Die Fabriken gehören uns!
09.12.2003, 23:57, LinksRhein / linkynovia
Globalisierung
| Mannheim
| Argentinien
| ver.di
Zusammenfassung einer Veranstaltung zu besetzten Fabriken in Argentinien. Das Zukunftsforum Rhein -Neckar veranstaltete zusammen mit verdi die internationalen Gewerkschaftstage in Mannheim. Am 26.11.03 berichteten zwei GenossInnen aus Argentinien über ihre Fabrikbesetzungen. Glady Figueroa berichtete von ihren Erfahrungen bei Brukman, einem Textilbetrieb in Buenos Aires und Raúl Godoy über Zanón, einer Keramikfabrik in Neuquén.
Zur Einführung fasste die Übersetzerin Alix die politische und soziale Lage Argentiniens der letzten zwei bis drei Jahre zusammen. Sie beschrieb den wirtschaftlichen Zusammenbruch Argentiniens, den Aufstand Ende 2001, bei dem 5 Regierungen sich nacheinander die Klinke in die Hand gaben sowie die drei wichtigsten sozialen Bewegungen, die bis heute fortbestehen:
- die Piqueteros, die Arbeitslosenbewegung, die schon Mitte der 90er Jahren entstanden und mit Strassenblockaden Druck ausüben,
- die Stadtteilversammlungen (asambleas)
- und die besetzten Betriebe, von denen es zur Zeit etwa 150 in Argentinien gibt.
Brukman
Glady fasste die Geschichte ihrer Fabrikbesetzung zusammen. 1998 begann der Konflikt mit Lohnsenkungen durch die Firmenleitung, willkürlichen Entlassungen und dem Nichtbezahlen von Sozialbeiträgen und Kinderbeiträgen. Die damaligen Löhne lagen bei etwa 100 Pesos pro Woche und wurden sukzessive auf 80 und später 70 Pesos gesenkt. Im Oktober 2001 wurden die Löhne schließlich auf 5 Pesos pro Woche gesenkt, was mit dem Coralito (Einfrieren der Bankkonten) begründet wurde. Eines Tages erschienen weder Geschäftsleitung noch Verwaltung in der Fabrik. Daraufhin beschlossen die ArbeiterInnen, auf die Geschäftsleitung zu warten und blieben über Nacht in der Fabrik, nicht zuletzt auch deswegen, weil sie schlichtweg kein Geld mehr hatten, um mit dem Bus nach Hause zu fahren.
Über einen Monat lang versuchten sie dann, mit Gewerkschaften und dem Arbeitsministerium zu verhandeln, die jedoch auch keine Lösungsvorschläge hatten. Wegen Geldmangel haben die ArbeiterInnen schliesslich wieder angefangen, zu produzieren. Etwa zeitgleich hatten sie von Fabriken in ähnlicher Lage gehört, wie Zanón oder Fabriken in Cordoba oder Rosario.
Räumungen
Im März 2002 gab es die erste Räumung aufgrund eines Gerichtsbeschlusses, die mit der Unterstützung der Asambleas, der Nachbarn aus dem Stadtteil, und anderen abgewehrt werden konnte, so dass die ArbeiterInnen die Fabrik wieder bekommen haben. Im November 2002 gab es eine zweite Räumung, diesmal sehr gewalttätig, bei der aber der Richter sich letztlich als nicht zuständig erklärte und die ArbeiterInnen wieder in die Fabrik einzogen. Die dritte und letzte Räumung fand im April 2003 statt, bei der auch die große Unterstützungsdemonstration einer starken Repression ausgesetzt war. Seit 7 Monaten befinden sich die ArbeiterInnen nun außerhalb der Fabrik und arbeiten nicht mehr.
