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Wenn die revolutionäre Bewegung schwach ist, dann nicht deshalb, weil eine politische Organisation, eine starke Gewerkschaft oder kommunistische Partei fehlt. Die Ursache der Schwäche liegt in den realen Bedingungen innerhalb der Ausbeutung. Wir müssen uns fragen, warum die Ausgebeuteten in der momentanen Situation keinen kämpferischen, befreienden Ausdruck ihrer produktiven Macht finden. [kolinko, Subversion des Alltags, Oktober 1999]
Warum eine genaue Untersuchung der Arbeits- und Ausbeutungsorganisation? Wie schon im Zitat angedeutet: Wir können die Krise der Bewegung vielleicht an irgendwelchen Statistiken zu Lohn- und Streikentwicklungen oder an Konfliktäußerungen ablesen, sie dadurch aber nicht erklären oder ihr entgegentreten. Uns geht es bei der Untersuchung darum, sowohl die Hintergründe der Krise zu kapieren, als auch die Ansätze für eine neue Bewegung zu finden: in den realen Bedingungen der Ausbeutung. Diese sind nicht auf "den Betrieb" reduziert, sie umfassen die allgemeine Organisation der Gesellschaft: die "Aufzucht" und Reproduktion der Arbeitskraft in den Haushalten, ihre "Missbildung" in Schulen und Universitäten, ihre Auspressung in den diversen Mühlen, ihre Korrekturen in Heimen und Knästen.
Der Produktionsprozess interessiert uns als Ort, wo Ausgebeutete aus verschiedenen Ecken zusammenkommen und - ob sie wollen oder nicht - miteinander klarkommen müssen. Wo sie dem Kapital oder Staat nicht nur als Opfer und Bittsteller gegenüberstehen, sondern den Reichtum dieser Gesellschaft produzieren und sie dadurch materiell verändern. Daher gilt unsere Aufmerksamkeit den bandscheibenfressenden Ernten auf Erdbeerfeldern, der Metallbude, dem Transport der Erzeugnisse und der "Dienstleistungshölle" Call Center. Hier geht es um die Frage, wie sich der Zwang zur Arbeit verändert und unter welchen Bedingungen wir unsere Arbeitskraft verkaufen müssen. Wie werden wir im Zusammenspiel von Maschinerie, Arbeitsteilung und damit verbundener Hierarchie tatsächlich ans Arbeiten gebracht?
Die Organisation der Ausbeutung ist Spiegel des aktuellen Kräfteverhältnisses und Grundlage für neue Kämpfe und ihrer möglichen Selbstorganisierung. Ausbeutung und Produktionsprozess begreifen wir nicht als "ökonomisches Problem". Es geht nicht nur um den Profit, den jemand aus unserer Arbeit zieht, sondern auch darum, dass das ausbeuterische Verhältnis unser ganzes Leben bestimmt. Es unterwirft unseren Lebensrhythmus den Schichtplänen, passt unsere Bewegungen den Anforderungen von Maschinen an und verändert unsere sozialen Beziehungen.
Bei der Untersuchung der Call Center haben wir einen Schwerpunkt auf den Arbeitsalltag gelegt. Der folgende Teil beruht auf unseren eigenen Erfahrungen und den Interviews mit anderen ArbeiterInnen.[62]
5.1 Agents - Woher kommen und was wollen sie?[63]
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Noch mal grob: In Call Centern arbeiten mehr Frauen als Männer, außer in einigen technischen Bereichen. Viele arbeiten Teilzeit, darunter viele Frauen, solche mit Kindern, StudentInnen, Azubis, SchülerInnen. Alle ArbeiterInnen müssen die jeweilige Landessprache sprechen. In den internationalen Call Centern in Dublin, Amsterdam, Paris, Milano werden zusätzlich noch andere Sprachen verlangt. Im Ruhrgebiet arbeiten in manchen Call Centern auch MigrantInnen aus der zweiten oder dritten Generation, die dann Anrufe in Deutsch und ihrer Muttersprache bearbeiten. Bei den Vollzeitjobs überwiegen Leute mit irgendeiner Ausbildung, oft im kaufmännischen Bereich, aus anderen Dienstleistungsjobs oder der Pflege, aber auch einzelne aus Industrie und Handwerk.
In einem Call Center haben wir im ersten Level eine auffallend hohe Anzahl Arzthelferinnen und Rechtsanwaltsgehilfinnen getroffen. Im Vergleich zu diesen Jobs wird der im Call Center besser entlohnt. Die Arbeitszeiten sind besser und als Call Center-ArbeiterIn bist du nicht nur mit zwei anderen Arzthelferinnen und dem Chef, sondern mit vielen anderen ArbeiterInnen zusammen. Im zweiten Level, der fast ausschließlich mit Männern besetzt ist, sind einige ehemalige Schlosser. Sie haben den Job im Call Center dem in der Werkstatt oder Fabrik vorgezogen, weil er sauber ist, sie bereits ihren Rücken ruiniert haben oder gar keinen gutbezahlten Schlosserjob mehr finden können. Einige erklärten, dass sie mit dem Wechsel ins Call Center ihr Hobby zum Beruf gemacht hätten.
Viele ArbeiterInnen kommen mit der Idee ins Call Center, dort einen ruhigen, sauberen Job zu haben, mit einem hippen Arbeitsklima und ein wenig Verantwortung. Sie wissen, dass sie mit Menschen zu tun haben, aber diese nicht angucken oder anfassen müssen. Für eine Weile mag man es dort aushalten. Hier Zitate von Call Center-ArbeiterInnen:
Es ist eine leichte Arbeit. Man muss nicht viel nachdenken, macht sich nicht dreckig, und muss nicht schuften, keine Steine rumtragen, oder so was. Und man kriegt Geld... Du kannst deine Arbeitszeiten ungefähr frei einteilen oder verschieben. Als Elektriker macht man halt mehr körperliche Arbeit. Man darf auch keine Fehler machen. Im Call Center macht man Fehler, kriegt aber nichts mehr davon mit, das hat nicht so große Auswirkungen. Mir macht die Arbeit als Elektriker aber mehr Spaß. [Duisburg, 2000]
Das ist viel weniger anstrengend, aber auch nerviger. Ich habe vorher gekellnert und das ist halt mit mehr Verantwortung und auch körperlich anstrengender. Aber es ist auch lustig im Call Center. Wir dürfen uns viel unterhalten. Aber ich glaube auch, dass es auf die Dauer ausbrennt. [Amsterdam, 2000]
Auf dem Bau kannst du einfach deine Arbeit machen, Steine schleppen, Kabel ziehen, ranklotzen, Pausen schinden usw. Irgendwie kriegst du den Tag rum, ohne Nachdenken über die Arbeit selber. Wenn es Stress gibt, kannst du wie alle Rumbrüllen, den Chef anmachen, einfach deine Meinung sagen, weil das alle so tun. Im Call Center ist das anders: Du musst ständig auf der Hut sein, weil das Kopfarbeit ist. Zwar kriegst du auch mal einen Rhythmus hin, aber dafür musst du auf stulle schalten und einfach nichts denken. Alle achten irgendwie auf den Umgangston. Das ist auch in anderen Büros so. [Oberhausen, 2002]
Ein Unterschied zur Fabrik ist zuallererst, dass die Arbeit nicht körperlich anstrengend ist. Im Call Center muss man nicht viel wissen oder viel können, im Unterschied zu irgendwelchen Stahlarbeitern. Wenn sie einen Fehler machen ist alles hin. [Duisburg, 2000]
In den Call Centern, in denen die Arbeitszeiten nicht so ausgefranst sind und sich die gleichen ArbeiterInnen öfter sehen, bilden sich Cliquen. Sie sind kulturell bestimmt und reichen oft in die "Freizeit" rein. So gibt es oft die Müttercliquen, die StudentInnen, die TürkInnen und andere Gruppen von ArbeiterInnen, die sich zusammentun. Sie spielen bei der Organisation der Arbeit eine große Rolle - und bei ihrer emotionalen Bewältigung.
Eines haben die ArbeiterInnen gemeinsam, unabhängig von Alter, Geschlecht und elterlicher Herkunft: Sie reden gerne. Die meisten sind offen, und es ist einfach in Kontakt zu kommen. JedeR hat eine Geschichte zu erzählen, und ist das Headset erstmal vom Kopf, geht es erst richtig los. Diese Gespräche - zwischen den Anrufen oder in den offiziellen Pausen - drehen sich um das ganze Leben, um die Gemein- und Schönheiten der Welt genauso wie um die Lebenspläne. Diese sind so unterschiedlich wie die ArbeiterInnen selbst. Von Beziehungsproblemen und -freuden ist die Rede, Lösungsvorschläge für Palästina werden gemacht, tagespolitische Querelen erörtert... und immer wieder die Arbeit, die Absurdität der Kundenfragen, die Tatsache, dass man die Arbeit viel besser machen könnte, wenn man sie selber organisierte, die Unverschämtheit der Vorgesetzten und dass die Arbeit eine Hölle ist und wie man ihr entfliehen kann. Dabei gibt es nicht viele Möglichkeiten, wenn man ein Haus abbezahlen muss und seinen Lebensstandard nicht verschlechtern will: Für einige Frauen, deren Ehe noch intakt ist, bietet sich das Kinderkriegen an.[64]
Vorhaben, wie große Reisen in ferne Länder, bleiben Wünsche, und radikale Träume von der Abschaffung der Arbeit werden nicht ernsthaft angegangen. Die meisten enttäuschten Illusionen enden dann im Krankenschein oder an der Jobbörse im Internet. Interessant ist, dass viele dann wieder einen Job im Call Center suchen. Vielleicht, weil es ein bekanntes Terrain ist?
Die durchschnittliche Betriebszugehörigkeit bei Arbeit am Telefon liegt niedrig, nach unseren Beobachtungen im Outbound bei einem halben Jahr, im Inbound zwischen einem und zwei Jahren. Dann ist entweder der Burn-out erreicht oder einfach alles unerträglich geworden.
5.2 Einstellung - Assessment Center
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Bevor man sich ausbrennen lassen kann, muss man eingestellt werden. In den Call Center-Stellenanzeigen klingen die Jobs akzeptabel. Da wird nach der Qualifikation des "Lächelns am Telefon" gefragt. Natürlich kann jeder am Telefon lächeln, das ist ja nicht so schwierig. Aber wer hätte gedacht, dass damit gemeint ist, dass man während des Lächelns auch noch reden soll und das den ganzen Tag? Dann wird noch nach Stressresistenz gefragt. Man wundert sich kurz, vergisst das und bewirbt sich. Das Management ist sich dieses Widerspruchs zwischen Lächeln und Stress bewusst und gestaltet oft schon die Einstellungsprozedur entsprechend: das Assessment Center.[65] Hier Beispiele aus Bank-Call Centern:
Der Herr im Nadelstreifenanzug fragt die BewerberInnen, die um das Tische-U sitzen: Er fragt den Philosophiestudenten, warum er nicht Theologie studiert habe, er war doch acht Jahre auf einer Klosterschule. Die Abiturientin, die in ein paar Monaten ein Betriebswirtschaftsstudium beginnt, verkauft jetzt schon nebenher Brötchen. Sie wird von dem Herrn im Nadelstreifenanzug gefragt, ob sie denn auch Brötchen von gestern für welche von heute verkaufen kann. Die Frau mit IHK-Abschluß Call Center Agent hat ein Kind. Ob sie sich vorstellen könne, einen viel jüngeren Vorgesetzten zu haben, wird sie von dem Herrn im Nadelstreifen gefragt. Die ehemalige Flugbegleiterin muss auf Fragen über Stressresistenz antworten. Der junge Mann in blauen Anzug hat eine Banklehre hinter sich, er hält viel auf sein Äußeres. Der Herr im Nadelstreifenanzug fragt ihn, was er an einer Bank denn so toll findet.
Im Raum sitzen elf Leute, die sich auf eine Stelle in einem Banken Call Center beworben haben. Vor ihnen stehen drei Chefs in Anzügen, der Herr im Nadelstreifenanzug, Call Center-Leiter, die Dame im Kostüm, Leiterin der Personalabteilung, der legere Herr, Teamleiter. Sie spielen ihre Rolle erwartungsgemäß flüssig. Der Herr im Nadelstreifenanzug stellt die Fragen. Die Dame im Kostüm, dank ihrer entspannten Weiblichkeit, beruhigt, vermittelt und erzählt sogar, dass sie gerne Aerobic macht. Der Teamleiter hält sich zurück.
Ein paar der BewerberInnen springen schwanzwedelnd vor und machen Männchen, die meisten antworten nur auf die Fragen, die sie gestellt bekommen. Mir ist unglaublich kalt. Ich versuche die Aussicht, die man hier aus dem 17. Stock des Bankhochhauses hat, zu genießen. Von den Antworten, welche die BewerberInnen geben, will ich gar nichts wissen. Ich will nicht hören, wie sich einzelne verzetteln, im Versuch eine gute Figur abzugeben. Die kleine Blonde da vorne geht mir schon die ganze Zeit auf die Nerven. Wie kann man sich so erniedrigen? Am liebsten würde ich ihr eine reinhauen. Einige sind kreidebleich und selbst die Coolen fühlen sich unwohl. Warum stehe ich nicht einfach auf und gehe.
"Sie Wichser, was ist das überhaupt für eine Scheiße hier!", denke ich, sage aber: "Nein, natürlich habe ich mir überlegt, warum ich in einem Banken Call Center arbeiten möchte..." Meine Lügengeschichte ist so lückenlos und so perfekt, dass der Herr im Nadelstreifenanzug keine Chance hat, einzuhaken und mich fertig zu machen.
Nachdem jedeR den eigenen Lebenslauf erzählt und fünf bis zehn Fragen beantwortet hat, gestatten die Gutgekleideten eine Pause. Inzwischen sind wir schon fünf Stunden hier. Aus einem Topfit-Automaten können wir uns schlechtesten Kaffee ziehen und den dann im Call Center verschütten. Sechs ArbeiterInnen sitzen an Tischen und telefonieren, der Raum ist sehr groß, aber ohne Fenster. In einem Hotel wäre das der Lagerraum für Putzmittel und Bettwäsche. Hellgrauer Teppich, hellgraue "Call-Inseln" und Neonlicht.
Nach der Pause legen die drei sich noch mal richtig ins Zeug und stellen ihre Jobangebote vor. Wir dürfen nun wählen, ob wir In- oder Outbound machen wollen. Will eigentlich noch irgendjemand? Danach werden wir zu Einzelgesprächen aufgerufen: Der Philosophiestudent hat leider versagt. Er hat nicht den passenden Eindruck hinterlassen, während er ausführte, warum er Philosophie studiert und nicht konsequenterweise Theologie. Außerdem fehlt ihm sowieso der Bankenesprit. Die Abiturientin hat es geschafft. Wer Brötchen von gestern für welche von heute verkauft, verkauft auch unsinnige Kredite. Mütter mit Kindern sind per se raus. Und ein gelernter "Banker" entlarvt den Job zu schnell und stellt Anforderungen, raus. Auf dem Weg nach draußen begegnet mir noch die sympathische Ex-Flugbegleiterin. Sie erzählt mir, dass sie den Job so satt hatte, weil sie nicht mehr automatisch lächeln könne. Aber hier habe es auch nicht geklappt. Man sagte ihr, sie habe nicht genügend "Herzenswärme" ausgestrahlt. [Essen, 2000]
Personaltante und Teamleiter und Getränke. Absoluter Horror. Spielen das Spiel "guter Bulle, böser Bulle". Der Böse ist natürlich mein potentieller Vorgesetzter. Ich verkack direkt am Anfang, weil ich gar nicht weiß, für welche Stelle ich mich eigentlich beworben hab. Der Böse macht mir den Job dann auch direkt mies, weil der ja so verdammt hart ist, und ich nach Feierabend auf'm Zahnfleisch gehen werde. Dass er ausflippt, falls ich zu spät komme, dass der Teufel los ist, wenn ich meinen Arbeitsplatz nicht aufräume. Aye aye, Sir! Ich lächle nur noch nett und denke, mein Gott, was regt der sich jetzt schon so auf. Ich hab den Job doch noch gar nicht und weiß auch gar nicht, ob ich ihn überhaupt will. Und schon hab ich ihn... [Duisburg, 2000]
Bei der Bank haben sie einen Riesenaufriss mit einem Assessment Center gemacht. Für 100 Jobs wurden 300 Leute eingeladen, jeweils in Gruppen von etwa 15. Die mussten dann einen ganzen Tag (acht Stunden) mehrere "Prüfungen" bestehen, wobei diese entweder von den vier LeiterInnen (zwei von einer Personaldienstleistungsfirma mit Psycho-Hintergrund, einer aus der Personalabteilung und eine Teamleiterin) oder - bei den schriftlichen Test - per Computer beurteilt wurden. Dabei gab's so spaßige Sachen wie
- ein Gruppengespräch mit vorgegebenem Thema, bei dem vier Beobachter beurteilten, wie mensch sich dort verhält (laut, schüchtern, regelnd, passiv...);
- ein Intelligenztest (der nicht so hieß), bei dem mensch auf einem Bogen Fragen beantworten, Wörter zuordnen und Figuren erkennen musste;
- ein Testgespräch, wo der Personalchef hinter einer Trennwand als nörgelnder Kunde rummacht und darauf geachtet wird, wie du reagierst und ob du alle wichtigen Fragen stellst, die dir vorher auf einem Zettel kurz erklärt wurden.
