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letzte Änderung: 26/03/02 15:36

Asyl

In Baden-Württemberg nehmen Kirchenasyle gegen Abschiebepolitik zu

26.03.2002, 14:30, Höxtermann, Martin

Die restriktive Abschiebepraxis der baden-württembergischen Behörden ruft vermehrt Kirchengemeinden auf den Plan. Jüngstes Beispiel: das Kirchenasyl einer fünfköpfigen Roma-Familie in Heidelberg


Die restriktive Abschiebepraxis der baden-württembergischen Behörden ruft vermehrt Kirchengemeinden auf den Plan. Jüngstes Beispiel: Eine Heidelberger Kirchengemeinde hat vorletztes Wochenende eine fünfköpfige Roma-Familie ins Kirchenasyl genommen, um ihre Abschiebung nach Albanien zu verhindern. Die Aufenthaltsgenehmigung der Berishas lief am 9. März aus. Der Familie drohte nach zwölf Jahren Aufenthalt in Deutschland die unfreiwillige Rückführung in ihr Heimatland. Kurz vor Ablauf der Frist handelte die Evangelisch-Lutherische Kirchengemeinde Sankt Thomas in Heidelberg und nahm die Berishas auf. Seit zwei Wochen lebt sie nun Tag und Nacht in den engen Kirchenräumen, schläft auf der Empore gleich neben der Orgel. »Dort wird sie bleiben, bis weitere rechtliche Schritte erfolgt sind«, kündigte Pfarrer Ekkehard Heicke an.

Filoreta und Gezim Berisha kamen 1990 mit ihren zwei Kindern als sogenannte Botschaftsflüchtlinge nach Deutschland. Sie konnten die Diskriminierung, der Gezim als Roma ausgesetzt war, nicht mehr ertragen. In Albanien erwartet sie ein Leben in Armut und Ausgrenzung. Kürzlich wurde ihnen der Asylstatus aberkannt, weil sich die Lage für die Roma nach Ansicht der Behörden beruhigt habe. Das sieht der Unterstützerkreis des Heidelberger Kirchenasyls anders. Eine Rückkehr nach Albanien sei eine unzumutbare Härte, denn die Roma gehörten dort nach wie vor zu einer verfolgten Minderheit, argumentieren sie.

Die Berishas gelten in Heidelberg als integriert und verdienen ihren Lebensunterhalt selbst. Die beiden jüngeren Kinder, Amarildo (12) und der in Heidelberg geborene Fabian(8), sprechen ausschließlich Deutsch. Besonders dramatisch wäre eine Abschiebung für die geistig behinderte Tochter Mariglen(14). In Albanien würde es keinerlei Förderung für sie geben, und sie wäre als Behinderte diskriminiert und gefährdet, befürchtet der Unterstützerkreis. Leib und Leben von Magrilen wäre in Gefahr, wenn sie nach Albanien zurück müßte.

Im Rahmen der bestehenden Gesetze hätte es durchaus Möglichkeiten gegeben, der Familie ein Bleiberecht zu gewähren, glaubt der AK Asyl. »Vor allem hätte die schwere Behinderung der Tochter bei den Entscheidungen stärker gewichtet werden müssen«, sagte Ulrike Duchrow vom AK Asyl gegenüber jW. »Doch offenbar spielen bei den christlich- liberalen Parlamentariern in Baden-Württemberg menschliche Gesichtspunkte keine Rolle«, kritisiert sie.

Dies zeigt sich nicht nur im Fall der Familie Berisha. Erst Anfang März hatte der Petitionsausschuß des Stuttgarter Landtags Eingaben von zwei Kurdenfamilien im Schwarzwald-Baar-Kreis verworfen, die seit langem im Kirchenasyl leben. Eine von ihnen befindet sich bereits seit Oktober 1998 in Furtwangen im Kirchenobdach. Weitere Familien leben in Balingen (Zollernalbkreis) und Herbrechtingen (Kreis Heidenheim) unter Kirchendächern. Unterstützt werden sie auch von diversen Wohlfahrtverbänden. Der Geschäftsführer der Diakonie in Württemberg, Henry Bose, wirft der schwarz-gelben Landesregierung vor, Entscheidungsmerkmale zu streng auszulegen und damit Kirchenasyl zu provozieren.

Von humanitären Einzelfallregelungen hält Stuttgarts Innenminister Thomas Schäuble (CDU) indes nichts. »Auch beim Kirchenasyl sind die Ausländerbehörden gehalten, konsequent die Ausreisepflicht durchzusetzen«, betont Schäuble. Die Einrichtung einer Härtefall-Kommission auf Landesebene, die es in mehreren Bundesländern bereits gibt, wird von der schwarzgelben Landesregierung kategorisch abgelehnt. »Sie könnte für Flüchtlinge wie die Berishas eine Lösung finden«, glaubt Ulrike Duchrow vom AK Asyl. »In Baden-Württemberg wird die Flüchtlingspolitik eben noch immer von einer Das Boot-Ist-Voll-Mentalität bestimmt«, bedauerte Duchrow. Jetzt gelte es, Öffentlichkeit und Politiker zu mobilisieren, um die Behörden umzustimmen.

Quelle: Junge Welt, 23.03.2002