Enteignungsverfahren
Es hat in der Folge viele Verhandlungen gegeben und die Fabrik ist mittlerweile enteignet worden. Ihre eigentliche Forderung, für die sie eineinhalb Jahre lang gekämpft hatten, war jedoch die Verstaatlichung des Betriebes unter ArbeiterInnenkontrolle gewesen. Nachdem sie dies nicht erreichen konnten, hatten sie sich auf das Enteignungsverfahren eingelassen. Bedingung für die Enteignung war, wie bei den anderen 150 besetzten Betrieben in Argentinien auch, der Konkurs des Betriebes und die Gründung einer Kooperative. Die Klauseln dieses Vertrags sind sehr schlecht für die ArbeiterInnen: So ist die Enteignung der Produktionsmaschinen definitiv, und des Gebäudes aber nur vorübergehend für zwei Jahre und sie müssen 9000 Pesos monatlich als Miete an die früheren korrupten Eigentümer bezahlen.
Jetzt fehlen nur noch ein paar Formalitäten, und dann können die ArbeiterInnen wieder in ihre Fabrik.
Zanón
Raúl begann seinen Vortrag mit dem Hinweis, dass es ihnen mit dieser Veranstaltung nicht darum ging karitative Wohltätigkeit zu erheischen oder als Exoten betrachtet zu werden. Er spricht als Kampfgefährte. Die Unternehmer agieren heute ohne Grenzen und die ArbeiterInnen müssen dies auch. Die argentinischen Verhältnisse sind ein Zeichen für die allgemeine kapitalistische Krise in der Welt. Sie wollen auch mitkriegen, wie wir hier kämpfen.
Vieles bei Zanón ist ähnlich wie bei Brukman. Ihre grösste Sünde war es zu zeigen, dass sie auch alleine produzieren können und dass die Unternehmer nur dazu da sind, um das Geld mitzunehmen. 90 MitarbeiterInnen von 350 bei Zanón sind aus der Arbeitslosenbewegung. Die Fabrik soll nicht nur für diese ArbeiterInnen sein, sondern in den Dienst der Gemeinschaft gestellt werden. Der Gewinn soll sozialisiert werden, d.h. für öffentliche Ausgaben, Sozialleistungen etc. Es gibt sogar einen dahingehenden Vorschlags- oder Forderungskatalog, der auch von Professoren und Intellektuellen ausgearbeitet worden war, aber seit 2 Jahren blieb er ohne Antwort. Stattdessen erlebten sie eine ständige Repression und gerichtliche Verfolgung. Raúl selbst hat ein Ermittlungsverfahren am Hals, wodurch seine Ausreise aus Argentinien erschwert war.
Wichtig bei Zanón waren folgende drei Punkte:
- Arbeitsorganisation per direkter Demokratie: Die Vollversammlungen des Betriebes entscheiden alles
- alle erhalten gleichen Lohn
- die Arbeitsplätze rotieren
Das war wichtig für das gegenseitige Vertrauen in den gegenwärtigen Kämpfen. Sie suchen ständig nach neuen Verbündeten (bei Gewerkschaften, LandarbeiterInnen in Ecuador, Peru, zuletzt in Bolivien, auch in der Anti-Globalisierungsbewegung).
Kooperation mit Mapuche
Auf den Ländereien wo der Rohstoff - die Tonerde - herkommt, leben indigene Gemeinschaften, die Mapuche. Der bisherige Fabrikbesitzer hatte ein reines Ausbeutungsverhältnis zu ihnen. Heute gestaltet sich das Verhältnis völlig anders: als eine Kooperation. Die Mapuche sind selbst auf sie zugekommen. Heute wird eine Kachelserie produziert, die den Namen von Mapuche-Häuptlingen trägt, die am meisten gegen Kolonialisierung gekämpft hatten - früher war dies eine Serie mit italienischen Namen.
Sie haben auch eine neue Organisation in der Region mitaufgebaut: die Coordinadora Regional del Alto Valle, in der Fernseharbeiter, Arbeitslosenbewegung, die Gewerkschaft der KeramikarbeiterInnen und weitere Gruppen sich beteiligen.
Bislang gab es 5 Räumungsversuche für Zanón. Aber es gibt in Neuquén mittlerweile ein dichtes Netz, was das jedes mal verhindert hat. Am 8. April 2003 fand der letzte Räumungsversuch statt. Es kam daraufhin zu einem Generalstreik in der ganzen Provinz. Selbst gut angezogene Leute kamen um die Fabrik zu verteidigen. Arbeitslosenorganisationen, Delegationen der Mapuche - Gemeinden, StudentInnen, ProfessorInnen, die evangelische und katholische Kirche versammelten sich vor der Fabrik. Die Arbeiter von Zanón hatten auch bekannt gegeben, dass sie gegen die Räumung widerstand leisten. Den ganzen Tag war in Neuquén keine Polizei auf den Strassen zu sehen.
