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letzte Änderung: 28/07/03 03:07

Rassismus

Diskriminierung

28.07.2003, 03:07, Warning, Georg

Ausführliche Antwort auf eine Anfrage an amnesty international, einen länglichen Fragebogen über Diskriminierung auszufüllen. Die Antwort zeigt, wie wenig solch ein standardisierter Fragebogen dem Thema gerecht wird. Der Brief gibt einen Überblick über institutionalisiserte Formen alltäglicher Diskriminierung von Flüchtlingen und MigrantInnen, nicht nur in Konstanz


Institut für Soziologie
Universität Leipzig
Prof. Helena Flam
Beethovenstr. 15
04107 Leipzig
http://www.uni-leipzig.de/~sozio/projekte/xenophob
jkleres@sozio.uni-leipzig.de

Abs.: Georg Warning, ai 2337, PF 5329, D-78432 Konstanz,
e-mail: ai2337@hotmail.com
Konstanz, den 26.07.03

Sehr geehrte Frau Prof. Flam,

herzlichen Dank für den Fragebogen (im Internet: http://www.uni-leipzig.de/~xenophob), den Sie an den AK Asyl von Amnesty International in Konstanz geschickt haben. Früher waren Sie ja an der Uni Konstanz, und ich nehme an, dass Sie von daher auf diese Adresse gekommen sind, denn Amnesty International Konstanz hat seit über 10 Jahren keine Asylgruppe mehr. Das heißt nicht, dass wir nicht im Bereich Asyl tätig wären, aber die Mitgliederzahl reicht nicht, um dafür eine eigene Gruppe zu unterhalten, zumal die Asylarbeit erfahrungsgemäß rasch solche Ausmaße annimmt, dass sie für andere Dinge keinen Platz mehr lässt.

Es gibt in Konstanz allerdings noch den Arbeitskreis Asyl, der mit Amnesty International nichts zu tun hat, sondern vielmehr aus verschiedenen Personen besteht, die zum Thema Asyl aktiv sind, sowie einen Runden Tisch, an dem Vertreter des AK Asyls, der Stadt Konstanz, der Kirchen und der Sozialarbeiterinnen einzelne Fälle ansprechen (nicht vertreten ist das Landratsamt, das das Flüchtlingsheim betreibt und besonders häufig Anlass für Kritik gibt), und weiterhin die Organisation Hand in Hand, unter der Leitung von Jascha Hilkowitz (jascha.hilkowitz@hih-international.de), die auch die Unterstützung der Stadt Konstanz genießt.

Was die Arbeit von Amnesty International betrifft, konzentriert sie sich auf Unterstützung im Asylverfahren - Befragung der Flüchtlinge, Übersetzung ihrer Aussagen ins Deutsche, evtl. Vermittlung von Kontakten zu Ärzten, die Atteste über fluchtrelevante Verletzungen schreiben können, Erläuterung von Behördenschreiben, Vermittlung von Anwälten u.s.w. Sprechstunden halten wir in Konstanz nicht ab, dafür reicht unsere Kapazität nicht. Früher war die Sozialbetreuung der Flüchtlinge im Heim in der Hand des Deutschen Roten Kreuzes, wo besonders Doris Künzel (doris-kuenzel@t-online.de) sehr aktiv war. Wenn Flüchtlinge Rat brauchten, kontaktierte sie mich und ich ging vorbei, und sprach mit den Leuten. Sie arbeitet jetzt im Heim für Russlanddeutsche. Aber dann hat das Land Baden-Württemberg der Reihe nach die Verträge mit externen Institutionen gekündigt, weil ihm diese Leute zu oft in die Quere kamen und die Flüchtlinge im Kampf gegen die Unmenschlichkeit der Behörden unterstützten, so dass das DRK vertrieben wurde - der Verantwortliche vom Landratsamt drohte mit Polizeieinsatz, als die Flüchtlinge gegen den Rauswurf ihrer Betreuerinnen protestierten. Jetzt liegt die Betreuung in der Hand des Landratsamts und ist kaltgestellt, und ich erlebe im Kontakt mit den Flüchtlingen immer wieder, wie diese Betreuerinnen nach außen eine Sache erzählen und nach innen ganz anders auftreten. Wobei die Verantwortung klar bei den Chefs im Landratsamt, im Regierungspräsidium Freiburg sowie im Innenministerium in Stuttgart liegt, denn würden sich ihre Angestellten anders verhalten, hätten sie den Job schnell los.

