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letzte Änderung: 29/12/02 16:48

Rassismus

Zuwanderungs-gesetz

23.03.2002, 17:30, Classen, Georg

Gestern wurde im Bundesrat ein 'Zuwanderungsgesetz' verabschiedet, das die bisherige rassistische Ausgrenzung in Deutschland in Richtung eines Verwertungsrassismus verschiebt. Was dieses Gesetz in Verbindung mit Schilys Anti-Terror - Paketen an Verschlechterungen für MigrantInnen bedeutet, fasst Georg Classen zusammen.


Georg Classen, c/o Flüchtlingsrat Berlin, Fennstr. 31, 12439 Berlin, Fax 030-6361198
E-Mail: georg.classen@berlin.de Berlin, 12.November 2001

Thesen zum Regierungsentwurf für ein Zuwanderungsgesetz

Die im Regierungsentwurf vom 07.11.01 - download unter http://www.dbein.bndlg.de/action - vorgesehenen Möglichkeiten der Arbeitskräftezuwanderung sollen offenbar zur Begründung massiver Einschränkungen des Asyl- und Flüchtlingsrechts sowie des Ausländerrechts dienen. Das Ausmaß der Verschärfungen ist - zusammengenommen mit den - inzwischen auch in den Zuwanderungsgesetzentwurf eingearbeiteten Einschränkungen des Ausländer- und Asylrechts durch das Anti-Terror-II Paket - vergleichbar mit den Einschränkungen durch den "Asylkompromiss 1993".

Der Zuwanderungsgesetzentwurf (ZuwGE) besteht aus folgenden Teilen: dem das bisherige Ausländergesetz ersetzenden "Aufenthaltsgesetz" (AufenthG), dem ebenfalls völlig neu gefassten Freizügigkeitsgesetz EU, umfangreichen Änderungen des Asylverfahrensgesetzes und des Ausländerzentralregistergesetzes, Änderungen sozial- und leistungsrechtlicher Gesetze sowie weiteren Gesetzesänderungen.

1. Der Regierungsentwurf schafft neue Möglichkeiten der Arbeitskräftezuwanderung für Nicht-EU-AusländerInnen

Nur 4 von 105 Paragrafen des Aufenthaltsgesetzentwurfs (AufenthG) regeln die Zuwanderung von Arbeitskräften. Die neuen Möglichkeiten beinhalten jedoch - auch für ausländische AbsolventInnen deutscher Hochschulen - keinerlei Rechtsansprüche. Ihre Umsetzung liegt im politischen Ermessen der Bundesministerien des Inneren und für Arbeit, der Arbeitsämter, des (neuen) Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge sowie des Bundesrates.

Angesichts hoher Arbeitslosigkeit ist mit einer eher vorsichtigen/restriktiven/ängstlichen Handhabung zu rechnen (vgl. Arbeitserlaubnisrecht, IT-VO, ASAV/AAV). Schily hat erklärt, mit den ersten Zuwanderern nach dem Punktesystem sei erst im Jahr 2010 zu rechnen.

Somit kann theoretisch zwar mehr Arbeitskräftezuwanderung als nach den geltenden Rechtsverordnungen zu § 10 Ausländergesetz ASAV/AAV und IT-VO (ca 350.000 Arbeitsaufenthaltserlaubnisse/Jahr, davon ca 230.000 für Saisonarbeitskräfte) - viel wahrscheinlicher aber weniger Arbeitskräftezuwanderung als bisher stattfinden.

Als Rechtsverordnung des BMI gemäß § 10 AuslG mit Zustimmung des Bundesrates könnte eine Änderung der ASAV/AAV (Ausweitung des Berechtigtenkreises z.B. auf Hochschulabsolventen, auf qualifizierte Fachkräfte aller Branchen, Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen statt -bewilligungen) - entsprechend der bisherigen Regelung für IT-Fachkräfte - kurzfristig neue Zuwanderungsmöglichkeiten ohne Gesetzgebungsverfahren wesentlich schneller als mit Hilfe eines komplett neuen Ausländer- und Asylrechts eröffnen.