Jüngste Repression
Die neoliberale Provinzregierung unter dem neoliberalen, menemistischen (d.h. Anhänger des Peronisten Menem) Gouverneur Sobisch tut sich mit alten Militärs zusammen, die auch in der Militärdiktatur aktiv gewesen waren. Vor einigen Tagen sollten die Unterstützungsleistungen für Arbeitslose von 150 Pesos (45 Euro) pro Monat und Familie gesenkt werden. (Das sind zumeist grosse Familien). Der Gouverneur versuchte einzuführen, dass diese Unterstützungszahlungen in Zukunft nur noch per Kreditkarte von einer Bank in seinem Besitz bezahlt wird, was zusätzliche Abzüge gekostet hätte und womit ausser Lebensmitteln nicht viel gekauft werden könnte, da in kleinen Geschäften nicht per Karte bezahlt wird. Die Arbeitslosenbewegung (MTD) hat dagegen demonstriert und ist mit Wasserwerfern, Motorrädern, und viel Polizei angegriffen worden. Auch Arbeiter von Zanón sind dabei gewesen um die Arbeitslosenbewegung zu unterstützen. Ein Mitarbeiter von Zanón hat sein linkes Auge verloren. Oppositionelle Abgeordnete, die ebenfalls vor Ort waren sind angegriffen worden, erhielten Schussverletzungen am Arm. In der Folge gibt es jetzt neue Demos und Streiks, auch in anderen Teilen Argentiniens. vgl. http://de.indymedia.org//2003/11/68443.shtml und http://de.indymedia.org//2003/11/68152.shtml
Raúl bittet uns um Solidaritätserklärungen und Proteste, die helfen können diese Informationen zu verbreiten, in sozialen Organisationen, bei Abgeordneten etc. Jede Mail, jede Unterschrift, die bei ihnen ankommt habe für sie grosse Bedeutung. Am gleichen Abend wurde noch eine entsprechende Erklärung vorgelesen und Unterschriften bei den Anwesenden gesammelt. vgl. http://de.indymedia.org/2003/11/68130.shtml
Diskussion
In der Diskussion wurde zunächst erklärt, was die Arbeitslosenhilfe von 150 Pesos (45 Euro) wirklich bedeutet. Es ist nur ein geringer Bruchteil der Lebenshaltungskosten: Eine Familie erhält 45 Euro pro Haushaltsvorstand, egal aus wie viel Personen die Familie besteht. Allein 100 Euro pro Monat gibt eine grosse Familie jeden Monat für Miete aus (daher gibt es in Argentinien auch jede Menge Elendsviertel und Obdachlose und deshalb auch die Forderung nach öffentlichen Investitionen auf diesem Gebiet). Der Warenkorb (Mindestbedarf) einer Familie beträgt 1500 Pesos (450 Euro), der Mindestlohn liegt bei 400 Pesos (130 Euro) pro Monat. Mit 300 Euro pro Monat zahlt Zanón überdurchschnittliche Löhne, da sich ihre Lage in der letzten Zeit einigermassen stabilisiert hat. Vor Beginn der Produktion haben sie mehrere Monate von der Solidarität der Leute in Neuquén gelebt. Jetzt wird ein Teil des Produktionsergebnisses gespendet für örtliche Volksküchen, soziale Projekte und Streikkassen.