Dadurch, dass ich inzwischen geheiratet habe - meine Frau und ihre beiden Kinder stammen aus der Türkei, habe ich inzwischen weniger Zeit für die Flüchtlingsarbeit, aber weiterhin viele Kontakte zu Menschen mit Immigrationshintergrund. Da ich zudem die Arbeit von Amnesty International zu Zentralasien koordiniere, bin ich außerdem im Rahmen von Asylgutachten mit den Problemen von Flüchtlingen konfrontiert.

Im Asylbereich arbeite ich seit Ende der 70er Jahre mit, damals gab es in Konstanz tatsächlich noch eine Asylgruppe bei Amnesty International. Bevor ich zu Einzelheiten der Diskriminierung komme, möchte ich etwas zu diesem Begriff anmerken. Diskriminierung bedeutet für mich (in der negativen Form) Benachteiligung einer Person aufgrund ihrer Herkunft, Hautfarbe, Staatsangehörigkeit, Religion oder ihres Geschlechts. Es ist ein Begriff, der aus dem Menschenrechtsgedanke abgeleitet ist und beinhaltet, dass Menschen, die einer bestimmten Gruppe zugeordnet werden, deshalb in ihren Menschenrechten beschnitten werden.

Die Menschenrechte sind von der Idee her weltumfassend, entsprechend auch die Formen der Diskriminierung. Was die Verwirklichung der Menschenrechte betrifft, stützt sich diese aber bis heute wesentlich auf Staaten und zwischenstaatliche Organisationen (UNO, OSZE, Europarat), und dies gerät schnell in Konflikt mit der Idee der Menschenrechte. Denn Staaten definieren sich ganz wesentlich durch Grenzen und die Fähigkeit, diese Grenzen aufrecht zu erhalten. Sobald man also die Durchsetzung der Menschenrechte Staaten überträgt, trägt man auch zu deren Begrenzung bei.

Ein schönes Beispiel ist das Ausländerrecht, das in den meisten Staaten der Welt existiert. Es stellt von der Sache her meist eine Benachteiligung von Ausländern gegenüber den Inländern dar, schafft also die gesetzliche Grundlage für eine Diskriminierung aufgrund der Herkunft oder Staatsangehörigkeit. Die Menschenrechte gehen dagegen davon aus, dass alle Menschen frei und gleich sind. Dies passt nicht zusammen. Und so kommt es, dass auch die Verfassung z.B. der Bundesrepublik Deutschland eine Reihe von Menschenrechte nicht als universelle Rechte anerkennt, sondern mit den Worten "Jeder Deutsche hat das Recht..." auf deutsche Staatsbürger beschränkt.

In der Rechtsprechung führt das dann dazu, dass die Menschenrechte der Flüchtlinge abgewogen werden gegen die Handlungsfähigkeit des Staates, weshalb dem Staat dann - zu Zwecken des Selbsterhalts - auch zugebilligt wird, den Zugang der Flüchtlinge zum Staat zu verhindern (z.B. die Einführung der Drittstaatenregelung in der deutschen Verfassung im Jahr 1993).

Da diese Beschränkung der Menschenrechte ein grundlegender Bestandteil der staatlichen Verfassung ist, ist die rechtliche und praktische Diskriminierung von Ausländern eine logische Folge dieser Verfassung. Natürlich gibt es je nach Staat und Bundesland Unterschiede, aber die Struktur ist dieselbe. Hier nun die Folgen für das Leben von Menschen mit Immigrationshintergrund in Deutschland, namentlich für Flüchtlinge:

1. Bewegungsfreiheit. Ein Flüchtling im Asylverfahren erhält eine Aufenthaltsgestattung, die i.d.R. auf den Landkreis beschränkt ist, dem er zugewiesen wurde. Wir der Flüchtling außerhalb des Landkreises bei einer Kontrolle erwischt, gilt dies zuerst als Ordnungswidrigkeit, für die eine Buße verhängt wird, die weit über dem monatlichen Taschengeld eines Flüchtlings liegt. Folge: Polizisten und Beamten des BSG, die ‚Erfolge' vorweisen wollen, brauchen nur ‚ausländisch aussehende' Personen zu kontrollieren, dann finden sie mit einem gewissen Prozentsatz (Trefferquote) auch welche, die ihren Aufenthaltsbereich unerlaubt verlassen haben. Diese räumliche Beschränkung (von gewissenlosen Juristen vornehm als "Residenzpflicht" deklariert) erzieht also zu einer diskriminierenden Kontrollpraxis durch die Polizei, die natürlich auch die trifft, die schon längst eingebürgert sind. Ob Proteste dagegen zu Misshandlungen oder im Einzelfall zur Abstellung dieser Kontrolle führt, ist regional und von Beamte zu Beamte verschieden. Ein langjähriger Freund von mir, der aus Sri Lanka stammt, war regelmäßig gemeinsam in einem Auto mit einem Türken und einer Chinesin zu einer Schulung nach Donaueschingen gefahren. Regelmäßig wurden sie auf der Autobahn von der Polizei verfolgt, angehalten und die Papiere kontrolliert. Einmal meinte mein Freund dann zu den Beamten, das sei doch für beide Seiten unbefriedigend, sie würden ständig aufgehalten, und die Beamten könnten sich in der Zeit nicht um Fälle kümmern, die tatsächlich einer Kontrolle bedürfen. Er schlug ihnen vor, dass sie ihre Autonummer den Kollegen weitergeben sollten, damit sie nicht ständig kontrolliert würden. In diesem Fall half es, von nun an konnten sie unbehelligt zur Schulung fahren. Im Fall eines PKK-Anhängers dagegen wurde die Verletzung der örtlichen Beschränkung dazu benutzt, den Mann zu einer Gefängnisstrafe zu verurteilen, die er auch absaß. Und weil er in Haft kein Geld erhielt und folglich eine vorige Geldstrafe nicht weiter abzahlen konnte, wurde er wegen "Abbruch der Fortzahlung" gleich noch länger in Haft behalten, obwohl die Gerichtsbehörden wussten, dass er kein Geld hatte, die vorige Strafe zu dem Zeitpunkt zu bezahlen.

2. Schutz von Ehe und Familie: Es kommt bei getrennter Einreise von Angehörigen einer Flüchtlingsfamilie immer wieder vor, dass z.B. die Eltern getrennt in verschiedenen Bundesländern untergebracht werden und die Behörden einer Zusammenlegung der Familie alle möglichen Hürden in den Weg legen. Kommt der Ehemann trotzdem zu seiner Frau und den Kindern, verstößt er gegen die Aufenthaltsbeschränkung und macht sich strafbar. Im Frühjahr habe ich eine Ashkali-Frau aus Kosovo getroffen, die ein Kind von einem Kosovo-Albaner hatte, der abgeschoben worden war. Als dieser zu seiner Frau und seinem Kind zurückkommen wollte, meldete sich die Familie bei einem Anwalt, der beim Landratsamt Konstanz einen Termin ausmachte, um für den Mann eine Duldung zu bekommen. Als die Familie hinging, hatte das Landratsamt über das Regierungspräsidium Freiburg einen Haftantrag für den Mann erwirkt, ließ die Polizei kommen und den Mann abführen. Ein Polizist, der Mitleid mit der jungen Mutter hatte, sagte ihr, sie solle ihm ihre Telefonnummer geben, er werde sie benachrichtigen, wenn der Mann vor den Haftrichter geführt werde. Dies tat er tatsächlich, und als die Frau nach Konstanz fuhr, ließ die Richterin sie nicht mal in den Verhandlungssaal. Die Richterin verhängte Sicherungshaft, weil der Mann angeblich untertauchen wolle - dabei war er ja freiwillig zu der Behörde gegangen und hatte einen Wohnsitz - bei der Ehefrau, wo er auch bei seiner vorigen Abschiebung festgenommen worden war. Die Richterin hat das möglicherweise gar nicht gewusst, obwohl sie nur die Ehefrau hätte befragen müssen, die vor der Tür wartete. Der Mann kam ins Gefängnis von Rottenburg - ein elender Knast - und wurde nach einiger Zeit abgeschoben, ohne bei seiner Familie bleiben zu können. Ich habe der Richterin geschrieben und ihr erklärt, dass sie den Haftbefehl auch aufheben könne, da die Voraussetzungen gar nicht vorlägen, aber nie eine Antwort erhalten. Da die junge Frau als Ashkali in Kosovo gefährdet ist und ihr Mann auf Jahre nicht nach Deutschland kommen kann, hat sie ihre Hoffnungen aufgegeben und einen Deutschen geheiratet, statt auf den Sankt-Nimmerleinstag zu warten, an dem sie mit ihrem Mann zusammenleben kann.