- ein Fragebogen mit 400 Fragen, wo jeder mögliche Schwachsinn auftauchte ("Mögen Sie dicke Frauen"...) und der darauf angelegt war, deine "Persönlichkeit" zu testen (lügst du etwa; bist du konservativ...).
- ein Einzelgespräch, bei dem nach deiner Motivation für die Bewerbung gefragt wurde.
Dazu kamen noch Firmenpräsentationen usw.
Am Ende haben sie dir dann in einem weiteren Einzelgespräch bekannt gegeben, was für eine "Persönlichkeit" du hast. Der Computer lag meist völlig daneben, aber darum ging es ja auch nicht. Offensichtlich wollten die testen, ob du den Schwachsinn mitmachst, ohne auszurasten oder abzuschalten.
Für einen miesen Telefonjob, bei dem du Kontenstände ansagen, Überweisungen annehmen und Infos rausgeben sollst, war das der absolute Witz. Mir fiel aber ein, dass Johnson Controls für einen Fabrikjob (Sitze-Fertigung) ähnlichen Aufwand betrieben hatte... [Duisburg, 2000]
5.3 Qualifikation - Wer kann's noch nicht, wer hat schon mal?
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Schulung
Wie bei jeder Einführung einer neuen Arbeitsorganisation hatten (und haben) die Vertreter des Kapitals auch während der Anfangsphase der Call Center das Problem, dass sie selbst nicht wussten, wie der Laden ohne größere Probleme ans Laufen zu kriegen wäre.
Gerade in solchen Phasen müssen sie experimentieren und sich die Kenntnisse der ArbeiterInnen aneignen, welche diese sich im täglichen Arbeitsablauf erworben haben. Um ihre Abhängigkeit an diesem Punkt zu verschleiern, stellen die Kapitalisten die Arbeit als "unqualifiziert" da und versuchen, den Eindruck zu erwecken, dass sie bereits eine voll funktionsfähige Arbeitsorganisation am Start haben. Bei der Darstellung der Call Center-Arbeit als "unqualifiziert" helfen ihnen (auf mehr oder weniger bewusste Weise) viele linke oder gewerkschaftliche KritikerInnen des "Telefon-Taylorismus", die ebenfalls betonen, dass die ArbeiterInnen ja eigentlich nur Anhängsel des Call Masters seien. Beim näheren Hinsehen stellt sich aber heraus, dass die ArbeiterInnen bereits viele Qualifikationen mitbringen und sich im Laufe der Arbeit selbst weiter "qualifizieren", und zwar nicht in den offiziellen Schulungen, sondern durch die Erfahrungen und deren Austausch im Arbeitsprozess.
Alle ArbeiterInnen, die diesen Job anfangen, können Dinge, die vom Management einfach vorausgesetzt werden: die jeweilige Verkehrssprache, Kommunikationsfähigkeiten, Erfahrung im Umgang mit Tastatur und Maus. Trotzdem: An jedem Eingang der "Dienstleistungshölle" steht die Schulung. Die kann zwischen zwei Tagen und sechs Wochen dauern. Geschult wird die interne Software zur Kundenverwaltung, die Produkte. Manchmal gibt es ein Kommunikationstraining. Die Schulungen sind alle auf training-on-the-job ausgelegt, das heißt die meisten Sachen werden später bei der Arbeit "gelernt". Bei der Schulung geht es mehr darum, von allem schon mal was gehört, als alles verstanden zu haben oder sich wirklich auszukennen. Oft dienen die Schulungen auch nur zur Motivation, sprich: Gehirnwäsche zur Identifizierung mit dem Betrieb und dem Produkt. Und was so adrett als Kommunikationsschulung daher kommt, entlarvt sich oft als Vorgabe der Standardformulierungen. Hier einige Eindrücke:
Natürlich war es notwendig, das hausinterne Programm mit den Masken zu lernen. Danach haben sie dich zu einer Kollegin gesetzt, zum Mithören, die hat mich dann wirklich geschult. Aber die wichtigsten Qualifikationen: Kommunikationstechniken und die Abläufe im Betrieb lernst du erst mit der Zeit. [Medion, Mülheim, 2000]
Andere Schulungen wie Sprachtraining, Kommunikationstraining, wie man mit Leuten umgeht, Höflichkeitsregeln musst du alles selber entwickeln oder am Besten mitbringen. Es zeigt dir auf jeden Fall keiner. Du machst das halt irgendwie. [Client Logic, Duisburg, 2000]
Als wir endlich anfingen, die Börsensoftware zu bedienen, Order anzunehmen und an der Börse zu platzieren, haben wir keine erneute Schulung bekommen. Die es am ehesten gecheckt hatten, haben es an die anderen weitergegeben. Trotzdem ist in den ersten Tagen vieles schiefgelaufen. Nach einigen Tagen hieß es dann von den Teamleitern, es gäbe jetzt auch keine weitere Schulung mehr dazu, weil wir das ja nun selber gelernt hätten und das Wissen denjenigen, die das noch nicht mitgekriegt hätten, weitergeben könnten. [Deutsche Bank 24, Duisburg, 2000]
Wir genossen zu Beginn eine Schulung, die vier Tage dauerte. Die ersten beiden Tage bestanden aus einer Art Gehirnwäsche. "Die Citibank ist deine Familie, arbeitet im Team, damit ihr auch im Leben weiterkommt"... Der Grund ist wohl der, dass sich die Leute durch die langweilige Arbeit nicht abschrecken lassen sollen. (...) Viele haben sich durch das Gelaber begeistern lassen und waren dementsprechend enttäuscht, als sie merkten, dass arbeiten immer noch arbeiten bedeutet (...) Alle erwarten von dir, dass du die Citibank mit Leib und Seele vertrittst. [Citibank, Duisburg, 2000]
Da saßen wir nun. Zehn Leute, alle froh, zwei Tage nicht telefonieren zu müssen. Zwei Tage Kommunikationsschulung. Die Lehrerin hatte alle Standards drauf. Die Schulung sollte interaktiv laufen. Wir sollten uns einbringen, gestalten, fragen, mitmachen. Erstmal waren wir aufgefordert, alles vorzubringen, was wir in der Schulung lernen wollten: Kunden verstehen, zuhören, besser ausdrücken, mit Stress umgehen... Die Lehrerin schrieb die Vorschläge auf große Papierbögen. Was fehlte, ergänzte sie, was nicht reinpasste, strich sie durch. So hat sie das zwei Tage lang gemacht.
Danach hat sie den Ablauf der zwei Tage vorgestellt: Begrüßung lernen, Eingehen auf den Kunden, Dialogtechnik, Gesprächsführung, Verabschiedung. Wir durften nun einen Filmausschnitt mit Robert Redford ("Ist doch ein toller Mann, nicht?!") anschauen. So eine Szene, wo er in ein Bürohaus geht und da liegen nur Tote rum. Er rennt raus und ruft über eine Telefonzelle irgendeine Notstelle an. Der Kerl dort nimmt den Anruf an und stellt kurze, präzise Fragen, um schnell rauszukriegen, was passiert ist. Hier hat die Lehrerin den Film gestoppt. Alle waren unruhig. Wäre schön gewesen, den weiter anzuschauen... "Also, was ist euch hier aufgefallen?" Wir strampelten uns wieder ab, sie schrieb alles auf eins der großen Bögen. Zu "unfreundlich", zu "knapp", aber "präzise"... Das alles als Vorbereitung für die erste Grafik: "Es gibt vier Arten von Personen und ihrer Art des Telefonservice." Freezer sind unfreundlich und wenig effizient, Friendly Zoo sind freundlich aber wenig effizient, Factory sind unfreundlich und effizient, Quality Member Service ist freundlich und effizient. "Und wie schätzt ihr euch ein?" Wir mussten dann mit unseren Nachbarn Telefongespräche simulieren und auf Tonband aufnehmen. Die hörten wir danach an und der Nachbar sollte uns kritisieren. Die Kritik wurde dann mit allen diskutiert. Langsam wurde es öde. Die erste Pause rettete uns.
In dem Stil ging es weiter. Wir sollten in zwei Gruppen alles aufschreiben, was mensch beim Telefonieren nicht machen soll. "Schlafen", "Essen", "mit Kolleginnen quatschen"... Hier waren wir sehr kreativ und fanden fünfzig Sachen. Die Lehrerin murmelte was von "subversiv", wir hatten etwas Spaß. Zwischendurch gab es Belohnungsmarken, die auf den von der Firma gespendeten Hefter geklebt wurden, wenn jemand was Schlaues gesagt hatte oder die eigene Gruppe irgendeinen Wettbewerb gewonnen hatte ("Wer weiß mehr Unworte, die wir beim Telefonieren nie sagen sollten? Schreibt die doch alle mal ganz spontan so auf einen Bogen!"). Klar, irgendwann kam die Liste mit den Sachen, die mensch machen soll, wenn er mit Kunden telefoniert: "Lächeln", "Zuhören", "Ausreden lassen"... Wir kannten den Kram schon. Für einige war es nicht die erste Schulung. Dann eine Grafik zum "Denken" und "Fühlen" und wie wichtig doch der "nonverbale" Eindruck für die Kommunikation ist, später "offene" und "geschlossene" Fragen, Feedback-Techniken, "aktives Zuhören", Problemlösung... es ging quer durch.
Einmal sind wir raus in den Hof und haben so eine Art "Reise nach Jerusalem" gespielt. Alle laufen durch die Gegend und müssen sich auf Zuruf der Lehrerin in Zweier- oder Dreiergruppen anfassen. Eine Person bleibt immer übrig und scheidet aus. Am Ende bleiben zwei über. Die Sieger. Sehr lustig. Manchmal war es wie Kindergeburtstag, manchmal wie Schule kurz vor Ende der vierten Stunde: Alle sind schlapp, aber du musst noch so lange da sitzen. Das alles hatte mit dem täglichen Telefonieren wenig zu tun. Darum ging es auch gar nicht. War mehr so eine Art Motivationstraining. Zwischendurch haben sich einige Luft gemacht: "Wir haben andere Probleme. Die Software ist scheiße. Wir können oft nichts nachschauen. Die Leute am Telefon sind genervt, weil sie keine Infos kriegen...". Die Lehrerin zeigte sich betroffen, aber zog ihren Stoff durch. Natürlich immer freundlich und interaktiv. Nachher hat sie die Beschwerden dann an eine der TeamleiterInnen weitergetragen... [Fiat, Milano, 2002]
Zertifikate
Wie vieles im Kapitalismus ist auch diese Strategie des Kapitals widersprüchlich: Die Behauptung, die ArbeiterInnen seien "unqualifiziert", hatte zur Folge, dass sich diese noch weniger mit ihrer Arbeit identifizierten.[66] Call Center-Vertreter klagten seit langem über die zu hohe Fluktuation der ArbeiterInnen und führten dies auf mangelnde "berufliche Perspektiven" zurück.[67] An diesem Punkt setzte das übliche Gelaber über zu schaffende "Berufsbilder" und formale Qualifikationen ein. Auch hier war und ist die Gewerkschaft direkt mit dabei und forderte, dass es auch im Call Center "vernünftige Berufe" geben sollte: "Qualifiziert die ArbeiterInnen! Manager nutzt die Kreativität dieser Geschöpfe für euren Erfolg. Arbeiter ihr seid schlau, ihr habt was Besseres verdient."
So saßen sie zusammen - Gewerkschaftsvertreter, Industrie- und Handelskammer und Arbeits-ämter - und kreierten einen Beruf: Call Center-Agent. In dieser Phase entstanden viele Call Center Akademien. Für einen zwei- bis zwölfmonatigen Kurs gibt es ein Zertifikat. Für die Unternehmer hat das Vorteile: Sie wissen bereits bei der Einstellung, dass die Person mit dem Zertifikat immerhin für einen gewissen Zeitraum regelmäßig irgendwo erschienen ist und schon mal eine Tastatur und ein Headset gesehen hat. Außerdem, und das ist wohl das entscheidende, kann mit der Verbreitung dieser formalen Qualifikation eine Hierarchisierung des Arbeitsmarktes durchgedrückt werden: Call Center-ArbeiterInnen sollen in qualifiziert und unqualifiziert gespalten werden, mit den dazugehörenden Unterschieden in Sachen Arbeitsbedingungen, vor allem Lohn. Diese Tendenz hat sich aber noch nicht durchgesetzt, auch wenn bei Einstellungsgesprächen immer öfter nach diesen "Zertifikaten" gefragt wird.
Die ArbeiterInnen, die solche Kurse machen, versprechen sich teils eine bessere Stelle, teils sehen sie das als kurzweilige Alternative zum lästigen Telefonierjob, wenn der Betrieb solche Maßnahmen finanziert.[68] Hier aus einem Interview mit einer Teilnehmerin einer IHK-Zertifikatschulung für "Call Center Agents":
* Was war das für eine Schulung?
Es gibt einen Kurs, der vom Arbeitsamt gefördert wird und einen von der Europäischen Union, bei dem Leute teilnehmen, die Sozi beziehen oder sonst keine Förderung vom Arbeitsamt bekommen. Insgesamt so zweimal dreißig Leute auf Vollzeit plus zwei Teilzeit-Kurse. Der Vollzeit-Kurs dauerte drei Monate. Der Abschluss des Kurses ist ein IHK-Zertifikat.
* Wie sind die Leute aus deinem Kurs dahin gekommen?
Über den Kurs vom Arbeitsamt kann ich nicht viel sagen. Einige sind bestimmt vom Arbeitsamt da hingeschickt worden. Bei uns waren es vor allem Frauen ab dreißig, die wieder in den Job zurück wollten. Viele waren vorher Einzelhandelskauffrauen oder haben andere kaufmännische Ausbildungen. Die andere Gruppe sind Jüngere ohne Ausbildung. Drei von den dreißig haben vorher schon mal in einem Call Center gearbeitet, war aber schon lange her. Insgesamt ist circa ein Drittel wieder abgehauen, ohne die Prüfung zu machen.
* Wie sah der Kurs aus, was wurde da gelehrt?
Prüfungsfächer waren EDV, Kommunikationstraining, Kaufmännische Grundlagen, "Was ist ein Call Center?", Dienstleistungen und "Training on the job". Und dann gab es noch so Fächer wie Stress- und Motivationstraining. Beim "Training on the job" haben viele dann gemerkt, dass der Job nichts für sie ist, jedenfalls kein Outbound. Ansonsten meinten die meisten, dass man im Kurs nichts Vernünftiges lernt. Vielleicht ein bisschen EDV für Leute, die noch nie am Computer gesessen haben. Bei den kaufmännischen Grundlagen wollten sie dir nur verklickern, was eine AG und eine KG ist. Keine Ahnung, was man damit anfangen soll. Beim Dienstleistungsunterricht lernst du halt all die Sprüche, die sie bei Vorstellungsgesprächen hören wollen: "Ich will dem Kunden blablabla". Aber beim Job kannst du das auch haken.
* Was haben euch die von der Kursleitung denn versprochen?
In erster Linie, dass man mit dem Papier einen Job kriegt, 70 Prozent Anstellungen in Banken.
* Wo habt ihre die Praktika gemacht?
Na ja, ein richtiges Praktikum machst du nur bei der sechsmonatigen Schulung. Da arbeitest du einen Monat in einem anderen Unternehmen. Wir haben nur eine Woche in der Call Center-Akademie telefoniert. Alle möglichen Unternehmen bieten sich an, PraktikantInnen zu nehmen und stellen sich auch bei der Akademie vor, wenn sie Leute suchen.
* Worin besteht der Unterschied zur sechsmonatigen Schulung?
Die drei Monate sind für den normalen Call Center-Agent. Nach sechs Monaten bist du "Call Center-Agent-Spezialist". Keine Ahnung, was daran dann so speziell ist.
* Suchen die Unternehmen eher nach Leuten mit Zertifikat?
Klar, die sparen sich schon etwas Vorschulung damit und können anhand der Noten auch ein bisschen aussieben. Wenn du ein gutes Arbeitszeugnis von einem anderen Call Center hast, zählt das wahrscheinlich genauso viel. Ich habe in anderen Call Centern noch nicht viele getroffen, die ein Zertifikat haben. Abgesehen von einem Vorstellungsgespräch in Bochum, da hatten alle fünf eins. [Duisburg, 2001]
5.4 Arbeitsschritte - Eingeloggt und aus der Traum
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Wir halten die Analyse der Arbeitsschritte und der Kooperation schon aus historischen Gründen für wichtig: Die Arbeitsweise im Call Center ist kein Zufall oder Produkt eines Master-Plans, sondern ist Resultat von Klassenauseinandersetzungen der letzten Jahrzehnte und hat mit dem ArbeiterInnenverhalten zu tun. Am Beispiel der Banken lässt sich erkennen, dass es bei diesem Wandel um die Frage geht, wie ein bestimmtes Verhalten oder eine bestimmte Position von ArbeiterInnen gebrochen werden kann, um die Ausbeutung zu intensivieren.
