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Widerstandskämpfer mit Parteiabzeichen

06.07.2002, 12:18, Engelsing, Tobias

Antifa | Konstanz | Nationalsozialismus | NSDAP | FWG | Euthansasie

Bis Anfang der 50er Jahre zog sich 'Entnazifizierung' hin - Auch in Konstanz: Rückkehr von Belasteten


Unterm Strich war das von den West-Alliierten ausgedachte Verfahren zur Ausschaltung überzeugter Nationalsozialisten aus dem öffentlichen Leben recht erfolgreich. Wie historische Untersuchungen belegen, blieb die Schicht der strafrechtlich und/oder moralisch schwer belasteten Täter von den Schaltstellen der Macht im neuen demokratischen Gemeinwesen mehrheitlich ausgeschlossen.

Dennoch schlüpften immer noch Tausende ehemalige Blutrichter, Euthanasieärzte, Offiziere der "Sondereinsatzkommandos", hetzerische Journalisten und mit der Diktatur reich gewordene Wirtschaftskapitäne in die neuen Funktionsstellen der entstehenden Bundesrepublik.

Auch hier in Konstanz versuchte die französische Besatzungsadministration, das öffentliche Leben vom braunen Einfluss zu säubern. Entnazifizierungsausschüsse auf lokaler Ebene und später landesweit agierende Spruchkammern des badischen Staatskommissariats prüften die Schwere der Schuld, die jeder Vorgeladene auf sich geladen hatte. Der Strukturfehler dieses Verfahrens bestand in der Verteilung der Beweislast: Der Angeklagte befand sich in der Rolle, seine Unschuld beweisen zu müssen. Das wurde mit erheblicher Kraftanstrengung versucht: Man bot Zeugen auf, schleppte Referenzen, sogenannte "Persilscheine" an, deren Aussagen den Kandidaten rein waschen sollten. Viele der Täter präsentierten sich - wie etwa der fanatische Konstanzer NS-Bürgermeister Leopold Mager - so geradezu als Widerstandskämpfer mit Parteiabzeichen.

Der von 1933 bis 1945 amtierende Oberbürgermeister Albert Herrmann, Jurist und erst 1933 aus Karrieregründen zur NSDAP gekommen, verteidigte sich, er sei nicht als "rassiger Parteikämpfer" hierher gekommen, sondern habe versucht, von den "demokratischen Einrichtungen zu erhalten, was vielleicht noch zu erhalten war". In die Partei sei er als "Gegengewicht gegen ihre schlechten Elemente" eingetreten. Die Spruchkammer glaubte dem Mann, der dem Terrorregime zwölf Jahre lang als persönlich zwar integrer, aber willfähriger Beamter gedient hatte: Herrmann ging als "Minderbelasteter" aus dem Verfahren hervor, bezog später einen Teil seiner Oberbürgermeisterrente und lebte bis 1977.

Härter traf es den kurzzeitigen Konstanzer Stadtrat, vormaligen Stockacher und Konstanzer Bezirksarzt und späteren badischen Cheforganisator der Euthanasie, Ludwig Sprauer. OB Herrmann hatte Sprauer 1933 in den Stadtrat geholt, damit dort auch ein Akademiker vertreten sei. Ein Jahr später schon wurde er Leiter des staatlichen Gesundheitswesens in Baden. In dieser Funktion organisierte und leitete er den staatlichen Mord an geistig und körperlich behinderten Menschen. Allein aus der damaligen "Heil- und Pflegeanstalt bei Konstanz" (dem heutigen ZPR) fielen, wie der Arzt und "Euthanasie"-Forscher Heinz Faulstich nachgewiesen hat, mehr als 500 Patienten der Mordaktion zum Opfer.

Als Kriminalpolizisten Sprauer 1947 im Konstanzer Krankenhaus befragten, gab er sich unwissend, behauptete, er habe nur durch umlaufende Gerüchte von der Aktion gehört, daran nicht mitgewirkt und im Übrigen leide er an altersbedingtem Erinnerungsschwund. Das half wenig: Vom Landgericht Freiburg wurde er 1948 wegen Beihilfe zum Mord und Totschlag und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Im Revisionsverfahren 1949 sank die Strafe auf elf Jahre, denn inzwischen hatten auch andere "Euthanasie"-Täter recht milde Strafen erwirkt. 1954 wandelte Ministerpräsident Gebhard Müller die Zuchthausstrafe in eine Gefängnisstrafe um und 1957 wurde Sprauer die Reststrafe erlassen.

Während 1933 entlassene demokratische Beamte noch in den späten 50er Jahren vor den Verwaltungsgerichten um kleine Pensionen fochten, und enteignete Überlebende nachweisen mussten, dass ihre Eltern im KZ umgebracht worden waren, umschifften manche Täter alle juristischen Klippen: Leopold Mager, einer der schlimmsten Scharfmacher des Regimes in Konstanz, gelang das Kunststück, sich wegen seiner Beteiligung an der kampflosen Übergabe der Stadt im April 1945 zum Retter von Konstanz zu stilisieren. Mager verließ das Entnazifizierungsverfahren als "Entlasteter" und ließ sich mit Pensionsanspruch zur Ruhe setzen. Ein paar Jahre später wählten ihn die Konstanzer für die FWG in den Gemeinderat, dem er bis 1962 angehörte, ohne jemals wieder öffentlich auch nur ein "braun" gefärbtes Wort gesprochen zu haben. Aus den Tätern von einst waren gute Demokraten geworden.

Tobias Engelsing

Diese Serie erscheint begleitend zur zeitgeschichtlichen Ausstellung "mager&knapp. Alltagswelten in der Grenzstadt Konstanz 1920-1960", die bis Ende August in der Alten Sparkasse läuft.



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