3. Faires Verfahren: Die Entwicklung des Asylrechts zeigt auch deutlich, wie wenig Menschenrechte wert sind, wenn sie vermehrt in Anspruch genommen werden. Schon 1978 wurden die ersten Eingriffe in die Verfahrensrechte gemacht: Abschaffung des Widerspruchs gegen den Verwaltungsbescheid (d.h., ob man vom Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge anerkannt oder abgelehnt wird), Einführung des Einzelrichters. Der Widerspruch ist eine verwaltungsinterne Überprüfung, die in solchen Fällen kein Geld kostet und von den Politikern nur als eine "Verzögerung des Verfahrens" angesehen wurde. Der Einzelrichter statt eines mehrköpfigen Gremiums sollte Personal sparen helfen. Der nächste Schritt war die Einführung des Bescheids als "offensichtlich unbegründet." Wer eine solche Antwort bekommt, muss nicht nur in einer Woche (!) gegen die Ablehnung klagen, sondern zugleich auch einen Eilantrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage stellen, weil er sonst abgeschoben werden kann, obwohl das Hauptverfahren noch läuft. Diese Frist ist im Verwaltungsrecht sonst nicht geläufig, führte vor allem in den ersten Jahren immer wieder zu Anwaltsfehlern, weil es eben ein Sonderrecht war. 1993 kam die Abschaffung der Sozialhilfe, für Flüchtlinge wurde ein extra Asylbewerberleistungsgesetz geschaffen, das viele unmenschliche Praktiken im sozialen Bereich zum Gesetz erhebt. Ich erwähne dies aber ausdrücklich hier, an der Stelle der Verfahrensbehinderung. Denn aus der rechtlichen Kompliziertheit der Asylverfahren und den Sprachproblemen ergibt sich, dass ein Flüchtling ohne anwältliche Hilfe verloren ist. Den Anwalt muss man aber bezahlen. Und nicht mit Mohrrüben aus Esspaketen, sondern mit harter Währung. Bei einem monatlichen Taschengeld von 80.- DM (Mark) ist dies eine Zumutung, da Flüchtlinge in aller Regel auch Kontakt zur Heimat per Telefon unterhalten (teuer), ihre Schulden aus der Flucht abtragen müssen etc. Hier wird also der Rechtsstaat abgeschafft, indem den Flüchtlingen der Geldhahn zugedreht wird. Die wenigen Anwälte, die bereit sind, für 50.- DM-Raten im Monat zu arbeiten, sind so überlaufen, dass eine individuelle Beratung für den Anwalt oft schon aus Zeitmangel sehr begrenzt ausfällt. Und dadurch wird die Erfolgschance im Gerichtsverfahren deutlich geschmälert.

4. Recht auf Arbeit: Längere Zeit herrschte für Flüchtlinge im Asylverfahren ein absolutes Arbeitsverbot, jetzt ist es zeitlich begrenzt, aber auch dann, wenn sie die Erlaubnis erhalten, zu arbeiten, haben Deutsche und EU-Ausländer Vorrang, d.h. die Stelle muss erst mehrere Wochen lang solchen Arbeitssuchenden angeboten werden, und nur, wenn sie dann nicht besetzbar ist, darf der Flüchtling darin arbeiten. Damit werden die Flüchtlinge zu einem Arbeitsreservoir für MacDonalds, Kneipen und Putzfirmen. Und natürlich für den Schwarzarbeitsmarkt. Ich kannte einen polnischen Kiefernchirurgen, der erntete auf den Feldern eines Reichenauer Bauern für 2.50 DM die Stunde Kartoffeln - das sind die Folgen solcher Gesetze. Ich bin kein Anhänger der Theorie, dass das Recht auf Arbeit bedeutet, der Staat müsse den Menschen Arbeit geben, aber das mindeste wäre, dass er sie darin nicht behindert.

