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27/02/02 00:35

Selbstmord einer 74jährigen Frau

27.02.2002, 00:34, SAGA

Asyl | Albbruck | Waldshut | Flucht | Asyl | Asylbewerberleistungsgesetz | Selbstmord | Hungerstreik | Lager | Irak

Am 15.2.2002 hat sich eine 74jährige Frau in dem staatlichen Flüchtlingswohnheim "Stieg" bei Albbruck das Leben genommen. Zwei der "Heimbewohner" sind daraufhin in den Hungerstreik getreten. Im Jahr 2000 hatte sich in der gleichen Unterkunft bereits eine 21-jährige Frau das Leben genommen.



Südbadisches Aktionsbündnis gegen Abschiebungen (SAGA)
c/o ADW, Postfach 5328,
D - 79020 Freiburg,
Treff: Freitags 20.00
Tel. (0049) 0761 - 74003 - Fax (0049)0761 - 709866

TOD IN ALBBRUCK

Die 74-jährige yezidische Frau B. H. aus Sinjar (Irak) hat sich am 15.2.02 in dem staatl. Flüchtlingswohnheim "Stieg" bei Albbruck das Leben genommen. Die lokale Redaktion des "Südkurier" schreibt am 18.2., sie litt "laut Polizei an Depressionen und hat sich in ihrem Zimmer erhängt. Ihren Tod sieht ein Teil der Heimbewohner in Verbindung mit der nach ihrer Meinung schlechten Unterbringung". Es gibt -nach unserer Einschätzung- keinen anderen Teil von HeimwohnerInnen, die einen anderen Zusammenhang annehmen - nicht einmal die Familie der yezidischen Frau. Diese war Mitte 2000 aus Syrien nach Deutschland gekommen und hatte Asylantrag gestellt; dort hatten sie 13 Jahre lang gelebt, zuvor lebten sie in der Region Sinjar im nördlichen Irak (westl. von Mosul). Über ihren Asylantrag ist beim Bundesamt in Freiburg immer noch nicht entschieden (vgl. unten).

Die Frau hat sich nach Angaben des Sohnes mit einem Gürtel am Fenster erhängt, am Vormittag des Tages. Die Heimleitung versuchte den Tod der Frau zunächst vor den anderen im Lager zu verbergen. Der Sohn, der mit seiner Frau und 6 Kindern in der gleichen Unterkunft lebt, beschreibt sofort den Zusammenhang zwischen den Depressionen seiner Mutter und der Unterbringung in dem völlig abseits gelegenen Lager. Danach ist es offenkundig, dass die Aussichtslosigkeit und die menschenunwürdigen Verhältnisse in diesem Lager massgeblich dazu beigetragen haben, dass die 74-jährige Frau sich das Leben nahm. Die Verantwortung liegt ganz offensichtlich beim zuständigen Landratsamt in Waldshut (Landrat Wütz, CDU).

Das Heim ist ein ausgedientes ehemaliges Haus für tuberkulosekranke Kinder im Hotzenwald - ca. 8 Km von Waldshut und fast 10 Km von Albbruck entfernt. Eine Anbindung an die nächste Ortschaft besteht nicht; diese ist ca. 2 km entfernt. Tiere eines Bauernhofs sind die einzige Nachbarschaft. Der letzte Bus in die Kreisstadt geht um 17.00. "Was Kinder einstmals zur Erholung diente, geräte den heutigen Bewohnern eher zum Alptraum" - schrieb bereits die "Badische Zeitung' am 7.6. 2000.