Die Ausbildung einer oder eines Bankangestellten nimmt viel Zeit in Anspruch,[69] und auch die Erwartungen der BankarbeiterIn steigen mit der Qualifizierung. Die Löhne im Banksektor waren und sind vergleichsweise hoch, und die ArbeiterInnen konnten aufgrund ihrer zahlreichen Tätigkeiten den Arbeitsprozess stärker kontrollieren. Frühere Versuche, die Ausbeutung durch einen Angriff auf die Löhne, durch neue Formen der Arbeitsteilung und höhere Anforderungen zu verschärfen, gingen den Kapitalisten nicht weit genug oder schlugen fehl, nicht zuletzt durch eine Reihe von Streiks in Italien, Deutschland und anderen Ländern Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre.
Die Position der Bank-ArbeiterInnen konnte nur durch eine neue Arbeitsorganisation gebrochen werden, die auch Schluss mit der "Bastion" der ArbeiterInnen machen sollte: der Filiale. Im Call Center wurden die Aufgaben einer Bankangestellten auf mehrere Call Center-ArbeiterInnen verteilt. Diese können so innerhalb von ein bis zwei Wochen angelernt werden, weil ihr jeweiliger Arbeitsschritt einfach und kurz ist. Das erleichtert den Unternehmern auch, die Arbeitsintensität (auch durch Einsatz von neuen Technologien) zu verschärfen, bis zu dem Punkt, dass die einzelne ArbeiterIn Hunderte von Kontoständen am Tag ansagt.
Call Center spiegeln also die Tendenz des Kapitals wider, die Arbeit zur Herstellung eines bestimmten Produkts unter dem Druck des ArbeiterInnenverhaltens in kleinere Segmente zu teilen und diese auf mehr ArbeiterInnen zu streuen. Diese konkreten Arbeitsschritte werden dann zu einem neuen Kampfterrain. Hier zwei Berichte aus dem Arbeitsalltag in Bank-Call Centern:
Ich sage den Leuten am Telefon ihren Kontenstand an, führe Überweisungen und Daueraufträge aus und, wenn sie wollen, sage ich ihnen ihre Kontenbewegungen der letzten 90 Tage an und bestelle ihnen Schecks. Für manche Arbeiten muss ich KundInnen auch in andere Abteilungen oder ins Call Center nach Aachen durchstellen. In meiner Abteilung machen noch 150 andere Agents die selbe Arbeit, 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche. Ich krieg die Calls direkt auf das Ohr, das heißt ich höre nur ein Piepsen und weiß, dass der nächste Kunde dran ist. Das ganze passiert so um die zweihundert Mal am Tag, manchmal kriege ich aber auch mehr als vierhundert AnruferInnen rein. Der Computer zählt, wie lange ich Pause mache, wann ich anfange und aufhöre, wie lang meine durchschnittliche Anrufdauer ist.
Ich habe vorher noch nie im Bankgewerbe gearbeitet, muss man für diesen Job auch nicht gemacht haben. Bei den Einstellungsgesprächen wollen sie in erster Linie, dass du kommunikativ, offen und servicebereit rüberkommst. Wir hatten dann vier Tage Schulungen, wobei sich die ersten zwei Tage nur um das Unternehmen drehte und wie toll es sei. Die nächsten beiden Tage bestanden aus einer Produktschulung rund ums Girokonto, Datenschutz in der Bank usw. Nach dieser 'Schulung' haben wir uns noch zwei Tage neben erfahrene Agents gesetzt, die uns die Computermaske erklärten, dann ging's los... [Citibank, Duisburg, 2000]
Ich arbeite mit etwa 100 Agents im Inbound-Bereich, in dem Anrufe von Kunden eingehen, die Überweisungen machen oder Börsenorder erteilen wollen. Sachen wie Wertpapiergeschäfte, Kreditbearbeitung, Kundenstammdaten oder Online-Probleme stellen wir zu anderen Abteilungen durch. Im Call Center selbst gibt es noch 200 Outbound-ArbeiterInnen, die KundInnen irgendwelche zusätzlichen Bank-Produkte andrehen wollen. Bei den Einstellungstests ging es darum, wie du reden kannst, es gab Intelligenz- und Konzentrationstests. Fachwissen hat keine Rolle gespielt. Bei der Arbeit geht's dann so ab:
Die Calls landen auf deinem Headset. Dann schaust du auf dein Display, um zu sehen, was das für ein Anrufer ist: Kunde oder Interessent (die haben unterschiedliche Telefonnummern. Dann bringst du deinen Begrüßungsspruch. Da normalerweise die Kundenanrufe erst im Sprachcomputer landen, wo die Kunden sich über ihre Konto- und Geheimnummer legitimieren, bekommst du automatisch ihre vom Computer rausgesuchten Kundendaten auf den Bildschirm. Du hörst dir an, was die Kunden wollen, machst die Überweisung, Börsenorder, schickst denen Informationen, nimmst Daten auf oder eine Reklamation. Während des Gesprächs drückst du auf den Nacharbeit-Knopf, damit nicht bei Auflegen des Kunden gleich der nächste Anruf kommt. Dann hast du Zeit, noch Sachen zu verschicken, Kommentare für andere Abteilungen zu schreiben etc. Wenn dann ein Call nach dem anderen kommt, ist das wirklich wie am Fließband. Die Leute sind dir scheiß egal, du erledigst das wie eine Maschine... [Deutsche Bank 24, Duisburg, 2000]
Alltag - Die Arbeit
Die Vorstellungen über die Arbeit in Call Centern sind sehr unterschiedlich. Sie reichen vom "selbstbestimmten arbeiten", bis zur linken Vorstellung der Dienstleistungshölle, in der die hundertprozentige Überwachung durchgesetzt ist und die ArbeiterInnen zu Sklaven der affektierten Freundlichkeit erniedrigt sind. Beide Vorstellungen sind nicht völlig falsch. Aber um zu verstehen, wovon wir in den theoretischen Ausführungen sprechen, wollen wir zuerst den Arbeitsalltag beschreiben. Was machen Call Center-ArbeiterInnen?
Ankommen
Im Personalprogramm einloggen
Computer hoch fahren, am Programm anmelden
Intranet hochfahren, News begutachten, eventuell Mails lesen
Am Telefon anmelden
Headset einstöpseln
Telefon auf "bereit" stellen und loslegen
Mit Kunden reden, mit Vorgesetzten reden, mit KollegInnen reden,
Dateneinträge machen, Mails verschicken, Formulare ausfüllen,
Pause machen, Kaffee trinken, chatten, flirten, lügen, Magazine lesen,
sich Infos besorgen, streiten, langweilen
Headset ausstöpseln
Am Telefon abmelden
Am Softwareprogramm abmelden
Computer runterfahren
Im Personalprogramm abmelden
Abhauen
Das ist eine allgemeine Kurzfassung der täglichen Arbeitsschritte. Hier vier Beispiele, an denen das konkreter wird:
Inbound, erster Level Computerhotline
Es ist Montag, wir haben Frühschicht. Bevor ich einen Handschlag tue, muss ich mich erstmal am Personalprogramm einloggen. Dass mache ich am Rechner vom Teamleiter. So, ab jetzt bekomme ich alles bezahlt, was ich tue. Das ist ja wenigstens etwas. Ich gehe zu "meinem" Platz und mache den Computer an, gebe ihm mein Password und melde mich am Telefon an. Auch das verlangt nach einem Password. Der Computer ist inzwischen hochgefahren, ich melde mich also auch noch am Programm an. So können die sehen wer, wann, was in Kundendatensätzen vermerkt hat. Ich wundere mich, dass ich diese ganzen Passwords nicht durcheinander schmeiß. Ist mir noch nie passiert. Wahrscheinlich haben sie sich längst in mein Hirn eingebrannt und ich kann sie nie mehr löschen.
Ich habe ein paar Voicemails, die höre ich ab, vielleicht ist ja was Privates dabei. Man hat ja Träume. Es ist kurz nach sieben und ich werde hier irgendwie bis 15 Uhr ausharren. Das habe ich schon ein paar mal geschafft und dann werde ich es auch heute hinkriegen, obwohl ich weiß, dass ich zwischendrin öfter mal zweifeln werde. Ich habe 72 Minuten Pause, wobei eine halbe Stunde festgelegt ist und ich mir die andere Zeit auswählen kann. Glücklicherweise rufen so früh am morgen nicht so viele Kunden an. Ich würde sterben, wenn ich jetzt einen von diesen gutgelaunten Spaßvögeln hätte. Weil also noch nicht so viel los ist, der Teamleiter selber noch im Pausenraum rumhängt, gehe ich erstmal Kaffee holen, ohne mich am Telefon abzumelden. Wenn ich zurückkomme hat entweder irgendjemand von meinen Freundinnen den Call angenommen oder das Telefon steht auf "ohne Grund abwesend". Das schlägt sich in meiner Statistik nieder und geht auf meine Pausenzeit, aber wen interessiert das schon größer?
Das Telefon klingelt. Das tut es dreimal, und wenn ich nicht rangehe, stellt die ACD-Anlage zum "nächsten freien Agenten" durch. Wenn ich aber doch rangehe, was ja erwartet wird, habe ich eine von vier Standardsituationen: Kunden registrieren, Kunden zum Techniker durchstellen, Kunden über den Bearbeitungsstand ihrer defekten Geräte informieren, oder eine Bestellung aufnehmen. Oder ich habe etwas Exotisches, was detektivisches oder sozialarbeiterisches Talent erfordert. Märkte suchen ein Notebook oder ein Kunde braucht jemanden, der ihm versichert, dass er nicht der einzige ist, der mit der kapitalistischen Warenwelt nicht klar kommt. Zwischendurch stelle ich mein Telefon auf "Nacharbeit", so dass keine Anrufe bei mir ankommen. Ich mache dann Einträge in die Kundendatensätze oder nutze die Zeit für ein Schwätzchen mit meinen KollegInnen. Irgendwann ist es soweit: Die Telefone klingeln um die Wette. Ich stelle also unendlich viele Kunden zur Technik durch, renne ein paar mal zwischen meinem Platz und dem von meinem Teamleiter hin und her, stelle Kunden zu anderen Abteilungen durch, rufe einen Kunden zurück und schreibe Zettel und E-Mail Formulare an andere Kollegen.
Wie durch ein Wunder ist es 15 Uhr geworden. Ich logge mich aus dem Programm aus, verabschiede mich vom Rechner, melde mich am Telefon ab und logge mich schließlich auch aus dem Personalprogramm aus. Gut, dass Zeit irgendwie immer vergeht.
Inbound: zweiter Level einer Computerhotline
"Hallo, Blablub-Firma... Mein Name ist... Was kann ich für Sie tun?" Die Calls laufen bei mir über zwei Linien: Deutsch und Englisch. Es geht um Computer. Außer Calls kommen manchmal Emails von Kunden, außerdem Faxe. Die meisten Anrufe betreffen kleinere und größere technische Defekte oder Softwareprobleme (Schätzung: 80 Prozent). Der Rest sind Anrufe wegen Verlust des Passworts, Infos... Ab und an rufst du auch Leute an. Meist um was zu fragen, manchmal auch, weil die einen Rückruf wollen. Zwischen den Anrufen/Faxen ist Zeit für andere Sachen. Entweder surfe ich im Internet und lese dort Zeitung; oder ich mache meine "privaten" Emails; oder ich mache, was wir machen sollen: ich hole mir ein Gerät und probiere irgendwas aus. Installation des neuen DVD-Laufwerks, Einstellung eines bestimmten PCMCIA-Modems, die neue Docking Station... Von der Acht-Stunden-Schicht telefoniere ich im Schnitt 1,5 bis 2 Stunden, mache noch 2 Stunden andere Sachen, die mit den Anrufen zu tun haben, eine Stunde probiere ich was aus; etwa 3 Stunden mache ich irgendwas wie Surfen, Lesen, Emails, mit KollegInnen quatschen... alles jeweils verteilt über den Tag. Ab und an kommt auch eine der Teamleiterinnen vorbei und kontrolliert, was du machst. Dafür ist es ratsam, mal irgendwelches technisches Zeug aufzubauen - um dann doch zu surfen. Manchmal kommen sie auch und wollen dich "motivieren" oder maßregeln.
Grundsätzlich gehen alle Calls erst an den ersten Level. Die Agents dort nehmen sie auf: Kundennummer, Gerätenummer... und qualifizierten sie: Welche Linie ist zuständig (Drucker, PCs, Notebooks...), welches Problem hat der Kunde (ganz grob). Das schreiben die in einen Datensatz, rufen unsere Linie an und werden von der ACD-Anlage an einen freien Agent bei uns durchgestellt. Wir nehmen den Call an und reden erstmal mit der oder dem vom ersten Level. Der oder die sagt uns die Bearbeitungsnummer des gerade angelegten Datensatzes und wir rufen den auf unserem PC auf. Manchmal gibt es noch einen kurzen Plausch, aber die im ersten Level haben eine Vorgabe von neunzig Sekunden, in denen sie den Fall aufnehmen und an uns loswerden müssen. Dann stellen sie den Call durch.
Du hast grundsätzlich in der Call-Bearbeitungssoftware eine Inbox, in der alle Fälle verzeichnet sind, die du gerade bearbeitest und noch nicht geschlossen hast. Wenn du zum Beispiel einen Call bekommst und nicht gleich eine Lösung findest, bleibt der Fall in der Inbox. Wenn du am nächsten Tag eine Lösung hast, rufst du den Kunden an - oder er/sie dich - schaust, ob das Problem dann gelöst ist und schließt dann nach dem Anruf den Fall. Oder der Kunde muss erst selber was machen (Neuinstallation...) und ruft dann wieder an; solange lässt du den Fall offen. Manchmal kriegst du auch von denen vom Ressource Desk einen Fall zurück, die bei komplizierteren Fragen eine Lösung suchen, und rufst dann erst den Kunden an... Die Teamleiter haben die Kontrolle darüber, was bei dir in der Inbox ist (und schauen sich das über ihren Rechner auch regelmäßig mal an).
Zurück zum Anruf: Wir stellen erstmal Nachfragen oder fangen schon mit der Erklärung an, was zu tun ist, um das Problem zu beheben: bestimmte Softwareeinstellungen, Hardware-Austausch, Neuinstallation... Wenn wir nicht weiter wissen, stellen wir den Kunden auf Musik und haben dann vier Möglichkeiten: a) wir schauen in unsere Unterlagen, b) wir suchen im Intra- oder Internet; c) wir fragen einen anderen Agent, d) wir gehen zum Ressource Desk (erfahrene Ex-Agents, die Nachfragen der Agents beantworten, verzwickte Fälle untersuchen). Alles kommt regelmäßig vor, allerdings nehmen die Gänge zum Ressource Desk mit der Erfahrung kontinuierlich ab.
Wenn du eine Lösung hast, holst du den Kunden wieder in die Leitung (falls du ihn in die Warteschleife gestellt hast; das kann nach zwei oder nach zwanzig Minuten sein) und sagst ihm die Lösung oder was du dafür hältst. Oder du sagst, dass das nicht die Angelegenheit von uns ist und er oder sie woanders anrufen muss...
Dann verabschiedest du dich und legst auf. Nachher musst du dann alles in den Datensatz des Kunden schreiben - was die AnruferIn wollte, was du gemacht hast, was die nächsten Schritte sind (zum Beispiel, weil die was einschicken müssen oder du was rausschicken sollst...). Dann klickst du noch diverse Buttons an, wenn was rausgehen soll und der Fall ist beendet.
Outbound: Terminvereinbarung Telefonvertragverkauf
Es ist entweder 7.45 oder 10.15 Uhr. Scheißegal, denn in beiden Fällen muss ich in einer Viertelstunde an die Arbeit. Erstmal zum Tisch, wo die Zettel mit den heutigen Arbeitsaufgaben liegen. Jeden Morgen die gleiche Suche nach meinem Namen. Wie immer ist der Zettel ganz unten. Auf den Zetteln wird jedem Agent ein Außendienstmitarbeiter zugeteilt, für den er heute telefonieren muss. Dann gibt's noch Zettel mit den Wiedervorlagen des jeweiligen Außendienstmitarbeiter. Die werden zuerst abtelefoniert.
Vorher hole ich mir noch mein Kästchen, in dem Skripts und interne Infos liegen. Ich setze mich also auf meinen Platz. Fange ich um 8.00 Uhr an, ist die Chance auf einen Systemausfall am größten. Danach klappt meistens alles mit dem Anmelden. Ich melde mich also mit meiner User-ID an und gebe die Daten vom Zettel in eine bestimmte Maske ein. Der Computer spuckt dann die zu telefonierenden Adressen des Außendienstmitarbeiters aus, zum Beispiel 132. Dann wird bei eins losgelegt und telefoniert. Eigentlich haben wir einen Button, mit dem wir automatisch die Nummer wählen. Ist aber meistens kaputt. Deshalb wird von Hand gewählt. Die meisten Adressen werden sowieso zum bestimmt fünften Mal angerufen, deshalb steht dann da auch schon unser Ansprechpartner drin, das heißt, der, der Entscheidungen für Telekommunikation trifft.