5. Recht auf Menschenwürde: Die Praxis, Flüchtlingen Esspakete statt Geld zu geben, sieht in der Praxis völlig demütigend aus, und nicht ohne Grund haben sich in Konstanz mehrere Flüchtlingsstreiks genau an diesem Essen entzündet. Mit anschließender Zwangsverlegung in ferne Dörfer, mit dem Einsatz von Polizei und Polizeihunden, mit der Diffamierung der Flüchtlinge und des deutschen Unterstützerkreises in der Presse durch das Landratsamt tun die Behörden dann ihr Bestes, den Widerstand zu brechen. Wer das nicht selbst erlebt hat, kennt den totalitären Charakter dieses Staates noch nicht. Da meine Frau und die Kinder über zwei Jahre in Flüchtlingsheimen lebten und ich bei ihnen war, habe ich die Ereignisse aus einer Nähe mitbekommen, wie die nicht im Heim Wohnenden es gar nicht wahrnehmen können.

Ich will kein Buch schreiben, deswegen breche ich die Aufzählung hier ab. Ich hoffe aber, deutlich gemacht zu haben, dass die Frage nach Diskriminierung eigentlich überflüssig ist, weil diese unabhängig von den handelnden Personen schon in der Konstruktion von Staaten und Grenzen angelegt ist.

Natürlich kann man auch auf der persönlichen Ebene Diskriminierung erleben, genauso aber auch erfreuliche Gegenbeispiele, wobei allerdings Leute mit dunkler Hautfarbe die schlechtesten Karten haben. Auch in Konstanz haben wir es immer wieder erlebt, dass Äthiopier auf der Suche nach Wohnung oder Arbeit am Telefon die Auskunft bekamen, die Stelle sei noch frei, oder die Wohnung noch nicht vergeben, und sobald es zum persönlichen Kontakt kam, war dann doch alles vergeben... Und wie oft passiert es, dass Ausländer auf dem Ausländeramt der Stadt oder beim Landratsamt unhöflich abgewiesen oder willkürlich hingehalten werden, und erst, wenn sich ein Deutscher einmischt, geht es dann doch. Mit Beschwerden habe ich die Erfahrung gemacht, dass sowohl die Vorgesetzten wie die Parlamente (deren Petitionsausschüsse ja mit der selben Mehrheit besetzt sind, die auch die Regierung und somit die Verwaltungsspitze stellt) das Vorgehen der Behörden rechtfertigen und deren Darstellung als wahr übernehmen.

Diese Form der Diskriminierung - einem Ausländer potentiell weniger zu glauben als einem Deutschen, einem Deutschen weniger als einem Beamten - zieht sich durch die Behörden und Gerichte, und wenn man die Handelnden darauf anspricht, werden meist pseudologische Rechtfertigungen vorgebracht - z.B. der Ausländer habe es nicht richtig verstanden, weil er das Deutsche nicht so gut verstehe etc. Dabei ist die Unfreundlichkeit mit den Händen zu greifen, ohne dass man auch nur ein Wort verstehen muss. Solange die Behördenakte nicht auf Video aufgenommen werden, kann man allerdings nichts beweisen. Aber, und das möchte ich hier nicht untergehen lassen, es gibt auch noch die anderen.

Eine Äthiopierin, die kürzlich in Ravensburg entbunden hat und dabei fast an inneren Blutungen gestorben wäre, kann aufgrund ihres geringen Familieneinkommens ihre Mutter nicht einladen. So hat sich der Hausbesitzer dazu bereit erklärt. Die Botschaft in Addis Abeba will aber kein Visum ausstellen, weil der Hausbesitzer kein Verwandter ist. Der Mann hat darauf bei der Botschaft in Addis Abeba angerufen und denen seine Meinung gesagt, und er ist keiner, der aus dem Hilf-den-armen-Ausländern-Milieu kommt. Eine Zeitlang hatte ich mit dem Besitzer einer Druckerei in Stockach engen Kontakt, als es darum ging, dass die Behörden einen Iraner abschieben wollten, der bei ihm arbeitete. Oder eine Schule demonstrierte gegen die Abschiebung eines türkischen Schulkameraden, der dann doch das Gymnasium noch beenden konnte und jetzt in KN studiert. Längst nicht alle Aktionen enden mit einem Erfolg, aber die Bürgergesellschaft ist doch noch stark genug, dass der Staat immer wieder auf Hindernisse stößt.

