kassiber 47 - Dezember 2001
Die Hunde bellen ... Von A ... bis RZ Es dürfte so Mitte/Ende `86 gewesen sein, als in der bundesdeutschen Autonomen Szene das sogenannte "Häger"-Papier - so genannt wegen eines Ausschnitts aus einem Hägar-Comic auf dem Titelblatt - kursierte. Das Papier, dessen wirklicher Titel "Versuch, eine autonome, anti-imperialistische Politik - neu - zu bestimmen" lautete und das - eng getippt und noch schlechter kopiert - heutzutage vermutlich schon bei bloßer Inaugenscheinnahme seitens der derzeitigen DesignerInnen-Linke durchfallen würde, formulierte eine ausführliche Kritik an Politik und Selbstverständnis der RAF nicht als Selbstzweck, sondern als Auftakt zu einer Selbstkritik einiger liebgewonnener autonomer Gewißheiten und Praxisformen. Im Frühjahr `87 im Zuge der Libertären Tage in Frankfurt erschien ein Nachtrag, "in der Absicht an das Ende des ersten Textes" - nämlich jenes "Häger"-Papiers - anzuknüpfen. Dieser Nachtrag mit dem Titel "Stand autonomer Bewegung - Langlauf oder Abfahrt im Sturz", unter anderem veröffentlicht im ak und im Schwarzen Faden, war unterschrieben mit dem heute fast zu einer Institution gewordenem Logo "autonome L.U.P.U.S.-Gruppe". Mit ihrem jüngstem Buch "Die Hunde bellen...Von A bis RZ. Eine Zeitreise durch die 68er Revolte und die militanten Kämpfe der 70er bis 90er Jahre vom Juli diesen Jahres kündigt nun die autonome L.U.P.U.S.-Gruppe den Abschied von diesem Logo und ihre "Auflösung in einige liebgewonnene, verstreute und verbundene Ichs" an. Grund genug, finde ich, der üblichen Buchbesprecherei unsere Anerkennung und unseren Respekt gegenüber 15 Jahren Qualität und Kontinuität - bei allen Brüchen, die es auch bei ihnen gegeben hat - vorauszuschicken. Ausgangspunkt für die jüngsten Auseinandersetzungen der autonomen L.U.P.U.S.-Gruppe mit militanter Geschichte der 70er bis 90er Jahre wie sie nun in "von A bis RZ." gesammelt vorliegen, waren - so informiert uns die Einleitung - persönliche Erinnerungen an den Freund und Genossen Tarek der 80er, die so gar nicht mit den Geschehnissen von Ende 1999 zusammenpassen wollten: "Und so machte ich mich mit einigen anderen auf die Suche. Wir spannten Fäden, gingen in den Erinnerungen und Nachforschungen weit zurück [...]. Wir lasen das Buch von Hans-Joachim Klein [...], kramten in RZ-Erklärungen, die wir damals lasen und heute anders verstehen lernten. Wir besuchten den OPEC-Prozeß, schlossen einige Leerstellen und stießen auf neue Fragen [...]. Und immer wieder unternahmen wir dabei den Versuch, die Auseinandersetzung mit militanter Geschichte nicht als etwas Abzuschließendes, Vergangenes zu begreifen, sondern als unverzichtbare Notwendigkeit, uns dem zu nähern, was noch kommen soll und muß." (S.12) Einige Überlegungen und Ergebnisse dieser Auseinandersetzungen wurden bereits publiziert, wie beispielsweise der Text "Ein Staatsbegräbnis für ‚68' oder Ihr Scheitern als Erfolgsstory" (ak 454, 2001), nun mit dem Autorennamen Wolf Wetzel versehen. Dessen Polemik gegen das selbstgerechte und angesichts der realen Verhältnisse grotesk anmutende Geseiere der 68er Renegaten um ihren Beitrag zu "mehr Freiheit" und "Selbstzivilisierung der Gesellschaft", wie es uns zuletzt im Rahmen der vor allem von der etablierten Rechten initiierten öffentliche Debatte um die linksradikale Vergangenheit der Joschkas und Jürgens vom Anfang diesen Jahres aus dem liberalen Blätterwald entgegenschwappte, lohnt allemal die Wiederveröffentlichung. Auch der Beitrag "Tod eines Märchenprinzen" (interim Nr.495 2000, auch kassiber Nr.42/Juli 2000) ist es meiner Meinung nach Wert, als Beitrag zur Debatte um Verrat und deren Abgründen ebenso wie hinsichtlich der Forderung nach einer Solidaritätsarbeit, die sich um ein Verhältnis zur Geschichte der RZ nicht herumdrückt, künftig nicht nur im Rahmen von Zeitungsarchiven verfügbar zu sein. Dasselbe gilt für das "Diskussionspapier anläßlich der Gerichtsprozesse gegen die Revolutionären Zellen/Rote Zora" von einigen Autonomen aus Frankfurt und Berlin (www.freilassung.de).Der ebenfalls bereits in der Interim (Nr.513/2000) und jungle world (Nr.42, 2000) veröffentlichte Text "Ein Streifzug durch die Frankfurter Geschichte Anfang der 70er Jahre - oder Wie sich Marcuses Randgruppenstrategie und die (Vor-) Geschichte Hans-Joachim Kleins in die Arme liefen", eine Zusammenfassung des in "Rückkehr in die Menschlichkeit" geschilderten Lebenswegs HJKs von der Unterklassenrealität in militante Zusammenhänge, macht dagegen überhaupt nur im Kontext der gesammelten