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26/06/02 15:32

Befreiung eines Sans Papier aus dem Berner Amts-Gefängnis

26.02.2002, 20:26, Aktion Menschenrechte jetzt sofort

Asyl | Bern | Sans Papier | Flucht | Gefängnis | Sherif | Kurdistan

300 Leute haben gestern in Bern einen Sans Papier befreit, der am Nachmittag verhaftet worden war: Seine Zelle ist jetzt leer.


by Menschenrechte - jetzt sofort, 29.1.02

Werte Medienschaffende,

Am Dienstagabend ist aus dem Berner Amtshaus-Sicherheitsgefängnis an der Amtshausgasse ein Sans Papier befreit worden. Er war am Nachmittag beim Besuch der Grossrats-Debatte verhaftet worden.

Um 21.30 Uhr versammelten sich rund 300 Sympathisierende vor dem Amtshaus, in das Sherif A. nach seiner Verhaftung gebracht wurde.

In einer gewaltfreien, direkten Aktion wurde er kollektiv befreit. Die Scheibe aus Sicherheitsglas wurde entfernt und die Stäbe seiner Zelle durchgesägt. Die Gruppe die handwerklich tätig war, nennt sich „Menschenrechte - jetzt sofort“. Die Aktion wurde von einem Live-Konzert begleitet.

Die Befreiung bewahrt den verfolgten Kurden vor seiner Ausschaffung durch die Schweizer Fremdenpolizei. Sherif A. hätte am Mittwoch nach Sissach (BL) verlegt werden sollen. Von dort hätte seine Ausschaffung erfolgen sollen.

Kein Mensch ist illegal! Solidarität mit den Sans Papiers

Als Hintergrund das Flugblatt, das vor seiner Befreiung verteilt wurde:

Verhaftung und drohende Ausschaffung eines Sans-Papiers vom Berner Kollektiv während einer Grossratsdebatte!

Im Grossrat des Kantons Bern wurden heute Interpellationen von Liliane Gujer (Grünes Bündnis) behandelt. Aus diesem Anlass wollten zwei Sans-Papiers, sowie zwei Personen des UnterstützerInnenkollektivs die Debatte verfolgen. Bei der Eingangskontrolle zeigte Sherif seinen Führerausweis vor, er wurde problemlos eingelassen. Ein paar Minuten später jedoch hiess es, er müsse im Foyer bleiben, da es einige „Abklärungen“ zu treffen gäbe. Auf weiteres Nachfragen hiess es dann, die Stadtpolizei sei zuständig und unterwegs. Diese nahm ihn dann fest. Laut polizeilichen Angaben ist seine Verhaftung auf einen RIPOL- Eintrag zurückzuführen. Sherif soll nächstens der Fremdenpolizei Basel überstellt werden. Sherif reiste vor 13 Jahren erstmals in die Schweiz ein. Die Mitgliedschaft in einer legalen Oppositionspartei, sowie die Tatsache, dass er Kurde ist, führten zu mehreren Verhaftungen und Folter durch die Polizei, sowie Morddrohungen. In der Folge verliess er die Türkei und kam in die Schweiz. Nach vier Jahren wurde sein Asylgesuch abgelehnt. Daraufhin kehrte er in seine Heimat zurück. Vor ungefähr 1 1/2 Jahren reiste er ein zweites Mal in die Schweiz ein und stellte ein zweites Gesuch, auf das gar nicht erst eingegangen wurde, weil er nur über einen kopierten Führerausweis und nicht über einen gültigen Pass verfügte. Sherif verbinden enge familiäre Beziehungen mit der Schweiz. Seine von ihm geschiedene Frau (sie hat eine „N“ Aufenthaltsbewilligung) mit ihren beiden kleinen Kindern leben im Kanton Bern. Er pflegte regelmässigen Kontakt mit ihnen. Das ältere Kind besucht die erste Klasse, des Jüngere eine Spielgruppe. Beide haben viele Freundschaften geschlossen, etwas Berndeutsch gelernt und sich integriert. Sein Bruder lebt auch in der Schweiz. Diese Verhaftung steht im Widerspruch zu den seitens der Behörden proklamierten Willen, Härtefälle einzeln zu überprüfen. Sowohl Gemeinde, wie auch Kanton beteuerten stets, dass die Verfolgung von Sans- Papiers, die sich innerhalb der Sans- Papiers-Kollektiv für ihre Regularisierung einsetzen „keine Priorität“ darstelle. Diese Verhaftung aus einer Parlamentsdebatte zeugt von einem erbärmlichen Demokratieverständnis der Behörden. Sherif bereitete bereits seinen Antrag auf Härtefallprüfung vor. Seine Erfahrungen in der Türkei zeigen, dass Sherif nur unter akuter Gefährdung seiner Sicherheit auszuschaffen ist und dies demzufolge einem illegalen Willkürakt gleichkommt. Wir verlangen die sofortige Freilassung von unserem Freund und Mitstreiter Sherif und das Ende einer Politik der Einschüchterung und der Repression. Sherif war seit Anfang unseres Kampfes in Bern dabei. Wir haben ihn immer als einen kommunikativen, feinfühligen, freundlichen und hilfsbereiten Menschen und Vater erlebt. Wir sind entsetzt ab der Willkür, die ihm widerfährt. Diesen Fall zeigt einmal mehr, wie unhaltbar und unmenschlich unsere gültigen Gesetze sind und wie dringend es ist, menschliche Lösungen zu finden und umzusetzen. Eine kollektive Regularisierung der Sans-Papiers bleibt dringender denn je. Der Kampf geht weiter!

