Berlin, 31.12.1999
Abdullah Öcalans Grußbotschaft
zum Jahr 2000
Wir lassen ein Jahrhundert hinter uns, das aus Sicht der
Menschheit voller großer Schmerzen und Tragödien
war. In diesem Sinne finde ich das 20. Jahrhundert ein wenig
verzerrend. Ich versuche, die vorangegangenen Jahrhunderte
besser zu verstehen. Wir kämpfen dafür, das Wesen,
das die Menschheit an ihrem Beginn hatte, und die Freiheit
des Menschen ins dritte Jahrtausend zu tragen. Die Werte,
die im Mittleren Osten, in Anatolien und Mesopotamien, entwickelt
wurden, in erster Linie von Sokrates und Jesus, die dieses
Wesen und diese Freiheit ausgedrückt haben, von Moses,
Zarathustra, Mani und Mohammed mit ihrer Lebensphilosophie;
wir verbinden sie mit Hallaci Manur, Nesimi, Haci Bektas Veli,
Yunus Emre, Mevlana und Pir Sultan Abdal und tragen sie ins
dritte Jahrtausend.
Die Schmerzen des 20. Jahrhunderts haben die Menschheit,
die sich auf der großen Suche nach Freiheit befindet,
reifen lassen. Das vergangene Jahrhundert ist in diesem Sinne
voller historischer Lehren. Es ist mittlerweile unumgänglich
geworden, die vorhandenen Probleme nicht durch Hass und Rache,
sondern demokratische Verständigung und in einer Kultur
der Toleranz zu lösen. So wie in den 1920ern unter großen
Schwierigkeiten unter der Führung von Mustafa Kemal enthusiastisch
die Republik aufgebaut wurde, so muss man heute für den
Aufbau der Demokratischen Republik mit dem gleichen Enthusiasmus
gesellschaftliche Anstrengungen und Arbeit aufbringen. Wir
suchen die demokratische Lösung nicht außerhalb
der Republik, sondern innerhalb.
Unser Aufstand, der dem letzten Viertel des 20. Jahrhundert
seinen Stempel aufgedrückt hat, war nicht gegen die Essenz
der Republik gerichtet, sondern gegen ihre zu Oligarchie gewordene
Herrschaftsform. Wir waren niemals gegen eine Republik. Wenn
die Republik nicht in die Hände einer Oligarchie geraten
wäre, wenn das Kurdentum nicht zum Privatbesitz ??? der
Aghas geworden wäre, hätten wir keinen Aufstand
begonnen. Dieser Aufstand, der als Antwort auf große
Rückständigkeit, Elend und Ungerechtigkeiten begonnen
wurde, war gleichzeitig darauf gerichtet, der Republik ein
demokratisches Wesen zu verschaffen.
Daher müssen alle Personen, Organisationen, Parteien
und Kräfte, deren Interessen wirklich Demokratie, Frieden
und Geschwisterlichkeit sind, zusammenkommen. Das traditionelle
Profitieren, das auf der Grundlage von Täuschungen, kleinen
Interessen, Blut und Tränen Politik macht, muss überwunden
werden. Das ist es, was die Geschichte heute von uns verlangt.
Am Beginn des dritten Jahrtausends hat in der Türkei,
die endlich auch ein Mitglied der Familie der zivilisierten
Welt werden muss, eine Phase von Veränderungen und Wandel
in dieser Richtung eingesetzt. Das 21. Jahrhundert wird für
die Türkei und für die Welt ein Jahrhundert des
Sieges der und der Aufklärung durch Demokratie werden.
Am Anfang diesen Jahrtausends wird weiter an einer geschwisterlichen
türkisch-kurdischen Annäherung, am Anfang dieses
Jahrhunderts weiter am Aufbau der Republik gearbeitet, mit
viel Mühe, Schmerzen und großem Enthusiasmus. Wir
kämpfen unermüdlich für das Ziel der "Einheit
in Freiheit" in der Demokratischen Republik, die den
2000ern ihren Stempel aufdrücken wird. Auf dieser Grundlage
wünsche ich mir, dass die 2000er Anatolien und Mesopotamien
Frieden, Geschwisterlichkeit und Freiheit bringen mögen.
Ich glaube auch, dass dies die beste Art ist, den Jahreswechsel
2000 zu begehen. In diesem Sinne grüße ich alle.
31.12.1999