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20/05/03 15:52

Cem Özdemir's Spässle zum Zuwanderungsgesetz

21.06.2002, 22:09, LinksRhein

Asyl | Konstanz | Universität | Cem Özdemir | Die Grünen | Zuwanderungsgesetz | Abschiebung | Festung Europa

Gestern gab Cem Özdemir in einem randvollen Vorlesungssaal an der Universität Konstanz den 'anatolischen Schwaben' und lobte sich und seine Partei nebenbei für das im März verabschiedete Zuwanderungsgesetz. Dieses Gesetz wurde am selben Tag von Bundespräsident Rau unterzeichnet.



Noch vor Beginn der Veranstaltung hatten "ein paar Linke" (Südkurier) in Form einer vierseitigen Bleiwüste Hintergrundinfos zu dem beschlossenen Zuwanderungsgesetz verteilt. Sie hatten vor, Cem Özdemir zur Rede zu stellen für die massiven Einschränkungen des Asyl- und Flüchtlings- und des Ausländerrechts, die zusammen mit den Antiterrorpaketen als die bedeutendsten Verschlechterungen für hier lebende MigrantInnen seit der de-facto-Abschaffung des Grundrechts auf Asyl im Jahr 1993 gewertet werden. (Georg Classen, Flüchtlingsrat Berlin)

Und wie erwartet ging Cem Özdemir gleich zu Beginn seiner in lässig-souveränem Habitus vorgetragenen Rede auf das Zuwanderungsgesetz ein. Er präsentierte es als ein wichtiges und erfolgreiches Gesetzespaket, das etwa für ausländische Fachkräfte Erleichterungen beim Zuzug nach Deutschland mit sich bringe. Der CSU hielt er vor, mit der Ablehnung des Gesetzes einen populistischen Wahlkampf zu betreiben, während sie gleichzeitig in Bayern noch weiter gehen und nicht nur gut ausgebildete Fachkräfte sondern z.B. auch in Pflegeberufen ausländische Arbeitskräfte anwerben. Cem Özdemir vergass auch nicht herauszustreichen, dass nun endlich der Schutz vor nichtstaatlicher und geschlechtsspezifischer Verfolgung im Asylrecht verankert werde - als etwas, was die Grünen ihren Verhandlungspartnern nur schwer abringen honnten.

Überspringen wir die nächsten eineinhalb Stunden Spässle und lockeren Sprüche, die hin und wieder gewürzt waren mit kleinen Seitenhieben auf die Rechte in Politik und Alltag in Deutschland. Vielleicht 200 StudentInnen hingen währenddessen wie gebannt an seinen Lippen und lachten über Anekdoten aus seiner Schulzeit oder seine bedeutenden Erfahrungen im deutschen Bundestag. Kommen wir zur Diskussion.

Einige, die sich als langjährige AktivistInnen im Asyl- und Flüchtlingsbereich vorstellten, scherten aus der Schar der lachenden, andächtig lauschenden und großzügig Beifall zollenden ZuhörerInnen aus und kritisierten Cem Özdemir und die rot-grüne Regierung für die Inhalte des Zuwanderungsgesetzes sowie die Kriege die mitlerweile im Namen der Humanität weltweit auch mit Unterstützung des deutschen Militärs geführt werden.

Anders als der Südkurier am nächsten Tag schreiben wird, ging es ihnen eben nicht darum, dem Parlamentarier mitzuteilen, dass ihnen "das Gesetz nicht weit genug geht", sondern sie lehnen das Zuwanderungsgesetz grundsätzlich ab und verurteilten es als durch und durch rassistisch. Nicht nur ändere das Gesetz nichts an den 1998 noch aus der CDU/CSU-Legislaturperiode übernommenen Zumutungen wie Residenzupflicht, Abschiebeknastsystem, Kinderknästen am Flughafen und weiteren "Schutzmassnahmen" für die Festung Europa ("Sichere Herkunftsländer", "Drittstaatenregelung", "Rückübernahmeabkommen") sondern führe im Gegenteil zu massiven Verschärfungen für nahezu alle MigrantInnengruppen (sei es AsylbewerberInnen, Konventionsflüchtlinge, Geduldete, Bürgerkriegsflüchtlinge oder MigrantInnen der 2. und 3. Generation in Deutschland, die eigentlich die ureigene Clientel des Grünenpolitikers darstellen). Beispiele für Verschlechterungen sind die generelle Nichtanerkennung von Nachfluchtgründen bei Asylbewerbern (z.B. wg. politischer Aktivität in Deutschland), die Ausweitung des Asylbewerberleistungsgesetzes auf neue Gruppen (z.B. Kriegsflüchtlinge, Kranke und Behinderte, Flüchtlinge mit Bleiberecht aufgrund einer Altfallregelung etc.) oder den Aufbau sogenannter "Ausreiseeinrichtungen", die nicht viel besser als Abschiebeknäste sind. (ausführlich Georg Classen: Thesen zum Zuwanderungsgesetz)