Reden dürfen wir so, wie wir wollen, Hauptsache wir telefonieren mit Erfolg. Natürlich gibt's ein paar altbewährte Redewendungen, die jeder anwendet, weil sie einfach funktionieren. Hauptsache ist, dass wir uns nicht sofort abwimmeln lassen:
Es tutet und der Herr Müller ist sofort am Apparat: "Schönen Guten Tag, mein Name ist... aus dem Hause Blök-Line, bin ich richtig verbunden mit der Firma... auf der Strasse... (Adressqualifikation ist sehr wichtig, wird aber auch oft ausgelassen, ist halt ein blöder Gesprächseinstieg.) Herr Müller, sie entscheiden ja über Telekommunikation in Ihrem Hause? Wir hatten vor einigen Monaten schon miteinander telefoniert. Sie baten mich, zum jetzigen Zeitpunkt noch mal anzurufen. Haben sie Zeit, mir einige Fragen zu beantworten?"
Der Kunde hat zwar noch überhaupt nicht verstanden, worum es geht, aber erstmal musst du deine Angaben kriegen: Wie hoch ist die Telefonrechnung, wer ist zuständig... Wenn er dir wieder keine Angaben machen wollte, denkste dir manchmal einfach welche aus. Wenn du keine Angaben bekommst, sieht das immer scheiße in der Statistik aus. Ich beende dann das Gespräch, das so circa drei Minuten dauert. Wenn was Wichtiges war, mache ich noch eine Notiz. Lag die Telefonrechnung bisher nur bei 300 DM, lege ich den Kunden nicht auf "Wiedervorlage", da er ohne Potential ist. Und schon ist der nächste dran. Wir dürfen eigentlich keine Adresse überspringen. Manchmal mache ich es aber, wenn wir zum Beispiel in der letzten Woche schon dreimal angerufen haben und die Sekretärin jedes Mal rumgebrüllt hat. Das muss ich mir dann ja nicht ein viertes Mal geben.
Bei der nächsten Adresse ist die Sekretärin dran. Auch hier behaupte ich einfach, dass der Ansprechpartner meinen Anruf erwartet. Das ist die Kunst bei dem Job: Lass' dich nicht von der Sekretärin abwimmeln! Ist auch nicht gut für deine Quote. Ist sie drauf reingefallen und hat mich durchgestellt, beginnt wieder die Jagd um meine Angaben. Angenommen er hat Potential, dann tu ich erstmal so, als ob ich einen Augenblick nachdenken müsste um dann zu sagen: "Der Außendienstmitarbeiter Herr... ist nächste Woche in ihrer Nähe. Wann kann er denn mal für eine halbe Stunde vorbeikommen?" Meist klappt das Überfallkommando nicht, ist aber trotzdem die beste Möglichkeit Termine zu bekommen.
Nach zwanzig bis dreißig Anrufen ist die erste Stunde rum. Zwischendurch motze ich kurz mit meiner Kollegin über die Kunden, aber immer nur circa dreißig Sekunden lang, dann wird wieder telefoniert. Nach einer Stunde kontrolliere ich meine Quote, die im unteren rechten Bildschirmrand steht (natürlich kontrolliere ich sie die ganze Zeit, aber nach einer Stunde, kann man schon mal messen, wo man heute so dran ist. 25 Anrufe, 7 Nettos (das heißt mit dem Ansprechpartner gesprochen), keinen Termin vereinbart. Ist okay. Ich gebe meiner Kollegin ein Zeichen und wir drücken auf die Pausentaste, rennen in den Pausenraum, ziehen uns eine Kippe rein, unterhalten uns kurz über die letzte Stunde und rennen wieder an unseren Platz. 4 Minuten und 34 Sekunden. Mann, waren wir wieder gut. Und weiter geht's: telefonieren und jede Stunde der Run in den Pausenraum.
Outbound: Terminvereinbarung Rentenfondverkauf
Arbeitsbeginn 9.00 Uhr. Das ist die Schicht der Hausfrauen und alleinerziehenden Mütter.... und auch meine. Erstmal hol ich mir mein Telefonbuch aus dem Schrank und suche verzweifelt die Seite, wo ich gestern aufgehört habe. Ich rufe Privatpersonen aus dem Telefonbuch an. Selber schuld, wenn die sich da reinschreiben lassen. Ich habe also das Telefonbuch von Langensalza, oder wie das Kaff heißt, vor mir liegen, und mein Skript, das die Mitarbeiter mehr oder weniger zusammen verfasst haben, an das sich aber auch keiner halten muss. Das Tolle ist, dass ein Telefonbuch so schön dick ist, und man auch gut manche Leute überspringen kann.
Wir telefonieren für eine Firma, von der niemand etwas gehört hat, deren Name sich im Laufe der Aktion auch irgendwann mal geändert hat. Es geht um Terminvereinbarungen wegen irgendwelchen Rentenfonds. Das Blöde ist nur, dass keiner der Mitarbeiter irgendeinen Plan von der Scheiße hat. Wir haben auch kaum Infos bekommen, deshalb ist unsere Überzeugungskraft auch ziemlich gering. Derjenige am anderen Hörer hat meist viel mehr Plan, als man selber, weil er sich schon längst um seine Altersvorsorge gekümmert hat. Termine können nur mit Berufstätigen zwischen 20 und 45 Jahren vereinbart werden.
Ich rufe also den ersten an: Rainer. Die so heißen, sind meist berufstätig, 35 und recht nett. Wahnsinn, was für Sympathie oder Antipathie man für Namen entwickelt. Ausländische Namen werden grundsätzlich übersprungen. Die Gefahr ist zu groß, dass wir uns nicht verstehen, und das kostet nur Zeit. Alle Adolfs und Alberts und Heinze oder Ottilie werden auch links liegen gelassen. Daniels und Sarahs sind meistens faule Studenten, und WGs lohnen sich auch nicht. Rainer und Volker, Sabine und Claudia, an die muss man sich halten, die kümmern sich um ihre Rente.
Der erste ist an der Strippe, berufstätig und vierzig, na super. Jetzt muss ich ihm Angst machen, mit der neuen Gesetzgebung, und damit, dass er im Alter auf der Strasse sitzen könnte. Doch er ist Beamter. Die Nächste fragt erstmal zickig, wo ich ihre Nummer her habe (na aus dem Telefonbuch du dumme Kuh): "Also, sie haben irgendwann mal an einer Promotionsaktion teilgenommen." "Hab ich nicht!" "Müssen Sie wohl, sonst hätte ich doch gar nicht ihre Nummer..."
Nach einer halben Stunde, wird sich erstmal zurückgelehnt, getrunken, gegessen und die Hausfrauen unterhalten sich über ihre Kinder und wie wichtig doch Altersvorsorge sei. Sie haben auch gleich schon einen Termin für sich selber vereinbart. Der Chef zahlt nämlich keinen Bonus oder so. Da gibt's Festgehalt, bar auf die Hand. Und bei 10 DM (bei längerer Betriebsangehörigkeit können das wohl auch 12 oder 14 DM sein) telefoniert man sich schließlich nicht die Ohren wund. Deshalb wird jede Stunde erstmal zehn Minuten gequatscht. Das Dolle ist, dass wir zu viert in einem kleinen Raum sitzen, immer zwei sich gegenüber, ohne irgendwelche Trennwände oder so. Wenn sich also zwei unterhalten, kannst du gar nicht mehr telefonieren, weil die Geräuschkulisse einfach zu krass ist. Bist sozusagen zur Pause gezwungen. Nach zwei Stunden wird im Hof eine Rauchen gegangen. Das wird auch immer brav in die Pausenliste eingetragen. Man ist meist unter sich, denn Teamleiter gibt's bei dem Betrieb zu dieser Zeit nicht. Es hört sich zwar lau an, doch es sind trotzdem circa zwanzig Calls in der Stunde, die Gespräche sind tierisch uninteressant, und die Hausfrauen eigentlich auch. Deshalb gehen sechs Stunden echt beschissen langsam rum...
Offizielle zusätzliche Aufgaben
In den oben angeführten Beispielen beschreiben wir die Arbeitsschritte im Idealfall, das heißt, wenn genug Leute anrufen und die ArbeiterInnen gut ausgelastet sind. Das ist nicht immer der Fall, aber es gibt ja zum Glück noch diverse andere Arbeiten, die man(agement) den ArbeiterInnen aufs Auge oder in die Hand drücken kann. Zum Beispiel:
Wir übernehmen im Grunde noch Sekretärinnenarbeiten, also wir tippen die offenen Fragen ab (...) Insofern müssen die Texte natürlich alle auf Englisch übersetzt werden, das übernehmen wir auch (...). Diese Übersetzungen wurden am Anfang von speziell engagierten Übersetzern gemacht, das ist mittlerweile nicht mehr so, weil es scheinbar so einfacher ist. [Sofres, Paris, 2000]
Am Anfang war nur die Rede von Überweisungen, Daueraufträgen usw. und Informationen weitergeben. Dann ging es plötzlich auch um Börsenorder. Später sind dann alle Anrufe bei der technischen Hotline zu uns gestellt worden, und wir sollten Kreditangebote machen. So kamen immer mehr Sachen dazu. [Deutsche Bank 24, Duisburg, 2000]
Das ist ein wenig zweischneidig [die Zusatzaufgaben zum Telefonieren]. Klar, du musst halt mehr arbeiten, aber gleichzeitig bedeutet es für dich eine Menge Abwechslung. Manchmal bist du schon froh, wenn du einen Beschwerdezettel schreiben oder Pakete für den Versand fertig machen kannst. [Client Logic, Duisburg, 2000]
Inoffizielle zusätzliche Aufgaben
Neben den offiziellen Arbeitsschritten entstehen durch die ausgedehnte Arbeitsteilung viele inoffizielle Zusatzarbeiten, die Stress bedeuten und ohne die der Laden nicht laufen würde. Der kapitalistische Produktionsprozess erlaubt keine wirkliche und gemeinsame Koordination der ArbeiterInnen. Diese müssen über Trennwände und Abteilungs- und Betriebsgrenzen hinweg zusammenarbeiten. Diese "künstlichen" Trennungen sollen den Zusammenhang der ArbeiterInnen verschleiern, ihre tägliche Kooperation, die auch die Möglichkeit bietet, die Kapitalisten los zu werden und die Produktion selbst (anders) zu organisieren.
Durch die "getrennte Zusammenarbeit" entsteht viel Chaos, das durch die zusätzlichen Arbeiten ausgeglichen werden muss. Als vereinzelte ArbeiterIn erleben wir diesen Widerspruch als "ineffektive Arbeitsorganisation" und unfähiges Management. Nur wenn wir uns die Gesamtheit ansehen, können wir erkennen, dass diese Probleme aus der kapitalistischen Produktionsweise entstehen.[70]
Diese inoffiziellen Aufgaben bestehen unter anderem aus dem ständigen Besorgen von Infos, in der Improvisation beim Abdecken der Service-Lücken und Lieferschwierigkeiten, im Rausreden bei Unwissenheit oder fehlenden Informationen, im Ausgleich und der Behebung von Software-Problemen...
5.5 Zusammenarbeit - Von der produktiven zur subversiven Kooperation [top]
Wie schon angedeutet weitet das Kapital die Arbeitsteilung aus, um die Arbeit produktiver organisieren zu können: In den Großfabriken werden ArbeiterInnen entlassen, die Arbeit wird an Zulieferbetriebe ausgelagert, die durch einen ausgeweiteten Transport und Verwaltungsapparat miteinander verbunden werden... Darin liegt für das Kapital aber nur ein scheinbarer Ausweg aus der Misere und zugleich seine größte Bedrohung: Es bringt mehr ArbeiterInnen in eine gegenseitige Abhängigkeit voneinander, die diese in Zeiten der Auseinandersetzung gegen das kapitalistische Kommando wenden können.
Wer zusammenarbeitet und dafür miteinander kommunizieren muss, kann dies auch zur Grundlage für die Organisierung des eigenen Kampfes machen. Ein Hauptanliegen der Vertreter des Kapitals ist daher, mit verschiedenen Mitteln (Technologie, Hierarchie...) diese ausgedehnte Zusammenarbeit auf der einen Seite zu verschleiern, auf der anderen Seite den flüssigen Arbeitsprozess nicht zu gefährden.
Verdammtes Problem für sie! Aber es finden sich auch immer Ideologen, die ihnen dabei zur Hand gehen, nicht zuletzt eine (gewerkschaftliche) Linke, die stets auf der Isolation am Arbeitsplatz rumreitet und die Totalität der technologischen Überwachung betont, anstatt den Scheiß zu hinterfragen und den Zusammenhang der "modernen" Arbeitsplätze aufzuzeigen.
Die Konzentration und Zusammenarbeit von Angesicht zu Angesicht
Erstmal deutet die bloße Existenz von Call Centern darauf hin, dass das Zusammenarbeiten von vielen ArbeiterInnen in einem Gebäude trotz aller damit verbundenen (subversiven) Gefahren für das Kapital immer noch produktiver ist, als jede noch so gut kontrollierte und isolierte HeimarbeiterIn. War die Tele- oder Computerheimarbeit in den achtziger Jahren noch beliebte Horrorvision, so sieht es jetzt mau damit aus.
Call Center sind Zeichen dafür, dass trotz oder gerade wegen der Maschinen die direkte menschliche (und hierarchische) Zusammenarbeit zentral für die kapitalistische Verwertung bleibt. Fragt man einzelne ArbeiterInnen, ob sie mit anderen zusammenarbeiten, werden die meisten mit "nein" antworten. Offensichtlich wird die Kommunikation mit KollegInnen nicht als "Arbeit" begriffen. Aber die Gespräche untereinander sind notwendige Voraussetzung für den Arbeitsprozess und täglicher Bestandteil des sozialen Miteinander im Call Center.
Direkte Zusammenarbeit gibt es mit denen, die um mich rumsitzen und denselben Job machen, sowie die vom Ressource Desk, weil ich mit denen über die Fälle quatsche und wir gemeinsam Lösungen finden, uns Fälle weitergeben oder die Arbeit verfluchen. [Hewlett Packard, Amsterdam, 2000]
Es ist die einfachste Sache der Welt, die KollegIn nebenan zu fragen, ob sie etwas weiß, was dir entgangen ist, ob sie Sachen verstanden hat, bei denen du nicht zugehört hast und ob sie Kniffe kennt, die du noch nicht entdeckt hast. Und so vielfältig ist diese Kommunikation auch. Genauso notwendig für die Arbeit im direkten Sinne, also entweder eine Form von Informationsbeschaffung oder auch eine Form die Arbeit weiterzureichen. [Medion, Mülheim, 2000]
Es gibt eher eine informelle Kooperation, wo sich die KollegInnen absprechen, was neu ins Netz gekommen ist, wie zum Beispiel Euro Warentest. Es ist oft so, dass Neukunden nicht angekündigt sind und du sie einfach auf den Bildschirm bekommst, da ist es wichtig, dass es so eine informelle Kooperation gibt. [Client Logic, Duisburg, 2000]
Zusammenarbeit über das Telefon
Ein Teil der Kooperation läuft über das Telefon.[71] Im Call Center geht es dabei vor allem um das Weiterreichen von AnruferInnen und das Abfragen von Informationen.
Bei der DB24 gab es die Zusammenarbeit, wenn du Kunden ins Backoffice weitergestellt hast, weil die spezielle Anliegen hatten (größere Kredite). Du hast dann da angerufen, kurz mit denen gequatscht und dann den Kunden weitergereicht. Oder du konntest eine Kundenfrage nicht beantworten. Dann hast du auch da angerufen und bei denen nachgefragt. [Deutsche Bank 24, Duisburg, 2000]
Bei HP hatten wir immer erst den ersten Level an der Strippe, der angesagt hat, was für ein Kunde dran ist und was der für eine Kiste hat. HP hat mal versucht, das über IVR und CTI zu machen, aber dabei waren die technischen Probleme und das Kundengenörgel zu groß und es wurde wieder abgeschafft und "konventionell" gemacht. [Hewlett Packard, Amsterdam, 2000]
Manchmal muss ich Sachen hinterher telefonieren, wenn zum Beispiel nicht klar ist, wo das Laptop nun abgeblieben ist. Dann rufe ich erst in der Werkstatt an, dann in der Reklamationsabteilung, später vielleicht noch beim Paketdienst der Post. [Medion, Mülheim, 2000]
Letztens haben wir wieder eine neue Aufgabe bekommen. Der Zweigstelle wurde diese Aufgabe weggenommen: die sogenannten Umfinanzierungen. Wollen die Zweigstellen jetzt eine Umfinanzierung machen, müssen sie bei uns anrufen und wir prüfen das. Genehmigen müssen die Zweigstellenmitarbeiter sich das dann aber selber. Die sind natürlich stinkig, weil das alles komplizierter macht. Sie lesen sich die Arbeitsanweisungen dann nicht richtig durch und rufen uns an, um sich das erklären zu lassen. [Citibank, Duisburg, 2000]
Zusammenarbeit über andere (elektronische) Wege
Eine weitere Form der Zusammenarbeit passiert auf abstrakterer Ebene. Dabei haben wir es oft nicht mit einer konkreten Person zu tun, wenn wir zum Beispiel Infos weiterverarbeiten, die irgendeine andere ArbeiterIn in die Datenbank eingegeben hat, oder telefonisch einen Termin mit einem Anrufer vereinbaren, den dann ein Außendienstmitarbeiter oder jemand in der Filiale wahrnehmen muss. Oft bekommt mensch erst dann von "der anderen Person" zu hören, wenn irgendwas schief läuft, zum Beispiel wenn zwanzig Leute zur gleichen Zeit in der Filiale erscheinen oder die Plastikverkleidung für die Suzuki doch nicht an das Vereinshaus der Hells Angels geliefert werden sollte. Solche "kleinen" Störungen zeigen uns, dass wir nicht mit dem Computer zusammenarbeiten, sondern mit realen Menschen, die der Job oft genauso nervt, wie uns selbst.