Was die BewohnerInnen (ca. 180 Personen aus Afrika, Irak, Türkei, Kosovo, Algerien) anklagen, sind die miserablen Bedingungen im Heim selbst, die fehlende Infrastruktur, die soziale Isolation und die Ignoranz der Behörden. Diesen musste die schlechte Situation in dem Lager spätestens dann (zwangsweise) bekannt geworden sein, als sich im Febr. 2000 eine 21-jährige Kurdin (Sultan Dogan) in der gleichen Unterkunft das Leben nahm. Zuvor war bereits mehrfach eine Frau aus Togo von anderen Heimbewohnern mit Vergewaltigung bedroht worden. Die Zustände in dem Heim haben sich seitdem aber nicht zum Besseren entwickelt, sondern stiessen nach wie vor auf die arrogante Ignoranz der Behörden (der Landkreis Waldshut ist für seine rigide Behandlungen von Asylsuchenden schon seit längerem bekannt). Zwei minderjährigen, alleinstehenden Jugendlichen aus Guinea, die im Dez. 2001 aus dem Heim flüchteten und nach Freiburg kamen, wird inzwischen -gegenüber dem Vormund in Freiburg- mit einer Strafanzeige gedroht, weil sie ihrer "Wohnsitzpflicht" nicht nachkommen. Die extreme Missachtung der Interessen der LagerinsassInnen ("das ist hier ein offenes Gefängnis") liess den Protest der Flüchtlinge anhand des Todes der Frau eskalieren. Zahlreiche Fenster gingen an dem Freitag abend zu Bruch, kleinere Brände wurden gelegt; ein Protestmarsch in den Ort organisiert.

Inzwischen sind zwei kurdische Bewohner in den Hungerstreik getreten; sie verweigern nicht nur die Nahrungsaufnahme, sondern auch die Flüssigkeit. Am 22.2. war einer von diesen bereits in die Klinik verlegt worden. Ihr Ziel: Transfer in eine andere Unterkunft. Drei oder vier andere Personen wurden bereits in die Psychiatrie verlegt. Zahlreiche weitere Selbstverletzungen sind gerüchteweise bekannt geworden.

Die allgemeine medizinische Behandlung wird als ungenügend kritisiert; Ärzte sind nicht erreichbar (der Bus fährt nur morgens als Schulbus, dann erst mittags wieder), eine Notfallambulanz müsste jeweils von dem Wachpersonal gerufen werden. Diese allerdings wollen sich erst selbst von der Notwendigkeit der medizin. Hilfe überzeugen. Auf diese Art übernimmt das Wachpersonal die ärztl. Notfallbeurteilung! Der Einkauf findet mit einem speziellen Transportsystem einmal wöchentlich in dem ca. 10 km entfernten Albbruck statt; im "Edeka"-geschäft ist dann nachmittags ein Einkaufszwang unter Aufsicht und Kontrolle des "korrekten" Einkaufs (Liste von verbotenen Waren sind vorhanden). Die Kochgelegenheiten befinden sich - ebenso wie die sanitären Einrichtungen- in einem sehr schlechten Zustand.

Ein Deutschkurs wird in dem Lager nicht angeboten. Früher gab es einen Kurs, der allerdings nur einmal wöchentlich angeboten wurde - für Sprachtraining absolut unzureichend. 16-jährige Jugendliche hängen daher den ganzen Tag, ebenso wie die Eltern und die vielen alleinstehenden Männer herum. Beschäftigung ist keine vorhanden. Arbeit kann gar nicht organisiert werden, da dafür die Busverbindungen zu schlecht sind. Die einzig bekannt gewordene Massnahme der Aufsichtsbehörde nach dem Freitod der 74-jährigen: Verstärkung des Wachpersonals! Nunmehr sind nachts zwei Wächter anwesend, die Polizei fährt stärkere Routinekontrollen. Die BewohnerInnen sprechen durchgängig die schlechten sozialen Verhältnisse an ("moralische Folter") und verlangen eine sofortige Lösung, d.h. einen Transfer in ein 'besseres' Lager. Ein kurdischer Familienvater sagte uns in seinem reduzierten Deutsch: "das ist kein Leben hier, wir sind keine Menschen".

Die Einpressung von Menschen in derart menschenunwürdige Verhältnisse, die längst von allen Seiten sozialwissenschaftlich, medizinisch und psychologisch untersucht worden ist, deren gesundheitliche und soziale Folgen als Entmenschlichung somit genügend bekannt sind, sind zum Programm staatlicher Unterdrückung erhoben worden. Menschen, deren Rechte in Deutschland ohnehin mit Füssen getreten werden, sind zum Testprogramm rassistischer Versuche erhoben worden, um den Übergang zum animalischen Verhalten zu dokumentieren - um anschliessend mit Schadenfreude darauf aufmerksam machen zu können, dass sie es nicht "verdienen", in den reichen Lindern Einlass zu begehren.

