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Es gibt mittlerweile altpapiercontainerweise Material zu Call Centern, ihrer Funktion und Entwicklung. Viel von diesem Material produziert aber die Call Center-Management-Liga selbst, ist von daher geschönt und aktienkursverträglich. Es geht in diesem Teil um einen groben Überblick.
4.1 Dienstleistungshölle, oder wie?! Was ist ein Call Center?
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Wesen
Call Center stellen keinen eigenen Sektor dar. Sie sind bestimmt durch eine besondere Arbeitsorganisation, die in verschiedenen Sektoren angewandt wird. Grob zusammenfassend lässt sich sagen, dass ArbeiterInnen in einem Call Center als humane Schnittstelle zwischen einem Datenspeicher (Kundendateien, Produktinfos, Internet...) und einer Anruferin oder einem Angerufenen funktionieren. Mit dem Datenspeicher sind sie über einen Computer verbunden, mit "dem Kunden" meistens über Telefon, aber auch über Fax und Email.
Im sogenannten Inbound[23] - Kunde ruft an - muss die ArbeiterIn den Anrufenden mit den gewünschten Infos aus dem Datenspeicher versorgen (Kontenstand, technische Ratschläge...) oder seine Infos dort eingeben und weiterleiten (Produktbestellung...). Beim Outbound - ArbeiterIn ruft an - werden Infos vom Angerufenen verlangt (Marktumfrage...) oder er/sie mit Infos versorgt, meist um ihm/ihr etwas zu verkaufen. Das Telefonieren und die Arbeit mit dem Computer passieren meist zeitgleich, was durch das Headset (Einheit von Kopfhörer und Mikrofon) ermöglicht wird.
Beim Inbound werden Systeme eingesetzt, welche die eingehenden Anrufe automatisch an die verschiedenen ArbeiterInnen weiterleiten. In manchen Call Centern sorgt die Verbindung von Telefongespräch und Datenspeicher dafür, dass die ArbeiterIn bei der Begrüßung automatisch die Kundendaten des Anrufenden auf dem Bildschirm hat. Im Outbound gibt es auch eine Software, die automatisch Kunden anruft und den Anruf einer freien ArbeiterIn zuordnet.[24]
Call Center stellen keine neue Dienstleistung her, sondern die Arbeit von VerkäuferInnen, BankarbeiterInnen oder Versicherungsagenten wird anders organisiert. Call Center als neue Arbeitsorganisation ergibt sich aus dem Zusammenspiel:
* einer ausgeweiteten Arbeitsteilung; zum Beispiel werden die verschiedenen Aufgaben einer Bankarbeiterin - Ansage des Kontenstands, Wertpapierberatung, Kreditberatung - jetzt auf verschiedene Call Center-ArbeiterInnen verteilt; und
* einer neuen Technologie; die zunehmende Standardisierung zum Beispiel der Bankarbeit macht den Einsatz von Computern möglich, die diese Standardisierung weiter beschleunigen; die ausgeweitete Arbeitsteilung und die Vernetzung von Computern und Kommunikationsanlagen schaffen die Grundlage dafür, dass die Arbeit "am Telefon" zu erledigen ist.[25]
Einsatz
Zum Warmwerden erstmal ein paar Beispiele:
Ascend Communications hat ein Call Center in Sophia-Antipolis/Cote d'Azur/Frankreich aufgebaut. Hier werden Kunden aus Europa, dem Mittleren Osten und Afrika betreut. Der Standort wurde gewählt, weil die Bedingungen für die Angestellten dort attraktiver und besser seinen als in Paris oder Brüssel (so ein Firmenvertreter), und weil in der Gegend viele ausländische Arbeitskräfte mit den notwendigen Fremdsprachenkenntnissen wohnen. [Les centres d'appels attisent les convoitises, L'Usine Nouvelle, 23. April 1998]
Cegetel hat als Anbieter von Telekommunikationsdienstleistungen in Toulouse/Frankreich ein Call Center aufgebaut, in dem Mitte 1999 bis zu 750 Agents arbeiten sollen. Cegetel hat dort vierzig Millionen Franc investiert und 7,5 Millionen. Franc Subvention von der Stadt und der Region bekommen. [Les centres d'appels attisent les convoitises, L'Usine Nouvelle, 23. April 1998]
EasyJet verkauft seine Flugtickets direkt über ein Call Center in Luton/England. Die Umgehung der Reisebüros hat die Kosten um zehn Prozent verringert. Anrufe aus verschiedenen Ländern werden automatisch an die Agents mit den entsprechenden Sprachkenntnissen durchgestellt. Im Moment wird ein "internet-booking system" aufgebaut. Außerdem wird mit Heimarbeit experimentiert, um die Kosten für die Center zu reduzieren. [Clegg, Alicia: Coming in from the cold, Management Today. 1999]