Im Fall einer Computer-Hotline ist die weitergehende Kooperation offensichtlich: Die Computerkomponenten werden in Malaysia, Indonesien oder China hergestellt, nach Ostdeutschland, Polen oder in die Tschechische Republik transportiert, dort zu einem Computersystem zusammenmontiert, in die Läden gebracht, gekauft und schließlich supportet. Die Call Center-ArbeiterIn stellt am Telefon fest, dass das CD-Laufwerk defekt ist, der Kunde schickt es zur sogenannten Herstellerfirma und bekommt ein neues CD-Laufwerk. In der Werkstatt kann man keinen Fehler feststellen, und das möglicherweise defekte Laufwerk kommt über Billiganbieter erneut in den Verkauf, wo es dann die Endlosschleife antritt oder auf dem Flohmarkt in Gelsenkirchen oder Mombasa landet. Vielleicht bekommt der Kunde aber auch kein neues CD-Laufwerk, weil die Hafenarbeiter in Singapur streiken, oder die Call Center-ArbeiterIn vergisst, den entsprechenden Button anzuklicken. Dann wird der Kunde früher oder später in der Reklamationsabteilung landen und vorher natürlich bei mehreren Anrufen von unterschiedlichen Call Center-ArbeiterInnen vertröstet oder belogen.
5.6 Maschinerie - Never mind the Call Master
[top]
Die Zerlegung von Arbeitsabläufen in einzelne Arbeitsschritte und die Verteilung dieser Arbeitsschritte auf einzelne ArbeiterInnen ist Grundlage dafür, dass Maschinen ins Spiel kommen. Die Zerteilung der Arbeit im Büro hat vor der Herausbildung von Call Centern stattgefunden: Erst wurden die Schreibtische der Angestellten durchforstet, deren Papierdschungel katalogisiert; dann wurde das Rechnungswesen standardisiert, bis alles soweit verdaulich war, dass es in Nullen und Einsen abzuspeichern war.
Aber allein die Tatsache, dass etwas auf einem Computer gespeichert ist und eine ArbeiterIn darauf zugreifen kann, unterwirft sie ja noch nicht zwangsläufig einem bestimmten Arbeitsrhythmus oder dem Diktat einer genauen Abfolge von Arbeitsschritten. Auch dann nicht, wenn sie nebenbei noch telefonieren muss. Was ist es also, das dieses Gefühl erzeugt, das viele ArbeiterInnen im Call Center beschreiben: "Ich krieg hier Anrufe wie am Fließband, eine Computermaske nach der anderen kommt angepoppt, und das saugt mich aus"? Wie entsteht dieses Gefühl, wenn doch ein Telefon und ein Computer an sich genommen noch nichts Bedrohliches haben?
Um das zu klären, müssen wir den ganzen Apparat in seine Einzelteile zerlegen, um zu sehen, wie diese im Zusammenspiel zur Maschinerie werden.
Am Anfang war die Standardisierung
Das Problem des Managements besteht darin, dass sie komplexere Arbeitsabläufe oft nicht genau genug durchschauen und die Arbeitsverausgabung nicht messen, kontrollieren und letztendlich steigern können. Sie müssen zusehen, dass sie diese komplexeren Abläufe in überschaubarere Einzelschritte teilen. Das lief beim Übergang von Handwerkern zu FabrikarbeiterInnen so; das ist im Call Center nicht anders, auch wenn hier anstatt Metall oder Holz KundInnenfälle bearbeitet werden. In Call Centern sind es nicht Bewegungen, die analysiert werden, sondern Gesprächsabläufe und Dateneintragungen, die dann standardisiert werden. Denn wenn jedeR frei nach Schnauze reden würde, ließen sich "Arbeitsleistungen" schlecht vergleichen.
So kann dann das eine Team, mit den erforderlichen zwanzig Anrufen pro Stunde und Arbeiterin, gegen das andere Team gestellt werden, welches die Vorgabe nicht geschafft hat. Damit werden Kontrollmaßnahmen legitimiert. Diese Standardisierung ist zunächst nicht an besonders hochentwickelte Technologien gebunden: In manchen Call Centern finden wir noch heute Bleistift und Papier statt Computern, vor allem im Outbound. Dort sind den ArbeiterInnen bestimmte Begrüßungsformeln, Verkaufsgesprächsphrasen, Deeskalationshilfen und Fragelisten vorgegeben. Hier ein paar Beispiele zu Skripten und Standardformulierungen:[72]
Outbound
Um acht Uhr muss ich an meinem Platz sitzen, mit all meinen Unterlagen, und den Hörer griffbereit für den ersten Call haben. Einen Computer hab ich nicht. Dann muss ich den wenigstens nicht einschalten, hat ja auch was Positives.
Die Teamleiterin kommt mit einem Stapel Zettel vorbei. Kann man sich wie so kopierte Blätter aus den gelben Seiten vorstellen, sortiert nach verschiedenen Branchen. Du kannst dir jetzt aussuchen, ob du lieber versuchen willst, einem Tischler oder einem Immobilienmakler ein Zeitschriften-Abo anzudrehen. Jeder hat da so seine Favoriten. Dann werden die Zettel von oben nach unten durchtelefoniert, und nach jedem Call mache ich mir hinter die Adresse ein Zeichen, damit ich weiß, ob ich da noch mal anrufen muss. Jeder hat da seine eigene Methode, denn die Zettel behält man zur eigenen Wiedervorlage, bis endgültig alle auf dem Zettel erreicht wurden.
Nachher verliert man sowieso den Überblick, mit den untereinandergequetschten Adressen und den eigenen Notizen. Neben den Adresszetteln ist das Skript das Wichtigste. Das tolle an dem Job ist nämlich, das du nicht nur nicht eigenständig denken sollst, nein, du sollst auch nicht eigenständig formulieren. Ein Gespräch soll zu neunzig Prozent aus dem vorformulierten Skript bestehen. Dabei sind nicht nur die Wörter vorformuliert, sondern auch die Betonungen, Hebungen und Senkungen der Stimme.
Nach zwei Stunden haben alle zusammen dann eine Viertelstunde Pause, die auch nicht mit einer Minute überschritten werden darf. Nach der Schicht fühlst du dich wirklich nur noch wie eine Maschine die hundertmal den gleichen Text runtergeleiert hat. [Aboverkauf, Essen, 2001]
Inbound
Alles fing im Sommer diesen Jahres an. Bis dahin war uns freigestellt, wie wir mit den KundInnen reden. Doch dann kamen die Standardformulierungen und das Grauen nahm seinen Lauf. Erst kriegten wir eine freundliche Arbeitsanweisung, doch als die Geschäftsleitung merkte, dass wir trotzdem reden, wie es uns passt, fingen sie an uns zu testen und Druck zu machen. Jetzt bekommen wir täglich interne Kontrollanrufe und die Geschäftsleitung drohte mit Abmahnung wegen Verweigerung [besser: Missachtung] von Arbeitsanweisungen. [hotlines-Flugblatt zu Quelle, November 2000]
Vom Papier zum Computer
Die Standardisierung von Gesprächen und Datensammlung bildet eine Grundlage für die Kontrolle und die Intensivierung von Arbeitsverausgabung. Sie lässt den ArbeiterInnen aber noch Freiräume: Fragebögen gehen in der Zettelwirtschaft verloren, es dauert mal etwas länger, bis bestimmte Infos im Schnellhefter gefunden werden... Hier bedeutet die Einführung von Computern, dass das Papier weitgehend vom Tisch verschwindet und die ArbeiterIn durch eine bestimmte Software und Computermaske dazu gebracht wird, wirklich den Arbeitsschritten zu folgen. Zum Beispiel muss sie dann Einträge in einer bestimmten Reihenfolge machen, weil sie sonst im Software-Programm nicht weiter kommt. Auch lässt sich nun leichter kontrollieren, wie lange eine Call Center-ArbeiterIn für bestimmte Einträge braucht, weil diese Zeiten automatisch und elektronisch gespeichert werden.
Der Computer schreibt dir genau vor, wie du die Zahlen eingeben musst. Erst die Kontonummer, dann anklicken, ob Überweisung, Dauerauftrag oder was auch immer. Dann bei Überweisung die Kontonummer des anderen Kontos usw. Wenn du einen Button falsch geklickt oder was vergessen hast, kommt eine Fehlermeldung. Oder es passiert einfach gar nichts. [Deutsche Bank 24, Duisburg, 2000]
Wir haben ein uraltes Programm, das so nach DOS aussieht. Du musst es mit Tastenkombinationen bedienen, also etwa "F7" für Speichern oder so. Alle Eingaben musst du in der vorgegebenen Reihenfolge machen. Wenn du was auslässt, kommst du nicht weiter... oder das Programm stürzt ab. Es gibt aber auch Tricks, die du nach ein paar Wochen Arbeit raus hast. Wenn dir zum Beispiel Infos fehlen, gibst du einfach Nullen in Zahlenfelder und irgendwelche Buchstaben in Textfelder ein. [Fiat, Milano, 2002]
Direkt beim Telefonieren gibt es keinen, der oder die sagt, was du tun sollst. Der Computer holt dir die Infos zu den Kunden, die anrufen. Wenn du eine falsche Taste drückst, sagt er "Falsche Taste" usw. Der Computer gibt dir Hinweise... [Client Logic, Duisburg, 2000]
Die Verbindung von Computer und Telefon
Bis zu diesem Punkt wird der Computer in erster Linie eingesetzt, um die im Telefongespräch benötigten oder entstandenen Infos zu liefern und aufzunehmen. Das geht schneller als mit Papier, was schon eine Arbeitsintensivierung ermöglicht. Diese wird dann eher durch persönliche Kontrolle, als durch die Technologie selbst erzwungen.
Eine qualitative Änderung findet erst an dem Punkt statt, wo Computer und Telefon miteinander verbunden werden. Erst dies befähigt die VertreterInnen des Kapitals, den ArbeiterInnen die Kontrolle über die Arbeitsschritte zu nehmen, die vor und nach dem Telefonat stattfinden: Rufnummer wählen oder Gespräch annehmen, passende Daten zum Kunden raussuchen, Auflegen, Nacharbeit... Auch die Länge der Gespräche oder die Zeit zwischen Klingeln und Annahme eines Calls können automatisch ermittelt und verglichen werden. Diese Verbindung von Computer und Telefon läuft auf drei Ebenen:
Verbindung aller Arbeitsplätze mit zentraler, computergesteuerter Telefonanlage (ACD)
Die ACD-Anlage (Automatic Call Distribution) nimmt im Inbound alle eingehenden Anrufe an und verteilt sie auf die ArbeiterInnen, die sich eingeloggt haben. Jede ArbeiterIn hat ein Profil, das angibt, welche Anrufe sie bearbeiten kann. Zudem registriert die ACD-Anlage, welche ArbeiterIn wann welche und wie viele Calls bekommen hat. Bei einem Anruf aus England zu einem Computerprodukt X ermittelt sie also, wer Englisch sprechen kann, wer dieses Produkt X supportet und wer an der Reihe ist oder länger keinen Call hatte. Manche Anlagen sind auch so eingestellt, dass einfach der erste "freie Agent", den Call zugestellt bekommt. Falls alle ArbeiterInnen gerade telefonieren oder Pause machen, stellt die ACD-Anlage den Call in die Warteschleife, wo er solange bleibt, bis der Anrufer auflegt oder eine ArbeiterIn wieder "bereit" ist.
In vielen Call Centern wird darüber hinaus jeder Arbeitsschritt am Telefon registriert - Annahme des Calls, Dauer des Gesprächs... - und die ArbeiterIn muss am Callmaster, einer Art Telefon mit einer Fülle von Tasten, für jede Art Pause eine Taste drücken: offizielle Pause, aufs Klo, Training, Nacharbeit. Wenn sie wieder am Telefon hängt, muss sie die Bereit-Taste drücken.[73] Sobald ein Call an eine ArbeiterIn vermittelt wurde, gibt es zwei Möglichkeiten:
* In vielen Call Centern muss sie ihn mittels Tastendruck annehmen, um ihn auf dem Headset zu haben. Nimmt sie ihn nicht innerhalb einer gewissen Zeit an, wird der Anruf zur nächsten "freien AgentIn" weitergeleitet. Auf der persönlichen Statistik, die die ACD-Anlage für jede ArbeiterIn erstellt, erscheint dann der Vermerk, dass ein Call nicht angenommen wurde. Dieses "Annehmen" der Anrufe gibt den ArbeiterInnen noch eine gewisse Kontrolle. Sie können es öfter mal "durchklingeln" lassen oder für andere KollegInnen mehrere Telefone beobachten, während diese Pause machen.
* In anderen Call Centern werden die Calls deswegen direkt auf das Headset gestellt (direct-to-ear). Es klingelt kurz in der Leitung oder eine digitale Stimme sagt, dass zum Beispiel jemand auf der Infoline anruft. Die ArbeiterInnen müssen also den ganzen Tag das Headset auf dem Kopf haben oder sich immer abmelden, wenn sie mal plauschen oder aufs Klo wollen.
Die ACD-Anlage bestimmt auf Basis der eingehenden Anrufe den Arbeitsrhythmus und ist oberstes Kontrollinstrument. Sie gibt alle Daten her, Pausenzeiten, Nacharbeit, "verpasste" Calls, durchschnittliche Dauer der Gespräche, Zahl interner oder externer Telefonate. Für die Call Center-Betreiber sind diese Daten in mehrerer Hinsicht wichtig:
* Aufgrund der Daten versuchen sie die Schichtpläne zu machen. Wann sind Anrufspitzen, wann ruft kein Schwein an? Wie viele ArbeiterInnen brauche ich dann, wenn pro Stunde zweihundert Leute anrufen, ein Call drei und die Nacharbeit eine Minute dauert? Das klappt natürlich nicht richtig, weil eine genaue Vorhersage der Anrufzahl und -dauer nicht möglich ist.
* Sie stellen die gesammelten Daten als "objektive" Größen dar, um die ArbeiterInnen anzutreiben und einzeln oder auf Team-Ebene gegeneinander auszuspielen. Dazu werden aufgrund der ACD-Daten willkürliche Kennziffern erfunden, wie der Service-Level, der angibt, wie viele Calls zum Beispiel weniger als drei Minuten in der Warteschleife waren. Bei Hewlett Packard hängen in einigen Abteilungen jeden Tag die ACD-Statistiken für einzelne ArbeiterInnen und Teams mit Namen und Rangfolge aus. Bei TAS gibt es die Daten täglich auf dem Bildschirm und bei der Citibank wird die Liste auf einer Computerscreen am Eingang gezeigt.
Hier noch ein Beispiel:
Zuerst sind uns die Daten vom ACD am Arsch vorbeigegangen. Wir können zwar unsere Pausenzeiten am Telefon kontrollieren, aber so ernst haben wir das nicht genommen. Doch dann hat sich die Call Center-Leitung ein Prämienmodell ausgedacht. Es ist etwas lustig. Offiziell haben sie zugegeben, dass zu viele Leute zu oft zu spät kommen und auch ihre Pausen nicht einhalten. Normalerweise würde das mit einem Teamleiter-Gespräch geahndet werden, aber das ist ihnen vielleicht zu viel Aufwand. Auf jeden Fall werden jetzt die "Skills" bewertet. Es gibt sogenannte harte Skills und softe. Für die harten Skills wird der ACD wichtig, auf jeden Fall ist klar, dass sie den ganzen Müll jetzt auswerten. Also bekommen wir einmal im Monat ein Schreiben in dem uns mitgeteilt wird, ob wir die Prämie bekommen haben oder nicht. Unsere Daten müssen unter einem bestimmten Durchschnitt liegen. Sie listen die einzelnen Daten auch auf: wie lange du angemeldet warst, wie viele Calls du hattest, wie viele Einträge du im Programm gemacht hast, wie lange deine Durchschnittscallzeit war, wieviel Zeit du für Nacharbeit gebraucht hast und natürlich die Pausenzeiten. Vielleicht ist es ja mal wichtig zu wissen, dass du im Monat vierzehn Stunden, zwölf Minuten und acht Sekunden auf dem Klo verbracht hast.