Der "Profi-Politiker" kratzte sich kurz am Hinterkopf und konterte - wie der Südkurier weiss - mit "rhetorischem Geschick": er versuchte die KritikerInnen durch die Unterstellung einer MLPD-Mitgliedschaft zu diffamieren - die Lacher des verständigen Publikums hatte er jedenfalls auf seiner Seite. Davon, dass Flüchtlingsgruppen seit Monaten in einer gross angelegten Kampagne versucht hatten, dieses Gesetz zu verhindern, wusste er nichts, zumal er ja selbst noch vor kurzem mit Vertretern von Pro Asyl zusammengesessen sei und gemeinsam versucht habe mit Änderungsvorschlägen das Gesetzespaket zu verbessern. So verdreht Cem Özdemir also heute die Versuche einer Lobbyorganisation für Flüchtlinge, das Schlimmste zu verhindern, zu einem Feigenblatt für die flüchtlingsfeindliche Politik der Grünen. Bermerkenswerterweise stammte aber gerade das vierseitige Thesenpapier, das die KritikerInnen auch Cem Özdemir ausgehändigt hatten, von der Homepage von Pro Asyl.

Auch die bis zu diesem Zeitpunkt noch - ob des grossen Zuhörerandrangs und der offensichtlichen Beliebtheit des geladenen Prommis - strahlende grüne Hochschulgruppe mühte sich nun redlich, das Wort an weniger kritische FragerInnen weiterzugeben. Trotzdem konnte in einem 2. kritischen Wortschwall dem aalglatten Politiker vorgehalten werden, dass seine Verteidigung des Zuwanderungsgesetztes vor allem in der Abgrenzung nach rechts und gegen die CSU bestehe. Was natürlich nicht weiter schwierig ist, immerhin hat Stoiber ja auch schon mal von der "durchmischten und durchrassten Gesellschaft", die es zu verhindern gelte, gesprochen. Den Grünen wurde der Vorwurf gemacht, sich stolz hinter das ausgehandelte Gesamtpaket zu stellen, anstatt die Gesetzesverschärfungen so zu kritisieren wie es aus Menschenrechtssicht notwendig wäre. Im übrigen sei es leicht nachzuvollziehen, wie es zu diesem üblen Horrorpaket kommen konnte. In die im Vorfeld des Gesetzes während eines ganzen Jahres tagende Zuwanderungskommission waren ja z.B. auch so ehrenwerte Wissenschaftler wie der in Konstanz ansässige rechte Ausländerrechtsprofessor Kay Hailbronner berufen worden. Dieser hatte auch schon nach dem letzten massiven Einschitt in das Asylrecht im Jahr 1993 die Bundesregierung vor dem Verfassungsgericht verteidigt und juristisch einwandfrei die Rechtsstaatlichkeit der damals eingeführten Flüchtlingsdiskriminierungen bewiesen. Im übrigen ist Hailbronner sowieso der Meinung, dass der Ausländeranteil in Deutschland zu hoch ist. (vgl. Hailbronner, K. (1997) Schengen II und Dublin - Der zuständige Asylstaat in Europa,(gemeinsam mit wiss. Mitarbeiter Claus Thiery, Konstanz), ZAR, Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik, 2. Quartal 1997, S. 55-66, Nomos Verlagsgesellschaft Baden-Baden.)

Der Rest der Veranstaltung war wieder ein Heimspiel für den Schwaben. Die Fragen zu Schleiertragen im Unterricht beantwortete er routiniert und ohne zu gähnen.
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