Fastphone Telemarketing betreibt seit 1994 ein Call Center in Pasewalk/Mecklenburg-Vorpommern. 95 Prozent der 240 Beschäftigten arbeiten in Teilzeit, in der Regel zwischen 5 und 7,5 Stunden am Tag, sechs Tage die Woche. Die monatliche Arbeitszeit von 110 Stunden schwankt plus/minus 30 Stunden, Ausgleichszeitraum ist ein Jahr. Das Durchschnittsalter beträgt 27 Jahre. Der Brutto-Stundenlohn lag 1994 bei 10 DM, 1998 bei 11,50 DM. Nach einer Betriebsvereinbarung bekommen die ArbeiterInnen pro Anruf fünf Pfennig drauf (circa 80 DM monatlich). [Gewerkschaftliche Praxis, Nr. 1, Februar 1999]
Lufthansa hat seine vormals 211 Call Center zu 9 zusammengefasst, um die Produktivität zu steigern. Die Center liegen in unterschiedlichen Zeitzonen, die sich rund um die Uhr bei der Anrufannahme abwechseln (Dublin, Kassel, Melbourne...). So machen die meisten Beschäftigten Tagesschichten, die billiger sind (keine Zulagen) und bei den ArbeiterInnen populärer. In Dublin arbeiten zweihundert ArbeiterInnen in neun europäischen Sprachen. Sie geben unter anderem Fluginformationen und machen Reservationen. Die Call Center sind miteinander verbunden, so dass ein Anruf, für den die notwendige Sprache in Dublin gerade nicht verfügbar ist, automatisch nach Kassel oder in ein Center in den USA gelegt werden kann. [Take-off for Lufthansa's 200-Agent Centre, Business and Finance, October 1998]
Volvo hat für die europäischen Kunden der Abteilungen Lkw, Busse und Schiffsmotoren Call Center in Gand/Belgien und Rugby/England. In Gand bedienen siebzig Agents jede Woche um die 20.000 Anrufe von Händlern, Importeuren und Kunden. Ein "breakdown-service" soll garantieren, dass allen Kunden mit technischen Problemen innerhalb von 24 Stunden geholfen wird. Nach einem Anruf wird ein Dossier in Englisch geschrieben und an die lokalen oder regionalen Stützpunkte durchgereicht, welche die Hilfsaktionen einleiten. Dabei werden die Aktivitäten von 1.200 Händlern und 500 Volvo-Stützpunkten koordiniert. Früher wurden alle Probleme innerhalb eines Landes gelöst. Jetzt übernehmen die beiden Call Center mit sechs Sprachgruppen alle Anrufe. [Le paysage des call centers cartographie, Bulletin de la FEB, Juni 1999]
Walter TeleMedien Gruppe ist nach eigenen Angaben Deutschlands größter Call Center-Betreiber und hat Call Center unter anderem in Ettlingen, Bremen und Magdeburg (insgesamt zehn Standorte mit 21 Call Centern und zusammen circa 3.000 Beschäftigten). Die Gruppe hat 200 Kunden (darunter Deutsche Bank, Allianz, Beiersdorf, Deutsche Telekom) unter anderem in den Bereichen Versicherungen, Kreditvermittlung, Hotlines (Produktinformationen), Tele-Shopping, E-Commerce. [Berliner Zeitung vom 22.6.1999][26]
Wir haben uns die Frage nach der Funktion von Call Centern bei der Anhäufung von Kapital gestellt, um einschätzen zu können, welche Auswirkungen ArbeiterInnenkämpfe haben können. Zum Beispiel ist entscheidend, ob ein Streik über betriebliche Grenzen hinaus andere ArbeiterInnen betrifft, oder ob - abgesehen vom bestreikten Unternehmen - nur "PrivatkundInnen" betroffen sind oder auch andere Produktionsstätten. Innerhalb eines Betriebes ist die Frage, ob andere Abteilungen oder der gesamte Produktionsprozess gestört werden...[27]
Die meisten Call Center produzieren eine Dienstleistung für "Privatpersonen". Es folgen Call Center für andere "Dienstleistungsfirmen". Wie viele Firmen Call Center einsetzen, die direkt mit dem Produktionsprozess verbunden sind - zum Beispiel bei der Steuerung von Anlieferung oder Abtransport... - lässt sich schwer abschätzen.[28]
Call Center sind hauptsächlich in diesen Bereichen aktiv: Banken und Versicherungen, Informationstechnologie- und Telekommunikationsbranche, Marketing/Vertrieb und Marktforschung.[29] Dabei sind die wichtigsten betrieblichen Funktionen: Informationsquelle (Produkte, Verkaufsorte...), einfache Dienstleistungen (Bestellungen, Überweisungen...), Kundenbetreuung (wie After-Sales-Support, Garantie...), Verkauf, Interviews (Marktforschung...)... Der Anteil von Inbound-Call Centern liegt bei achtzig bis neunzig Prozent.[30]
Daneben gibt es zahlreiche Firmen, die sich auf Software oder Innenarchitektur für den Call Center-Einsatz spezialisiert haben, und die üblichen Unternehmensberatungen und Qualifizierungsträger.