Besonders kennzeichnend ist in diesem Zusammenhang, dass sich auch eine Woche nach dem Freitod der Frau nicht einmal der Bürgermeister des Ortes, oder die Kirche oder andere (deutsche) EinwohnerInnen in dem Heim blicken liessen, um - nach immerhin zwei Toten in der Unterkunft- ihr Beileid, ihre moralische Unterstützung oder gar Hilfe anzubieten!

Eine Schliessung des Lagers ist die einzig vernünftige Lösung!

SAGA Freiburg, 23.2. 02



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Schwarzwälder Bote 25.02.2002
http://www.swol.de
Regionalnachricht - Waldshut

STIEG-BEWOHNER WOLLEN SICH ZU TODE HUNGERN

Proteste gegen die angeblich schlechten Zustände im Albbrucker Asylbewerberheim spitzen sich zu

Albbruck. Die Bewohner des Asylbewerberheimes bei Unteralpfen greifen bei ihrem Protest gegen die angeblich schlechten Lebensbedingungen in dem Heim zu drastischen Mitteln. Wie aus einer gemeinsamen Erklärung der Hausbewohner hervorgeht, wollen sich in dem Heim zwei Personen zu Tode hungern. Und: Wenn die Probleme im so genannten "Stieg" nicht gelöst würden, sei dies wohl erst der Anfang...

Bereits in der Nacht zum Samstag voriger Woche waren in dem Asylbewerberheim, dem so genannten "Stieg", Unruhen ausgebrochen. Wie die Polizei berichtete, protestierten 50 bis 60 Personen gegen die angeblich unerträglichen Zustände in dem Heim. Fensterscheiben wurden eingeschlagen, Brände loderten auf. Besonnene Mitbewohner löschten die Feuer und verhinderten Schlimmeres.

Der Polizei gelang es, die aufgebrachten Menschen zu beruhigen, doch offenbar hielt der Frieden nicht lange. Derzeit hat die Polizei zwar laut Pressesprecher Edgar Adrion keinen Anlass, im Stieg für Ruhe zu sorgen, doch die Ruhe in der Sammelunterkunft, in der derzeit zirka 150 Menschen untergebracht sind, ist dennoch trügerisch. Die Menschen beklagen sich über die angeblich schlechte ärzliche Versorgung, die fehlenden Einkaufsmöglichkeiten und die schlechten Busverbindungen zu dem abgelegenen Heim. Nicht zum ersten Mal gerät das Landratsamt als zuständige Behörde in die Schusslinie der Kritik. Vor wenigen Jahren waren es Kriegsflüchtlinge aus dem Kosovo, die sich nach einer gemeinsamen Ausfahrt nach Waldshut weigerten, ins "Stieg" zurückzukehren. Sie gingen zum Waldshuter Bahnhof; von dort aus wollten sie mit dem Zug in eine größere Stadt fahren. Der Polizei gelang es, mit gutem Zureden die Situation zu entschärfen.

Ein gewaltsamer Protest wie am letzten Samstag brach aber damals nicht aus; zumindest wurde öffentlich nichts Derartiges bekannt. Es gibt aber Hinweise darauf, dass eine ganze Reihe von Besorgnis erregenden Zwischenfällen nicht an die Öffentlichkeit drangen. So wird von regelmäßigen Suizidfällen im "Stieg" berichtet. Die Unruhen am vergangenen Samstag sind laut Polizei wegen dem Selbstmord einer 74-jährigen Irakerin ausgebrochen.

Die Bewohner selbst berichten von weiteren Suizidfällen. Sinngemäß heißt es in der Erklärung: "Wir protestieren gegen die Art und Weise, mit der gegen die Flüchtlinge in dem Haus vorgegangen wird. Außerdem protestieren wir gegen die Bedingungen, die dort herrschen. Im vergangenen Jahr haben drei Freunde von uns Selbstmord begangen, und drei weitere sind in psychiatrischer Behandlung. Um gegen diese Bedingungen zu protestieren, befinden sich zwei unserer Freunde im Todesfasten. Wenn die Zuständigen uns nicht in kürzester Zeit zuhören und die Probleme beseitigen, wird die Zahl der Suizide zunehmen. Das ist unsere Befürchtung. Helft uns!"

Beim Landratsamt Waldshut war gestern Nachmittag niemand mehr zu einer Stellungnahme zu erreichen.
Von Christof Schülke (sb)


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