Zuerst hatte dieser Schlag die Stimmung ziemlich verändert, plötzlich haben alle aufgepasst, dass sie nicht mehr zu spät kommen, wie lange sie Pause machen und dass sie immer ordentlich Einträge im Programm machen. Alle haben angefangen, die Daten untereinander zu vergleichen. Aber inzwischen hat sich das alles wieder beruhigt. Und der ACD nervt uns konkret nur dann, wenn der Teamleiter davor hängt und 23 Sekunden später bei dir steht und rumjammert, dass dein Call zu lange dauert oder dich sucht, weil du genau die Person bist, die zu viel auf Pause steht... [Medion, Mülheim, 2001]
Verbindung von PC, Netzwerk und Telefon der einzelnen ArbeiterIn (CTI)
In allen Call Centern, die Computer einsetzen, wird mit Datenbank-Software gearbeitet, die der Kundenregistrierung und der Nachhaltung von bearbeiteten Fällen dient. Bei Einsatz von ACD kommt ein Call bei der ArbeiterIn an, die fragt dann nach der Kunden- oder Bearbeitungsnummer, gibt das in eine Software-Maske der Datenbank ein und kriegt die entsprechenden Daten auf den Bildschirm. Da hier viel Zeit verloren gehen kann - und viele Call Center-ArbeiterInnen lassen sich auch Zeit damit - haben sich die Schergen was ausgedacht: Beim CTI (Computer Telephony Integration) wird die Telefonnummer der AnruferIn mit der Kundendatenbank abgeglichen. Der gefundene Datensatz wird dann automatisch auf den Bildschirm der ArbeiterIn geschickt, die den Call von der ACD-Anlage bekommen hat. Bei ihr kommen also Anruf und Datensatz gleichzeitig an.[74] Funktioniert dieser Prozess - und er funktioniert längst nicht immer - kann darüber das Arbeitstempo erheblich hochgesetzt werden.
Automatisches Anwählen (Power- oder Predictive-Dialer)
Beim Outbound rufen die ArbeiterInnen nacheinander Leute an, um ihnen was anzudrehen oder sie auszuquetschen. Dabei greifen sie auf bereits bestehende Kundenkarteien oder einfach auf das Telefonbuch zurück. Zum Teil läuft das noch über Papier und Bleistift. Aber es gibt auch Call Center, die versuchen, jede Sekunde rauszuholen und die ArbeiterInnen ständig an der Strippe zu halten.
Bei Power- oder Predictive-Dialern sucht eine Software automatisch die Telefonnummern der anzurufenden KundInnen aus einer Datenbank raus und ruft sie an. Sobald die Anlage wählt, zum Teil auch erst, wenn die KundIn den Hörer abnimmt, wird der Call über die ACD-Anlage an einen "freien Agent" durchgestellt.
In manchen Call Centern wird anhand von Anrufstatistiken festgestellt, wie viele Leute durchschnittlich zum Beispiel um 19 Uhr zuhause sind. Dann wird hochgerechnet, wie viele von diesen Leuten um diese Zeit schon telefonieren und deswegen nicht erreichbar sind. Nehmen wir an, dass von zweihundert Leuten hundert zu Hause sind, davon aber durchschnittlich zwanzig Prozent gerade telefonieren. Und nehmen wir an, dass im Call Center hundert ArbeiterInnen an den Telefonen hängen. Dann ruft der Power-Dialer gleichzeitig etwa 240 Leute an - die Hälfte ist ja nicht erreichbar, zwanzig Prozent sind besetzt - und stellt über die ACD-Anlage die restlichen, angenommenen Gespräche an die ArbeiterInnen durch.[75]
Während fast alle Call Center ACD-Anlagen einsetzen, finden sich CTI und Power-Dialer in wesentlich wenigeren. Erst ab einer bestimmten Anzahl von ArbeiterInnen und Anrufen lohnt sich deren Einsatz. Zudem haben wir beobachtet, dass die Technologie zuweilen hakt, abstürzt, Chaos produziert...
Den ArbeiterInnen tritt schon die ACD-Anlage im Zusammenhang mit dem Telefon und PC als Maschinerie gegenüber, weil sie auf Grundlage der Anrufe den Arbeitsrhythmus bestimmt. Die Anrufe kommen rein, die Maschinerie zwingt die ArbeiterInnen, sie anzunehmen. Als ArbeiterIn siehst du dich schnell im Kampf gegen den Rhythmus, gegen das pausenlose Telefonieren, und musst dir Mittel und Wege einfallen lassen, die Maschinerie zu überlisten. Bei Einsatz von direct-to-ear, CTI oder Power-Dialer findet dieser Kampf noch mal auf anderer Ebene statt.
Bei der Deutschen Bank 24 kriegst du die Anrufe gleich aufs Headset und die Daten auf den Bildschirm. Es ist voll nervig, wenn du die Anrufe gleich im Ohr hast. Du musst ständig auf der Hut sein, kannst nicht noch mal durchatmen. Das Telefon diktiert dir, wann und wie du die Anrufe annimmst. [Deutsche Bank 24, Duisburg, 2000]
Ich mache drei verschiedene Kundenlinien. Erst durch die Ansage im Telefon kriege ich mit, welcher Anruf reinkommt. Eine digitale Stimme sagt was von "Ersatzteile" oder "Garantiefall". Ich muss dann gleich meinen Begrüßungsspruch ablassen, weil der Kunde sofort in der Leitung ist. Das kommt irgendwann automatisch. Du hörst die Stimme und sagst den Spruch, ohne Nachdenken. Du machst dann den Anruf fertig, legst auf... und wieder die Stimme, Spruch, Anruf bearbeiten, Auflegen... [Fiat, Milano, 2002]
Sprachcomputer
Wo die Freundlichkeit, das Lächeln am Telefon, nicht entscheidender Bestandteil der Ware Telefondienstleistung ist, versuchen die Kapitalisten die Arbeitskraft ganz zu ersetzen. Auf der Grundlage von Standardisierung und Computereinsatz experimentieren die Unternehmensleitungen in einigen Bereichen mit der Einführung von Sprachcomputern (Interactive Voice Response, IVR). Besonders da, wo die Standardisierung besonders fortgeschritten ist und Unternehmen im Inbound ihre Kundenqualifizierung und die eigentliche Telefondienstleistung auf zwei Levels verteilt haben, wird versucht, das einfache Abfragen von Kundendaten im ersten Level durch automatische Anlagen zu ersetzen.[76] Ebenso bei Banken, wo die Kundenqualifizierung aufgrund von Datenschutz und möglichem Missbrauch besonders hoch ist. Hier ein Beispiel:
Bei der DB24 klingelt es im Headset, dann öffnet sich auf dem Bildschirm ein Fenster, wo der Name und die anderen Daten des Kunden erscheinen. Du lässt dann deinen Begrüßungsspruch los und falls die Person nicht noch einmal ihren Namen sagt, fragst du, wer da spricht. Das klappt vielleicht zu achtzig Prozent. Bei den anderen haut das mit dem IVR nicht hin, weil sie dem per Stimme oder Tasteneingabe ihre Konto- und ihre Geheimnummer geben müssen, um dann per ACD/CTI zu uns durchgestellt zu werden. Etliche AnruferInnen sind auch genervt vom IVR, weil sie das grundsätzlich scheiße finden, mit einer Maschine zu reden, oder weil der ihre Eingaben nicht akzeptiert hat und immer wieder nach ihren Nummern fragt. Die sülzen uns dann voll... Einige haben sich auch drauf verlegt, gleich falsche Eingaben zu machen, um direkt bei uns zu landen. [Deutsche Bank 24, Duisburg, 2000]
Dass die Einführung von Sprachcomputern für einfache Aufgaben bisher nicht flächendeckender passiert, liegt weniger an der umwerfenden Freundlichkeit der ArbeiterInnen, die Sprachcomputer noch nicht simulieren können, sondern am weiter bestehenden Unwissen der Kapitalisten über den Arbeitsablauf und unvorhersehbare Komplikationen. Bei der Citibank mussten die ArbeiterInnen während jedes Calls bestimmte Infos festhalten, die für die Einführung von Sprachcomputern wichtig sind: Hat der Kunde einen Sprachfehler? Spricht er hessisch? Stellt er unerwartete Fragen? Verhält er sich sonst irgendwie maschinenungerecht?
Sie wollen für alle repetitiven Tätigkeiten, wie das Abnehmen von Wertpapierordern, Überweisungen und Daueraufträgen sowie Kursabfragen ("Wie viel kostet dieses Wertpapier?") Sprachcomputer einführen. Anscheinend haben sie aber noch gar nicht die Technik dafür. Auch der bisherige Sprachcomputer (Kontenstände ansagen) ist nicht sonderlich ausgereift, denn bei bestimmten Anruferzahlen bricht er zusammen. Anfang der Woche haben sie dann diesen Sprachcomputer vor alle Anrufe geschaltet, die uns gelten (bisher gab es eine separate Nummer für den Sprachcomputer). Das war ein Schuss in den Ofen. Die konnten wegen des Sprachcomputers die Leitungen nicht mehr dichtmachen, als das Anrufaufkommen zu groß wurde. Daher sind seit dem oft rund 140 Leute in der Warteschleife, vorher waren es nie mehr als 60. Alle meckern, aber keiner zieht an den Steckern... [Citibank, Duisburg, 2000]
Bis jetzt haben die Sprachcomputer also noch nicht zu dem "rationalisierenden" Erfolg geführt, der vor allem von Gewerkschaftsseite angekündigt wurde. Die haben schon vor Jahren angekündigt, dass zigtausend Call Center-Jobs durch die Sprachcomputer wegfallen werden. Wie schon in den Achtzigern mit dem Bild der "menschenleeren Autofabrik", wird hier das Wissen und die Macht der Unternehmer überschätzt und damit auch bei den ArbeiterInnen das Gefühl der Machtlosigkeit und Ersetzbarkeit verstärkt.
Verhältnis Mensch / Maschine
Die kontrollierende und rationalisierende Funktion der Maschinen ist nur eine Seite. So sehr die Unternehmer auch versuchen, die ArbeiterInnen durch Einführung neuer Technologien zu entmachten und zu intensiverer Arbeit zu zwingen, so kommen sie nicht aus dem Widerspruch heraus, dass die Maschinen das bleiben, was sie (auch) sind: Arbeitsinstrumente. Will sagen: Es sind letztendlich die ArbeiterInnen, die den Maschinen "Leben einhauchen", die sie produktiv werden lassen.
Welches Verhältnis entwickeln die ArbeiterInnen zu den Maschinen, zu dem Widerspruch, dass sie Arbeitsinstrument und gleichzeitig Mittel zu ihrer verschärften Ausbeutung sind?
Eine Attraktivität der Arbeit im Call Center liegt darin, dass mensch mit diesen modernen Geräten zu tun hat. Computer sind im Privaten momentan hipper als Blutdruckmessgeräte oder Blechstanzen. Was verändert sich, wenn mensch jetzt plötzlich "auf Arbeit" im Internet surfen oder telefonieren muss? Hier einige Beispiele:
Viele fluchen ständig rum, weil die Software langsam ist, hängen bleibt, vorübergehend ganz ausfällt usw. Du hast einen Kunden am Ohr, kannst aber nichts für den machen, weil du keine Infos bekommen hast. Das wird dann dem "blöden Computer" zugeschoben, aber auch Fiat, weil die keine besseren Kisten oder bessere Software einsetzen. Ausgleichen kannst du da nicht viel, weil der Computer meist die einzige Quelle von Infos ist. Die Kunden nölen rum, aber das bist du da sowieso gewohnt. Gleichzeitig nutzen viele den Computer für ihre eigenen Sachen: E-Mails checken und schreiben, Surfen, Chatten. Manche sind ständig dabei, obwohl das offiziell verboten ist und die Teamleiter Leute auch direkt drauf ansprechen. [2002]
Surfen und E-Mails machen alle, ist aber auch nicht verboten. Schließlich gehört das auch zu deiner "Ausbildung". Ansonsten bist du angehalten, mit den Testrechnern (also nicht deinem Arbeitsrechner) rumzuspielen, Sachen einzubauen, zu installieren, auszuprobieren. Viele machen das auch, weil sie das interessiert... oder weil sie vor den Teamleitern Interesse zeigen wollen... oder um die Zeit rumzukriegen. [2001]
Bei mir im Call Center war es so, dass sich viele ArbeiterInnen PC-Games auf ihre Computer geladen haben oder halt in den Pausen im Internet rumgesurft sind, private E-Mails geschrieben haben, oder so was. Dadurch wurden die Pausen natürlich nicht unbedingt kürzer, woraufhin das Management den Zugang zum Internet auf bestimmte Sites reduziert und alle Spiele usw. von den Computern gelöscht hat. Das einzige, was sie draufgelassen haben war so ein Malprogramm. Wir haben uns erst gefragt, warum gerade so ein beschissenes Malprogramm, das für die Arbeit wirklich nicht notwendig ist. In den Pausen konnte man dann beobachten, dass viele Leute mit diesem Malprogramm rummachten, und so weiter an ihrem Arbeitsplatz blieben, während andere halt am Kaffeeautomaten rumhingen und miteinander quatschten. Da wurde der Sinn und Zweck dieser Aktion doch noch deutlich... [2001]
Na ja, ich meine es ist eine Computer-Hotline. Da haben welche "das Hobby zum Beruf" gemacht, und manche nutzen ihr Hobby um Programme zu hacken oder den Kaffeeautomat zu knacken. Einmal hatte die ganze Hotline ein Pop-up Programm gefunden, mit dem alle miteinander kommunizieren konnten. Am Anfang waren es nur fünf Leute, die miteinander gechattet haben, zum Schluss waren es aber alle durcheinander. Die Schichtleitung hat es von allen Rechnern runternehmen lassen. Aber es hat nicht lange gedauert, bis einige neue Wege gefunden haben, miteinander zu "quatschen". [2001]
5.7 Hierarchie - Here is the Team-Leiter
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Die Kombination von Kundenanruf, Software und ACD-Anlage gibt den Arbeitstakt an. Der Hass der ArbeiterInnen richtet sich aber selten auf die Maschinerie, weil die ACD-Anlage den Anschein von Objektivität vermittelt, sondern auf die Teamleitung.
Solange die Datenerfassung nur in irgendeinem Computer stattfindet, ist das unangenehm, führt aber nicht zwangsläufig dazu, jeden Call anzunehmen oder sich nicht für eine Verschnaufpause auf Nacharbeit zu stellen. Wenn es da nicht die Teamleiter gäbe. Ihre Aufgabe ist es vor allem, mithilfe der Daten der ACD-Anlage Druck auf die ArbeiterInnen auszuüben. Der Arbeitszwang in Call Centern wird so vor allem mittels persönlich vermitteltem Kommando durchgesetzt.
Um uns ans Arbeiten zu bringen und die Intensivierung der Arbeit durchzusetzen, werden uns Teamleiter, Supervisoren usw. vorgesetzt. Diese kontrollieren, ob wir genug Anrufe pro Stunde entgegennehmen, wie lange wir Pause machen, ob wir die Qualitätsanforderungen einhalten usw. Damit wir sie nicht nur als Aufpasser und Spione sehen, bekommen sie neben ihren Kontrollaufgaben oft noch andere Kompetenzen in der Organisation, Informationsbeschaffung usw. Wir sollen darauf angewiesen sein, sie anzusprechen, wenn was nicht klappt oder wir was brauchen - und gleichzeitig drücken sie uns Anrufstatistiken rein. Die Teamleiter sammeln so Informationen über den Arbeitsprozess und geben die an die Geschäftsleitung weiter. Diese benutzt die Informationen, um die Arbeit weiter zu intensivieren. Die Teamleiter spielen als erste "Ansprechpartner" aber auch die Rolle eines Puffers: wenn es Probleme gibt, uns was stinkt, sollen wir das am Teamleiter auslassen, statt gleich die Geschäftsleitung anzugreifen. Konflikte sollen so klein gehalten und begrenzt werden. Die Teamleiter sollen den Willen der Geschäftsleitung gegen uns durchsetzen. Je nachdem, welche Konflikte es gibt und was sie darin erreichen wollen, verhalten sie sich unterschiedlich: eher "kumpelhaft", was besonders die können, die vorher selber an den Telefonen gearbeitet haben; die lassen sich duzen und kümmern sich angeblich um die Klärung aller Probleme; oder "distanziert" und autoritär, wozu oft Teamleiter von außen eingestellt werden; die halten Abstand und ziehen offen Maßnahmen gegen uns ArbeiterInnen durch. [hotlines Nr.2, Dezember 2000]
So entsteht eine Situation, wo einerseits viele ArbeiterInnen ständig mit ihren Teamleitern über Pausenzeiten, Schichtpläne und unzureichende Informationen streiten, während das Management "drüber steht" und getrost weiter Geld zählen kann. Andererseits laufen die Streits oft auf dem Hintergrund des Gequatsches von "Wir sind alle ein Team!", von Duzen und vertraulichem Getue:
Die Chefs benehmen sich nicht wie Chefs. Sie heißen dann auch Mentoren und Supervisors, aber sie sind immer freundlich dabei. Der Besitzer von der Kneipe, in der ich gejobbt habe, hatte Spaß dabei, den kleinen Kellnerinnen zu sagen, dass sie irgendwelche Papierchen vom Boden aufheben sollen. Und das geht in eine Call Center-Strategie nicht rein. Da muss das kommen, dass wir als Gruppe etwas total Sinnvolles machen und dabei nett zueinander sind. [2000]
Man duzt sich, ist oft gleich alt, pflegt die gleichen Hobbys... Die Teamleiter können zum Teil nur schwer ihre Autorität durchsetzen, und Ansprüche oder Konflikte werden auf einer persönlichen Ebene diskutiert: "Du! Willst mich nicht früher gehen lassen!"... [2001]
Dies kann aber die Fronten nur oberflächlich verschleiern. Die Maschinerie gibt einen Arbeitsrhythmus vor, von dem sich die ArbeiterInnen nur durch Kappen der Verbindung zur Maschine befreien können: auf "Nacharbeit" stellen, Pausen machen, Calls ignorieren. Die Teamleiter versuchen das zu verhindern.