Betriebsgröße
Es ist uns direkt ins Auge gesprungen, dass mit den Call Centern wieder mehr ArbeiterInnen unter einem Dach zusammengebracht werden... in einer Region, in der sonst ausgelagert und betriebsverkleinert wird bis zum Abwinken. Call Center mit zweihundert bis dreihundert ArbeiterInnen, oft viele teilzeitbeschäftigt, sind keine Seltenheit.
Technisch gesehen gibt es durchaus die Möglichkeit, ArbeiterInnen einzeln bei sich zu Hause arbeiten zu lassen. Einige Firmen haben auch HeimarbeiterInnen, die über Software- und Kommunikationstechnik kontrolliert werden. Warum aber setzen die Call Center-Betreiber trotz dieser Möglichkeit weiter auf die Konzentration vieler ArbeiterInnen in einem Büroraum und/oder Gebäude? Unter anderem wegen der notwendigen unmittelbaren Kooperation (Zusammenarbeit) der ArbeiterInnen. Aus unseren Erfahrungen können wir sagen, dass in den meisten Call Centern ein direkter Kontakt zu anderen ArbeiterInnen und "Vorgesetzten" notwendig ist, um auf Kundenanfragen oder (technische) Probleme reagieren zu können. In anderen ist eine direkte Kommunikation der ArbeiterInnen wegen der vielen Anrufe, Lärm und Trennwände erschwert, aber die Kontrollmaßnahmen oder Schulungen erfordern die Konzentration in einem Büro.[31]
ArbeiterInnen
Alter: Viele Call Center-ArbeiterInnen sind jung. Es gibt je nach Branche und Qualifizierung Unterschiede, aber insgesamt sind zwei Drittel aller Call Center-ArbeiterInnen jünger als 35 Jahre.[32]
Schulbildung: Das Schulmissbildungsniveau in Call Centern ist hoch: Vierzig Prozent haben Abitur haben und/oder ein abgeschlossenes Studium. Vom Schuldbildungsniveau lässt sich aber nicht darauf schließen, dass diese ArbeiterInnen dann auch "qualifiziertere" Tätigkeiten machen. Eher im Gegenteil: Gerade in den Dienstleister-Call Centern (Marketingforschung) werden mit etwa sechzig Prozent besonders viele StudentInnen eingesetzt.[33]
Geschlecht: Über sechzig Prozent aller ArbeiterInnen in Call Centern sind Frauen. In manchen Branchen liegt ihr Anteil bei achtzig bis neunzig Prozent, vor allem Handel, also den eher "unqualifizierten" Jobs.[34]
Hierarchie: Es wird viel von "flachen" Hierarchien in Call Centern gefaselt. Meist kommt ein Teamleiter (Vorarbeiter) auf zehn bis fünfzehn TelefonterroristInnen. Neben den Teamleitern gibt es noch Coaches (Ausbilder), drüber stehen Abteilungsleiter und Management.[35]
Fluktuation: In der Boom-Phase beklagten die Call Center-Betreiber die hohe Fluktuation. Raten von dreißig bis vierzig Prozent galten und gelten als "normal".[36] Auch das ist ein internationales Phänomen: In Deutschland, Britannien oder Australien wird von ähnlichen Zahlen ausgegangen. Die Höhe der Fluktuation hat zum einen mit der Zusammensetzung zu tun, weil die vielen SchülerInnen und StudentInnen schneller den Job wechseln. Zum anderen spielt das Verhalten der ArbeiterInnen eine Rolle und die Möglichkeit oder Hoffnung, woanders was Besseres zu finden ("Alter, mach die Papiere fertig..."). In Britannien ist die Fluktuation bei den Vollzeitstellen wesentlich höher als bei den Teilzeitarbeitsplätzen.
