Quelle: ila
Die verheerenden Folgen des Erdbebens vom 13. Januar und der anhaltenden Nachbeben, die El Salvador immer noch erschüttern, sind noch nicht vollständig abzusehen. Schätzungen gehen von bis zu 3000 Toten aus. Es gibt unzählige Verletzte, mehr als 100 000 Wohnungen wurden ebenso zerstört oder beschädigt, wie ein Großteil der Infrastruktur. 1 Millionen Menschen leiden unter den Folgen des Erdbebens. Besonders stark betroffen waren und sind - wie bei allen "Naturkatastrophen" - diejenigen, die ohnehin aufgrund der politischen, sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse in existenzieller Not leben. Deren oft nur provisorisch und/ oder aus Lehm gebaute Häuser waren nicht erdbebensicher. In vielen Dörfern und Kleinstädten sind bis zu 90% der Häuser gravierend beschädigt. Das betrifft auch die Mittelstandssiedlung Las Colinas in Santa Tecla, die von einem fatalen Erdrutsch, der dem Beben folgte, verschüttet wurde und durch die internationale Berichterstattung zu trauriger Berühmtheit gelangte.
"Das war keine Naturkatastrophe, das war ein Verbrechen", kommentierte ein Anwohner die Situation in Santa Tecla. Tatsächlich wären viele Todesopfer nicht zu beklagen, viele Zerstörungen vermeidbar gewesen, hätte sich in den letzten Jahren die in Santa Tecla gewählte Gemeinderegierung gegen die rücksichtslosen Baulöwen durchsetzen können. Allen ökologischen Bedenken zum Trotz trieben die Baufirmen die Abholzung des Hügels voran. Die dort bereits wohnende Bevölkerung, Umweltverbände und die lokale Gemeindeverwaltung der FMLN hatten vor weiterer Bodenerosion gewarnt. 1998 wurde weitere Neubebauung aus diesen Gründen verboten. Die Baufirmen klagten gegen diese Entscheidung. Unterstützung erhielten sie von der ARENA-Regierung. Kein Wunder, gehörte doch eine der Firmen dem damaligen Vize- und späteren Wohnungsbauminister Bodewig. Das Oberste Gericht hob 1999 das Bauverbot auf. Die daraufhin entstandenen neuen Siedlungen wurden nun unter den herabstürzenden Erdmassen zerstört. Das Erdbeben konnte nicht vermieden werden, wohl aber die hohe Zahl von Toten, nicht nur in Santa Tecla.
Medienwirksam setzt sich nun die Regierung von Präsident Flores als Krisenverwalterin in Szene. Die "Katastrophe" aber kommt nicht ungelegen, lenkt sie doch von brisanten innenpolitischen Themen ab: Arbeitslosigkeit und Gewalt, unbewältigte Folgen des Hurrikan Mitch, neoliberale Zerstörung von Bereichen staatlicher Fürsorge im Gesundheits- und Bildungswesen, bei der Versorgung mit Wasser, Strom und anderen Infrastrukturleistungen. Eine erschreckende Ausbreitung von Armutskrankheiten wie Denguefieber und lebensgefährliche Durchfallerkrankungen bei Kleinkindern ist im ganzen Land zu registrieren. Die umstrittene Eröffnung einer US-Militärbasis und nicht zuletzt die entgegen verfassungsrechtlicher Bestimmungen durchgesetzte Einführung des US-Dollars als gesetzliches Zahlungsmittel haben die Widersprüche im Land zusätzlich verschärft. Doch die Mobilisierung von Widerstand ist jetzt, durch die aktuellen Ereignisse, zunächst gestoppt.
Während die internationalen staatlichen Hilfsgelder großartig inszeniert der salvadorianischen Regierung übergeben werden, hatten die Menschen längst begonnen, sich selbst zu helfen. Als Präsident Flores in Santa Tecla "Trost" spenden wollte, während mit bloßen Händen nach den Verschütteten gegraben wurde und von Räumgerät noch lange nichts zu sehen war, wurde er ausgepfiffen. Eine Frau rief ihm zu: "Um Himmels willen, gehen Sie und lassen Sie uns arbeiten". Die Arena-Regierung disqualifiziert sich weiter durch den Ausschluß oppositioneller Politiker und Politikerinnen sowie zivilen und kirchlichen Organisationen aus dem staatlichen "Nationalen Notstandskomitee". Dessen Konzept sieht vor, das ausgerechnet die Privatwirtschaft, das Militär und Regierungsstellen selbst zum Katastrophenmanagement eingesetzt werden sollen.
Die dramatische Lage in El Salvador erfordert unsere aktive Solidarität und direkte Unterstützung. Wir schließen uns einer Aktion des Zentralamerikasekretariats, ZAS, in Zürich an und sammeln Geld für die "Koordination der Gemeindeverwaltungen der FMLN" für ihre Zusammenarbeit mit sozialen, kirchlichen und Nichtregierungs- organisationen vor Ort. Wir wollen diejenigen Kräfte stärken, die gegen alle Verzweiflung und Resignation - über die aktuelle Katastrophenbewältigung hinaus - weiter an dem Befreiungsprojekt in El Salvador arbeiten. Unterstützt uns dabei!