Die ACD-Anlage kann lediglich Zahlen vergleichen, also die Quantität der Anrufe oder die Dauer der Pausen. Die Teamleiter müssen uns diese Zahlen immer wieder auf den Schreibtisch schmieren, uns damit "motivieren" oder Konsequenzen androhen, für den Fall, dass wir uns nicht "verbessern". Darüber hinaus kontrollieren sie aber auch die Qualität - Freundlichkeit, Einhaltung der Sprachvorgaben... Das lässt sich bisher durch keine Maschine überwachen. Die Teamleiter hören Gespräche mit - zuweilen ohne Wissen der ArbeiterInnen - geben Anweisungen, machen Schulungen. In manchen Call Centern werden dafür zusätzlich sogenannte Coaches eingesetzt.[77]
5.8 Telefonieren - was für ein Service?
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Es geht um das Reden, auf unterschiedliche Art und Weise, mit unterschiedlichen Funktionen und Absichten, flexibel oder standardisiert, zweihundertfünfzig mal am Tag die gleichen Floskeln oder nur zehn mal. Sich anschreien lassen, vollgetextet werden, nichts verstehen, besänftigen, zurechtweisen, beruhigen, versprechen, lügen, rausreden, stottern und gähnende Langeweile. Nicht zuhören und doch was zu sagen haben, auf Stichworte reagieren, nicht ausreden oder einfach labern lassen.
Mit anderen durch das Telefon zu reden, bedeutet für beide Seiten zunächst Abstraktion. Das, was Kommunikation live und direkt mit einem tatsächlichen Gegenüber einfach macht, nämlich Gestik, Gesichtsausdruck, Körperhaltung und Kleidung, fällt beim Telefon weg. Stünde mir an einem Empfangsschalter ein etwa Zwanzigjähriger mit langen Dreads und Piercings im Gesicht gegenüber, käme es mir nicht in den Sinn, diesen Kunden zu siezen, und er erwartete es wahrscheinlich auch nicht. Am Telefon aber sieze ich sogar Siebenjährige.
Call Center-ArbeiterInnen müssen sich einzig und allein auf die Sprache verlassen, auf die Wahl der Worte und die Betonung, auf alles, was Stimmen so hergeben. Und hoffen, dass ihr kulturelles Verständnis über Kommunikation mit dem der Anrufenden irgendwo eine Schnittmenge bildet. Bei diesem dünnen Eis wundert es doch, dass Kommunikation am Telefon überhaupt klappt. Oft genug eben auch nicht. Und eines ist klar, die Call Center-ArbeiterInnen sind diejenigen, die flexibel auf die Artikulationsfähigkeit und -unfähigkeit der Kunden eingehen müssen. Beispiele:
Inbound, Computerhotline:
Mein Telefon klingelt. "Computerhotline, schnelle Hilfe bei Computerproblemen, mein Name ist Griechenland, Guten Morgen. Dann geben Sie mit bitte mal ihre Kundennummer. Ok, ich stell' Sie zur Technik durch."
"Computerhotline, schnelle Hilfe bei Computerproblemen, mein Name ist Griechenland, Guten Morgen. Da muss ich sie zu einem Techniker weitervermitteln. Haben Sie schon eine Kundennummer? Dann registriere ich Sie und stelle Sie dann durch. Nennen Sie mir die Seriennummer ihres Rechners. Ihr Nachnahme ist Basilikum? Der Vorname? Die Postleitzahl? Das ist in Grevenbroich? Und die Strasse. Mit der Nummer. Und zum Schluss bitte noch die private Telefonnummer mit Vorwahl. So, ich sage Ihnen ihre Kundenummer, notieren Sie die bitte: 1234568. Ich stelle Sie jetzt zu einem unserer Techniker durch."
"Computerhotline, schnelle Hilfe bei Computerproblemen, mein Name ist Griechenland, Guten Morgen. Da muss ich Sie zu einem Techniker weitervermitteln. Haben Sie schon eine Kundennummer? Dann registriere ich Sie und stelle Sie dann durch. Nennen Sie mir die Seriennummer ihres Rechners. Ja, genau, der Computer. Nein, Sie müssen sie nicht auswendig kennen, die steht auf der Rückseite des Rechners, äh... Computers. Fängt mit XYZ S Schrägstrich N an und hat etwa zwölf Zeichen. Na, dann schauen Sie doch mal nach. Nein, das ist die Produkt-ID von Mircosoft. Ich brauche die Seriennummer vom Computer. XYZ S/N. Nein, nicht AJ, XYZ S/N. Bisschen weiter drunter. Ja, ja, auf dem weißen Aufkleber. Ihr Nachname ist Stock? Der Vorname? Postleitzahl? Dann fragen Sie Ihre Frau oder schauen Sie auf einen Brief, den Sie bekommen haben. Und die Strasse? Hausnummer? Ich sage Ihnen ihre Kundennummer: 1234590. Nein, das ist keine Telefonnummer, das ist ihre Kundennummer. Bleiben Sie dran, ich stell Sie durch."
"Computerhotline, schnelle Hilfe bei Computerproblemen, mein Name ist Griechenland, Guten Morgen. Ich stell Sie durch."
"Computerhotline, schnelle Hilfe bei Computerproblemen, mein Name ist Griechenland, Guten Morgen. Dann sagen Sie mir Ihre Kundennummer. Kleinen Moment, ich schau mal nach. Nein, der ist noch in Bearbeitung. Es gab da Probleme mit den Zulieferern. Wir erwarten täglich die Lieferung. Tut mir leid, da kann ich nichts beschleunigen. Natürlich ist es über die normale Lieferzeit hinaus. Nein, wir bieten keinen 24-Stunden Service, tut mir leid. Beschwerden richten Sie bitte schriftlich an das Haus. Ich verstehe Sie natürlich. Ja, ich kann mich in Ihre Lage versetzen, aber wenn keine auf Lager sind, kann ich auch keine rausschicken. Tut mir leid, wenn Ihnen da Unannehmlichkeiten entstehen. Wiederhören."
"Computerhotline, schnelle Hilfe bei Computerproblemen, mein Name ... Sie möchten mit einem Vorgesetzten sprechen, kleinen Moment bitte."
Outbound, Aboverkauf (Betonungen im Skript vorgegeben):[78]
Und dann geht's los: "Führungskräften (betont) bietet Lokus Pokus ein Abo (betont) zu Vorzugs (betont) Konditionen (stimme bloß nicht senken!). Sie erhalten (betont) Lokus Pokus jeweils zehn (betont) Ausgaben lang völlig gratis (stimme bloß nicht senken) danach zwölf Monate lang zum Sonderpreis von nur 9,10 DM (betont) pro Doppelheft (Stimme immer noch nicht senken!) und der Clou, nach (betont) dem Jahr können sie jederzeit (betont) wieder kündigen, mit sofortiger (betont) Wirkung. Sie stecken also nicht in so einer (jetzt der schauspielerisch anspruchsvollste Moment! Ich tue so, als ob ich stark überlegen müsste, wie man diesen Zustand am besten ausdrücken könnte): Abofalle!!! (und jetzt total locker und selbstverständlich) Einverstanden?"
Jetzt lacht sich der am anderen Ende meist einen. Erstens über dieses lächerliche Vorgelese, denn wir dürfen ja noch nicht mal im Ansatz so tun, als ob das freigesprochen wäre; nein, schön langsam und ganz doll betont; und zweitens über diesen dummen Trick: Einverstanden?
Natürlich nicht, was denken Sie denn, aber netter Versuch und wirklich schön vorgetragen. Oder die andere Seite hat nur "Gratis" gehört und sagt sofort: Ja klar, nehme ich. Andere möchten sich's wenigstens überlegen und wollen was Schriftliches, was ja auch verständlich ist. Is' aber nich', weil es so etwas bei Sonderkonditionen von Telemarketing nicht gibt. Wenn Sie den Lokus Pokus nicht lesen, biete ich Ihnen doch rasch 'ne andere Zeitschrift an. Der Wolgaverlag hat eben alles. Aber streng nach Skript, versteht sich. Für jeden Einwand der richtige Satz. Peinlich wird's, wenn du den nicht findest oder 'nen Falschen vorliest. Weichst du zu sehr vom Skript ab, oder liest du zu schnell oder falsch betont vor, hast du entweder sofort die Teamleiterin im Nacken, oder eine Kollegin, die dich vor der Teamleiterin warnt.
Das Verhältnis zur Dienstleistung
Wie erleben diejenigen die "Dienstleistungsgesellschaft", die gezwungen sind, zu dienen? Welchen Sinn sehen sie in der Arbeit im Call Center und wie gehen sie mit dem Widerspruch um, einerseits "dem Kunden dienen zu sollen" (Qualität) und ihn andererseits möglichst schnell abfertigen zu müssen (Quantität)?
Das mit der Freundlichkeit ist so eine Sache. Die meisten ArbeiterInnen wollen dem Kunden helfen, aber sie scheitern an Arbeitsorganisation und Tempo. Wenn keine Couchgarnituren auf Lager sind, lassen sich eben auch keine rausschicken. Wenn die Informationen, die der Kunde wünscht, nicht zu haben sind, muss die ArbeiterIn anfangen zu improvisieren, zu lügen oder sich kreativ aus der Affäre ziehen. Dies bestimmt auch das Verhältnis, das viele Call Center-ArbeiterInnen zu ihrer "Dienstleistung" haben: "Ich kann sowieso nichts ändern. Es klappt halt nicht alles. Ich bin die Blöde, die das durch Reden ausgleichen muss!" Die Probleme, Fehler, Unzulänglichkeiten - die Abwesenheit von "Service" - muss er oder sie wegreden. Und mancher Kunde entwickelt sich derweil zur Furie. Der stellt dich auf die Bühne, acht Stunden lang. Lass dir bloß nicht die Gesprächsführung nehmen, sonst bist du verloren! Wenn die AnruferIn anfangen sollte, die Rollen zu bestimmen, dann leg los: Vertröste sie, mach sie fertig, lüg sie an, wimmel sie ab, aber lass dir bloß nicht auf der Nase rumtanzen! Die sozialarbeiterischen und seelsorgerischen Fähigkeiten, die Call Center-ArbeiterInnen im Laufe der Zeit erlernen, sind enorm. Für sie entsteht ein Spannungsverhältnis: Sie müssen mit den AnruferInnen vernünftig reden und gleichzeitig irgendwie den Arbeitstag durchstehen.[79]
Ohne das Call Center könnte Aldi keine Computer verkaufen, oder Aral oder Tschibo könnten keine Brenner oder Scanner verticken. Es sei denn, mensch würde eine Bibliothek an Büchern mitliefern. Es gibt Leute, die Fragen schon beim Kauf, ob es einen Support gibt, ob sie bei Problemen irgendwo anrufen können. Es ist auch eine psychologische Betreuung, dass die Leute das Gefühl haben, dass sie nicht mit dem Produkt und den Problemen alleingelassen werden. [Medion, Mülheim, 2001]
5.9 ArbeiterInnenverhalten - Survivaltechniken
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Wo immer das Kapital ArbeiterInnen zusammenbringt, entwickeln diese Formen der Verweigerung der Arbeit. Im unstillbaren Hunger des Kapitals nach Vermehrung liegt die Tendenz, uns ArbeiterInnen zu vernutzen und ausbluten zu lassen. In vielen Call Centern ist der Burn-out, das Ausbrennen, alltäglich. ArbeiterInnen hören - trotz netter KollegInnen und im Vergleich zu anderen Jobs scheinbar erträglicheren Bedingungen - nach sechs Monaten oder einem Jahr auf, weil sie merken, wie ihr Augenlicht verschwimmt, ihre Ohren schmerzen, die plärrenden Kundenbeschwerden sich in ihr Hirn einbrennen.
Um nach der Schicht noch einigermaßen alle Sinne beisammen zu haben, lassen sich die ArbeiterInnen Mittel und Wege einfallen, sich Pausen zu verschaffen, Oasen der Ruhe, um mal durchzuatmen. Dafür geben sie vor, was Wichtiges zu tun zu haben, und bleiben dann zufällig am Kaffeeautomaten hängen. Sie machen falsche Computereingaben, um die Bearbeitung eines Calls abzukürzen, oder "Arbeit nach Vorschrift", aber eben langsam und gemächlich, damit auch ja nix falsch läuft. Wenn das alles nicht reicht, muss halt mal ein Krankenschein her. Nach ein paar Tagen im Bett und auf Partys kann mensch den Telefonterror dann wieder einigermaßen ertragen.
Solche Formen der Verweigerung haben wir in allen Call Centern gefunden. Sie werden auch von vielen ArbeiterInnen eingesetzt, die ansonsten wenig rebellisch sind. Meist laufen sie individuell ab. Sie erleichtern das Überleben, aber sie untergraben das Ausbeutungsregime nicht. Vielmehr sind sie Bestandteil des Ausbeutungsprozesses, weil sie verhindern, dass wir unter der Arbeit zusammenbrechen.[80]
Wie läuft das ab? Zum Beispiel melden sich die Call Center-ArbeiterInnen am Telefon, stellen das Gespräch aber auf stumm - sodass sie die AnruferIn hören, die aber nichts - und plaudern weiter mit der Kollegin. Zwischendurch haken sie wieder beim Kundengespräch ein, wenn Schlüsselworte gefallen sind. Das erfordert ein wenig Übung, ist aber möglich. Oder sie nehmen den Anruf entgegen, lesen aber ihren Artikel weiter und reagieren wieder erst auf Schlüsselworte. Dazu gehört Coolness, wenn man dann doch dreimal nachfragen muss. Aber zur Not war eben die Verbindung zu schlecht... Man versucht andere ArbeiterInnen aus anderen Abteilung zu erreichen und lässt sich ein bisschen Luft zwischen den Vermittlungen. Oder man quatscht erst ein mal fünf Minuten privat. Leider ist das nicht immer möglich. Nette Kunden werden möglichst lange in der Leitung gehalten, um mit ihnen ein bisschen nett zu plaudern. Da wird munter gescherzt, gebaggert, E-Mail-Adressen werden ausgetauscht. Das kann böse in die Hose gehen, wenn das ein Testanruf war...
Manchmal bereiten Kunden auch handfeste Probleme. Dann muss man die Probleme aus der Welt oder die Kunden vom Ohr schaffen. Man kann sie in die nächste Warteschleife verbinden, man kann ganz plötzlich auf die falsche Taste kommen oder dem Kunden einfach genau das erzählen, was er hören will. Und man kann testen, wie dehnbar die ACD-Daten sind: Wie lange kann ich die Pause überziehen, bevor ich einen Anschiss bekomme? Wie oft kann ich die Annahme der Calls verweigern, bevor ich das erste Teamleitergespräch habe?
Hier zwei weitere Beispiele, Zeichen von Solidarität unter den ArbeiterInnen, die meist zur Voraussetzung haben, dass diese schon einen Zusammenhalt untereinander entwickelt und Erfahrungen mit solchen Konflikten haben.
Die Inbound-ArbeiterInnen sollten den AnruferInnen auch Kredite aufschwatzen. Die meisten haben die Anweisung einfach ignoriert. Erstens, weil das einfach eine peinliche Situation ist, wenn da jemand eine Überweisung machen will und du den noch mit einem scheiß Kredit volllaberst. Zweitens, weil etliche ArbeiterInnen meinten, dass es auch nicht korrekt ist, wenn Leute ohne Kohle auch noch in eine Kreditfalle gelockt werden. Drittens, wegen des Stresses, den eine langes Kredittelefonat produziert. [2001]
Wir sollten unsere eigenen KollegInnen unter Druck setzen. Sobald ein Anruf zum Beispiel für die französischsprachige Linie auf dem für alle einsehbaren Display erscheint, sollten wir die "freien", französischsprachigen ArbeiterInnen auffordern, den Anruf anzunehmen. Das wurde ignoriert. Die meisten haben sich über die Anweisung lustig gemacht. [2000][81]
Zwischen den Anrufen wird oft mit den anderen ArbeiterInnen gesprochen. Manche Kundengespräche sind emotional aufreibend: Man hat einem Kunden einen Kredit verwähren müssen. Der hat gerade seinen Leidensweg und diverse Schicksalsschläge ausgebreitet. Oder man wurde gerade das fünfte Mal angeschrieen, weil die Warteschleife so lang ist.[82] Um das zu verarbeiten, braucht man KollegInnen, damit nicht der Freund, die Freundin oder die Wohngemeinschaft jedes Mal dran glauben muss. Egal wie weit fortgeschritten die "professionelle Distanz" ist, ohne Leute, wo man das abladen kann, endet das im Nervenzusammenbruch.