Viele Call Center verloren über die Hälfte der Neueinstellungen innerhalb des ersten Jahres. Im Durchschnitt liegt die Fluktuation bei 23 Prozent im Jahr. Ein ähnlich verheerendes Bild haben die Berater beim Krankenstand ausgemacht. Nahezu jedes dritte Call Center hat einen Krankenstand zwischen sechs und fünfzehn Tagen im Monat. [Frankfurter Allgemeine Zeitung am 7. Februar 2000 zur Hay Management Consultant Studie, 1999]
Arbeitszeit
Teilzeit/Vollzeit: Der Anteil von Teilzeit-ArbeiterInnen liegt in Call Centern etwa bei fünfzig Prozent und damit relativ hoch. Dabei arbeiten zwanzig Prozent der Männer Teilzeit und achtzig Prozent der Frauen.[37] Der Anteil von Aushilfen - wie geringfügig Beschäftigten - liegt bei etwa zehn Prozent, wobei es sich dabei vor allem um Frauen handelt und der Anteil von Aushilfen in den inhouse-Call Centern geringer, in den externen Call Centern höher ist.[38]
Schicht- und Wochenendarbeit: Mit den Call Centern kommt auch der ehemalige "Angestelltenbereich" in den Genuss von Drei-Schicht- und anderen "Maloche-rund-um-die-Uhr"-Modellen. Über achtzig Prozent der Call-Center-ArbeiterInnen machen Schichtarbeit. Fast drei Viertel davon arbeiten zwischen 6 und 22 Uhr.[39] Auch Samstags- und Sonntagsarbeit ist in vielen Call Centern die Regel.
Lohn
Lohnhöhe: Die Lohnhöhe ist je nach Call Center-Typ unterschiedlich. Bei den Call Center-Dienstleistern wird weniger verdient. Im Ruhrgebiet liegt der Bruttolohn dort bei etwa 1.300 bis 1.400 Euro für einen Vollzeit-Job. Verglichen mit anderen Jobs im "Dienstleistungsbereich" (Restaurant, Putzen...) ist das relativ viel. Der Durchschnittslohn für neueingestellte Call Center-ArbeiterInnen in ganz Deutschland liegt brutto bei etwas über 1.500 Euro.[40]
Lohnkosten: Die Lohnkosten machen einen vergleichsweise hohen Anteil an den Gesamtkosten aus. Er liegt bei 60 bis 85 Prozent (in einer Autofabrik bei drei bis fünf Prozent).[41]
Stress
Viele ArbeiterInnen klagen über körperliche Folgen des Arbeitsstresses: Tinnitus, Augenbeschwerden, Kopf- und Nackenbeschwerden, Überlastung der Stimmbänder, Schlafstörungen, Gereiztheit. Als Grund für den Stress geben sie neben dem hohen Anrufaufkommen, langen Anrufzeiten, Bildschirm- und Schichtarbeit, auch die Kontrolle durch Technologie und Teamleitung an.
Vertretung
Trotz starker Bemühungen seitens der Gewerkschaften ("Call Center-Beauftragte", Call Center- "Basisgruppen"...) sind bis auf die internen Call Center in Handel, Banken und Versicherungen die meisten Call Center "unorganisiert". Aber selbst für den Bereich Direktbanken gehen Schätzungen nur von einem Organisationsgrad von fünf bis zehn Prozent aus.[42]
4.2 Don't believe the hype! Entwicklung der Call Center
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Entstehung
Formen von Call Centern gibt es schon eine ganze Weile, zum Beispiel als Telefonauskunft, Schreibsäle oder Rechenstuben. Einen wirklichen Boom mit entsprechenden Management-Strategien, Berufsbildern und öffentlichem hype sehen wir ab Anfang/Mitte der neunziger Jahre. Fast achtzig Prozent der Call Center sind in Deutschland erst nach 1991 gegründet worden.[43]
1997 nutzen dreißig Prozent der Unternehmen in Deutschland ein Call Center. Zwei Drittel davon haben in das bestehende Unternehmen integrierte Call Center (inhouse), das übrige Drittel beauftragt externe Dienstleister.[44] In den USA beanspruchten bereits 1995 etwa achtzig Prozent aller Unternehmen den Einsatz eines Call Centers.[45]
Der Boom fand in Deutschland auf folgendem Hintergrund statt:
* Rationalisierungsoffensive in Banken, Handel, Versicherungen: Die alte Angestelltenfigur (lange Ausbildung, relativ hohe Löhne) gerät unter Druck. Es gibt seit Jahren Filialschließungen bei den Banken bei gleichzeitiger Ausweitung des Geschäftsvolumens. Bankgeschäfte sollen vorwiegend am Automaten erledigt werden. Wer damit nicht klarkommt, kann ja im Call Center anrufen...[46]
* Rationalisierungsoffensive im Zuge der Privatisierung der Telekommunikationsunternehmen: Dabei hat zum Beispiel die Deutsche Telekom ganze Bereiche ausgegliedert, andere in Call Center umgewandelt.