Auseinandersetzungen und Rekonstruktionen in "von A bis RZ" Sinn. Dies konkret im Rahmen der Beiträge, die den Angriff auf die OPEC-Konferenz 1975 rekonstruieren, die die Debatten und vor allem der Leerstellen rund um den Ausstieg HJKs nachzeichnen und die sich schließlich ausführlich mit dem OPEC-Prozeß auseinandersetzen. Zwar verfahren diese und andere Texte für meinen Geschmack zu nachlässig hinsichtlich der Nachweise des den Rekonstruktionen zugrundegelegten Materials, es wird aber insbesondere im Beitrag "'Die letzte Schlacht gewinnen wir...' Ein Scheingefecht zwischen Massenmilitanz und bewaffnetem Kampf" und im Beitrag "Down by law - Im Haus staatlicher Kronzeugen Präparateure" klug argumentiert, wichtige Fragen gestellt, die Verhängnisse nicht geführter Debatten herausgearbeitet und zwar ohne dabei in den Fehler zu verfallen, Vergangenes ausschließlich aus der Perspektive zurückblickender Allwissenheit zu bewerten. So wird beispielsweise die Politik der Frankfurter Sponti/Plasterstrand Linken 1977/78 eben nicht vor dem Hintergrund dessen, was Fischer & Co heute sind, als Kampagne, "die nicht die Neubestimmung militanter Politik zum Ziel hatte, sondern deren Ende", bewertet, sondern diese Zielsetzung wird anhand der damaligen, insbesondere der nicht geführten Debatten und nicht gestellten Fragen dechiffriert. Ebenso wird gezeigt, wie das Verhalten der RZ, ihr Hinweggehen mit "großer Geste" über die von Klein aufgeworfenen Behauptungen und Vorwürfe, dazu führte, daß man den Fischers und Cohn-Bendits das Feld überließ "Fragen auf ihre Art zu beantworten". Dabei geht es dem Autor weder um eine Gut-Böse Zuweisung, noch um eine konsequenzlose "Ausgewogenheit" oder gar ein bürgerliches Objektivitätscredo, sondern immer um die Frage, was bedeuteten die Ereignisse und Debatten damals, für die radikale Linke jetzt und künftig samt ihrem Verhältnis zu militanter Politik. "Die eigentlichen Fragen, die sich jede radikale Bewegung stellen muß, sind damit von beiden Seiten vom Tisch gefegt: Wie entgeht mann/frau einer ‚militärischen' Konfrontation, die man/frau nicht gewinnen kann? Welche Rolle spielt tatsächlich die (erfahrene oder befürchtete) Repression beim Zusammenbrechen einer Bewegung? Welche existierenden sozialen Strukturen (informelle, nicht-legitimierte, patriarchale Machtstrukturen z.B.) und nicht existierenden politischen (Organisations-) Strukturen tragen zur inneren Auflösung der Bewegung bei? Wie minoritär darf militante Politik sein? Wie weit muß sie über das notwendige hinausweisen? Wie verbunden muß sie mit dem jetzt möglichen sein? Auf all diese fragen geben die Spontis weder sich selbst noch der Guerilla eine Antwort. Aber auch die radikalen KritikerInnen der Spontis stellen diese Fragen nicht in den Mittelpunkt ihrer Auseinandersetzung und verengen so - ungewollt gemeinsam - das Problem auf ein Bekenntnis für oder gegen revolutionäre Gewalt" (S.76f). Von "A bis RZ" erschöpft sich allerdings keineswegs in Beiträgen rund um die OPEC-Aktion, den Ausstieg HJKs, die Sponti-Linke und den OPEC Prozeß, vielmehr werden diese ergänzt von Texten unterschiedlicher Qualität zum damaligen Internationalismusverständnis und zu Entebbe (Erstveröffentlichung jungle world Nr.42, 2000), zum Israel-Palästina Konflikt, zur Haltung der Radikalen Linken gegenüber Israel und zu Fragen von Antisemitismus und Antizionismus und schließlich einem weiteren Interview mit Gerd Schnepel. "Eine von vielen Geschichten aus der Startbahnbewegung" beschreibt und kritisiert Strukturen, die Anti-Castor-Aktivisten durchaus bekannt vorkommen könnten und in "Das Ende unserer Politik?" wird die sog. Auflösungsdebatte noch einmal unter dem Blickwinkel damaliger Fragen "deren Beantwortung für jede Neubestimmung militanter Politik von großer Bedeutung ist" und damaliger Antworten "für deren Umsetzung eine neue Praxis entwickelt werden muß" durchleuchtet. Insgesamt lohnt die Anschaffung von "A bis RZ" allemal, trotz vielen bereits an anderer Stelle erschienen Beiträgen. Die Halbwertzeit gebundener Werke übersteigt doch diejenige von Zeitungsartikeln und Broschüren um einiges und so könnte "Von A bis RZ" vielleicht helfen den Gedächtnisschwund der Linken und damit eine endlose Wiederholung derselben Debatten etwas aufzuhalten. Else Koslowski Autonome L.U.P.U.S.-Gruppe: Die Hunde bellen... Von A bis RZ. Eine Zeitreise durch die militanten Kämpfe der 70er bis 90er Jahre. Münster, UNRAST-Verlag 2001, 190 S., DM 24,80 |
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kombo(p) - 10.02.2002