Informationsstelle El Salvador, Bonn; Ökumenische Initiative Mittelamerika; Ökumenisches Büro München; INKOTA-Netzwerk Berlin; Informationsbüro Nicaragua. (In Koordination mit dem ZAS, Zentralamerikasekretariat Zürich)
Spenden in Deutschland an:
Informationsstelle El Salvador, Stichwort: Erdbeben
Konto: 332276-507, Postbank Köln, BLZ 370 100 50
Spenden in der Schweiz an:
Zentralamerika-Solidaritätsfonds
PC 80-60518-0, Vermerk: Erdbeben
Von dem Erdbeben waren alle vierzehn Departments El Salvadors, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß betroffen. Die meisten Tote gab es bei einem von dem Beben verursachten Erdrutsch in den Siedlungen Las Colinas 1 und Las Colinas 2 in Santa Tecla. Dort wurden nach ersten Angaben über 200 Häuser unter bis zu 5 Meter hohen Erdmassen begraben. Die Ausgrabungsarbeiten dauern noch an und die Zahl der Toten erhöht sich stündlich. Bisher wurden über 200 Leichen geborgen, Schätzungen gehen von über Tausend Toten allein in diesen Siedlungen aus.
Anders als die ersten Berichterstattungen vermittelten, sind jedoch Siedlungen und Dörfer im ganzen Land zerstört worden, wobei die Küstenkordillere im Westen des Landes und die Sierra de Usulutan im Zentrum El Salvadors besonders stark betroffen sind.
Im Landkreis Comasagua südlich von Santa Tecla wurde ein ganzer Bezirk von einem Erdrutsch begraben. Die Lokalregierung schätzt die Anzahl der Verschütteten auf 3000. Der Ort ist nur mit Hubschrauber erreichbar, weil 30 km der Zugangsstrasse ebenfalls verschüttet wurden.
Im Departement Usulutan wurden im Städtchen San Agustin praktisch sämtliche Haeuser zerstört. In anderen Orten dieser Region wurden 75 - 90 % der Häuser zerstört.
Las Colinas/Santa Tecla, Comasagua, San Agustin - überall zerstörte Haeuser, aber die Ausgangslagen, auf die das Erdbeben traf, waren sehr unterschiedlich. In San Agustín sind die alten Lehm-Haeuser wie Streicholzschachteln in sich zusammengebrochen, weil sie jahrelang nicht in Stand gehalten worden und die Stützpfähle morsch geworden sind. In städtischen Lehmhäusern wohnen überwiegend Menschen mit niedrigem Einkommen. Auch beim Erdbeben von 1986 waren in San Salvador Stadtteile mit entsprechender Bebauung besonders betroffen.
Ganz anders in Las Colinas: hier war das Erdbeben "nur" der Anlass für einen gewaltigen Erdrutsch, der mittelständische Siedlungen unter sich begrub. Diese Siedlungen wurden vor 5 Jahren in die zur Küstenkordillere ansteigenden Berghänge gestampft. Das Erdbeben löste den Hügel oberhalb der Siedlungen. Je weiter sich Santa Tecla und andere Gemeinden im Großraum San Salvador in die umliegenden Berge fressen, desto unsicherer werden die Wohnlagen. Nicht nur für die Armen, die schon immer an Stellen wohnen mussten, die eigentlich nicht geeignet sind für menschliche Behausungen, sondern auch für jene soziale Schichten, die sich ein Häuschen in den Neubausiedlungen der Finanzierungsgesellschaften leisten können.
Ähnlich wie beim Erdbeben von 1986 und bei Hurrikan "Mitch" 1998 ist die Naturkatastrophe Erdbeben eine Sache, die Folgen fehlender Stadt- und Landschaftsplanung, von Bodenspekulation, verfehlter Wohnbaupolitik und fehlenden Ressourcenschutzes eine andere.
Und hier hören die Ähnlichkeiten nicht auf. Zwar hat die Regierung diesesmal schnell den nationalen Notstand ausgerufen, aber an der Brennpunkten der Katastrophe waren zwei Tage lang fast nur verzweifelte Menschen zu sehen, die mit einfachem Werkzeug oder blossen Haenden nach Angehörigen oder Nachbarn gruben. Während Familien, Vereine, Kleinunternehmer, Kirchengemeinden Essen, Kleider, Toilettenartikel in die betroffenen Gemeinden bringen, sieht man ausgebildete Hilfskräfte, Spürhunde und Räumgerät auch zwei Tage nach dem Erdbeben nur wenig. Zwar gibt es ein Komitee fuer den Nationalen Notstand, aber nach Lagern mit Lebensmittelvorraeten, Decken, Medikamenten, Zelten und Wellblech für Behelfsbauten und nach entsprechenden logistischen Kapazitäten wird man vergeblich suchen.
Das Erdbeben ist in eine Zeit gefallen, in der die ARENA-Regierung mit anhaltendem Unwillen und Widerstand gegenüber der Dollarisierung zu tun hat, die Anfang des Jahres nicht ganz so überraschend, aber ebenso massiv über die nicht vorbereitete Bevölkerung kam wie jetzt das Erdbeben. Da bietet die nationale Katastrophe eine willkommene Ablenkung und eine Plattform, um bei der eigenen Bevölkerung sein Image zu verbessern und sich auf der internationalen Bühne als effiziente Regierung in Erinnerung zu rufen.
Der Umstand, dass z.B. Santa Tecla von der FMLN regiert wird, gibt der Regierung von Paco Flores, die in bald zwei Jahren nichts Substantielles zustande gebracht hat, die Möglichkeit, durch die Konzentration der anlaufenden ausländischen Katastrophenhilfe auf die spektakulär zerstörten Siedlungen in Santa Tecla der FMLN den Wind aus den Segeln zu nehmen.
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