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Zu Besuch bei den Schweizer Abhöranlagen

25.04.2002, 22:39, WOZ

Medien | Zimmerwald | Heimenschwand | Echelon | Geheimdienst | Polizei | Onyx | Satos

Nick Lüthi berichtet über den Besuch des britischen Journalisten und Echelon-Spezialisten Duncan Campbell bei den Schweizer Abhöranlagen in Heimenschwand und Zimmerwald (Berner Hinterland) letzten Sonntag



Der Kalte Krieg ist nicht vorbei. Zumindest nicht beim Nachrichtendienst der Schweizer Armee. Weiterhin werden Funksprüche aus Moskau belauscht.

Seine Kleidung ist dem kühlen Frühlingssonntag alles andere als angemessen. Aus der abgetragenen Turnhose, die fast gänzlich von einem karierten Flanellhemd verdeckt wird, ragen zwei wenig muskulöse, bleiche Beine, die in ausgelatschten braunen Halbschuhen münden. Nur schon der Anblick lässt einen frösteln. An schattigen Stellen liegen in den Wäldern um Heimenschwand noch vereinzelte Schneeflecken. Doch Duncan Campbell kümmert dies wenig.
Eine Schar von dreissig Interessierten begleitet den britischen Journalisten bei seinem Ausflug in den Kanton Bern, wo er zwei Standorte des Schweizer Satellitenlauschprogramms «Onyx» besucht. Seit über 25 Jahren beschäftigt sich Campbell mit den weltweiten Bestrebungen, elektronische Kommunikation zu belauschen. Mit einem Bein war der gebürtige Schotte wegen seiner Recherchen bereits im Gefängnis. 1978 versuchte ihn die britische Regierung wegen der Verletzung von Geheimhaltungsgesetzen für 30 Jahre einzubuchten. Das Verfahren wurde dann allerdings eingestellt. Campbell hatte damals als Erster gewagt, die Spionagetätigkeit des britischen Geheimdiensts GCHQ öffentlich zu machen. Seiner Arbeit ist es schliesslich zu verdanken, dass Ende der 80er Jahre die Existenz des weltumspannenden Lauschsystems «Echelon» bekannt wurde. Zuhanden des Europaparlaments verfasste Campbell den Bericht «Abhörmöglichkeiten 2000», der sowohl die technische Funktionsweise als auch die politischen Implikationen des Systems detailliert erläutert.
Und was hat denn eigentlich die Schweiz mit diesem von Mythen und Halbwahrheiten umwitterten «Echelon» zu tun? Diese Frage zu beantworten, ist mit ein Grund für Campbells Besuch in der Schweiz.

Diskrete Schüsseln
Wir sind in Heimenschwand, politische Gemeinde Buchholterberg, auf einer Geländeterrasse oberhalb von Thun gelegen, nicht mehr Emmental und noch nicht Berner Oberland, beliebtes Ausflugsgebiet, im Winter für Langlauf, im Sommer zum Wandern. Unweit der Streusiedlung liegt diskret in einer sanften Mulde einer der drei Standorte von «Onyx», dem kleinen, helvetischen Bruder von «Echelon». Auf allen Seiten ist die Anlage von Wald umgeben, so dass es keinen direkten Einblick aus grosser Entfernung gibt.
Die Vorfreude ist Duncan Campbell anzusehen. Schliesslich wird er gleich ein weiteres Puzzleteilchen der globalen Telekommunikationsüberwachung zu sehen kriegen. «Um sich ein Bild von der Funktionsweise zu machen, muss man die Anlagen sehen. Gerüchte und Vermutungen bringen einen nicht weiter. Wenn irgendwie möglich, gehe ich selbst hin und schaue mir die Antennen und Satellitenschüsseln an. Einen Grossteil meiner Erkenntnisse habe ich durch simples Betrachten und Auswerten gewonnen», erklärt Campbell seine Arbeitsweise. An seinem Hals baumelt ein Kompass, an der Hüfte ein Beutel mit Fernglas und einer Digitalkamera.
In Heimenschwand betreibt die Schweizer Armee gemäss eigenen Angaben eine Anlage, um «elektromagnetische Ausstrahlungen von ausschliesslich ausländischen Telekommunikationssystemen zu erfassen und auszuwerten». Seit ein paar Monaten steht hier zu diesem Zweck eine grosse Satellitenschüssel mit rund zehn Metern Durchmesser, unmittelbar davor warten acht Betonsockel darauf, mit kleineren Schüsseln bestückt zu werden. Bereits seit 1968 betreibt das Militärdepartement den Horchposten in Heimenschwand. Davon zeugen noch die grossen Metall- und Drahtkonstrukte zum Abfangen von Hochfrequenz-Kommunikation, die von Militärs und Geheimdiensten verwendet wird. Dass die Objekte der Begierde auch mehr als zehn Jahre nach Ende des Kalten Kriegs offenbar weiterhin im Osten zu suchen sind, zeigt die geografische Ausrichtung der Abhörantennen.