Johannes-Kirche Bern, 29. Januar 2002

Sans- Papiers-Kollektiv Bern
Für zusätzliche Informationen: 078 / 801 26 34

http://switzerland.indymedia.org/display.php3?article_id=7955


Gelungene Befreiungsaktion - Interview

by Menschenrecht - jetzt sofort 4:07pm Sun Feb 3 '02

Interview des Sonntagsblick mit 4 Personen der Befreiungsgruppe Menschenrechte - jetzt sofort! (...)

Zur Aktion vor dem Berner Gefängnis:

- Was hat die Menschen dazu bewogen, Sherif zu befreien? War es eine geplante Aktion?

Heidi: Ich kannte S. weil er einen Vortrag im Gymnasium hielt. Diese Ohnmachtssituation, zu wissen, dass ein Menschenleben in Gefahr ist, veranlasste mich zu handeln.

Otto: Durch das Alarmnetz erfuhren wir, dass eine 24 ? Stunden Blockade, wie damals in Fribourg geplant war, um der Abschiebung in Folter und Tod etwas entgegen zu setzen. Wer die Idee schlussendlich hatte, wissen wir nicht mehr, sehr wahrscheinlich war es Heidi.

Heidi: Meine Eltern waren in den 80er Jahren aktiv im Kirchennetzwerk, das Flüchtlinge versteckte. Durch diese Geschichten habe ich viel über den Kampf und das Schicksal des kurdischen Volkes gelernt. Die Aktion planten wir, als wir über die 24h-Aktion erfuhren. Es war ein Moment von vielen Zufällen.

- Wie verlief die Befreiungsaktion?

Rebeka: Etwa um halb elf kamen wir zur Blockade- Aktion. Als Ablenkungsmanöver für die Polizei und allfälligen PassantInnen schmückten wir das Fenster neben der Zelle von S. mit Kerzen. Schnell machten wir uns an die Arbeit. Zuerst wurde der Wetterschenkel abgeschraubt und die Fensterleisten abgenommen. Der Aussenkitt wurde gelöst, mit einer Messer den Kitt im Innern. Nun mussten wir nur noch sieben Schrauben, die das Fenster befestigten, lösen. Somit konnten wir das Sicherheitsglas ohne es zu beschädigen entfernen. Anschliessend konnten wir S. schon die Hand reichen. Otto nahm seine Bandscheibensäge und ein Rundstahl des Gitters wurde durchschnitten. Durch diese Lücke konnte S. in Freiheit gelangen. Wir setzten ihm eine Perücke auf, überzogen ihm andere Kleider und flüchteten ins bereitstehende Auto. Es war eine Aktion von wenigen Minuten. In diesem Moment war mir klar: du weißt nicht immer wofür du lebst, aber du weißt wofür du stirbst.

- Wieviele Menschen waren daran beteiligt? Was wussten die anderen Demonstranten?

Peter: Wir waren vier. Wir kennen uns durch eine Lesegruppe. Drei FreundInnen standen um uns mit einem Transparent. Die anderen DemonstrantInnen tanzten und sagen, sie bekamen von dieser Aktion nichts mit. Es war ein kleines Volksfest für die Menschenrechte.

- War Polizei vor Ort? Wie hat sie sich verhalten?

Peter: Die Polizei war für kurze Zeit mit einer Streife anwesend. Doch die Beamten schienen mit der Situation überfordert und fuhren wenige Minuten nach ihrer Ankunft wieder ab. Wir wussten, dass sich im Innern zusätzlich noch zwei weitere Polizeibeamte befanden. Doch von der Aktion bekamen auch sie nichts mit.

- Wie lange dauerte es, bis die Polizei etwas merkte?

Heidi: Die Polizei merkte es erst, als S. bereits befreit war und die anderen DemonstrantInnen bereits auf dem Rückweg waren. Die Polizei versuchte verschiedene TeilnehmerInnen am späteren Abend, als die Kundgebung längstens beendet war, willkürlich zu verhaften, was ihnen nicht gelang.

- Mit was für Konsequenzen müssen die Befreier rechnen? Hat die Polizei schon eine Spur?

Otto: Die Polizei hat keine Spur. Wir haben mit Kopfmasken und Handschuhen gearbeitet. Die Kleidung, die Schuhe und die Werkzeuge haben wir vernichtet.