Für gesetzgeberische Hektik und künstlichen Zeitdruck besteht keinerlei Anlass.

2. Der Regierungsentwurf sieht massive Restriktionen für hier lebende MigrantInnen vor

Das Recht wird durch die Vielzahl vorgesehener zweckgebundener befristeter Aufenthaltstitel nicht einfacher, sondern komplizierter als bisher.

Der Zugang zu einem dauerhaften Aufenthaltsrecht wird durch die Abschaffung der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis und die erheblich verschärften Anforderungen an die an Stelle der Aufenthaltsberechtigung tretende (unbefristete) Niederlassungserlaubnis (Nachweis von 60 Rentenversicherungsbeiträgen, Nachweis ausreichender schriftlicher statt einfacher mündlicher Sprachkenntnisse, Einführung einer Staatsbürgerkundeprüfung) wesentlich erschwert (§ 9 AufenthG).

Der Kindernachzug wird in ausländerpolitisch, verfassungs- und europarechtlich fragwürdiger Weise beschränkt (Nachzug grundsätzlich nur bis 13 Jahre, Sprachprüfungen ab 14 Jahren).

Das Gesetz ist auf Intellektuelle zugeschnitten, nicht aber auf die Mehrzahl der real in Deutschland lebenden, meist als Gastarbeiter eingewanderten ArbeitsmigrantInnen.

3. Der Regierungsentwurf sieht nicht hinnehmbare Einschränkungen des Asylrechts vor

Die von Zuwanderungskommission und Menschenrechtsorganisationen bemängelten Schutzlücken werden durch die vorgesehene Anerkennung nichtstaatlicher und geschlechtsspezifischer Verfolgung zum Teil geschlossen.

Andere Schutzlücken bleiben bestehen, insbesondere

Hinzu kommen neue Schutzlücken durch die Erweiterung rein formal begründeter Ablehnungsmöglichkeiten:

4. Der Regierungsentwurf sieht nicht hinnehmbare Einschränkungen des ausländerrechtlichen Flüchtlingsschutzes vor

Kriegsflüchtlinge können bereits bisher im Regelfall kein Asylrecht erhalten (§ 30 Abs. 2 AsylVfG). Wegen Krankheit/Behinderung Schutzbedürftige, aus rein formalen Gründen abgelehnte Asylsuchende sowie weitere Gruppen sind ebenfalls auf ausländerrechtlichen Abschiebeschutz angewiesen (teils auch als "subsidärer Schutz" bezeichnet). Infolge der geplanten Verschärfungen des Asylrechts wird die Zahl der auf ausländerrechtlichen Schutz angewiesenen Flüchtlinge größer als bisher.

Die vorgebliche Abschaffung der Duldung ist nur teilweise zutreffend. Tatsächlich soll die Duldung durch eine "Bescheinigung" ersetzt und dadurch vor allem die Abschiebung der Betroffenen wesentlich erleichtert werden. So entfällt die bisherige Pflicht zur Ankündigung einer Abschiebung bei mehr als 12monatigem Besitz einer Duldung (§ 56 AuslG). Hinzu kommen künftig ein absolutes Arbeitsverbot sowie der Entzug auch bereits erteilter Arbeits- und Ausbildungserlaubnisse. Diese "Bescheinigung" ist noch weniger wert als eine Duldung, sie bedeutet einen Schritt in Richtung Illegalisierung der 250.000 bisher Geduldeten.