Dann antwortete Raúl auf die Frage, ob es in der Fabrik zu Selbstausbeutung käme. Er verwies auf die grundsätzliche Widersprüchlichkeit von Produktionsverhältnissen und der Gesellschaft; es gibt eben die Marktgesetze und auch die Konkurrenz ist nicht verschwunden. Es komme für ihre Zukunft sehr darauf an, was mit allen ArbeiterInnen ist, auch jenseits ihrer Fabrik. Das Risiko der Selbstausbeutung existiere durchaus. Es müssten große Anstrengungen für die Löhne und die Ausgaben für Steuer, Gas, Wasser erbracht werden, aber es gibt keine andere Möglichkeit unter den gegebenen Bedingungen. Alles müsse sich viel grundlegender ändern (wenngleich diese Ansicht nicht von 100% der ArbeiterInnen geteilt wird). Es gibt einen gegenseitigen Respekt zwischen den verschiedenen Betrieben. Jeder entschiedet für sich, aber wenn es drauf ankommt, wird zusammen gekämpft.
Auf die Frage, wo die besetzten Fabriken Kredite herbekommen, antworteten Gladi und Raúl, dass sie von Privatbanken keine Kredite erhalten und dass es eine Gesetzesinitiative gibt, die es enteigneten Fabriken demnächst ermöglichen soll, 150.000 Pesos als Starthilfe zu erhalten. Die Kooperativen hoffen alle auf Unterstützung vom Staat, wenn die nicht kommt, werden sie mehr arbeiten müssen, was sehr hart ist.
Eine andere Frage war dazu, ob die Fabriken immer bereits von den Besitzern verlassen worden waren, oder ob es auch andere Übernahmen gegeben hatte. Antwort: Es gab viele Besetzungen von Fabriken, die bis dahin nicht in Konkurs gegangen waren, aber die Mehrheit der Fabriken war von den Besitzern verlassen worden. Es gab verschiedene Gründe, warum die Unternehmer das gemacht hatten. Einer der Hauptgründe war, dass die Unternehmer kurz vor der Bankenkrise Millionenkredite aufgenommen hatten und das Geld ausser Landes gebracht hatten. Wir sollten uns mal vorstellen, was das heisst, wenn Gerichte ihnen jetzt sagen, dass sie diesen korrupten Unternehmern in Zukunft Miete zahlen sollen. Bei Zanón sind 260 ArbeiterInnen von den ehemals 330 vor der Besetzung geblieben. Eine Gruppe von Funktionären der Gewerkschaft ist ebenfalls gegangen und hat sogar von ausserhalb der Fabrik weiter mit den Unternehmern zusammengearbeitet und gegen die Arbeiter agiert, bis hin zu physischen Auseinandersetzungen vor den Fabriktoren, wenn Zanón von Leuten angegriffen wurde, die von diesen Funktinären bezahlt worden waren. Das Enteignungsgesetz sieht im übrigen auch vor, dass solche Leute wieder eingestellt werden!
Raúl erzählt auf eine weitere Frage, wie sie sich auch mit anderen Kämpfen in Lateinamerika auseinandergesetzt haben. So berichtet er von den Kämpfen der besetzten Fabriken in Chile. Dort habe es einen regelrechten ?Industriegürtel? von 160 besetzten Fabriken in einer Region gegeben, darunter auch grosse Autofabriken. In der Folge kam es zu dem Staatsstreich von Pinochet. Es geht also nicht nur darum, was in der Fabrik passiert, sondern auch darum wer regiert.
Auf die Frage, wie das Verhältnis der ArbeiterInnen in besetzten Betrieben zu denen in anderen Betrieben ist, erzählt Raúl: In ganz Lateinamerika sind grosse Versorgungsunternehmen privatisiert worden (Z.B. in Bolivien erst das Wasser, dann das Gas) Die einzige Beziehung zu diesen Unternehmen ist zunächst, die Rechnung zu bezahlen. Die Beziehung zu den ArbeiterInnen dort ist gut, mit ihnen werden auch Kämpfe geführt. Das grosse Problem in Argentinien (und woanders auch) ist die Gewerkschaftsbürokratie. Es gibt übrigens einen interessanten Film einer Deutschen zur Mercedes Benz Niederlassung in Argentinien, wo klar wird, dass 1% des Gewinns des Unternehmens an Gewerkschaften ging, um jede Arbeiterbewegung bereits im Keim zu ersticken. Aus diesem Grund haben die Gewerkschaften auch nicht die Brukman - ArbeiterInnen verteidigt.
(Die Diskussion ging weiter, wir mussten jedoch zum Zug. Vielleicht mag ja noch jemand ergänzen?)
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