* Ausweitung des (mobilen) Telefonverkehrs: Noch 1998 besaßen in Deutschland knapp unter zehn Prozent ein Mobiltelefon, im Jahr 2000 waren es fast dreißig Prozent, heute liegt die Zahl über fünfzig Prozent. Die Gesprächspreise wurden gesenkt, (gebührenfreie) "Service-Nummern" eingerichtet. Die Telefonmarketing-Ausgaben der Unternehmen stiegen erheblich.[47]
* Boom der "New Economy": Es wurde mehr Hard- und Software verkauft, für die es eine (telefonische) Betreuung geben soll. In vielen Fällen existieren keine Fachläden mehr, zu denen mensch bei technischen Problemen hingehen könnte. Jetzt gibt es die "Supermarkt-PC's".
* Ausweitung der (regionalen) staatlichen Subventionen für "neue Arbeitsplätze": So gab es in der Anfangsphase einige "Skandale", da bis zu 50.000 DM pro neu geschaffener Arbeitsstelle kassiert wurden, die durchschnittliche Investitionssumme für einen Call Center-Arbeitsplatz aber bei 15.000 DM lag.
In vielen Bereichen hat somit eine technische Neuzusammensetzung stattgefunden: Vor allem im Bankbereich ermöglichte die neue Arbeitsorganisation "Call Center" die bisherige Position der Angestellten anzugreifen. Die Aufgaben einer "formal hochqualifizierten" Bankarbeiterin, die eine mehrjährige Ausbildung hinter sich hat, werden jetzt von Call Center-ArbeiterInnen nach zwei Tagen Anlernzeit erledigt, die dabei einer weitaus rigideren Kontrolle und Arbeitsdichte unterworfen sind und nur circa zwei Drittel des Lohns bekommen.
Konzentration
Call Center finden sich weltweit vor allem in Westeuropa, den USA und einigen Ländern Asiens. In den USA sollen mehrere Millionen in Call Centern arbeiten, in Britannien eine halbe Million, in Ländern wie Deutschland, Frankreich, Australien jeweils zwischen 150.000 und 250.000.[48] Dabei handelt es sich weitgehend um Schätzungen, weil Call Center keinen eigenen Sektor bilden und deswegen keine genauen Zahlen verfügbar sind.
In West-Europa waren bis Ende der Neunziger Britannien und Irland die Vorreiter in Sachen Call Center, was vor allem mit der sprachlichen Qualifikation der dortigen ArbeiterInnen zu tun hat: Viele multinationale Unternehmen siedelten dort ihre Call Center an, um auf Arbeitskräfte mit englischer Muttersprache backgreifen zu können.
Im Zuge der regionalen Konzentration von Call Centern bildete sich auch eine Art internationale Call Center Arbeitskraft heraus: zum Beispiel gehen ItalienerInnen erst nach Irland, um dort im Call Center zu jobben, und telefonieren später in niederländischen Call Centern. Wie groß diese Anzahl der WanderarbeiterInnen ist, lässt sich schwer sagen, eine Seltenheit sind sie nicht.[49]
Auch innerhalb eines Landes gibt es regionale Konzentrationen: in Deutschland zum Beispiel Bremen, Hamburg, Ruhrgebiet, Saarland, Mecklenburg-Vorpommern. In Britannien konzentrieren sie sich unter anderem in Schottland, Nordengland, Wales und London.
Es gibt verschiedene Gründe für eine regionale Konzentration von Call Centern:
* genug zur Verfügung stehende Arbeitskräfte (durch hohe Arbeitslosigkeit und/oder StudentInnen);
* Vorqualifikation dieser ArbeiterInnen durch vorherige Arbeit in Call Centern oder Schulung durch sogenannte Call Center-Akademien;
* Fördermittel und staatliche Subventionen für "strukturschwache Regionen" - damit zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen verbunden eine generelle Freigabe der Sonn- und Feiertagsarbeit in Call Centern ab Mai 1998;
* sonstige "technische" Zulieferung (Installation, Instandhaltung der technischen Anlagen) oder Nähe zu den "Kunden" (Medienunternehmen, Softwareindustrie).
Bevorzugte Orte für Ansiedlungen sind daher entweder Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit oder Universitätsstädte mit hohem Anteil an (mehrsprachigen) JobberInnen.
Auslagerungen
Ein Call Center ist mobiler als ein Stahl- oder Bergwerk. Erstens können Telefonanrufe ohne größere Probleme umgeleitet werden, das heißt, ein Anrufer merkt nicht unbedingt, ob er mit einem Engländer in Leeds oder Amsterdam redet. Zweitens ist eine Telefonanlage nicht so schwer und teuer wie ein Schmelzofen. Die Auslagerung funktioniert unterschiedlich:
* Alle Anrufe werden von externen Call Center-Dienstleistern beantwortet oder gemacht.