5.10 Gesamteindruck - Bericht aus einem der Scheißläden[83]
[top]
Die Arbeitsschritte, die Arbeitsorganisation, die Maschinerie, das ArbeiterInnenverhalten... das Elend der Arbeit ist mehr als nur der Zoff mit dem Teamleiter oder Nervereien mit abschmierenden Computermasken. Erst das Zusammenspiel all dessen erleben wir als Zwang zur Arbeit. Hier ein Beispiel für eine Gesamt-Beschreibung des Arbeitsalltags: das Fiat-Call Center in Milano/Italien:
Erstmal sieht alles ganz nett aus, wenn du in das Call Center von Fiat in Milano kommst. Viel Platz, bunte Zwischenwände und Fähnchen, jede Menge junge Leute, die vor großen Monitoren sitzen, rumwuseln oder in der Automatenecke relaxt eine rauchen. Sie sprechen verschiedene Sprachen, Italienisch, Französisch, Deutsch, Spanisch, Holländisch, Polnisch... Eine Mischung aus Internetcafe, Kinderladen und einer dieser Zeitungsredaktionen aus einer amerikanischen Soap.
Die Arbeit beginnt auch ganz locker. Du kriegst eine Schulung, bei der dir erzählt wird, dass das Call Center letztes Jahr prämiert wurde. Alle seien nett zueinander, weil dann die Arbeit Spaß mache. Wir sollten immer lächeln - auch am Telefon - weil dann die Kunden einen guten Eindruck bekommen und weiter die Fiats, Alfa Romeos und Lancias kauften. Einige Wochen und viele Anrufe später hast du kapiert, wo du gelandet bist. Das Ambiente kann dich nicht mehr verzaubern: Welcome to the world of call centers!
Dort arbeiten siebenhundert Leute, mehrheitlich Frauen, in Vollzeit und Teilzeit. Etliche von ihnen sind in der Verwaltung, der große Teil aber sitzt an den Telefonen, aufgeteilt in verschiedene Abteilungen nach Sprachen, angebotenen Dienstleistungen und unterschiedlichen Aufgaben. Viele haben befristete Verträge für zehn oder zwölf Monate.
Die Inbound-ArbeiterInnen empfangen Anrufe von Privatkunden, wie Reklamationen, Anfragen usw., und Händlern und Werkstattangestellten, die auf der Suche nach einem Ersatzteil sind, eine Bestellung stornieren wollen oder einen Garantiefall überprüfen müssen. Es gibt außerdem noch Outbound-Abteilungen, die Versicherungen und andere Services verkaufen, und einen Kundendienst, bei dem die Besitzer von Navigationsgeräten eine SMS schicken können und zurückgerufen werden. Manche ArbeiterInnen bedienen nur eine "Linie" (zum Beispiel die Navigationskunden), andere machen zwei, drei, vier verschiedene.
Die Technik im Call Center besteht aus einem Sammelsurium von PCs, Telefonanlagen, alter und neuer Software, Faxgeräten... Mit dem verkabelten Headset bist du der Sträfling an der Kette. Oder ein Gehirnpatient, dessen Kopf mit dem Computer verdrahtet ist.
Wie in anderen Call Centern werden die Anrufe über eine ACD-Anlage (Automatic Call Distribution) verteilt. Diese Anlage nimmt den Anruf an, kontrolliert anhand der anrufenden Telefonnummer, aus welchem Land er kommt, welche Abteilung zuständig ist, welche ArbeiterIn dort gerade "frei" ist und stellt den Anruf dahin durch. In einigen "Linien" gibt es noch CTI (Computer Telephony Integration). Das bedeutet, dass zum Beispiel bei den Anrufen für das Navigationssystem mit dem Anruf automatisch der Datensatz des Kunden bei dir ankommt: Der Anruf landet im Headset, der Datensatz erscheint gleichzeitig auf deinem Bildschirm. Dabei läuft das direct-to-ear: Die Anrufe werden direkt auf dein Headset gestellt - ohne Abnehmen. Du hörst einen Spruch und schon ist der Anrufer dran. Damit hast du keine Kontrolle über die Anrufe...
Bei Schichtanfang musst du dich in mehrere Programme einloggen - je nachdem, welche Anrufe dir durchgestellt werden: unter anderem in Software zum Nachhalten der Anrufe, für die Ersatzteilbestellungen, für die Bearbeitung der Kundenanfragen, für die Navigator-Kunden, damit sie den Weg finden. Zum Teil sind die Programme wie Windows aufgebaut, mit Fenster und Buttons zum Anklicken, zum Teil noch DOS-ähnlich mit Codes und Tabulator-Taste... Die Rechner sind vernetzt und greifen auf zentrale Datenbestände zu.
Im ersten Level musst du dich nicht groß mit der allgemeinen Arbeitsorganisation beschäftigen. Du machst einen Anruf, suchst die Infos raus. In manchen Linien bearbeitest du danach ein Fax, dann wieder einen Anruf. In der Regel kannst du die Sachen alleine bearbeiten. Manchmal fragst du andere ArbeiterInnen um Rat oder die Teamleiter. Bei "unlösbaren" Anfragen sagst du den Kunden halt, dass du nichts für sie tun kannst. Bei Ersatzteilen und Garantien gibst du die "Fälle" eventuell weiter, indem du die Anfragen und Informationen in ein Textfeld schreibst und dann über das Anklicken eines Buttons an den zweiten Level schickst. Bloß weg damit! Du kümmerst dich nicht darum, was danach mit den Fällen passiert.
Ein Teil der ArbeiterInnen des zweiten Levels sitzt auch in Milano, andere in anderen Fiat-Filialen irgendwo in Europa. Sie kriegen die zwanzig Prozent der Fälle, die der erste Level nicht lösen kann, in ihre persönliche Inbox (Liste) und müssen die abarbeiten. Die Fälle bleiben so lange bei ihnen, bis sie eine Lösung gefunden haben. Sie rufen Leute an, die ihnen die Infos geben sollen, andere Fiat-Angestellte, Werkstätten, Lieferanten... Hier hast du mehr Verantwortung. Wo du im ersten Level auf dumm schalten und einfach warten kannst, ob was reinkommt, musst du dir im zweiten Gedanken machen, wie du die Sachen erledigt kriegst, die dir aufgelastet werden. Das ist stressiger.
Die Arbeit besteht aus mehr als Telefonieren: Du nimmst Anrufe an, quatschst mit den Leuten, stellst Fragen, hörst zu, gibst selber Antworten, beruhigst sie, quetscht sie aus... Aber gleichzeitig bist du ständig mit dem PC am Machen: Eingabe von Zahlen und Daten, Anklicken von Befehlen, Eingabe von Codes, Suche nach Einträgen auf dem Bildschirm... Manche "Agents" sehen ständig so aus, als würden sie gleich in den Monitor kriechen... Diese Intensität der Arbeit fällt dir selbst oft gar nicht auf.
Erschwert wird die Arbeit durch die diversen Software-Programme unterschiedlichen Alters, die öfters mal abkacken, während du einen ungeduldigen Kunden an der Strippe hast. Der Aufbau der Programme ist unübersichtlich, und du weißt erst nach Wochen, wo du was rausfinden kannst. Wenn du eine Info hast, ist nicht klar, ob die stimmt, weil die Zahlen oft veraltet oder falsch sind.
Viele Anrufe gehen ohne viele Probleme rum. Die wollen was, du gibst es ihnen oder nicht. Für manche AnruferInnen bist du der Arsch, der für die Lieferschwierigkeiten von Fiat oder die technischen Unzulänglichkeiten der eingesetzten Software, Server, Telefonanlagen (die alle mitunter versagen) verantwortlich ist. Für andere bist du die Dienerin, die schnell, freundlich und gehorsam Infos rüberschieben soll. Du kriegst Anrufe von wütenden Kunden, die dich volllabern und nerven. Du kriegst Anrufe, bei denen du fast nichts verstehst, weil die AnruferIn auf einer Verkehrsinsel steht oder im Auto sitzt... oder weil die Verbindung einfach mal wieder scheiße ist. Du kriegst Anrufe, bei denen dein Computer abstürzt und du alles noch einmal eintippen darfst. Du kriegst Anrufe von Leuten, die einfache Fragen haben, aber du hast nicht die richtige Information, weil sie dir keiner gibt.
Vor allem aber kriegst du Anrufe, Anrufe, Anrufe... Du hast das Fließband im Kopf. Nach der Bearbeitung eines Anrufes kommt der nächste, dann der nächste. Die Arbeit ist ermüdend. Weil sich dieselben Abläufe immer wiederholen; weil die Anrufer immer dieselben Fragen haben, du immer dieselben Antworten; weil du genau den Vorgaben der Software-Maske folgen musst: Name, Nummer, weitere Nummer, dritte Nummer...; weil du ständig auf den Monitor glotzt; weil du die Leute schlecht verstehst, weil es in der Leitung knackt... bis dir am Ende der Schicht der Kopf brummt und du nachher in der Metro nicht mal mehr die Zeitung lesen kannst.
Viele ArbeiterInnen sagen offen, dass die Arbeit scheiße ist und ihnen am Arsch vorbei geht. Trotzdem sind sie irgendwie noch freundlich zu den Kunden, machen die anfallenden Sachen irgendwie... Die Tatsache, dass du mit Kunden zu tun hast, zwingt dich, die Arbeit doch "irgendwie" zu erledigen.
Auch wenn die meisten nicht lange da arbeiten - und das wissen - richten sie sich irgendwie ein, um das alles zu ertragen. Sie versuchen, während der Arbeit gut mit den "KollegInnen" auszukommen. Sie entwickeln Techniken, die Softwaremasken durch "falsche" Eingaben zu überlisten. Sie gewöhnen sich daran, die genervten AnruferInnen ablaufen zu lassen... Einige versuchen auch, die Arbeit "gut" zu machen. All den Schwachsinn den ganzen Tag, ein Anruf nach dem anderen, die Händler, die seit Monaten auf ein Ersatzteil warten, die Kunden mit Neuwagen, die gleich kaputt sind... halten sie nicht aus. Sie hängen sich rein - zum Teil unter dem Spott der anderen - um doch noch so was wie "Service" rüberzubringen... Irgendwann geben das die meisten auch auf...
Um die Arbeit, die Langeweile, den Stress einigermaßen zu ertragen, versuchen die ArbeiterInnen auch, sich irgendwie zu vergnügen. Kommunikationsfähigkeiten lassen sich auch bei privaten Gesprächen nutzbringend einsetzen (so ein Flirt zwischendurch...). Am PCs kann die eigene Email gecheckt werden. Nebenbei kannst du SMSe verschicken, surfen, chatten, lesen. Alles verboten... aber gleichzeitig wird es geduldet, weil sonst eine noch miesere Stimmung aufkäme...
Es gibt eine Art Versteckspiel mit den Teamleitern: Du machst die Arbeit irgendwie, ohne dir ein Bein auszureißen und einen Anschiss zu kriegen. Du surfst oder vertreibst dir die Zeit, ohne dass die Chefs das mitkriegen. Die Teamleiter sind dabei unterschiedlich drauf. Manche schwingen die Knute, machen die Leute an. Ihre Funktion liegt vor allem darin, dich zu überwachen. Sie haben ein Programm, mit dem sie kontrollieren können, ob die "Agents" einen Anruf haben oder auf "bereit" stehen und somit einen annehmen können. Sie sehen auch, wie viele Calls angenommen werden, wie viele wie lange in der Warteschleife waren, wie viele aufgelegt haben. Sie schauen sich "Fälle" an, die ArbeiterInnen bearbeitet haben, und weisen diese zurecht, wenn sie was falsch gemacht haben.
Manche Teamleiter waren vorher auch "Agents" und haben Ahnung von der Materie. Andere sind von "außen" und haben keine Ahnung. Manche setzen auf Karriere und machen auf hundertprozentig, andere wollen auch nur ihre Ruhe - sprich: keinen Stress mit den ArbeiterInnen.
Viele Diskussionen der ArbeiterInnen drehen sich um KundInnen, Probleme bei der Arbeitsorganisation usw. Meist geht es um die blöden Teamleiter, die Kleiderordnung... Warum behandeln dich die Chefs schlecht, warum ist das Kantinenessen mies und warum müssen die Kerle eine Krawatte tragen? Eine Arbeiterin meinte dazu, dass es die Chefs wollten, dass wir uns über solche Sachen aufregen, nicht aber über die insgesamt miesen Bedingungen. Was bringt es auf den Küchenchef zu schimpfen... es geht nicht um das Essen, sondern die ganze verdammte Küche...
Aufregung gibt es auch immer wieder um die "schlechte" Arbeitsorganisation. Eine ArbeiterIn fragte kürzlich, warum Fiat einem nicht einfach alle notwendigen Infos zur Verfügung stellt. "Doch nur deswegen, weil die Chefs die Kontrolle behalten wollen!", meinte sie. "Dabei könnten wir die Sachen viel besser erledigen, wenn die uns mehr erlaubten."
Ein lebender Widerspruch, den die Call Center-ArbeiterInnen täglich ausgleichen sollen: Sie federn die Bosheit und das Generve der KundInnen ab, indem sie freundlich sind, und versuchen, die Tücken der Technik durch Improvisation zu umgehen. Sie entwickeln Mittel und Wege, um die Fehler der Programmierer und die Unzulänglichkeiten der Telefonanlage auszugleichen, damit die Chose überhaupt funktioniert. Dabei werden sie von den Teamleitern bespitzelt...
Aber es gibt sogar eine gute Seite: Du triffst jede Menge junge Leute aus vielen Ländern. Da entstehen Freundschaften, Beziehungen... Trotz der Aufteilung in Sprachteams gibt es viele Kontakte zwischen den verschiedenen Abteilungen. Das erst macht die Arbeit überhaupt erträglich... Ansonsten bist du nur da, weil du die Kohle brauchst.
Einige motzen auch andere ArbeiterInnen an, versuchen, den Frust an anderen auszulassen. Sie regen sich auf, wenn sie einen falschen Anruf bekommen und ihn nicht weiterstellen können, weil die zuständigen "Agents" nicht am Platz sind. Statt die Chefs anzuscheißen, die solche Anrufe an die "Nicht-Zuständigen" durchstellen lassen, versuchen sie, die Probleme auf andere ArbeiterInnen abzuladen. Das machen aber nur einige.
Die Leute wissen, für wen sie arbeiten. Fiat hat einen miesen Ruf... "Klar ist die Arbeit scheiße, klar suche ich was anderes..." Es gibt aber wenige Diskussionen darüber, was wir anders machen können, ob wir diese Arbeit überhaupt brauchen, ob wir eine andere Gesellschaft schaffen können...
In der Gewerkschaft ist kaum jemand. Das interessiert auch die meisten nicht. Sie arbeiten da ein paar Monate und suchen sich dann was anderes. Ob das dann besser ist? Einige träumen von gut bezahlten Stellungen, ein paar werden das schaffen. Die meisten sehen sowieso nur zwei Möglichkeiten: Aufhören, weil die Arbeit mies oder du sowieso weiterziehen willst (anderer Job, anderes Land...); oder Aufsteigen, sprich weg vom Telefon... Bei einer Blockade des Call Centers durch streikende Arbeiter der benachbarten Alfa Romeo-Fabrik, die gegen die drohende Schließung der letzten Produktionseinheiten kämpfen, kamen einige der Call Center-ArbeiterInnen schon um fünf oder sechs Uhr früh, um noch ins Gebäude zu kommen. Beim Generalstreik im April haben auch etliche "Agents" gestreikt. Allerdings war das in den Teams sehr unterschiedlich. In einem Team ist eine Teamleiterin rumgelaufen und hat erzählt, "streiken ist verboten". Alle sind zur Arbeit erschienen! In anderen Teams lag die Streikbeteiligung bei bis zu dreißig Prozent; in einem waren sogar achtzig Prozent im Streik.
Eine Arbeiterin meinte, dass die "StreikbrecherInnen" gesagt hätten, dass sie die Kohle brauchten. Aber sie hielt das für eine Ausrede. Der Lohn ist wirklich mies (etwa 900 Euro netto bei Vollzeit), aber die Leute würden ja viele Überstunden machen, und an dem Tag wäre es wichtig, was zu machen. Stattdessen ginge es um was anderes: Die meisten seien jung, um die 25, und hätten keine Erfahrung mit Streiken. Und viele hätten keine Verbindung zu Italien, dass sie als WanderarbeiterInnen nur mal zwischendurch hier seien.
Der Generalstreik drehte sich offiziell aber eben nicht um Fiat, nicht um die unmittelbaren Bedingungen, sondern grundsätzlich um die politische Situation und den gesetzlichen Kündigungsschutz... Eine Arbeiterin - mit Erfahrungen aus Generalstreiks in Frankreich - meinte, dass der Kündigungsschutz vielleicht nur durch einen unbefristeten Streik zu sichern sei... [Fiat, Milano, 2002]
Das ist der Alltag!
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