Der anstelle der Duldung angeblich vorgesehene Aufenthaltstitel nach § 25 Abs. 4-5 AufenthG wird – ebenso wie bisherige Aufenthaltsbefugnis nach § 30 AuslG - im Regelfall an den Hindernissen Sozialhilfebedürftigkeit oder "illegale Einreise" scheitern (vgl. § 5). Flüchtlinge haben in der Regel jedoch keine Möglichkeit einer legalen Einreise, sie sind wegen des faktischen oder tatsächlichen Arbeitsverbots meist auch auf Sozialhilfe angewiesen. Da Inhaber einer Bescheinigung künftig generell nicht mehr arbeiten dürfen, können sie schon deshalb keinen humanitären Aufenthaltstitel mehr erhalten.

Bisherige Duldungsinhaber können einen Aufenthaltstitel nur in wenigen Ausnahmefällen erhalten, nämlich bei Vorliegen eines gesetzlichen Abschiebungsverbots im Sinne der GFK, der EMRK oder Art. 1 und 2 GG (§ 60 Abs. 2-7 ZuwGE). Nur in diesen Fällen - nach Einschätzung von PRO ASYL etwa 6 % aller 250.000 Inhaber einer Duldung - kann ein Aufenthaltstitel trotz Sozialhilfebedürftigkeit und/oder "illegaler Einreise" erteilt werden. Der Aufenthaltstitel darf aber auch in diesen Fällen nicht erteilt werden, wenn nach Auffassung der Behörde die fiktive Ausreisemöglichkeit in einen beliebigen Drittstaat besteht. Es ist davon auszugehen, das die Ausländerbehörden in der Praxis immer neue Ausreisemöglichkeiten "erfinden" werden, um die Erteilung eines Aufenthaltstitels zu verhindern, und dass der Betroffene jedesmal aufs neue den Nachweis führen muss, dass ihn der betreffende Drittstaat nicht einreisen lässt.

Legalisierungsregelungen für in Deutschland lebende und/oder arbeitende Ausländer ohne Status sind weder vorgesehen noch überhaupt in der Diskussion.

5. Das Asylbewerberleistungsgesetz soll auf AusländerInnen mit humanitärem Aufenthaltstitel ausgeweitet werden

Das Asylbewerberleistungsgesetz (= Kürzung und Sachleistungen für die ersten 3 Jahre des Sozialhilfebezugs, d.h. Lebensmittelpakete, Sammellager, eingeschränkte medizinische Versorgung) soll auf bisherige Inhaber einer Aufenthaltsbefugnis ausgeweitet werden. Unter das AsylbLG sollen auch alle Ausländer mit humanitären Aufenthaltstitel fallen (Kriegsflüchtlinge; Kranke und Behinderte; Flüchtlinge mit Bleiberecht aufgrund Altfallregelung etc.) – mit Ausnahme lediglich von Asylberechtigten, Konventionsflüchtlingen und Flüchtlingen mit Aufenthaltstitel aufgrund EMRK, drohender Folter oder Todesstrafe (§ 25 Abs. 1-3 AufenthG).

6. Der Arbeitsmarktzugang für Asylsuchende und Flüchtlinge soll erschwert und weitgehend ins behördliche Ermessen gestellt werden

Im Unterschied zu geduldeten Flüchtlingen dürfen Flüchtlinge mit "Bescheinigung" künftig generell nicht mehr arbeiten, bereits erteilte Arbeitserlaubnisse werden entzogen. Die Arbeitserlaubnis für Flüchtlinge mit humanitären Aufenthaltstitel liegt – mit Ausnahme Asylberechtigter und Konventionsflüchtlinge – lediglich im Ermessen der Behörden.

Für Asylsuchende wird ein 12-monatiges Arbeitsverbot gesetzlich festgeschrieben, anschließend liegt die Arbeitserlaubnis im Ermessen der Behörden. Globale Arbeitsverbote (vgl. die Berufsverbotelisten in NRW) sollen erleichtert werden, die individuelle Arbeitsmarktprüfung kann durch arbeitsmarktpolitische Erwägungen der Behörden ersetzt werden.