Dass es auch unter Ausländern Diskriminierung gibt, ist eine banale Tatsache. Türkische Arbeiter sind von der Anwesenheit türkischer Flüchtlinge nicht erbaut, da fällt schnell das Wort vom Terroristen, und es ist klar, dass Menschen, die hier laufend Rechtsbeschneidungen und Willkür als Ausländer erfahren, nicht begeistert sind, wenn sich ihre Position durch Neuankömmlinge, die wie die PKK dann (durch die pauschalisierte Wahrnehmung der Einheimischen) die ganze Gruppe in Verruf bringen, rechtlich und im Kontakt mit der Umwelt verschlechtert. Zumal diese Arbeiter, die über ihre Rechtlosigkeit in der BRD verbittert sind, die Verhältnisse in ihrer alten Heimat gerne verklären und die Flüchtlinge als Störung bei diesem Versuch der Beschönigung empfinden. Da zudem ein Teil der Flüchtlinge eher Auswanderer sind als politisch Aktive und nur aufgrund der rechtlichen Situation in Deutschland in ein Asylverfahren gezwungen werden (und somit auch Fluchtgeschichten erfinden müssen), fühlen sich die Alteingesessenen in ihren Vorurteilen bestätigt, wenn sie dann von denen die wahre Geschichte erfahren. Da sind komplexe Mechanismen am Werk, die ich hier nicht im einzelnen erläutern will.

Gerade weil der Staat/die regierenden Politiker aber inhaltlich nichts gegen die strukturelle Ausländerfeindlichkeit tun will (nicht einmal die ‚Residenzpflicht' haben die Grünen abgeschafft), sind sie auf Vorzeigeausländer angewiesen, die sich für symbolische Politik gut eignen. Den Vorzeigetürken in der Polizei, oder eine iranische Familie, mit der ich seit 1987 befreundet bin, die Eltern waren im Iran Lehrer, die Tochter studiert jetzt Medizin. Ihr Vater schreibt Bücher und Gedichte, trägt sie auf Lesungen in Schulen etc. vor, die Tochter führt iranische Tänze auf, und diese Familie ist jetzt ‚museal' geworden, ihr Lebenslauf wird in einem neu eröffneten Museum in Stuttgart vorgestellt.

Zum Schluss - doch, es gibt ihn! - noch ein Hinweis zum Fragebogen: In Deutschland gibt es ein Rechtsberatungsgesetz, das es Laien verbietet, rechtlichen Rat zu geben, auch wenn es unentgeltlich ist. Das Gesetz stammt von 1935 und sollte die aus dem Staatsdienst geworfenen Juden aus dem freiberuflichen Wirtschaftsleben ausschließen, es wurde eigentlich von den Alliierten abgeschafft, aber vom Bundestag in den 50er Jahren wieder eingeführt. Heute wird es von der Regierung (egal welcher, CDU/CSU/FDP genauso wie SPD/Grüne, wie ich mit meinen Petitionen an den Bundestag feststellen konnte) mit dem schönen Wort "Verbraucherschutz" gerechtfertigt, als wären gerade die professionellen Berater die besten oder als ob diese überhaupt zur Verfügung stehen (wir haben ja gesehen, wie den Flüchtlingen der Geldhahn abgedreht wurde). In der Praxis wird das Rechtsberatungsgesetz immer dann vorgeholt, wenn engagierte Laien Angehörigen von Randgruppen (Obdachlosen, Russlanddeutschen, Flüchtlingen, Sozialhilfeempfängern, Totalverweigerern) helfen, Rechtsmittel gegen Behördenbescheide einzulegen. Manchmal schalten die Behörden (z.B. Landratsamt Lindau gegen einen Verein zur Unterstützung von Folteropfern) selbst die Staatsanwaltschaft ein, manchmal spitzen sie die Rechtsanwaltskammern an, die sich gegen "Konkurrenz" wehren. Ein intelligenter Mensch wird also nie sagen, dass er Flüchtlinge rechtlich berät, sondern nur, dass er sie an Anwälte weiter vermittelt oder dass er übersetzt.

Auch wenn meine Antwort nicht sehr fragebogengerecht ist, hoffe ich doch, dass sie zum Verständnis der ideologischen Basis der Diskriminierung und ihrer Vielfalt beiträgt. Ich denke, dass Sie auch von den Ortsgruppen von "kein mensch ist illegal" und von "the voice" in Jena ausführliche Informationen über Diskriminierung in Deutschland erhalten können.

Mit besten Grüßen

Georg Warning