* Die einfachen Anrufe (Informationen...) werden extern erledigt, während zum Beispiel die Verkaufsgespräche oder After-Sale-Betreuung im internen Call Center gemacht werden.
* Für spezielle Verkaufsaktionen wird ein externes Call Center beauftragt, das besseres Know-how für diese Art Anrufe hat.
* Da das eigene Call Center zum Beispiel nur tagsüber in der Woche erreichbar ist, werden die Anrufe in der übrigen Zeit von einem externen Call Center bearbeitet.
* Wenn das eigene Call Center durch viele Anrufe belegt ist, werden die weiteren Anrufe - der overflow - statt in die Warteschleife an ein externes Call Center weitergeleitet.[50]
Alle diese Formen der Auslagerung können wir seit Jahren feststellen. Insbesondere wird das durch die steigenden und bereits relativ hohen Löhne in den inhouse-Call Centern wie in den regionalen Konzentrationen ausgelöst. Hier einige Beispiele:
* Mitte der neunziger Jahre verlagerte British Airways das Call Center von Süd-London nach Glasgow, wobei die Lohnunterschiede ausschlaggebend waren.
* Seit Ende der Neunziger hören wir von englischen und US-amerikanischen Firmen, die ihre Calls in Indien beantworten lassen, zum Beispiel GE Capital (Finanzen) oder American Express (Kreditkarten).[51]
* Im Jahr 2001 hat Atento (Telekommunikation) in Spanien, hervorgegangen aus der Telefonica (spanische Telekom) die Eröffnung von Call Centern in Marokko geplant, wo es scheinbar genug spanischsprachige Leute gibt.
* Ähnliche Tendenzen auch in Deutschland: Das Versandhaus Otto drohte im Jahr 2000, das Call Center in Essen nach Ostdeutschland zu verlagern, falls die ArbeiterInnen nicht auf 500 DM Lohn verzichteten.[52]
* Aus Ostdeutschland wiederum hören wir, dass sich Call Center an der Westgrenze Polens ansiedeln, wo viele Menschen Deutsch sprechen...
Nicht immer wird auf die regionale Verlagerung gesetzt. In manchen Fällen reicht den Kapitalisten auch die Auslagerung in externe Firmen. Hier ein Beispiel, das zeigt, wie die ArbeiterInnen gespalten und unter Druck gesetzt werden:
Hewlett Packard (Computer, Drucker...) hat eine Pyramide von firmeninternen und externen Call Center-Firmen aufgebaut, die benutzt wird, um - wie die Chefs sagen - die "Kosten niedrig zu halten". In einem zentralen europäischen Call Center in Amsterdam werden die Aufgaben eines Teils dieser Call Center koordiniert. Bestimmte Abteilungen werden inhouse gehalten, zum einen, um die Probleme und Rückfragen der Kunden mitzukriegen (Call Center sind auch eine Art Ohr, in dem die Firma mithört, was funktioniert, wo es Probleme gibt, was einem Produkt fehlt...). Zum andern werden die bevorzugten Kunden mit hohem Umsatz direkt betreut. Die anderen werden ausgelagert. In Amsterdam läuft das über die internationalen Call Center-Buden Sykes und Sitel, in Deutschland auch über Medion... Ebenfalls outsourced ist ein Teil der Kundenqualifizierung im ersten Level. Die Bedingungen in diesen Call Centern sind härter, die Kontrolle perfider. Die Erster-Level-Agents haben die Vorgabe, jeden Anruf unter neunzig Sekunden zu halten. Auch der Lohnunterschied zwischen den ArbeiterInnen inhouse und outsourced ist erheblich. Die ArbeiterInnen im HP-Call Center in Amsterdam verdienen etwa dreißig Prozent mehr als die von Sykes, die im Call Center eine Strasse weiter im Prinzip die gleiche Arbeit machen.
Ideologie
Es gab und gibt viel ideologisches Geschwaller rund um die Call Center. Anfang/Mitte der neunziger Jahre waren die VertreterInnen des Kapitalismus auf hektischer Suche nach neuen Legitimationsgründen für ihr System: Unternehmensberatungen, Universitäts- und Wirtschaftsinstitutionen, PolitikerInnen und Vertreter von Arbeitgeberorganisationen. Sie verpackten den Kapitalismus wieder mal als "Dienstleistungsgesellschaft" und betonten, wie sehr wir die Call Center als "neuen Service" brauchen. Dieser Mythos zerlegt sich, wenn ArbeiterInnen und "KundInnen" merken, dass der "Service" nicht aus einem neuen Bedürfnis entsteht, sondern weil nichts anderes übrig bleibt: Mit der Eröffnung des Call Centers schließt die Filiale. Mensch arbeitet neuerdings im Schichtdienst und kann nicht zu den "normalen" Öffnungszeiten Sachen erledigen, muss also die Bankgeschäfte nachts und telefonisch machen. Beim Kauf von technischen Geräten gibt es keine direkten Ansprechpartner in den Läden mehr, mensch muss also die Hotline anrufen. Die "Call Center-Agents" können aber oft auch nicht weiterhelfen, und sie selbst erleben die Arbeit oft als "Kundenabfertigen"...