Zu Sherif:

- Ist er in Sicherheit? Wie geht es ihm zur Zeit?

Rebeka: Er ist in Sicherheit und ihm geht es gut. Er ist sehr glücklich über die Befreiungsaktion.

- Seine Lebensgeschichte, seine Aktivitäten in der Türkei

Heidi: Wir wussten von seiner Geschichte, dass er Mitglied der Hadep war. Es ist bekannt, dass ParlamentarierInnen der Hadep aus dem einzigen Grund im Gefängnis sitzen, weil sie kurdisch sprechen. Der türkische Staat ist Dauerkandidat in Sachen Menschenrechtsverletzungen, was das Beispiel der Hungerstreikenden zeigt, die gegen das Stammheim-Modell in den türkischen Knästen protestieren.

- Ist er an Leib und Leben bedroht?

Heidi: S. wurde mehrmals verhaftet und gefoltert. Ihm wurde mit dem Tod gedroht. Auf diese Tatsache hat die Fremdenpolizei Basel und das BFF (Bundesamt für Flüchtlinge) mit einer menschenverachtenden Kaltschnäuzigkeit reagiert. Auf seinen Asylantrag wurde trotz Kenntnis seiner Bedrohung erst gar nicht eingegangen. Eine Rechtsbelehrung fand nicht statt. Mit der Erkenntnis, seine Ausschaffung in den Tod zu verhindern, entschieden wir uns für diese Aktion, damit er lebt.

- Was würde eine Ausschaffung für ihn bedeuten?

Peter: Gemäss Artikel 5 der Menschenrechtserklärung „darf niemand der Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden.“ In der Türkei war er an Leib und Leben bedroht.

- Wie geht es jetzt weiter? Wer setzt sich für ihn ein?

Otto: Im Vorfeld wurde von einem breiten Solidaritätsbündnis für AnwältInnen gesorgt. Seine Situation ist vor wie nach der Aktion die Selbe, er war „illegal“ und ist nach wie vor „illegal“. Schlussendlich entscheidet jedoch S. selber, welche Schritte er im Kampf um seine Rechte unternimmt und ob er sich wieder einem Kollektiv anschliessen wird. Wir unterstützen ihn und können nur ein Teil sein, im Kampf für eine Welt ohne Grenzen.

Rebeka: Es geht nicht nur um S. wir alle sind in irgend einer Art und Weise mit Sans-Papiers konfrontiert. Diese schwammigen und willkürlichen Härtefalllösungen ist nicht die Antwort auf die prekäre Arbeits- und Lebenssituation der Papierlosen. Dies haben schon mehrere Länder mit menschlichen und grosszügigen Lösungen bewiesen.

Zu den Sans-Papiers:

- Wusste das Kollektiv von der Befreiungsaktion? Heisst sie sie gut?

Heidi: Das UnterstützerInnen-Kollektiv hat zu einer gewaltfreien Blockade-Aktion aufgerufen und hat mit der Befreiungsaktion nichts zu tun, ausser dem geschichtlich mutigen Kontext und der Freude, die sie mit uns teilen.

- Müssen die Sans Papiers jetzt mit Folgen rechnen? (Polizei, Unterstützung der Bevölkerung)

Otto: Die Sans-Papiers mussten und müssen immer mit Repression rechnen. Bereits bei der ersten Kirchenbesetzung waren restriktive, repressive Schritte zu erwarten. Wir als SchweizerInnen können uns die alltäglichen Ängste einer papierlosen Person in keiner Art und Weise vorstellen. Es ist der Respekt vor ihrem Mut, den uns mutig werden liess. Peter: Mein familiäres und kollegiales Umfeld, ist eher ein apolitisches Umfeld. Ich war erstaunt über die durchwegs positiven Reaktionen.

- Was wollen die Sans Papiers in Zukunft tun, um auf ihr Anliegen aufmerksam zu machen? Und wer unterstützt sie dabei?

Rebeka: Im Sinne von Gandhi gibt es tausende von sinnvollen, gewaltfreien, direkten Aktionen. Meines Wissens war der letzte Einbruch in ein Gefängnis in Bern 1878, anlässlich der Bümplizer Krawallen, als die „roten Hosen“ ins Gefängnis Zytglogge einbrachen und die Gefangenen befreiten. Die grosse gesamtschweizerische Demonstration Ende November zeigte, wie viele verschiedene Organisationen und Parteien den Kampf der Sans-Papiers unterstützen. Es ist wichtig, dass dies in Zukunft aktiv geschieht. Die Bewegung hat Symphatien bis weit in bürgerliche Kreise. Wir dürfen die Sans-Papiers in ihrem Kampf nicht alleine lassen. Der Kampf um Menschenrechte muss Alltag werden. Solidarität ist eine Waffe!

Handwerksgruppe Menschenrechte - jetzt sofort!

Quelle: http://switzerland.indymedia.org/display.php3?article_id=8295


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