. Pluralismus darf nicht als Schwäche und Grund zur
Angst sondern muß als Reichtum und Stärke aufgefaßt
werden.
D. Notwendigkeit einer demokratischen Verfassung
1. Von der Phase politischer Gewalt hin zur friedlichen Transformation
2. Von hinreichend erlebten gesellschaftlichen Zusammenstößen
hin zur Einigung
3. Die Verleugnung (verschiedener, d.Ü.) Meinungen, Überzeugungen
und Kulturen muß als Schwäche und als Demokratiefeindlichkeit
verstanden werden.
4. Die Akzeptanz von Unterschieden darf nicht als Schwäche
sondern muß als Stärkung begriffen werden.
5. Eine demokratische Verfassung muß offene und bewußte
Partizipation der Individuen und Gruppen zur Grundlage haben.
6. Kulturelle Identitäten dürfen nicht unterdrückt
sondern müssen im Gegenteil gefördert und unterstützt
werden.
7. Die Stärke einer Verfassung zeichnet sich durch ihre
Repräsentation des Bewußtseins und des Willens
der partizipierenden Individuen und Gesellschaftsgruppen sowie
der ihnen eigenen Interessen aus.