Die Achse Heimenschwand - Moskau
Campbell greift zum Kompass. Abwechselnd fixiert er die Hochfrequenzantenne und den Spiegel der Bussole. Nach einer Weile notiert er sich einen Zahlenwert. Die Überraschung folgt beim Mittagessen. Anstelle des Tellers steht der Laptop vor Campbell. Plötzlich geht ein Pfeifen über seine Lippen. Campbell stellt den Salatteller ab, den er die ganze Zeit in der Hand gehalten hat, weil ihm der Rechner den Platz versperrt. Auf dem Bildschirm ist eine rote Linie zu sehen, die sich in west-östlicher Ausdehnung über den europäischen Kontinent legt. Erst der genauere Blick enthüllt die eigentliche Entdeckung. Die Linie zeigt die Ausrichtung der Hochfrequenzantenne und erstreckt sich von Heimenschwand quer durch Europa auf einer imaginären Achse, auf der die Städte München, Prag, Warschau, Minsk und Moskau liegen. So aufschlussreich diese Erkenntnis auch ist, so banal ist die Erhebungsmethode. Karte und Kompass genügen. Weniger genau lässt sich hingegen die Zielrichtung der grossen Schüssel berechnen. Laut Campbell zielt sie auf einen Satelliten, der irgendwo über Ostafrika oder dem Indischen Ozean seine Bahnen zieht.
Was aber erhoffen sich die Herren im VBS heute von osteuropäischen Gesprächsfetzen und abgelauschter Satellitenkommunikation? Tauschmaterial! Nicht anders als zu Zeiten des Kalten Krieges alimentieren sich die drei Schweizer Nachrichtendienste und jener der Luftwaffe mit Informationen aus nichtöffentlichen Quellen. Damit ein Partnerdienst etwas rausrückt, will er eine entsprechende Gegenleistung. In einem Versuchsbetrieb wird gegenwärtig auch solche Kommunikation abgefangen, die über Satelliten stattfindet – genauso wie es die fünf «Echelon»-Staaten USA, Kanada, Grossbritannien, Australien und Neuseeland schon seit Jahrzehnten praktizieren. Für Entwicklung, Unterhalt und Betrieb des Projekts «Onyx» haben die eidgenössischen Räte in den vergangenen fünf Jahren verschiedene Kredite gesprochen. Insgesamt dürften bereits 100 Millionen Franken bewilligt worden sein, allerdings stets in Tranchen oder versteckt in anderen Finanzgeschäften.