Also mussten neue Mythen herhalten: New Economy, Informationsgesellschaft. Das Problem bei dieser New Economy war aber, dass sie sich zunächst auf einen exquisiten Teil des Arbeitsmarkts beschränkte: Programmierer, Kleinunternehmer...; wenig massentauglich. Call Center wurden dann als eine Art "New Economy für Ungelernte" verkauft: JedeR hat einen Computer; die Arbeit ist eigentlich gar keine, sondern Kommunikation mit anderen; das Ambiente ist modern und sauber; Call Center bringen neue Arbeitsplätze für rostige Schwermetallregionen und überlaufene Universitätsstädte. All das waren und sind nicht einfach leere Versprechungen, sondern mitunter handfeste Gründe, den Job als Friseuse zu schmeißen und sich was im Call Center zu suchen. Trotzdem tauchten schon in der Anfangsphase des Call Center-Booms die ersten Widersprüche auf, die dieses Bild der "leichten Tätigkeit" hinterfragen.
Call Center wurden mit "Legebatterien" und "Kommunikations-Fließbändern" verglichen. Diese Vergleiche stützen sich auf die Erfahrungen vieler ArbeiterInnen: laute Großraumbüros, Anrufakkord, Stress allgemein. Nachdem Fabriken out sind, werden Call Center zu neuen Spielwiesen alter Industriesoziologen und Arbeitsweltverbesserer. Papiere mit Titeln wie "Call Center: Organisatorische Grenzstelle zwischen Neotaylorismus und Kundenorientierung" entstehen. Hauptforderung dieser Kritiker ist die "Anreicherung" der Tätigkeit und Qualifizierung der Beschäftigten. Angesichts der Entstehungsgeschichte der Call Center und der Erfahrungen aus der Diskussion um Humanisierung der Arbeit und Gruppenarbeit in den Fabriken[53] nicht gerade einfallsreich... Bunte Schraubenzieher, neue Kaffeeautomaten, Flachbildschirme oder der Popanz mit der "Teamarbeit" ändern nichts an der grundlegenden Tendenz, unsere Arbeitskraft möglichst effizient auszubeuten.
4.3 Boom, Boom, Bang! Was macht die Krise?
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Anhaltspunkte
Es gibt noch kein genaueres Bild davon, wie sich die Krise auf die Call Center auswirkt. Wir stellen fest, dass die noch im Jahr 2000 lauthals angekündigten Wachstumsraten von jährlich 20 bis 25 Prozent Unternehmer-Geblubber waren. Wir hören vermehrt von Pleiten, Schließungen und Entlassungen, und das Angebot gerade für bessere Call Center-Jobs - zum Beispiel in einigen Banken, im technischen Support - hat in letzter Zeit abgenommen.
Hier ein paar Beispiele:[54]
* Ende November 2001 kündigte die Deutsche Bank 24 an, ihr Call Center in Duisburg-Rheinhausen zu schließen. Von der Schließung sind über zweihundert Leute durch Kündigung betroffen.[55]
* Ende März 2002 kündigt British Telecom die Entlassung von 2.200 Call Center-ArbeiterInnen an. 53 von 104 Call Center sollen in den nächsten zwei Jahren geschlossen werden.[56]
* Mitte April 2002 kündigt E-Plus die Auslagerungen seiner Call Center an, wovon 2.400 ArbeiterInnen in Deutschland betroffen sind. Entlassungen werden befürchtet.[57]
* Mitte Mai 2002 kündigt die Swisscom die Schließung von sechs Call Centern an. 250 ArbeiterInnen werden gekündigt. Bis 2004 sollen die übrigen elf Call Center auf zwei reduziert werden.[58]
* Mitte Mai 2002 kündigt die Comdirect Bank AG weiteren Stellenabbau an. Seit Ende 2001 wurden bereits zweihundert Stellen gestrichen, momentan sind rund dreihundert Leute auf Kurzarbeit.[59]
* Im Juli 2002 kündigt die Citibank die Schließung ihrer Call Center in Aachen und Nordhorn mit über achthundert ArbeiterInnen an. Lediglich zwei- bis dreihundert sollen im zentralisierten Call Center in Duisburg übernommen werden.