Die Behauptung im Schily-Eckpunktepapier vom 05.11., "Inhaber des 'kleinen Asyls' erhielten - wie bislang nur die Asylberechtigten - ungehinderten Arbeitsmarktzugang" ist unwahr. Inhaber des 'kleinen Asyls' erhalten schon bisher aufgrund der Genfer Flüchtlingskonvention (Art. 17) wie auch aufgrund des deutschen Arbeitsgenehmigungsrechts ungehinderten Arbeitsmarktzugang (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 Arbeitsgenehmigungsverordnung, BGBl. I 1998, 2899).

7. Ausländerpolizeiliche Restriktionen wie Residenzpflicht, besonderes Ausländerstrafrecht, Datenerfassung, Sammellager, Ausweisung und Abschiebung, Abschiebungshaft etc. werden erweitert.

Die Residenzpflicht wird nicht etwa abgeschafft, sondern ausgeweitet: Neben Asylbewerbern sind davon künftig auch Flüchtlinge mit "Bescheinigung", ausreisepflichtige ("illegalisierte") Flüchtlinge und ein Teil der Flüchtlinge mit humanitärem Aufenthaltstitel betroffen.

An den Strafbestimmungen (besonderes "Ausländerstrafrecht" bzw. "Schlepperparagrafen" – wg. Illegaler Einreise und/oder illegalem Aufenthalt und/oder der Unterstützung von Ausländern bei diesen Taten) und der Kriminalisierung von Kirchenasyl und Sozialarbeit mit Illegalen wird festgehalten.

Die Regelungen zur Ausweisung von "Straftätern" nach der Strafhaft ("Doppeltbestrafung") werden übernommen. Ein neuer Straftatbestand der Verweigerung oder falschen Angaben zu Identität und Staatsangehörigkeit wird geschaffen.

Durch den erschwerten Zugang zur Niederlassungserlaubnis wird die Ausweisung im Ergebnis weiter erleichtert. In Deutschland geborene Jugendliche mit ausländischem Pass sollen wie bisher in ein Land abgeschoben werden können, in dem sie nie gelebt haben, wenn sie zu einer Haftstrafe von 3 Jahren verurteilt wurden. Der Fall "Mehmet" ist auch künftig möglich.

Die Datenerfassung und -übermittlung nach AufenthG und Ausländerzentralregistergesetz wird umfassend ausgeweitet, u.a. durch

Die Einweisung von Flüchtlingen in Sammellager soll ausgeweitet werden. An den asylverfahrens- und asylbewerberleistungsrechtlichen Bestimmungen zur Einweisung in Gemeinschaftsunterkünfte und Versorgung mit Vollverpflegung bzw. Lebensmittelpaketen wird festgehalten (§§ 44, 53 AsylVfG; § 3 AsylbLG). Residenzpflicht und wohl auch Verteilung treffen künftig auch Kriegsflüchtlinge und Flüchtlinge mit Bescheinigung (§§ 24, 61 AufenthG).

Illegalisierte sowie ausreisepflichtige Ausländer und Flüchtlinge sollen unter dem Vorwurf des Missbrauchs in zentrale "Ausreiseeinrichtungen" (§ 61 AufenthG) eingewiesen werden. Derartige - mit einem Missbrauchsvorwurf verbundene - Sonderlager können als Beitrag zur geistigen Brandstiftung wirken, wie die Ereignisse 1992 in Rostock gezeigt haben.

Die Regelungen zur Abschiebungshaft bleiben entgegen der Rot-Grünen Koalitionsvereinbarung unverändert (§ 62 AufenthG). Es ist davon auszugehen, dass infolge der Illegalisierung durch die Verschärfungen des Asyl- und Flüchtlingsrechts sowie durch die zu erwartende Weigerung vieler Ausländer, in einer Ausreiseeinrichtung zu leben, vermehrt Abschiebehaft begründende Tatbestände geschaffen werden.

Entwürfe Zuwanderungsgesetz und Anti-Terror II und Stellungnahmen dazu:

http://www.proasyl.de/presse01/aktuell.htm und http://www.dbein.bndlg.de/action

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