Schlüsselbegriffe der Polizei
Herzstück von «Onyx» ist die Nachrichtenzentrale in Zimmerwald, jenem Bauerndorf nahe Bern, das wegen der internationalen Sozialistenkonferenz von 1915 Eingang in die Weltgeschichte gefunden hat. Sämtliche Informationen, die in Heimenschwand und Leuk gewonnen werden, finden über Richtfunk- und Kabelverbindungen den Weg nach Zimmerwald. Rund vierzig Mitarbeiter des VBS werten dort den Datenwust nach Stichworten aus. Nach Angaben von Paul Günter, SP-Nationalrat und Mitglied der Sicherheitspolitischen Kommission, wird zurzeit nach 5000 Begriffen gesucht. Zum Vergleich: Eine Mehrheit der Bevölkerung kommt im Alltag mit 1000 Wörtern aus. Von den ausgewerteten Daten profitiert in erster Linie der Strategische Nachrichtendienst. Der Bundespolizei steht das System «grundsätzlich nicht direkt zur Verfügung», wie sich der ehemalige VBS-Vorsteher Adolf Ogi einst verklausuliert ausdrückte. «Nicht direkt» bedeutet die punktuelle Weitergabe von «Onyx»-Daten an Polizeistellen, wie sie im Bundesgesetz zur Wahrung der inneren Sicherheit geregelt ist. Der Vollbetrieb von «Onyx» startet in zwei Jahren.
Für die demokratische Kontrolle von «Onyx» ist die Geschäftsprüfungsdelegation der Eidgenössischen Räte zuständig; ein Organ, das als Folge des Fichenskandals geschaffen wurde. Die Parlamentariergruppe bemängelt das Fehlen eines Kontrollkonzepts. Ein entsprechender Bericht hätte im vergangenen Herbst vorgelegt werden sollen, aufgrund fehlender Informationen ist er bisher nicht erschienen. Nach Angaben von Philippe Schwab, Sekretär der Geschäftsprüfungskommission, könne im Herbst mit einem Kontrollkonzept gerechnet werden. «Der heikelste Punkt allerdings, die Weitergabe von &Mac226;Onyx’-Daten an die Bundespolizei, bedarf einer solideren gesetzlichen Grundlage.»
Nach mehreren Stunden inoffizieller «Inspektion» in Heimenschwand und Zimmerwald zieht Abhörexperte Duncan Campbell Bilanz. Mit trockenem britischem Humor ergötzt er sich zunächst einmal an der Abkürzung GST UGFU und versucht – von Grinsattacken unterbrochen – «Generalstab Untergruppe Führungsunterstützung» auszusprechen. Nach einer Pause sagt er dann: «Was Echelon kann, kann auch Onyx.» Deshalb müsse auch in der Schweiz eine klare Unterscheidung gemacht werden zwischen Abhören für die Strafverfolgung und dem präventiven Abhören der Geheimdienste. Einigermassen erstaunt zeigt sich der Journalist über die laschen Sicherheitsvorkehrungen bei den hochsensiblen militärischen Einrichtungen. Bei vergleichbaren Anlagen in den USA oder Grossbritannien wäre man gar nicht erst in die Nähe gekommen. Nicht nur, aber auch deshalb werde er wieder in die Schweiz kommen, sagt Campbell. Und wohin es geht, ist auch schon klar: Der dritte «Onyx»-Standort in Leuk im Wallis wartet noch auf den Besuch des Fachmanns.

Der Besuch von Duncan Campbell in der Schweiz fand im Rahmen der Veranstaltungsreihe «Frühlingsüberwachen» statt. Organisiert wird der Zyklus von der Roten Fabrik in Zusammenarbeit mit der Swiss Internet User Group und anderen.

Links:
Private Homepage von Duncan Campbell
Der britische Geheimdienst GCHQ
Die häufigsten Fragen und Antworten zu "Echelon"
Duncan Campbells Bericht "Abhören 2000"
Verordnung über den Nachrichtendienst im VBS
Strategischer Nachrichtendienst
Militärischer Nachrichtendienst
Homepage von SP-Nationalrat Paul Günter

Quelle: http://www.woz.ch/wozhomepage/17j02/echelon17j02.html

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