In der letzten Zeit konnten wir feststellen, dass auch die Jobsuche mit der Krise schwerer geworden ist. Bei den "guten" Jobs gibt es Gedränge und viele Unternehmen stellen jetzt eher über Zeitarbeitsfirmen ein.
Gründe für den Einbruch
finden sich hier:
* Auswirkungen der allgemeinen Krise, gerade im "New Economy"-Bereich: So hat zum Beispiel kurz nach der Bekanntgabe des Konkurses des Medienkonzerns von Kirch auch ein Call Center-Unternehmen, das in erster Linie für die Kirch-Gruppe telefonierte, die Pleite angekündigt. Ähnlich sieht es bei AOL und HP aus, die ebenfalls bei ihren Call Centern streichen. Die Unternehmen sparen dort ein, wo es sich am ehesten verschmerzen lässt, eben beim "Service". Hier zeigt sich, dass der Service-Schmuh in vielen Fällen nur ein Beiwerk zum Produkt ist.
* Konjunktureller Einbruch und "Reinigungsprozesse" durch verschärfte Konkurrenz: Dazu meinte zum Beispiel ein Geschäftsführer eines Call Center-Dienstleisters Anfang 2002:
Die Preise [für abgerechnete Info-Anrufe] sind bis zu vierzig Prozent gesunken. Die Call Center können bei Minutenpreisen von dreißig bis vierzig Cent für ein Servicegespräch mit Kunden kaum noch profitabel arbeiten. Er führt dies vor allem auf die Konkurrenz durch "Billiganbieter" aus dem Ausland zurück...[60]
* Entlassungen durch Freisetzung von Arbeitskraft aufgrund von neuen Technologien: In einigen Bereichen wurde in letzter Zeit mit Sprachcomputern und Internet-Kommunikation experimentiert. "Einfache" Tätigkeiten wie Bestellannahme oder Kontenstandansagen werden zum Teil schon mit diesen Technologien erledigt. Schon Ende 1999 gab es Stimmen aus dem Gewerkschaftslager, dass auf diese Weise in den kommenden Jahren Zehntausende "geringer qualifizierte" Jobs in Call Centern verloren gehen würden. Damit ginge es ihnen nicht anders, als den Damen von der Telefonvermittlung nach der Einführung der Relais oder den Großraum-Buchhaltern nach der Verbreitung der Computer...
Trends
Noch ist unklar, wie es mit den Call Centern weitergeht. Fast alle mittleren und großen Unternehmen in den kapitalistischen Metropolen haben bestimmte Aufgaben in interne oder externe Call Center verlagert. Zudem werden weitere Bürobereiche callcenterisiert, wie zum Beispiel Teile der öffentlichen Verwaltungen.[61] Denkbar ist hier eine breite Entwicklung in Richtung weiterer Arbeitsteilung: Ein Call Center nimmt alle direkten "Kunden-Kontakte" auf (front office), spezialisierte SachbearbeiterInnen analysieren und entscheiden (back office). Gleichzeitig werden weiterentwickelte Technologien eingesetzt, mit denen die Arbeit intensiviert wird: Software zur gleichzeitigen Bearbeitung von In- und Outbound-Calls, Integration unterschiedlicher Datenbanken, Standardisierung von Eingabemasken... Die Automatisierung bestimmter Arbeitsschritte - zum Beispiel die Qualifizierung von KundInnen - wird in bestimmten Bereichen zum Abbau von Jobs führen. Woanders führt die Verbindung unterschiedlicher Medien - Anrufe, Faxe, Emails... - zu neuen Arbeitsbelastungen. Die Taylorisierung der Kommunikation wird alle Bereiche der Büroarbeit betreffen.
Die konkrete Abpressung von Mehrarbeit im taylorisierten Büro wird unterschiedliche Arbeitsweisen hervorbringen: die "massenhafte" Annahme von Bestellungen, wie die "kreative" Kundenberatung oder die "intelligente" technische Problemlösung. Dabei werden auch weiter verschiedene Formen von Kooperation eine Rolle spielen, mit den anderen ArbeiterInnen im Call Center, telefonisch mit ArbeiterInnen außerhalb...
Die Bosse der Call Center werden auch weiterhin drauf angewiesen sein, immer neue ArbeiterInnen in die Call Center zu saugen:
* weil die Arbeit in vielen Call Centern über längere Zeit unerträglich ist;
* weil die meisten Call Center-ArbeiterInnen nach einigen Monaten genug Tricks gelernt haben, um langsam zu arbeiten, Pausen zu machen...
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